Österreich ist ein Beamtenstaat. Zwischen zwölf und 13% der Beschäftigten sind öffentlich Bedienstete, wie es nunmehr richtig heißt. Denn ein richtiger Beamter zu werden ist heutzutage sehr schwierig. Richter zum Beispiel haben noch diese Ehre, Polizisten schon nicht mehr. Im Nationalrat sitzen bis zu 50% öffentlich Bedienstete, sie sind damit - vielleicht neben der Raiffeisenbank - die am besten repräsentierte Interessensgruppe der Republik. Etwa 500 Amtstitel hat der österreichische Staat geschaffen, einen Gutteil davon für seine Beamten. Sie stehen symbolisch für die Verstaubtheit des Verwaltungsregimes, vermitteln vielen das Bild eines wurstsemmelessenden Technokraten mit Ärmelschoner, der von jedem Dokument notorisch drei Durchschläge anfertigt. Aber wie verkrustet sind die Strukturen wirklich und welchen Einfluss haben die Verwaltungsbediensteten auf die Politik?
Bundesbeamte, einschließlich der Offiziere des Bundesheeres, werden in Österreich vom Bundespräsidenten ernannt. In der Regel delegiert dieser jedoch seine Ernennungsbefugnis an die einzelnen Bundesminister. Traditionell ernennen die dann ihre Spezis - also Parteifreunde - was zur Folge hat, dass es schwarze, rote und gemischte Ministerien gibt. Man braucht 20 bis 30 Jahre um ein Ressort gänzlich umzufärben, weshalb vor allem jene Ministerien monochrom sind, die traditionell unter den Fittichen einer der Großparteien stehen. So sind etwa das Landwirtschafts- und das Wirtschaftsministerium schwarz und das Sozialministerium rot bis ins Mark. Wenn es zu Regierungswechseln und damit zu groß angelegten Umfärbungsaktionen kommt, kann das natürlich ganz schön Staub aufwirbeln. Man erinnere sich etwa an das berufspolitische Exekutionskommando, das unter Charaktermensch Ernst Strasser im Innenministerium Einzug hielt. Unliebsame Führungsbeamte wurden dann einfach auf Schnarchposten, zum Beispiel bei der Flugpolizei, versetzt. Das - und nicht etwa der überbordende Eifer der Politik in Sachen Verwaltungsreform - ist auch ein Hauptgrund für die flächendeckende Abschaffung des Beamtenstatus. Konnte man früher einem unliebsamen Sektionschef, nur mit einer Sekretärin bewaffnet und bei Fortzahlung des vollen Gehalts versteht sich, die Exekutivzuständigkeit für die ministeriellen Besenkammern übertragen, um ihn kalt zu stellen, ist es heute problemlos möglich ihn nach Auslaufen seines Fünf-Jahres-Vertrags wieder in den unteren Beamtentartarus zu verstoßen. Bei manchen Ministerien ist daher vom Generalsekretär bis zum Hausmeister nach wie vor alles nach Parteibuchwirtschaft organisiert.
Natürlich hat die Postenbesetzung nach politischer Ausrichtung nicht nur den Zweck, die eigene Parteiklientel mit Dienststellen zu bedienen, sondern verfolgt auch konkrete machtpolitische Ziele in der Vollziehung. Ein Minister kann sein Ressort nur schwer gegen seine Beamten regieren. Diese können, wenn sie wollen, seine Ideen auf Schritt und Tritt sabotieren. Als in den 70er Jahren ein roter Minister den Bau neuer Schulen durchsetzte, veranlassten seine schwarzen Beamten, dass die Gebäude so geplant wurden, dass ein Ganztagsschulbetrieb in Ihnen nicht möglich sein würde, denn die ÖVP war ja dagegen. Man darf die politische Macht der Beamten nicht unterschätzen. Eine Vielzahl von Entscheidungen erreicht die Ministerebene gar nicht erst. Nur die ganz schweren Brocken werden vom Ressortchef selbst angepackt, den Rest erledigt die Hierarchie. Das ist vor allem demokratiepolitisch bedenklich, denn Beamte haben keine Legitimation. Sie sind nicht gewählt und keinem Vertretungskörper verantwortlich, aber sie treffen täglich hochpolitische Entscheidungen. Ob sie das nach dem Willen des Ministers tun, hängt von ihrer Loyalität ab. Die Verwaltungspyramide eines Ministeriums beginnt bei den einfachen Kanzleikräften und Praktikanten geht über die Verwaltungsbediensteten zu den Abteilungsleitern, den Bereichs- oder Gruppenleitern bis hin zu den Sektionschefs. Der höchste Beamte ist traditionell der Generalsekretär, ein Amt, das erstmals im Außenministerium geschaffen wurde und später in der gesamten Ministerialbürokratie des Bundes Einzug hielt. Je nach Ressort kann er verschiedene Bezeichnungen tragen, wie etwa „Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit“ (BMI) oder „Generaldirektor für die öffentliche Gesundheit“ (BMG - derzeit unbesetzt wegen Korruption). Im Verteidigungsministerium deckt sich der Posten mit jenem des Generalstabschefs (derzeit unbesetzt wegen Anfall von freiem Denken). Wie mächtig ein Generalsekretär ist, hängt von der Stärke des jeweiligen Kabinetts ab, dessen Stärke wiederum von jener des Ministers. Das Kabinett ist ein politisches Gremium von meist jungen Apparatschiks, die in ihrem Leben noch etwas vorhaben. Sie beraten den Minister und führen seine Anweisungen aus, dürfen rein formalrechtlich aber selbst keine Weisungen - beamtenösterreichisch für Befehle - erteilen. Sie gelten zu Recht als Brutstätte für die zukünftige Spitzenpolitik. Franz Vranitzky war Kabinettschef von Hannes Androsch, Claudia Schmied saß im Kabinett von Ex-Finanzminister Rudolf Edlinger. Ist der Minister eine Flasche, liegt die Macht beim Kabinett. Zuweilen kann es dann demütigende Züge annehmen, wenn 50-jährige Spitzenbeamte vor nicht einmal 30 Jahre alten Politgünstlingen kuschen müssen, aber so ist das Leben.
Je schwächer die jeweils vorgesetzten Instanzen sind, sei es aus politischen oder aus intellektuellen Gründen, desto stärker sind die nachfolgenden. In einem roten Ministerium kann ein roter Bereichsleiter gegen einen schwarzen Sektionschef sicherlich mehr durchsetzen, als unter anderen Vorzeichen. Die unterschiedlichen, meist karrieristisch motivierten, Interessenlagen innerhalb eines Ressorts, aber auch zwischen den Ministerien können dann mitunter ganz abstruse Formen annehmen. Keine Abteilung traut der nächsten, die verschiedenen Ämter einander sowieso nicht. Dann kommt da noch die Prestigesucht dazu. Das kann zur Folge haben, dass zum Beispiel bei einem EU-Treffen auf Beamtenebene Deutschland und Frankreich durch jeweils vier, Österreich aber durch 29 Beamte vertreten wurde. Davon kamen 15 von der Ständigen Vertretung (EU-Botschaft) und 14 flogen extra aus Wien ein.
Natürlich, die EU-Ebene gilt als besonders vielversprechend für Profilierungen, weshalb manche gerne auf Staatskosten nach Brüssel fliegen, einfach nur um dabei zu sein. Das ist zum Teil dem Diletanttismus mancher Ressorts geschuldet, zu Teil der Unfähigkeit, aber auch Machtlosigkeit des Außenministeriums. Dort sitzen traditionell sehr kompetente und polyglotte Karrieristen, oft von altem Adel. Das Haus am Minoritenplatz begreift sich als humanistisches Bollwerk des gebildeten Österreichertums und lässt das alle anderen auch gerne spüren. Besonders unangenehm ist dabei die Außenamtstradition des Duzens. Es gibt wohl im gesamten deutschsprachigen Raum keine Gruppe, die es so perfekt beherrscht mit jemandem per Sie zu sein und ihn gleichzeitig mit du anzusprechen, wie das österreichische diplomatische Corps. In internationalen und EU-Angelegenheiten bleibt es trotz Blasiertheit und perfekten Französischkenntnissen dennoch mehrheitlich machtlos. Es koordiniert, aber jedes Ministerium macht seine eigene Außenpolitik. Deren Qualität hängt dann wiederum vom jeweils Zuständigen ab. Mancherorts gibt es daher straff geführte Abteilungen, die ihre Arbeit zielorientiert erledigen, anderswo gibt es Stellen, die „Fact Finding Missons“ nach Rio de Janeiro in die Zeit des Karnevals verlegen. Die Qualität der öffentlichen Verwaltung in Österreich ist grundsätzlich sehr heterogen. Es gibt Beamte, die erst um fünf ins Büro kommen und dann auch gleich wieder gehen und solche die bis ein Uhr nachts Überstunden machen. Die Abschaffung der Pragmatisierung hat daran kaum etwas geändert.
Das System hingegen, mit dem alle arbeiten, Faule wie Fleißige, ist fast überall gleich. Jeder Jurist lernt das Sprüchen „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht.“ und genauso ist es auch. Nun gut, ein paar Neuerungen hin und wieder müssen natürlich schon sein, aber unterm Strich bleibt alles beim Alten. Die Sprache zum Beispiel: Beamtenbriefe sind eine wahre Zierde des österreichischen Deutsch, so verfasst, dass sie auch niemand anderer als ein österreichischer Beamter verstehen kann:
„Nach fernmündlicher Vorbesprechung darf nunmehr mitgeteilt werden, dass - nach Rücksprache mit Al MR Dr. XY - ho. zu gegenständlichem Verfahren kein Stellungnahmebedarf mehr besteht und der betreffende Akt hiemit zur Skartierung freigegeben werden kann.“
Natürlich würde kein Beamter jemals das Wort „telefonisch“ in den Mund nehmen, wenn er fernmündlich schreiben kann. Ebenso würde man nie die Titel des werten Vorgesetzten, in diesem Beispiel ein Abteilungsleiter und Ministerialrat, vergessen. Worte wie „ich“ oder „wir“ sind sowieso gänzlich tabu, weil man ja darauf festgenagelt werden könnte, dass man etwas Konkretes versprochen hat. Deshalb schreibt der Beamte von Welt „ho.“, was „hieorts“ bedeutet und genauso wie „hiemit“, „hiebei“ oder „hieauf“ im österreichischen Deutsch traditionell ohne „r“ geschrieben wird. Weitere schöne Beispiele wären Stampiglie (Stempel), Kopie (wie Folie auszusprechen) oder Kanzleiordnung. Einen Akt - sagen Sie niemals Akte - zu skartieren, bedeutet schließlich ihn in den Papierhimmel zu schicken und damit ist nicht das Österreichische Staatsarchiv gemeint, sondern der Reißwolf.
Dieser wiederum ist heutzutage meist elektronischer Natur, weil Österreich in Sachen E-Government gerne eine Vorreiterrolle übernimmt. Daher heißt das goldene Kalb des österreichischen Beamtentums „ELAK“ - gepriesen sei sein Name in alle Ewigkeit - was „Elektronischer Akt“ bedeutet und selbst erfahrene Hofräte noch ehrfurchtsvoll erschaudern lässt. Der ELAK vereint in sich Tradition und Moderne, was seine Einführung für das für sein Beharrungsvermögen berühmt-berichtigte österreichische Verwaltungspersonal einigermaßen erträglich machte. Im ELAK wird nicht gesucht, im ELAK macht man „Recherche“. Wie sein papierenes Vorgängermodell hat auch er eine Geschäftszahl, wird einzelnen Beamten vorgeschrieben, bekommt ein Votum und eine Abfertigungsfrist, wird genehmigt, abgezeichnet und frühestens nach zehn Jahren skartiert. Die Frist kann aber auf bis zu 120 Jahre ausgedehnt werden, der österreichische Staat wünscht sich ein langes Gedächtnis.
Der ELAK ist für alles da, sei es das tägliche Verwaltungsgeschäft oder die Anforderung einer neuen Computertastatur. Wer krank wird, muss - was meist freundliche Kollegen in Stellvertretung erledigen - einen Krankmeldungs-ELAK abfertigen. Ist man wieder genesen, kommt der Gesundmeldungs-ELAK hinterher. Mancherorts muss man sogar Bleistifte, Radiergummi und Kugelschreiber per Anforderungs-ELAK bestellen, während Druckerpatronen - die ja bekanntlich ein Vielfaches kosten - frei Hand ausgegeben werden. Wahrscheinlich wurden diese so häufig bestellt, dass die Verwaltung der Anfragen überhandnahm und schließlich eingestellt wurde. In Österreich wird so lange verwaltet, bis es nicht mehr geht. Für manchen langfingrigen Beamten mag die Sache mit den Patronen vielleicht auch ein Grund sein, sich für zu Hause denselben Druckertyp zu besorgen. Und glauben Sie bloß nicht, dass in Ministerien nicht gestohlen wird. Vom Weltempfänger bis zur Handtasche kann dort alles verschwinden.
Für die Aufrechterhaltung eines geordneten Staatsgefüges sind außerdem Titel unerlässlich. Der Titelwahn kennt in Österreich keine Grenzen aber Regeln. Wer ein E-Mail schreibt, gibt unten seinen Namen ohne Titel an, darunter kommt im Idealfall eine Signatur mit Titel. Ist diese nicht vorhanden, liegt es am Gegenüber die Titel des anderen zu ergoogeln, denn im Antwortschreiben werden sie alle geflissentlich in der Anrede aufgelistet. Sie halten das für einen Scherz? Mitnichten. Die Zeiten, als ich die Abkürzung Bmstr. noch im Amtskalender - ewiger Ruhm seinem heiligen Umfang - nachschlagen musste, um herauszufinden, dass sich mein briefliches Gegenüber als Baumeister zu erkennen geben wollte, sind vorbei. Mittlerweile habe ich eine gewisse Vorkenntnis im Bereich Titelkunde aufzuweisen, weshalb mir kein Technischer Rat, kein Ökonomie- und kein Veterinärrat mehr unerkannt bleibt. Nur, als ich per Zufall vor einem Türschild zu stehen kam, auf dem „Kapitän ADir.“ stand, kam ich doch ins Grübeln. Den Amtsdirektor hätte ich ja noch verstanden, aber muss man wirklich ein Kapitänspatent anführen? Nun, denjenigen von Ihnen, die hier mit nein antworten würden, sei gesagt, dass ich von einer langgedienten Staatsdienerin erfahren habe, man hätte ihr zu Beginn ihrer Karriere mit einem Disziplinarverfahren gedroht, weil sie auf ihrem Türschild nicht alle ihre Titel angeführt hatte. Als kleiner Mag. fühlt man sich im Türschilder-Dschungel sowieso etwas nackt. Aber Türschilder sind wichtig. Ich hatte meines schon vor dem Computer-Passwort.
Aber schon Kaiser Josef II. kannte die Laster seiner Beamten und ermahnte sie in seinem Hirtenbrief, dass Gehalt und Titel keine Selbstläufer sein sollen:
Aber schon Kaiser Josef II. kannte die Laster seiner Beamten und ermahnte sie in seinem Hirtenbrief, dass Gehalt und Titel keine Selbstläufer sein sollen:
„Der nicht liebe zum dienst des vaterlandes und seiner mitbürger hat, der für erhaltung des guten nicht von einem besondern eifer sich entflammt findet, der ist für geschäfte nicht gemacht und nicht werth, ehrentiteln zu besitzen und besoldungen zu ziehen.“
Auf Beamte wird in Österreich gerne geschimpft. Teilweise geschieht das mit Recht. Es gibt etliche faule und inkompetente Sesselpicker, aber noch mehr ehrlich arbeitende und fleißige Leute. Oft ist man überrascht von der Effizienz mancher Abteilungen, manchmal schockiert vom brutalen Versagertum anderer. Es gibt E-Mailadressen, von denen man inert fünf Minuten eine Antwort erhält, von anderen kommen nur Fehlermeldungen, weil das Postfach überfüllt ist, oder gleich gar nichts. Wer keinen Antrieb hat etwas zu verändern, weil er seine Machtlosigkeit erkennt und diese Ohnmacht hinzunehmen gelernt hat, kann als öffentlich Bediensteter gut leben. Man ist nur für das verantwortlich, was unter einem geschieht. Da sich unter mir niemand befindet, habe ich das Privileg nur meine eigene Suppe auslöffeln zu müssen und den anderen bei ihren Hahnenkämpfen und Intrigen zuschauen zu können. Beamte sind ja bekanntlich auch nur Menschen, zumindest außerhalb der Dienstzeiten.
„Eigennuz von aller gattung ist das verderben aller geschäften und das unverzeihlichste laster eines staatsbeamtens.“
Joseph II.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen