Donnerstag, 15. September 2011

Il Principe, oder Liechtensteins Demokratiedefizit

Der Regierer des Hauses von und zu Liechtenstein ist ein großer Mann. Bei öffentlichen Anlässen überragt er die meisten der restlichen Teilnehmer um mindestens einen Kopf. Seine Durchlaucht ist schlank, brillenlos, hat kurzes grau-weißes Haar, spricht ein österreichisch-aristokratisches Deutsch und ist konservativ bis ins Mark. Hans Adam II. Fürst von und zu Liechtenstein, Herzog von Troppau und Jägerndorf, Graf zu Rietberg wurde 1945 in Zürich geboren. Sein Taufpate war der Papst, was über die Festigkeit seines katholischen Gewissens eigentlich alles aussagt.

Als der Fürst 2003 beim Stimmvolk eine Verfassungsäderung durchbrachte, die nicht unbedingt der landläufigen Vorstellung von konstitutioneller Monarchie entsprach, äußerte der Europarat Bedenken über die demokratiepolitischen Entwicklungen im rechtsrheinischen Zwergstaat. Der Einfluss des fürstlichen Hauses auf die Politik im Lande ist wirklich erstaunlich: Die Richter werden von einem speziellen Gremium ernannt, in dem Fürst und Landtag paritätisch vertreten sind, de facto ist die Judikative daher fürstlich handverlesen. Der Fürst vertritt das Land nach Außen, nicht nur symbolisch, sondern wirklich. Wenn man zu Verhandlungen über das Bankgeheimnis nach Berlin fährt, darf der Regierungschef als demokratischer Beipackzettel mitkommen, aber nicht mehr. Außerdem bedarf jedes Gesetz der Sanktion, also der ausdrücklichen Billigung durch den Landesfürsten, ohne die es nicht kundgemacht werden kann.

Seit dem Tod seines Vaters Franz Josef II. 1989 herrscht Hans Adam II. als Staatsoberhaupt über das letzte monarchische Überbleibsels des Heiligen Römischen Reiches und ein Land, in dem es zwei große Parteien gibt - eine konservative und eine konservativere - und zwei Zeitungen - gleichfalls eine konservative und eine noch konservativere. In Liechtenstein wirbt der Regierungschef im Wahlkampf ernsthaft mit Slogans wie „Leise viel erreichen“. Die ÖVP würde dort mitunter als überdrehte linksliberale Yuppiepartei durchgehen.
Die Frauen durften 1986 zum ersten Mal wählen, ein Jahr später wurde die Todesstrafe abgeschafft. Seit 1990 ist man UNO-, seit 1992 EWR-Mitglied. Der liechtensteinische Landtag besteht aus 25 Abgeordneten, die Einzugshürde beträgt 8% nachdem der Staatsgerichtshof die ursprüngliche 18%-Hürde als verfassungswidrig aufhob. Ein gewichtiger Teil der Beamten und Richter sind Österreicher die sich eine goldene Nase verdienen, ganz einfach, weil weite Teile des österreichischen Rechts in Liechtenstein rezipiert wurden. Beispiele für Ausnahmen sind Teile des ABGB, die Finanz-, Treuhand-, Banken- und Steuergesetzgebung, das in Österreich viel zu arbeitnehmerfreundliche Arbeitsrecht und die Abtreibung betreffende Bestimmungen des StGB. Seit das Landesvolk aber einen gewissen Schwenker zum Liberalismus vollzogen hat - die eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare wurde per Volksentscheid eingeführt - steht auch die Legalisierung der Abtreibung zur Debatte.
Dieser Punkt ist es daher auch an dem sich zurzeit die öffentliche Meinung im 36.000 Einwohner zählenden Liliputstaat spießt. Die derzeitige Rechtslage ist mehr als scheinheilig: Weil im Land nicht abgetrieben werden darf, fahren betroffene Frauen - schätzungsweise jährlich 50 - über die allerorts nahgelegene Grenze nach Österreich oder in die Schweiz. Die Abortion bleibt theoretisch auch dann strafbar, wenn sie im Ausland vorgenommen wird. Praktisch schert sich aber niemand um die Strafverfolgung in diesem Punkt.
Im Erzbistum Vaduz drückt Teile der Bevölkerung und vor allem das fürstliche Haus aber allerorts das Gewissen, wenn sie an die privaten Entscheidungen anderer denken. Ihre Königliche Hoheit, die Erbprinzessin und Herzogin in Bayern Sophie betreibt daher auch eine Initiative für junge Mütter in Liechtenstein und im benachbarten Vorarlberger Ausland, wo Abtreibung zwar grundsätzlich Bundessache ist, in Landesspitälern aber verboten bleibt.
Der Fürst selbst und sein zur ständigen Vertretung berufener Spross, der Erbprinz, haben nun im Zuge der laufenden Legalisierungsdebatte bekannt gegeben, dass einem zur Volksabstimmung vorgelegten Gesetz über die Legalisierung der Abtreibung keinesfalls die allerdurchlauchtigste Zustimmung widerfahren werde. Punkt. Das Volk kann abstimmen soviel es will, solange sein Princeps njet sagt, wandert jede Vorlage in den Reißwolf. Es gibt viele Definitionen des Wortes Demokratie, die liechtensteinische ist auch nicht ganz neu. Offensichtlich hat man sich Anleihen am Verständnis diverser demokratischer Volksrepubliken genommen.

Die liechtensteinische Verfassung von 1921 in der Fassung von 2003 erhebt in Wahrheit aber auch nur einen formalen Anspruch auf Volksherrschaft. Ihr Souveränitätsprinzip basiert auf der Floskel „Fürst und Volk“:
„Das Fürstentum ist eine konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage [...] die Staatsgewalt ist im Fürsten und im Volke verankert und wird von beiden nach Massgabe der Bestimmungen dieser Verfassung ausgeübt.“ Art. 2 Verfassung des Fürstentums Liechtenstein
Man könnte einwenden, dass andere europäische Verfassungen noch wesentlich monarchozentrischer sind: In Großbritannien - wo es nicht einmal eine geschriebene Konstitution gibt - gehört der Königin das gesamte Land, Gesetze bedürfen ihrer Zustimmung und sie ernennt die Regierung. Aber all das tut sie nur formal: Nach Konvention wird sie keinem Gesetz den Royal Assent verweigern ohne den Rat (i.e. Befehl) des Premierministers und keine Regierung ernennen, die im Unterhaus nicht über eine Mehrheit verfügt. Monarchien wie Großbritannien, Norwegen, Spanien, Belgien, die Niederlande oder Luxemburg sind dem Text der Verfassung nach konstitutionell, in Wahrheit aber parlamentarisch. Die formale Macht des Monarchen ist maximal „power in reserve“ und für Notzeiten da.
Der Fürst von Liechtenstein und sein Stellvertreter auf Erden sehen das jedoch anders. Der Regierung ist das naturgemäß peinlich. Sie wird dem Fürsten vom Landtag zur Ernennung vorgeschlagen und ist daher von einer Mehrheit im Parlament getragen. Es gehört aber zu den ureigensten Aufgaben einer Regierung sich vor ihr Staatsoberhaupt zu stellen, auch wenn sie anderer Meinung sein sollte. Die Demokratiedefizite des regierenden Hauses werden daher mit Betretenheit hingenommen. Da verschwinden schon mal vom Landtag ordnungsgemäß verabschiedete Gerichtsorganisationsgesetze klammheimlich in der Schublade, weil der Fürst schlichtweg seine Sanktion nicht erteilen will. Die Regierung schweigt, dem Volk ist es nicht Recht, aber niemand zieht die Konsequenzen, weil sie als überzogen erachtet werden.
„Echte Demokratien sind in meinen Augen nur jene Staaten, die neben der repräsentativen Demokratie über eine ausgebaute direkte Demokratie verfügen wie die Schweiz oder Liechtenstein. Dort hat der Staat dem Volk zu dienen und nicht das Volk dem Staat.“ Hans Adam II. von  Liechtenstein
Loswerden will die fürstliche Familie ja keiner. Sie gilt als Garant für den Wohlstand des Landes als Steuerparadies. Als die Abstimmung zur Verfassungsnovelle 2003 anstand, genügte schon die Drohung des Fürsten, er werde das Land verlassen, sollte seine Vorlage nicht angenommen werden, um über 64% der Stimmbürger in sein Lager zu treiben. Seit dem kann er theoretisch zwar abberufen werden, aber auch nach Lust und Laune den Landtag auflösen und Notverordnungen regnen lassen.

Der Fürst von Liechtenstein verbleibt im Verein mit dem Papst und dem Fürst von Monaco der letzte Monarch in Europa, der tatsächlich noch auf die Tagespolitik seines Landes Einfluss nimmt. Andernorts spielt sich das längst nicht mehr. Als der Großherzog von Luxemburg 2008 gekannt gab, er könne das vom Parlament verabschiedete Sterbehilfegesetz aus Gründen der persönlichen Moral nicht sanktionieren, änderte die Abgeordnetenkammer kurzerhand die Verfassung. Das Staatsoberhaupt verkündet fortan nur noch die Gesetze, muss sie aber nicht mehr bestätigen. Das letzte Gesetz das ein luxemburgischer Großherzog sanktionierte war das Gesetz zur Abschaffung des Sanktionsrechtes des Großherzogs. Ähnlich war es König Baudouin von Belgien ergangen, als er dem Gesetz zur Liberalisierung der Abtreibung nicht die Zustimmung geben wollte. Der Ministerrat erklärte ihn kurzerhand für regierungsunfähig, sanktionierte das Gesetz selbst und bescheinigte dem Monarchen danach wieder die volle Befähigung zur Ausübung seiner Amtsgeschäfte. Als man den spanischen König Juan Carlos fragte, ob er das Gesetz zur Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe unterschreiben werde, antwortete er in Anspielung darauf:
„Soy el Rey de España y no el de Bélgica.“ - „Ich bin der König von Spanien, nicht der von Belgien.“
Die Aufgabe einer modernen Monarchie ist es zu repräsentieren und zurückzuweichen, wo man es von ihr verlangt. Das Volk hat das Recht Fehler zu machen und sich von Idioten regieren zu lassen. So wie der Bundespräsident in Österreich nicht einfach den Kärntner Landtag auflöst, haben konstitutionelle Monarchen sich im Rollenverzicht zu üben. „Suprema lex regis voluntas“ war vorgestern, das muss auch der Fürst von Liechtenstein begreifen. „Fürst und Volk“, das klingt so gut, ist aber eigentlich eine perverse Formel. Die Aufteilung der Staatsgewalt zwischen einer demokratisch nicht legitimierten Einzelperson und dem Rest des Volkes ist semidiktatorisch. Das ganze Konstrukt steht in dem Denken, dass der liebe Landesvater dem armen Volk 1921 die Hälfte seiner Macht von Gottes Gnaden überlassen hat und seit dem mit ihm gemeinsam glücklich und zufrieden regiert. Müssten die Teletubbies ein Souveränitätsprinzip basteln, es könnte nicht kitschiger und realitätsfremder sein.
Politische Bildung im Dualismus (www.fuerstundvolk.li)

Es steht dem Fürsten zu, eine persönliche Moral zu haben, die es ihm verbietet ein Gesetz mit seiner Zustimmung zu versehen. Es steht ihm aber nicht zu, einem präsumptiven Abstimmungsergebnis mit der Drohung vorzugreifen, das Gesetz werde ohnehin nicht in Kraft treten. Das Gottesgnadentum zieht als Legitimation nicht mehr, der Katholizismus soll als Staatsreligion, auch mit dem Willen des Fürstenhauses, demnächst ausgedient haben. Der Landesfürst verfügt als Staatsorgan jedoch über keine demokratische Legitimation, seine Berechtigung kann nur moralischer und symbolischer Natur sein.  „Duty first, self second.“ heißt es so schön in einem Film von Stephen Frears. Dazu zählt auch das zurückstellen persönlicher Einstellungen hinter die demokratische Entscheidungsgewalt des Staatsvolkes. Religiöse Bedenken gegen die Abtreibung sind kein Staatsnotstand, die den Einsatz verstaubter Verfassungsbestimmungen rechtfertigen würden. Die notwendige Konsequenz könnte nur ein Verzicht sein: Auf das Recht oder auf den Thron. Womöglich lehnt das Volk die Vorlage aus Angst vor offenem Dissens mit dem Staatsoberhaupt aber auch gleich selbst ab, dann hätte der Fürst nur sein Ansehen ramponiert.

„Das Wort Demokratie ist im 20. Jahrhundert ein reines Schlagwort geworden, ohne dass sich die Menschen viel darunter vorstellen können. Die ärgsten Diktaturen haben sich als Demokratien bezeichnet oder tun es noch immer.“ Hans Adam II. von Liechtenstein

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