Montag, 30. Januar 2012

Die Burschenschaften, oder: Ob, schwarz, ob braun...

Als die kaiserlichen Truppen am 31. Oktober 1848 das von Revolutionären besetzte Wien stürmten, waren die letzten, die noch auf den Barrikaden standen die Arbeiter und die Studenten. Das liberale Bürgertum hatte sich aus dem Aufstand schon mehrheitlich zurückgezogen und sich lieber mit der Staatsmacht arrangiert, als mit dem Pöbel gemeinsame Sache zu machen. Zurück blieben die entrechteten Taglöhner und die idealistischen Akademiker. Das Revolutionsjahr '48 markiert die viel beschworene Schicksalsstunde des rechten Lagers im Allgemeinen sowie der Burschenschaften im Speziellen und bildet bis heute ihren ideologischen Kristallisationspunkt:
„Ich bin aus tiefer Überzeugung der FPÖ beigetreten und seit meiner Schülerzeit fasziniert mich die Bewegung, die aus der Revolution von 1848 entstanden ist.“ - Martin Graf
Zentrale Motive des farbentragenden und schlagenden Studententums waren von da an Liberalismus, Antiklerikalismus, Deutschnationalismus und auch Antisemitismus. Jüdische Studenten mussten ihre eigenen Verbindungen gründen. Die Innsbrucker Burschenschaft „Suevia“ stellte noch 1960 fest:
„daß es für die Deutsche Burschenschaft in Österreich unmöglich ist, Nichtdeutsche aufzunehmen. Wir (...) stehen auf dem allein burschenschaftlichen Standpunkt, daß somit auch der Jude in der Burschenschaft keinen Platz hat.“ - Suevia
Die katholisch-habsburgtreuen Studenten organisierten sich im Cartellverband. Der Organisationsgrad der Burschenschaften war zunächst hoch und beinahe jeder Student gehörte einer an. In vielen Verbindungen wurde und wird ein bizarres Männerbild kultiviert, das massiven Alkoholkonsum und die rituelle Verstümmelung namens Mensur miteinschließt. Burschenschaften, die heute noch diese Form des Fechtens ausüben, sind durchwegs als politisch rechtsstehend zu betrachten. Wie seltsam ihre Vorstellung von Männlichkeit ist, zeigt nicht nur die Tatsache, dass sie sich als Zeichen der freundschaftlichen Anerkennung Stoffbänder - kurz „Zipfel“ genannt - schenken und ihre Uniformierung „Wichs“ genannt wird, nein auch in ihren Äußerungen und Publikationen stellt sich ihr Geschlechter- bzw. ihr Menschenbild sehr klar dar: 
„Bist du häßlich, fett, krank oder fremd im Lande, bist Du von Sorgenfalten, Weltschmerz oder linksliberaler Gesinnung gepeinigt, trägst Du alternative oder Schicky-Kleidung oder gar ein Flinserl im Ohr, studierst du Psychologie, Politologie oder Theologie oder gar nicht, hast du den Wehrdienst verweigert oder eine Freundin mit, die weder schön noch still ist, kurz: bist Du auf irgendeine Weise abnormal oder unfröhlich, dann bleib lieber zu Hause.“ - Flugblatt der Burschenschaft Olympia
Die Bedeutung der Buschenschaften schwand mit der Öffnung der Universitäten für die breite Masse. Konnte der Ring Freiheitlicher Studenten bei Hochschülerschaftswahlen 1953 noch 32% der Stimmen erreichen, bekam er bei den Wahlen 2011 an der Universität Wien nur noch 2,6%. Mit dieser Reduktion ging aber auch eine zusätzliche Radikalisierung einher. Die „Katharsis“ der Rechten hat sie nur noch rechter werden lassen. Insgesamt sind 16 österreichische Verbindungen Mitglieder der „Deutschen Burschenschaft“, unter ihnen Vereine wie die „Teutonia“, die Freunde des wegen Widerbetätigung mehrfach vorbestraften Neonazis Gottfried Küssel auf ihrer Bude hausen ließ oder die bereits genannte „Olympia“, mit dem dritten Nationalratspräsidenten als prominentestem Mitglied, die wegen Verstrickungen in den Südtirol-Terror 1961 behördlich aufgelöst und später wiedergegründet wurde. Ebendiese forderte 1990 auf dem sogenannten „Burschentag“:
„Die Unterwanderung des deutschen Volkes durch Angehörige von fremden Völkern bedroht die biologische und kulturelle Substanz des deutschen Volkes (...) Das deutsche Volk ist vor Unterwanderung seines Volkskörpers durch Ausländer wirksam zu schützen.“ - Olympia
Die deutschnationalen Burschenschaften mögen zwar in der Breite verloren haben, die Tiefe ihrer Organisation hat jedoch kaum nachgelassen. Von den 34 Abgeordneten der FPÖ, die 2008 in den Nationalrat einzogen, sind zwölf Mitglieder von rechten Verbindungen, darunter Leute wie der Olympe Harald Stefan, der sogar Jörg Haider zu extrem war und von diesem als Justizminister verhindert wurde. Heinz-Christian Strache, selbst Mitglied der Mittelschulverbindung „Vandalia“, sieht darin freilich kein Problem:
„Das ist, wie wenn man sagt, der ÖAMTC ist eine tragende Säule der FPÖ, weil die meisten von uns da Mitglied sind.“ - Heinz-Christian Strache
Trotz ihrer Präsenz im FPÖ-Klub halten sich die Burschenschafter lieber bedeckt. Auch Martin Graf gefällt sich besser als graue Eminenz der Partei. Der „Alte Herr“ der „Olympia“ stammt selbst nicht aus dem „Akademikeradel“, aus dem sich deutschnationale Burschenschaften meist zusammensetzen. Diesen Herkunftsmangel hat Graf mittlerweile durch seine politische Karriere ausgeglichen. Nun ist er derjenige, an den sich Kameraden wenden, wenn sie für ihre Sprösslinge einen Posten als parlamentarische Mitarbeiter suchen. Er ist es auch, der zur öffentlichen Verteidigung, beziehungsweise zum Kleinreden auftritt, wenn seine Verbindung oder eines ihrer Mitglieder wieder einmal aus der Rolle gefallen ist. Das oben zitierte Flugblatt der Olympia rechtfertigte er folgendermaßen:
„Dieses Flugblatt stammt aus den 80er-Jahren, war eher als witziger Gag gemeint, der in der Öffentlichkeit gründlich danebengegangen ist. Aus heutiger Sicht müssen wir zur Kenntnis nehmen, das die Political Correctness keinen Spaß versteht.“ - Martin Graf
Es ist die Strategie des Martin Graf und der rechtsextremen Verbindungen insgesamt ihre weltanschaulichen Aktivitäten möglichst hinter verschlossenen Türen zu halten und diese zu verharmlosen, sobald etwas über sie an die Öffentlichkeit dringt. Der Tatsache, dass nicht jeder deutsche Recke seinen Mund so zu halten vermag, wie die Burschenehre es ihm gebietet, verdanken wir die seltenen Einblicke in die Gedankenwelt und Struktur ihrer Vereine. So schilderte ein Mitglied einer rechtsradikalen Burschenschaft in Wien 1991 der Zeitschrift „Stern“:
„Der Teutonia gehören Juristen, Biologen, Chemiker, Wirtschaftswissenschafter an – die künftige Elite Österreichs. Fast alle sind nationalsozialistisch eingestellt, würden aber nichts tun oder sagen, was ihre Karriere gefährden könnte.“ - ein Teutone
Die Teutonia war es auch, die einer Schmiererei auf der Hauswand des „Roten Hofes“, dem Sitz ihrer Verbindung, mit entlarvendem „Humor“ begegnete. Nachdem Vandalen dort den Spruch „Nie wieder Deutschland“ hinterlassen hatten, schritten die Teutonen zwar mit Deckfarbe und Pinsel ans Werk, entfernten aber nur das Wort „Nie“.
Die selbstverschriebene Verschwiegenheit wird aber auch immer wieder durch Aussagen gebrochen, die der öffentlichen Selbstbestätigung und Abgrenzung dienen. So ist es auch zu verstehen, wenn Martin Graf öffentlich meint, dass die heutigen Staatsgrenzen willkürlich gezogen seien und sich das „deutsche Volkstum“ in Europa frei entfalten können müsse.

Der einschlägige Ruf der schlagenden Burschenschaften macht auch den Mitgliedern des Österreichischen Cartellverbandes zu schaffen, die sich immer wieder von Aussagen der Deutschnationalen distanzieren. Ihr Kredo ist das katholische Österreichertum und auch sie verfügen über Macht und Einfluss. Nicht nur ist ÖVP-Chef Michael Spindelegger „Alter Herr“ der „Norica“, der CV gilt auch traditionell als Beziehungskitt innerhalb der Volkspartei und ihrer christlichsozialen Vorfeldkorganisationen wie Wirtschaftskammer oder Raiffeisen. Bis auf Sebastian Kurz gehören alle männlichen ÖVP-Regierungsmitglieder einer Verbindung im CV an. Das Weltbild seiner Mitglieder ist zwar nicht vom antisemitischen Pangermanismus zerfressen, aber mitunter ebenfalls gewöhnungsbedürftig. Im Eingangsbereich einer CV-Verbindung im 8. Bezirk hängt ein gigantisches Kreuz mit einer Plakette, die an die Opfer des Faschismus von 1934-1945 erinnert. Mit den Toten der Phase '34 bis '38 sind aber weniger die hingerichteten Sozialdemokraten gemeint, die vom austrofaschistischen Ständestaat ermordet wurden, sondern vielmehr ihr Henker Engelbert Dollfuß selbst. Sein Portrait ziert neben dem ÖVP-Parlamentsklub auch die ehrwürdige Bude seiner Burschenschaft „Franco-Bavaria“. Dollfuß war auch ein Mitgrund für die Abspaltung des Österreichischen CV vom deutschen Mutterverband. Dieser hatte unter dem Einfluss des NS-Regimes den Ausschluss Dollfuß' gefordert. Heute ist der ÖVC nach wie vor eine reine Männerveranstaltung. Die Aufnahme weiblicher Verbindungen wurde abgelehnt und zu Themen wie Abtreibung oder Homoehe vertritt man mitunter kontroverse Meinungen. Aber auch vom Deutschtum hat sich nicht jede CV-Verbindung schon völlig gelöst. So führt die katholische Verbindung „Sängerschaft Waltharia“ den Wahlspruch „Deutsch in Lied und Art“. Der CV-Präsident versucht dies zu rechtfertigen:
„Das sind in erster Linie Verbindungen, die zu ihrer Vergangenheit stehen, wo man sich um die Jahrhundertwende im Vielvölkerstaat als Deutscher gefühlt hat. Diese Verbindungen singen diese Lieder selbstbewusst, weil sie ganz genau wissen, dass sie keine Deutschtümelei betreiben, sondern sich mit ihren Vorfahren verbunden fühlen.“ - CV-Präsident Metzler
Der deutsche CV selbst hatte mit seinem nationalen Pendant dem Dachgemeinschaft der „Deutschen Burschenschaft“ zusammengearbeitet, bis dieser 2011 einen Ariernachweis für seine Mitglieder einführen wollte. Hierauf distanzierte sich der Cartellverband deutlich. Doch wusste man wirklich erst ab diesem Zeitpunkt von der ideologischen Ausrichtung der rechten Burschenschaften?

Der CV ist in seiner Breite sicherlich eine Organisation, die innerhalb des Verfassungsbogens steht. Die Behauptung seines Präsidenten, man führe mit den deutschnationalen Burschenschaften eine „Parallelexistenz ohne Berührungspunkte“ ist aber leider nur Wunschdenken. CV und „Deutsche Burschenschaft“ sind die Antipoden eines geschlossenen Systems, in dem zwar katholische und national-säkulare Weltanschauung erbittert konkurrieren, das jedoch auf gemeinsamen Parametern beruht. Dazu gehören neben einem antiquierten Ideal von Männlichkeit - um das feministische Kampfvokabel „Androzentrismus“ nicht zu verwenden - auch die ideologische Abkapselung als Folge des Exklusivitätsanspruchs sowie der rituelle Alkoholgenuss. Dass der CV allein frei von Sünde sei, widerlegt auch ein Zitat des Psychologen Wilfried Daim, selbst Mitglied der „Rudolfina“ zu Wien, von 1968:
„Und so haben wir bis heute mit Antisemitismus in unseren Reihen zu kämpfen, mit einem schleichenden Deutschnationalismus, der immer noch die Deutschen für etwas besseres hält als den Rest der Welt und von der österreichischen Nation nichts wissen will. Wir haben noch einen in die Illegalität gedrängten Rassismus, nachdem mancher sich eher vorstellen kann, einen Westdeutschen aufzunehmen als einen österreichischen Mulatten.“ - Wilfried Daim zit. in “Wir werden ganze Arbeit leisten“ – Der austrofaschistische Staatsstreich 1934“ (S. 69 f.)
Wenn der ehemalige österreichische Außenminister und CV-Mitglied Alois Mock den Biernamen „Bimbo“ trägt, darf das vielleicht noch als Geschmacklosigkeit abgetan werden. Die Annahme, dass eine völlige Distanzierung des ÖCV zu den im Zitat beschriebenen Inhalten nur schleppend stattfindet, wird aber definitiv durch die Tatsache gestützt, dass etwa auf der Homepage der CV-Verbindung „Kürnberg“ von „berechtigte[m] Antisemitismus“ die Rede ist.

Der Cartellverband mag braune Flecken haben, die schlagenden Burschenschaften aber sind ein brauner Sumpf. Antisemitismus, Rassismus und Deutschnationalismus sind dort keine Ausreißer, sie sind Programm. Diese Leute führen ihr Leben weniger als Individuen, denn als Organismus. Sie sehen sich als Teil eines Volkes, einer politischen Ideologie, einer Verbindung. In dieser Form lässt es sich lange warten. Und sie warten. Sie warten auf die Stunde ihrer Machtergreifung, in der sie das Land wieder nach ihrem Gutdünken ausrichten können. Diese Menschen bewegen sich gezielt unterhalb des Radars von Öffentlichkeit und Verfassungsschutz. Sie sitzen nicht nur im Nationalrat, sondern auch in den Ministerien, den Rechtsanwaltskanzleien, im Bundesheer und bei der Polizei. Wir wissen nicht, was sie genau tun werden, wenn ihre Stunde schlägt, aber wenn ihre Taten auf ihrem Denken basieren, kann man nur das Schlimmste befürchten.

„Wir sind normal geblieben unter dem Schutt der Zeit. An uns sind Umerziehung, Trauerarbeit und Betroffenheit, doch auch Konsum, soziale Dünkel und Moderne fast spurlos vorübergegangen.“ - Burschenschaft Olympia

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