Insgeheim glaube ich ja, es muss sowas wie einen
unsichtbaren Reisekobold geben, der sich mir auf die Schultern setzt, sobald
ich mich anschicke irgendwo hinzufahren. Unter all den Schrecklichkeiten, die
mir bislang bei solchen Gelegenheiten passiert sind, reiht sich mein kürzlicher
Brüsselaufenthalt an erster Stelle ein.
Wenn ein Ministerium einen freien Dienstnehmer nach Brüssel schickt, um dort
die Republik Österreich zu vertreten, läuft das so ab: Man bucht einen Flug,
den zahlt gnädiger Weise das Haus, den Rest soll man selber vorstrecken und
bekommt es dann bestenfalls später zurück. Abgesehen von der Petitesse,
dass sich der Staat in intergouvernementalen Organisationen von jemandem
vertreten lässt, der nicht einmal bei ihm angestellt ist, bleibt für den
Betroffenen natürlich auch das finanzielle Risiko. Weil vor einiger Zeit ein
Attaché in Brüssel ausgeraubt und zusammengeschlagen wurde, hielt ich es daher
für angebracht nicht mit tonnenweise Bargeld durch jene Ansammlung von Abbruchhäusern
zu marschieren, die sich Hauptstadt Europas nennt. Deshalb nahm ich, da mir das
Ministerium keine Kreditkarte stellt und ich privat keine besitze, meine
Bankomatkarte mit nach Belgien. Die hatte mir ja schon in Norwegen gute Dienste
geleistet.
Ich flog also am späten Montagnachmittag mit einer klapprigen Fokker der AUA
- seit Kollektivvertragszwangsumstellung „operated by Tyrolean“ - in der
schon Kreisky hätte sitzen können, nach Brüssel. In den Armlehnen waren
zugeklebte Aschenbecher eingelassen. Der Himmel war bewölkt. Das erste was ich
wieder unter mir sehen konnte war Deutschland. Auch wenn der Flug im weiteren
Verlauf problemlos verlief, ging die Reise für mich von da an bergab. Überall
Wälder, Felder und ein paar stinkende Dörfer. Mir fiel Tactitus ein: Wer würde
schon da hinziehen wollen „es sei denn, es wäre seine Heimat?“
Nach der Ankunft blieb meiner Bankomatkarte bereits die erste potentielle Anwendungsmöglichkeit
versagt. Die Ticketautomaten für den Zug vom Flughafen nach Brüssel, die Aussahen
als hätte man sie kurz vor dessen Unabhängigkeit noch aus dem Kongo hergekarrt,
nahmen nur Bares. Außerdem waren zwei von dreien defekt und bis das Wechselgeld
kam, hätte schon ein zweiter sein Ticket kaufen können. Erzählen Sie mir jetzt
übrigens bitte nicht, ich hätte den Bus nehmen sollen. Der fährt ins Zentrum
ich musste nach Brüssel Zuid/Midi, was mich zum nächsten Thema bringt: Die
anfangs sehr sympathisch und kosmopolitisch wirkende Zweisprachigkeit geht
einem früher oder später gewaltig auf die Nerven, insbesondere wenn man weder
Französisch, noch Niederländisch spricht. Jede Durchsage, jedes Straßenschild,
überall: Parität. Zuerst „chä-chö-chui“ dann „schua-schuö-schiu“. Am Flughafen
ist es noch schlimmer, weil da auch noch auf Englisch durchgesagt wird. Der ist
auch insgesamt eine Zumutung. Man muss einen Halbmarathon rennen, um vom
Flugzeug zum Ausgang und vice versa zu kommen. Dann stehen da überall Manneken
Pis Figuren oder Bilder von Manneken Pis. Sogar auf den Getränkeautomaten sieht
man den Knilch, wie er auf eine Cola-Flasche uriniert. Für die Belgier ist
diese Figur offenbar Mozartkugel, Lipizaner und Edelweiß in einem. Die dünne
Suppe der belgischen Identität scheint ausschließlich auf Fritten, Waffeln und
dem Brüsseler Brunzzwerg aufzubauen.
Erst nachdem ich ein gefühltes Dutzend Mannekens und ein recht ironisch
wirkendes Werbeplakat für die „Innovationsregion Wallonien“ passiert und vom
Fahrkartenautomat aus König Leopolds Zeiten ein Billet erstanden hatte, konnte
ich mich in den 80erjahre-Vorortezug setzen, der dann nach Brüssel tingelte.
Dort angekommen musste ich feststellen, dass die fünf Schotten, die ich am
Flughafen gesehen hatte, keine exotischen Ausnahmen waren. Brüssel sah sich
vielmehr einer kaledonischen Invasion gegenüber. Mehr Röcke als im Mädcheninternat
und mehr Tartans als in Aberdeen. Weil ich mit den alkoholisierten Kiltträgern
nicht in näheren Kontakt treten wollte, beschloss ich mein Ticket für die Öffis
- der Automat hatte meine Karte nicht akzeptiert - mit dem zu bestellen, was
ich für Französisch hielt: „Ö Billee puur dieß woiasch, sie wu plee“ Der
migrantische Fahrkartenverschleißer sah mich etwas schief an, hatte aber
scheinbar verstanden. Die folgende Fahrt zum Hotel war einigermaßen problemlos.
Fast schockiert betrachtete ich den verwahrlosten Zustand der Metropole.
Überall heruntergekommene Häuser, leere Fabriken mit zugemauerten Fenstern und
Bauruinen. Dagegen wirkt der zehnte Wiener Gemeindebezirk wie ein Nobelviertel.
Im Hotel angekommen erklärte man mir unumwunden: Cash oder Kreditkarte. Nun
ist das international sicherlich üblich, aber Sie müssen mir die Unkenntnis
dessen nachsehen, denn es war das erste Mal, dass ich allein in ein Hotel
eincheckte. Obwohl - wie ich später herausfand ich ohne weiteres auch mit einer
funktionierenden Bankomatkarte hätte bezahlen können - machte ich mich also auf
den Weg, um in der vom Portier beschriebenen Richtung einen Bankomaten zu
suchen. Zehn Minuten Fußmarsch später warf das erste Gerät meine Karte als
nicht berechtig aus, beim zweiten verlief es nicht besser. Ich beschloss die
Notfallnummer der Bank anzurufen. Da ich Kunde einer regionalen Sparkasse bin -
hören Sie auf „selber schuld“ zu denken - war die Nummer in meinem Fall jene
der Erste Bank. Die wirklich sehr bemühte und freundliche Dame am anderen Ende
teilte mir aber mit, sie könne mir bei Kooperationsbanken nur bedingt helfen.
Ob sie mir eine neue Karte nach Brüssel schicken solle? Für einen zweitägigen
Aufenthalt und eine sofort fällige Hotelrechnung genauso ungeeignet, wie der Vorschlag meines Herrn Papa mir Geld postalisch anweisen zu lassen. Als sie am
Ende auflegte, klang die Telefonistin verzweifelter als ich. Zurück im Hotel versuchte ein
anderer Portier zunächst fünf Mal meine Karte zu reinigen und sie dann in das
Zahlgerät des Herbergsbetriebs einzuführen - kein Ergebnis. Mein Vorschlag die
Summe per E-Banking anzuweisen und vor Ort eine Bestätigung auszudrucken,
musste erst mit dem nicht auffindbaren Manager besprochen werden. Nach
eineinhalb Stunden war ich mit meiner Bitte endlich durchgedrungen. Ich durfte
am Hotelcomputer im Foyer mit Münzeinwurf eine Netbankingtransaktion durchführen.
Dann ging der Drucker nicht - zurück zur Rezeption. Neuer Versuch - jeder Kostete
einen Euro - wieder nix. Dann kam ich auf die Idee einen anderen Drucker zu
wählen: tada. Sieben Euro und eine Kopie meines Passes, mit handschriftlicher
Versicherung ich würde bezahlen, wenn die Transaktion nicht ankomme, später
durfte ich endlich auf mein Zimmer.
Natürlich war der erste Lift defekt und der zweite kam nicht, weil der
erste im Erdgeschoss stand. Nach sechs Stockwerken Fußmarsch stand ich
schließlich vor meinem Zimmer mit einer Karte, die selbiges nicht aufschloss.
Ich gebe freimütig zu, dass dies der Augenblick war, in dem mein Blut den
Siedepunkt erreichte. Dreimal tief durchatmen, zurück ins Foyer. Der Rezeptionist
buchte die Karte erneut und ging mit mir mit. „Oh zee Elöweitör dosn't wörk!“
Ach wirklich? Gottseidank kam gerade der zweite Lift von oben, die Zimmertüre
funktionierte dann auch. Hosanna!
Obwohl es schon nach neun war, beschloss ich wie ursprünglich geplant noch
die Innenstadt zu besichtigen, um nicht vollends wahnsinnig zu werden.
Pünktlich beim Verlassen des Hotels setzte der Regen ein. Und in der
Innenstadt: Besoffene Schotten wohin das Auge reichte. Die Verwandtschaftsgrade
musste man gar nicht am Kiltmuster ablesen, man konnte es am Gegröle hören. In
einem kleinen Geschäft kaufte ich mir ein Cola - es schmeckte übrigens nicht
nach Manneken Pisse - und suchte verzweifelt nach einem Haarspray. Lachen Sie
mich nicht aus. Ich wollte mein Gepäck nicht einchecken und ins Flugzeug darf Haarspray
nicht mit und weil meine Frisur aussieht, als wär sie keine und mir alle Haare
ins Gesicht... Ich muss mich doch für Haarspray nicht rechtfertigen! Der Verkäufer
den ich fragte, fuchtelte wild mit dem Armen „No English!“ Er bedeutete mir ich
möchte mich bitte an den sprachkundigeren Kollegen wenden. Haarspray? Nein, sowas
führe man nicht, sagte der Mann, der vor einem Regal mit fünf Marken Haarspray
stand. Ich bedankte mich artig, kaufte Cola und Spray und ging meiner Wege. Zu
belgischen Pommes Frittes bin ich leider nicht mehr gekommen. Die einzigen
Fritten die ich sah, gab's bei Dönerbuden und konnten kaum als original
belgisch eingestuft werden. Für weitere Streifzüge fehlte mir eindeutig der
Nerv.
Nach einer unruhigen Nacht auf einer Steinharten Matratze mit Zimmerwänden
die so dünn waren, dass ich hören konnte, wenn der Nachbar die Klobrille hochstellte,
stand ich zeitig auf um - für mich untypisch - zu frühstücken. Auf einem Schild
stand „confiture d'abricots“ meine umfassenden Sprachkenntnisse erlaubten mir
festzustellen, dass es sich dabei wohl um Marillenmarmelade handeln müsse. Der
Geschmackstest bestätigte diese Vermutung. Beim folgenden Anruf stellte meine Hausbank die wenig überraschende Theorie auf, meine Karte sei just nach ihrer
letzten Verwendung in Wien defekt geworden.
Die Sitzung - wegen der ich eigentlich nach Brüssel gekommen war - verlief
so fad wie vorgestellt. Vor Beginn konnten sich zwei Mitarbeiterinnen nicht
darüber einigen, ob „Former Yugoslav Republic of Macedonia“ nun unter F oder M
rangieren sollte. Die Frage wurde dadurch obsolet, dass der FYROM-Delegierte
gar nicht auftauchte. Nach der alphabetischen Ordnung saß ich als erster in der
Reihe, vor mir das Schild „Austria“. Das bisschen Ego-Pushing konnte ich gut
brauchen, denn besprochen wurden großteils nur ermüdende technische Details en
masse. Dafür gab's stereotype Ländervertreter zu bestaunen. Ein Franzose mit
passendem Hemd, Krawatte (beide Flieder) und Klischeeakzent („Zey äv ä pröblem
zzere“), eine Norwegerin die angezogen war wie ein Christbaum, eine frankophobe
Belgierin, ein graubärtiger griechischer Selbstdarsteller und eine Spanierin
mit Spanglish-Sprachkenntnissen („Sé Infromación está here.“). Der sehr
gemütlich wirkende Slowake schwärmte mir in der Kaffeepause vom neuen Wiener
Skylink-Terminal - der ja jetzt so wie das AKW Sellafield irgendwie anders
heißt - vor, woraufhin ich ihm die Funktionsweise des österreichischen Proporzsystems
erklären musste, bei dem ein Roter und ein Schwarzer, die beide keine Ahnung
haben, zusammen eine Milliarde in den Sand setzen. In der Mittagspause - es gab
belegte Brote - erzählte mir die knapp 30-jährige Spanierin sie sei
pragmatisiert und fragte mich nach meinem Arbeitsverhältnis. Ob denn die Krise
in Österreich so schlimm sei, wollte sie nach meiner Erklärung wissen. Wir
müssten ja schließlich, so meinte ich milde, auch für andere haften.
Nach sieben Stunden Wichtigtuerei warf ich mich in die U-Bahn und dann in
den Flughafenzug, der nach wenigen Minuten wieder stehen blieb. Technisches
Gebrechen - mindestens 20 Minuten Verspätung, soviel konnte ich aus dem
flämisch-wallonischen Kauderwelsch heraushören. Gottseidank war ich früh genug
dran, um dann auch noch den Flughafenmarathon, die 20 Minuten Wartezeit vor der
Sicherheitskontrolle und die intensive Abtasterei durch das Security-Personal
überstehen zu können, bevor mich die AUA samt Donauwalzer wieder nach Wien
brachte.
Am Tag darauf behob ich wieder problemlos Geld mit der angeblich defekten
Karte. Sie dürfen sich das E-Mail, das meine Bank erhalten hat, in den
buntesten Farben ausmalen. Das vermaledeite Brüssel hat mich in zwei Tagen die
Lebensenergie von Jahren gekostet. Wie schön war dagegen doch Leobersdorf…
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