Wie kaum je zuvor in der österreichischen Wahlkampfgeschichte scheint eine Neuauflage der großen Koalition schon von vornherein eine ausgemachte Sache zu sein, wenn die Mehrheit hält. Die Großparteien betreiben für einige Wochen eiskalte Klientelpolitik, um sich dann wieder auf das untere Mittelmaß zu verständigen. Von sozialdemokratischen und christlichsozialen Inhalten sind längst nur noch Schlagworte übrig geblieben, man führt einen diffusen Wettbewerb um die Stimmen der Wähler: Eine Autopsie.
Ein Satz in zunächst ab-, dann wieder aufsteigender Betonung, ein einstudierter Schenkelklopfer, das letzte Wort so ausgesprochen, dass man den Punkt förmlich hören kann, ein kurzes Gefriertruhenlächeln, ein Applaus vom mitgebrachten Publikum: Michael Spindelegger. Ein biederer Mittelständler mit biederer Mittelstandsfrisur, Haus am Stadtrand, Frau, zwei Kinder. Müsste man ihn mit einer Farbe beschreiben, es wäre wohl grau. Mit so jemandem gewinnt man keine Wahlkämpfe. Ein Spitzenkandidat muss Sicherheit vermitteln, aber auch ansatzweise aufregend sein. Michael Spindelegger ist das nicht. Deshalb hat man ihn gecoacht. Das machen alle, aber er braucht es besonders, meint die ÖVP. Man hat eine deutsche Firma engagiert, die hat schon für die SPD gearbeitet. Man hat ihm beigebracht schöne Achterbahnsätze zu sprechen:
„Du sitzt schon viel zu lange im Bundeskanzleramt, da musst du mal raus [PUNKT]“
So hört sich Michael Spindelegger, der ehemalige Sparkassensekretär aus Mödling, jetzt an. Aber das ist er nicht. Ein Sturm im Wasserglas, ein Koalabär auf Ecstacy... viele Vergleiche fallen einem ein, zu dem gecoachten Politprodukt, das die Österreichische Volkspartei ins heurige Rennen um die Kanzlerschaft der Republik schickt. „Ich möchte Kanzler werden.“ Spindelegger möchte überzeugend klingen. Aber ist er auch überzeugt? Noch wichtiger: Kann er die Menschen überzeugen von seinem Produkt? Er ist authentisch, sagt er. Er will es durchziehen. Das ist Endzeitoptimismus, könnte man sagen. Josef Bucher versteht das.
Werner Faymann, der Gegner im ungleichen Duell um die Vormachtstellung in einer zerrütteten Ehe, hat das nicht nötig: Er ist der Bundeskanzler. Die SPÖ wird auch bei dieser Wahl womöglich Stimmen verlieren. Aber alles ist gut, solange die ÖVP noch mehr verliert. Auch Werner Faymann hat bei einer Sparkasse gearbeitet. Die Banken mag er trotzdem nicht so gerne. Früher ist er Taxi gefahren, heute fährt er Österreich - gegen die Wand, sagen manche. Wenn sein Bild in deutschen Unterhaltungsquizsendungen gezeigt wird, erkennt ihn niemand. Aber das macht ihm nichts: Faymann will nicht Stefan Raab schlagen, sondern Michael Spindelegger. Solange man den im Ausland noch weniger kennt, solange man sich in Brüssel beschwert, der Außenminister sei nie auf Räten anzutreffen, ist alles gut für Werner Faymann. Angela Merkel hat ihn als Mann ohne Meinung beschrieben, aber dafür ist Arnold Schwarzenegger auf Besuch gekommen. Der ist auch Ausland, irgendwie. Spindelegger hat nur einen der Klitschko-Brüder aufgetrieben und schaut neben ihm noch viel hingespuckter aus. „Kein Sieg ohne Kampf.“ sagt der Boxer aus der Ukraine. Es ist der Kampf des Michael Spindelegger, aber es wird wohl ein Sieg für Werner Faymann. Arnold Schwarzenegger hat nichts gesagt, Gott sei Dank. Der Bundeskanzler hat im Fernsehen ein Auto geschoben. Zwar nur kurz, aber welcher Bundeskanzler macht das schon? Spindelegger hat nur seine Achterbahnsätze gesagt und bestätigt, dass er authentisch ist.
Die Opposition hat in diesem Ehekrach eigentlich nichts verloren. Man streitet vor allem miteinander, mit den anderen eher nebenher. Der Vizekanzler soll rechts sitzen, also von der Kamera aus, sagt sein Generalsekretär aus Tirol. Er hat beim Würfeln gewonnen. Der Sitzplatz sei ihm grade so in den Sinn gekommen. Er lügt, der Generalsekretär, er lacht dann immer so komisch. Er lacht überhaupt immer sehr viel. Spindelegger warnt vor Rot-Grün. Dann müsse man auf der Autobahn hinter den Fahrradfahrern herfahren, sagt er, und jedem, der mehr als 150.000 Euro hat, wird was weggenommen. Eine Emphase auf dem letzten Wort, ein künstliches Grinsen, Applaus.
Faymann sagt, man müsse Österreich vor Schwarz-Blau schützen. Was da so alles droht, muss er nicht dazusagen. Das weiß schon jeder: Postenschacher, ominöse Inserate, schwindlige Vergaben - alles Dinge die nicht zur SPÖ passen. Die Banken sollen auch gerecht besteuert werden. Der Bundeskanzler spielt gerne Karten mit seiner Tochter, aber die ist besser. Viel zu viele Regeln gibt es in Österreich sagt Michael Spindelegger, das hat auch der Frank gesagt. ATV hat vergessen die Fliesen zu verfugen, die man ihm als Symbol für die Gewerbeordnung gezeigt hat. Er ist auch Heimwerker, sagt er. So sieht österreichische Politik jetzt aus.
Werner Faymann, schreibt Norbert Darabos, möchte mit seiner sicheren Hand für jeden Arbeitsplatz kämpfen. Ingrid Thurnherr fragt den Bundeskanzler warum in SPÖ-geführten Ministerien so viele Menschen als Sachaufwand abgerechnet werden. Das habe es schon immer gegeben, sagt der Kanzler, der Aufnahmestopp halte und überhaupt, die Verwaltungsreform... Nach zwei Sätzen hat er das Thema gewechselt, das ist gut für ihn - in diesem Fall. Er selbst gibt sich nicht so schnell geschlagen, als er Josef Bucher auf die Haftungen für die Hypo-Alpe-Adria festnageln will, mit sicherer Hand.
Die Frauen sind wichtig für die SPÖ sagen die Umfragen, drei Tage vor der Wahl gibt es ein Frauenpaket. Da nimmt man die Forderungen von bisher und arrangiert sie neu, das ist gut für die Frauen, sagt der Kanzler. Die ÖVP weiß nicht mehr, wer für sie gut ist. Ja, die Fleißigen sicher, aber das wollen alle sein. Die Wirtschafter? Die versteht jetzt ein anderer besser, auch wenn sie ihn nicht immer verstehen. Die Liberalen? Die wollen diesmal wieder selbständig scheitern. Der Mittelstand? Das sind die gleichen wie die Fleißigen. Aber Rot-Grün will generell 80 km/h einführen. Viele ÖVP-Wähler fahren mit dem Auto. Das kann man plakatieren. Generell, das heißt auf Landstraßen. Im schwarz regierten Vorarlberg ist das praktisch schon jetzt überall so. Aber für Zusatzinformationen ist kein Platz auf den Wahlplakaten. Kinder mit Schokoladegesicht! Jeder mag Kinder, jeder mag Schokolade: Vielleicht mag dann auch jeder Michael Spindelegger? Einen Versuch ist es wert. Das mit den Faymannsteuern hat diesmal nicht so gut funktioniert, dabei ist die ÖVP sonst eh gut im Wahlkampfwortepoker. Die SPÖ hat ihre Plakate diesmal selber gemacht, das sieht man. Die von der ÖVP sind auch aus Deutschland, wie die Coaches. Deutsches funktioniert nicht immer in Österreich, diesmal vielleicht doch, hofft die ÖVP.
Der Bundeskanzler möchte Ganztagsschulen bauen und die Leute dann fragen, ob sie das wollen. Der Vizekanzler möchte die Leute vorher fragen und dann bauen, damit die Leute in zehn Jahren - die man nicht gefragt hat - dann eine Ganztagsschule haben. Welche Lösung ist die bessere? Oft recht schwierig, wenn ÖVP und SPÖ sich darum streiten, wer weniger schlecht ist.
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