Dienstag, 15. März 2011

Die Atomkraft, bzw.: Ja ja! oder Nein nein!

Man hat als Österreicher ja leicht reden. Man wohnt in seinem alpinen Bergparadies oder in den Tälern dazwischen und lamentiert über die Gefahren der Atomkraft, während Staaten ohne ausreichende Wasserkraftressourcen wie Frankreich oder Japan sich einen Meiler um den anderen vor die Tür stellen müssen, um ihren Elektrizitätsbedarf zu decken. So sieht das Argument der einen Seite aus. Die andere würde wohl einwenden, dass man dort ja auch den Weg des geringsten Widerstandes gegangen ist. Anstatt Strom zu sparen oder alternative Erzeugungsmethoden zu entwickeln, hat man eben ein paar Uranstäbe ins Wasser gestellt und mit dem Dampf eine Turbine betrieben. Tada: Strom.

Lange galt die Methode als zuverlässig, witterungsunabhängig und relativ sicher. Nur mit dem relativ ist das so ein Problem. Hin und wieder spinnt mal ein Lüftungsventil, manchmal brennt ein Stäbchen durch. Bumsdi, wie man in Wien sagt. Schon hat man einen Störfall. Natürlich sind nicht alle Störfälle gleich todbringend. In Temelin gibt es jedes Jahr so um die 100 bis 200 Stück, passiert ist bisher noch nix.

Ja, viele Jahre lang ging die Sache mit den Atomkraftwerken gut. Der eine oder andere Zwischenfall wurde vertuscht oder heruntergespielt wie der 1957 in Sellafield oder jener auf Three-Mile-Island. Und dann kam Tschernobyl.
Schwedische Messstationen am AKW Forsmark registrierten am 28. April 1986 einen Strahlungsanstieg, was dort den Alarm auslöste. Den Schweden war bald klar, dass ihr Kraftwerk keine Strahlung abgegeben hatte. Währenddessen hüllten die Sowjets noch tiefes Schweigen darüber, dass in den frühen Morgenstunden des 26. April nach einer fehlgeschlagenen Notfall-Simulation bei einem Schnell-shutdown-Versuch im Reaktorblock vier des Kernkraftwerkes Tschernobyl in der Ukrainischen SSR eine unkontrollierte Kettenreaktion stattgefunden und den Reaktormantel gesprengt hatte. Als die Russen dann langsam mit der Wahrheit herausrückten, durften in Europa die Kinder nicht mehr in den Garten. In der DDR stieg der Gemüseverzehr, weil Salat und Co. nun billig zu haben waren, da im Westen keiner mehr Grünzeug aß. Die Abtreibungsrate schnellte in die Höhe, weil viele Frauen bei dünner Informationslage fürchteten, schwer entstellte und todkranke Kinder zu bekommen. Wer zum Jahrgang '86 gehört kennt aus Schulzeiten die Bezeichnung Tschernobyl-Kind wohl zu genüge. Die Hysterie ging vorüber, die Angst blieb, auch wenn heute ein meterdicker Stahlbetonsarkophag den strahlenden Pharao von Tschernobyl einsargt. Die Internationale Agentur für Krebsforschung schätzt, dass bis zum Jahr 2065 über 40.000 Menschen an den Folgen des Atomunfalles an Krebs erkranken werden.Tausende sind bereits gestorben.

Nun kann man natürlich einwenden, dass das Unglück auf sowjetische Kommandostrukturen, veraltete Technik und falsche Entscheidungen zurückzuführen ist. Aber es gibt ja immer noch Erdbeben und die 442 Reaktoren, die nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA weltweit noch am Netz sind. Man wird sie nicht von heute auf morgen stilllegen können und Ersatz ist auch nicht so schnell zu schaffen. Die EU experimentiert zwar für mehrere Milliarden Euro gerade in Südfrankreich mit der Kernfusionstechnologie, die kaum strahlt und enorme Energiemengen liefern kann. Aber bis man zwei extrem heiße Ströme aus Wasserstoffplasma in einer Magnetröhre punktgenau aufeinender schießen und dann auch noch die Energie daraus abzapfen kann, wird's wohl noch etwas dauern.
Die Österreicher können bis dahin aber auch nur halb so gut lachen, wie die meisten von ihnen wohl glauben mögen. Wer seinen Strom etwa bei der Salzburg AG bezog, hatte 2005 einen Atomstromanteil von über 20%. Österreichweit liegt er aktuell zwischen 5 und 15%. Importiert wird die strahlende Elektizität aus dem Ausland, auch aus Temelin. Die Wienenergie gewinnt an die 75% ihrer Stromproduktion aus fossilen Energieträgern. Bei der niederösterreichischen EVN waren es 2005 noch immer 60%. Wir können dank unseres zweidrittel Wasserkraftanteils an der nationalen Stromproduktion vielleicht lächeln, aber wir müssen nicht strahlen. Zumindest hat sich die österreichische Politik eine Blamage á la Angela Merkel erspart, die die frisch beschlossene Laufzeitverlängerung für die deutschen AKWs nun wieder zurücknehmen musste, wegen der Geschichte in Japan... ah ja: und wegen der Landtagswahl in Baden-Württemberg.

Die Frage, die wir uns letztendlich stellen müssen, ist: Können wir die Verantwortung dafür übernehmen, eine relativ sichere Technologie einzusetzten, die uns nur dann Probleme macht, wenn ein Erdbeben, ein Tsunami oder ein paar Russen am Werk sind? Auch andere Dinge sind gefährlich, stimmt. Zum Beispiel Autofahren. Irgendwer stirbt garantiert jeden Tag auf irgendeiner Straße. Wenn man ein Auto fährt, nimmt man diese Möglichkeit stillschweigend inkauf. Man nennt das Übernahmsfahrlässigkeit. Wenn dann mal jemand mit seinem VW-Phaeton von der Loiblpass-Straße abkommt, ist es aber - so grausam das klingen mag - eben nur einer. Das Auto, das bei 40.000 Menschen Krebs verursachen kann, muss erst noch gebaut werden. (Toyota ist wahrscheinlich schon dabei.) Bei Autowracks wird auch nicht ewig über die Endlagerung gestritten, manche werden sogar vom Land Kärnten für viel Geld angekauft.

Kernenergie ist relativ sicher, aber auch relativ gefährlich. Ob man das Leben Hunderttausender oder von Millionen riskieren sollte, nur weil fast nie was passiert? Freilich, man kann das Risiko minimieren, indem man zum Beispiel nicht in Erdbebenzonen baut - was für Japan eher schwierig werden dürfte - oder keine sowjetischen Reaktortechniker anstellt. Trotzdem bleibt immer ein Mindestmaß an Gefährdung übrig. Die Problemstellung Atomenergie ja/nein spießt sich letztendlich nur an der Frage, ob man bereit ist dieses Restrisiko zu tragen. Ich bin es nicht.
„Die Kinder san dran.“ STS

1 Kommentar:

  1. Kann dir nur beipflichten. Logisch nüchtern ein bischen Zynisch aber gut.
    Was es mit der Halbwärtszeit von 24000 Jahren auf sich hat, ist etwas zu kurz gekommen. Ich weis jedenfalls dass ich das nicht erleben werde auch ohne Supergau nicht. Ist mir jedenfalls zu lang, das könnte mich in meinem nächsten Leben noch erwischen.

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