Vorarlberg hat gewählt und Österreich interessiert sich dafür, zumindest oberflächlich. In Wien regiert eine große Koalition, die sich durch Personalwechsel wieder einmal den Anstrich des Neuen zu geben versucht. Diese Regierung, so vermittelt es zumindest der mediale Mainstream, hungert ob ihres völlig neuen Kurses nach Bestätigung desselben und kann diese auf die Schnelle nur in Vorarlberg finden.
Das ist in etwa so abwegig, als würde Kommissionspräsident in spe Jean-Claude Juncker seinen politischen Kurs von den Parlamentswahlen in Malta abhängig machen. In Vorarlberg leben gerade einmal 4,4% der österreichischen Bevölkerung, auch die Bundesregierung wird sich von der Landtagswahl im äußersten Westen daher wenig beeindrucken lassen. Dazu waren die Ergebnisse bereits zu absehbar und letztlich aus gesamtösterreichischer Sicht zu unbedeutend: Die ÖVP hat ihre Absolute verloren, wenn auch durch zuletzt schwächelnde NEOS und eine in Antizipation ihres Regierungseintritts handzahme FPÖ etwas weniger deutlich als angenommen, und die SPÖ stagniert in ihrer alemannischen Bedeutungslosigkeit weiter. Auch der Zuwachs bei den Grünen ist lediglich die Fortsetzung eines bundesweiten Aufwärtstrends.
Ein allzu großes Engagement der Koalitionsparteien hat sich im Landeswahlkampf auch aus anderen Gründen nicht eingestellt. Die ÖVP fährt seit Jahrzehnten einen Kurs der Pseudoabgrenzung indem sie in Vorarlberg mit Selbstbestimmungsparolen in Wahlkämpfe zieht und gleichzeitig als Regierungspartei in Wien den westlich des Arlbergpasses zum Dogma verklärten Föderalismus in den gewohnten Zweigleisigkeiten vor sich hin dümpeln lässt. Zum Image der autochthonen Minderheitenpartei passt es nicht, das die Parteifreunde aus dem Osten Schützenhilfe in irgendeiner Form leisten. Ein paar Höflichkeitsauftritte maximal, aber ansonsten hatte der Wahlkampf der Vorarlberger ÖVP unter Landeshauptmann Markus Wallner vor allem eines zu sein: vorarlbergerisch.
Die Sozialdemokratie im Bund hatte noch weniger Grund sich im äußersten Westen zu engagieren. Zum Einen ist sie dort seit ihrem Ausscheiden aus der Landesregierung in den 70ern in die Bedeutungslosigkeit versunken und musste sich mit NEOS um den vierten Platz schlagen. Jeder Parteiobmann kann die Ländleroten daher nur als Stein am Bein empfinden, der einen höchstens noch weiter runterzieht. Zum Anderen hat sich der Vorarlberger Parteiobmann Michael Ritsch in Wien nicht gerade Freunde geschaffen. Unverhohlen forderte er kürzlich den Rücktritt von Bundeskanzler Faymann, sollte eine Steuerreform für nächstes Jahr nicht umgesetzt werden. Ritsch war auch der Erste, der noch vor den Abstimmungen in den Gremien Doris Bures als Nachfolgerin von Barbara Prammer bestätigte und sie im gleichen Atemzug als Bundespräsidentschaftkandidatin verheizte. Ritsch, der mit einem selbst für sozialdemokratische Verhältnisse unsteten Privatleben aufwartet, gilt grundsätzlich als das Gegenteil dessen, was man gemeinhin Personalreserve nennt. Dass die Vorarlberger SPÖ trotzdem keine Alternative zu einem Spitzenkandidaten hat, der sie von einer Wahlniederlage zur nächsten führt, ist auch der Grund, warum sie allgemein als nicht regierungsfähig gilt: Die brauchbare Personaldecke ist in etwa so dünn wie bei der FPÖ auf Bundesebene.
Ein ähnliches Schicksal trifft NEOS, das bei vorangegangenen Wahlen im Heimatland von Parteichef Strolz Traumergebnisse verzeichnen konnte. Dank interner Machtkämpfe und der mehr als unbedarften Spitzenkandidatin Sabine Scheffknecht sind die Liberalen aber weniger erdrutschartig in den Landtag eingezogen, als zuvor erhofft. Immerhin schaffte es die NEOS-Frontfrau bei einer Diskussion der Spitzenkandidaten vor mehreren hundert Schülern von 15,7% potentiellen Jungwählern vor der Debatte auf 3,7% danach abzurutschen. Die verlangte Privatisierung der landeseigenen Elektrizitätswerke und Aussagen zur Wohnbausteuer, ob deren Unqualifiziertheit sich sogar Grünen-Chef Johannes Rauch gezwungen sah, dem Landeshauptmann in seiner Entrüstung beizuspringen, ließen die Anfangs ausgezeichneten Chancen der Pinken zum Ende hin etwas zusammenschmelzen. Auch wenn die neue Bewegung mit knapp 7% ins Landesparlament eingezogen ist, an eine Regierungsbeteiligung mit den inhaltlich wie personell indifferenten NEOS wird die ÖVP kaum denken, zumal ein solches Bündnis nach den Hochrechnungen nicht einmal eine Mehrheit hätte.
Letztendlich wird sie die Koalitionsfrage zwischen FPÖ und Grünen entscheiden. Während die Blauen unter Dieter Egger einen für freiheitliche Verhältnisse ungewöhnlich braven Wahlkampf geführt haben, biedern sich die Grünen in schon fast genanter Weise als Koalitionspartner an die Volkspartei an. Egger, der nach der letzten Wahl wegen eines antisemitischen Ostküstensagers gegenüber dem Direktor des jüdischen Museums in Hohenems aus der Koalition geschmissen wurde, treibt vor allem sein Ehrgeiz zurück in die Regierung. Sein Wohlfühlwahlkampf ohne rechte Ausrutscher hat ihn sogar Stimmen gekostet. Ihm geht es aber vor allem um seine persönliche Macht. Interne Gegenspieler wie Fritz Amann aus dem Wirtschaftsring wurden für dieses Ziel bereits geopfert. Genau wie einst Hubert Gorbach liegt Egger viel daran Statthalter, also Landehauptmannstellvertreter zu werden. Gorbach, dem mittlerweile die Welt in Vorarlberg bekanntermaßen zu klein geworden ist, lehnte das Angebot eines zweiten Landesrates einst ab, nur um selbst zur Nummer zwei in der Regierung aufzusteigen. Egger will es ihm gleichtun, vielleicht auch wegen der langfristigen Perspektive auf das Verkehrsressort im Bund, für dessen Leitung er im Falle einer erneuten blauen Regierungsbeteiligung immer wieder gehandelt wird.
Die Grünen wiederum bemühen sich, das Feld von hinten aufzurollen, indem sie in die Landesregierungen drängen, um sich - so das Kalkül - letztlich im Bund unverzichtbar zu machen. Für die ÖVP könnte diese Variante im Hinblick auf die sogenannte Westachse mit Tirol und Salzburg, in denen ebenfalls die Grünen mitregieren, reizvoll sein. So würde sie einerseits das Manko einer Verliererkoalition vermeiden, andererseits hätten es drei schwarz-grüne Regierungen leichter, sich als innovative Alternative zum drögen rot-schwarzen Dauerdesaster in Wien zu präsentieren. Die bisherigen Präferenzen der Vorarlberger Landes-ÖVP gingen jedoch immer in Richtung schwarz-blau. Die Entgleisungen Eggers könnten mittlerweile als verjährt angesehen werden, außerde haben sich die Freiheitlichen der Volkspartei bislang immer zu sehr günstigen Konditionen angedient. Schließlich verfügt die FPÖ über leidlich wenige Positionen, die sich auf Landesebene umsetzen ließen und ihr Parteichef ist mit einem Posten zufriedenzustellen. Die ÖVP findet sich jedenfalls, trotz des Verlustes der Absoluten, in der angenehmen Position wieder, zwischen mehreren gleichermaßen auf Zusammenarbeit erpichten potentiellen Partnern auswählen zu können. Im Ergebnis wird daher immer noch sie es sein, die den Ton angibt, Wahl hin oder her.