Irgendwie ist es, als hätte man ein zweites Wien entdeckt. Ein Wien, das zwischen noch höheren Hügeln liegt und in dem man nicht den Fehler gemacht hat fast alle mittelalterlichen Gebäude abzureißen oder den Fluss aus der Stadt zu verlegen, aber auch ein Wien in dem jahrzehntelang der reale und nicht der liberale Sozialismus geherrscht hat: Prag.
Architektonisch ist die Stadt ja ein Schmelztiegel. Vom Mittelalter über Barock und Biedermeier bis hin zum sozialistischen Realismus und modernen Glaspalästen findet man dort alles. Grundsätzlich sind alle Lokalitäten nach T. G. Masaryk, quasi dem pater patriae, benannt. Kommunistische Bausünden und schwere Restaurierungsfälle sind geschickt mit hauswandgroßen Werbeplakaten verhangen, deren Inhalt man nur erraten kann, so sie nicht in Englisch gehalten sind. Kein Wunder bei einer Sprache, die fünf Buchstaben mit Hatschek kennt.
Jaja, ich geb’s zu: Prag ist für eine Stadt im Ausland trotzdem sehr sehenswert. Visuell und historisch sehr ansprechend präsentiert sich das ehemalige Kommunistengrätzl an der Moldau als Perle die täglich von abertausenden Touristen heimgesucht wird, deren einzige Beschäftigung es zu sein scheint ständig die Karlsbrücke von einer auf die andere Seite zu überqueren bzw. andere durch sinnloses Herumstehen daran zu hindern. Ja, man könnte sagen, es rentiert sich nach Prag zu fahren, auch preislich. Ein großes Bier ist in Vorstadtbeisln schon um unter einen Euro zu haben. Schade nur, wenn man wie ich kein Biertrinker ist. Aber auch das Essen ist günstig. Am besten ist Prag sowieso, wenn man es von netten Menschen als Sponsionsgeschenk bekommt und nichts bezahlen muss. Da lacht das knickrige Herz des Vorarlbergers...
Trotz all seiner Reize birgt natürlich auch die goldene Stadt allerlei Merkwürdigkeiten. Man sieht frühmorgens Leute - mutmaßlich keine Diabetiker Typ eins - die sich in öffentlichen Parks Spritzen setzen und in der Altstadt mehr Chinesen als in Hongkong. Die staatlichen Museen sind hingegen differenziert zu bewerten. Im tschechischen Nationalmuseum etwa wird im ersten Stock die infantilisierte Frühgeschichte des Tschechentums und im Obergeschoß die heimische Fauna präsentiert. Von außen sieht das Gebäude aus, als habe man es seit den Tagen von König František Joseph I. dahingammeln lassen, was wahrscheinlich auch der Fall ist. Von innen grüßt einen zunächst die Pracht der Prunkstiege und das Kassenhäuschen, in dem für etwa 8€ Audio Guides angeboten werden, die einem die im Raum befindlichen Gegenstände aufzählen. Das Inventar ist insgesamt etwas verstaubt, für Allergiker also kein heißer Tipp. Kindergerecht werden Nationalepen mit Wildschweinen, barbusigen Weibern und kampfeswilden Tschechen erzählt. Kritische Reflexion des eigenen Gründungsmythos: Fehlanzeige. Abgesehen davon, dass der genaue wissenschaftliche Zusammenhang zwischen frühslawischer Anthropologie (1. Stock) und der tschechischen Tierwelt nebst emotional aufrüttelnder Mineraliensammlung (2. Stock) nicht klar ersichtlich ist, lässt auch die sonstige Umsetzung des nicht vorhandenen Konzepts zu wünschen übrig. Auf tscheoslowakischen (für Slowaken: tschecho-slowakischen) Landkarten wurde einfach mittels linearer Nachbearbeitung die 1992 realisierte Staatstrennung vollzogen. Ein Museum, das Modernisierungen mit schwarzen Filzstiften durchführt, sollte dringend über eine Neuausrichtung nachdenken. Insgesamt bietet sich ein Bild, als hätte man das Naturhistorische Museum in Wien um die Hälfte gekürzt, auf das Heeresgeschichtliche draufgesetzt und eine flammend patriotische Kindergartenpädagogin zur Kuratorin ernannt. Kurz: Meiden sie das Tschechische Nationalmuseum und sparen sie sich 150 Kronen Eintritt.
Viel kleiner, dafür aber anständig aufbereitet war das Widerstandsmuseum, das auf der Fläche eines einzigen Raumes das Attentat auf Reinhard Heydrich - seines Zeichens mordender und piepsstimmiger Reichsprotektor in Böhmen und Mähren - nachzeichnet und damit, trotz stellenweiser Nationalfrenetik - mehr Inhalt auf die Beine stellt, als der architektonische Bröckelklotz namens Nationalmuseum. Kurzum, die Tschechen haben den bestialischen Heydrich ausgeknipst, dafür mit vielen Menschenleben bezahlt und sind trotzdem zu Recht stolz drauf etwas für die Befreiung ihres Landes getan zu haben (Schaut auf eure Füße Mehrheit der Österreicher!).
Wenn die Böhmen nicht gerade Attentate planen oder ihre Nationalgeschichte verklären, trinken sie bekanntlich gerne Bier, was sie zu den statistisch größten Bierkonsumenten weltweit macht. Wenn man sich aber so ansieht, was die scharenweise einfallenden Teutonen so an Gerstensaft konsumieren, könnte man den statistischen Prokopfverbrauch auch auf den Tourismus zurückführen. Das Produkt dieses kooperativen Weltrekordes sieht freilich wenig erhaben aus. Halbnackte Deutsche, die sturzbesoffen und grölend durch die Prager Innenstadt torkeln, verleiten einen als Menschen zum Fremdschämen und als Österreicher zur Dankbarkeit für den Staatsvertrag. Aber ja, ich hab auch nette Deutsche getroffen in Prag. Einen zumindest.
Auch wenn Österreicher und Tschechen eine traditionelle Hassliebe verbindet, man wirft sich gegenseitig den Untergang der Monarchie vor, haben sich die Verhältnisse seit dem Fall des Eisernen Vorhanges trotz einiger Trübungen (Temelin) doch merklich gebessert. Von Tschechischer Seite dürfte zumindest ein gewisses Interesse am südlichen Nachbarn bestehen. Man hat sicher nicht vergessen, wer während des Prager Frühlings die Grenzen offenhielt und wessen Botschafter Kirchschläger - trotz anderslautender Weisung des Außenministers Waldheim - nicht aufhörte Visa an flüchtende Tschechen auszustellen. Zumindest gibt es ein österreichisches Kulturforum in Prag und in den öffentlichen Verkehrsmitteln wurde - mittels eines in Einzelteile filetierten Bundesadlers - ein literarischer Ausflug nach Rakousko von Joseph Roth bis Peter Handke angekündigt. Überhaupt fängt man als Österreicher in Prag an ein gewisses kulturelles und mentalitätsmäßiges Schnittstellenbewusstsein zu entwickeln, nicht erst wenn man draufkommt, dass der Kölner Dom zwei fertige Türme hat, der Wiener Stephansdom einen und der Prager Veitsdom einen halben. Schon ein Prager Türschild könnte 1:1 in Wien hängen. In Sachen Svoboda, Novotny und Brezina stehen die Österreicher den Tschechen ebensowenig nach wie diese ihnen mit Schwarzenberg und Bauer. Man braucht nur daran zu denken, dass eine Zeit lang der tschechische Premier und sein Außenminister Klaus und Dienstbier hießen, während in Österreich ihre Amtskollegen Vranitzky und Busek an der Macht waren. Nicht umsonst hat der tschechische Botschafter in Österreich einmal gemeint man habe es grundsätzlich mit einem Volk zu tun, dass durch verschiedene Sprachen getrennt sei.
Nun, man muss hier doch eine Lanze für die Tschechen brechen. So grantig wie die Wiener sind sie sicher nicht. Das erste was mir nach Verlassen des Busses an Österreichischem begegnet ist, war eine klingelnde und schimpfende Fahrradfahrerin, die sich um ihr Wegerecht gebracht sah. Tu infelix Austria...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen