Oh, das Recht. Ein Planschbecken für Pedanten, ein Quell ewiger Freude für die Freunde komplexer Sprache. Mancherorts lässt es uns Freiräume, regelt aber auch diese bis ins Detail. Es ist oft streng, manchmal zu lax und hin und wieder auch absurd. Ab und an kann es sogar zotig werden, zum Beispiel wenn man einen Blick auf das Bundesgesetz vom 31. März 1950 über die Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen und den Schutz der Jugend gegen sittliche Gefährdung - kurz bekannt als „Pornographiegesetz“ - wirft. Insgesamt überwiegt aber die Absurdität.
Dass Österreich als Binnenstaat etwa über ein eigenes Seeschifffahrtsgesetz verfügt, mag einem auf den ersten Blick reichlich seltsam vorkommen. Die Sache macht aber schon mehr Sinn, wenn man weiß, dass das Abkommen von Barcelona von 1921 Staaten ohne Meereszugang die Hochseeschifffahrt unter eigener Flagge gestattet. Man darf sich aber die Frage stellen, ob Österreich einer Regelung des Walfischfanges bedarf. Unnötig erscheint jedenfalls die aus der Monarchie übernommene Regelung, dass Spitalsschiffe von Hafengebühren befreit sind. Nach dem Untergang des Habsburgerreiches wurden nämlich die allermeisten Gesetze, Verordnungen und Allerhöchsten Entschließungen in den Rechtsbestand der Republik übernommen. Deshalb dürfen Spitalsschiffe in Wien Freudenau gratis anlegen und deshalb kommt es hie und da noch vor, dass zum Beispiel Claudia Schmied zur Ehre kommt die Verordnung des Ministers für Cultus und Unterricht aus dem Jahre 1880 aufzuheben, womit die staatliche Anerkennung über die Herrnhutter Brüdergemeinde ausgesprochen worden war. Die religiöse Gemeinschaft war in Österreich mittlerweile de facto inexistent.
Für eine andere Religionsgemeinschaft war die österreichische Rechtstradition wiederum ein Glücksfall: Die Islamische Glaubensgemeinschaft stütze sich 1979 bei ihrem Antrag auf Anerkennung als gesetzliche Vertretung der Muslime in Österreich auf das Islamgesetz von 1912 in dem Kaiser Franz Joseph I. mit „Zustimmung der beiden Häuser des Reichsrates“ wie folgt anzuordnen befand:
„Den Anhängern des Islams wird in den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern die Anerkennung als Religionsgesellschaft im Sinne des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, R. G. Bl. Nr. 142, insbesondere des Artikels XV desselben, nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen gewährt.“
Das Gesetz gilt heute noch genauso, wie das darin zitierte Staatsgrundgesetz über die Allgemeinen Rechte der Staatsbürger, das neben der Europäischen Menschenrechtscharta - die gleichfalls im Verfassungsrang steht - nach wie vor den Gutteil der Grundrechte in Österreich enthält. Ursache dafür ist die seit über 90 Jahren andauernde Unfähigkeit von roten und schwarzen Politikern sich auf einen neuen Grundrechtskatalog zu einigen.
Und weil Österreich ja ein Bundesstaat ist, sind manche Rechtsnormen, die einst seine apostolische Majestät der Kaiser für ein Großreich erlassen hat, heute noch in einzelnen Bundesländern gültig. So werden etwa in Vorarlberg zum Teil die Grundzüge für die Organisierung des Staatsbaudienstes auf Basis einer Verordnung aus dem Jahre 1860 geregelt.
Lassen Sie uns jetzt ein konkretes Beispiel aufgreifen, um die Komplexität der österreichischen Rechtsordnung noch besser zu veranschaulichen. Nehmen wir eine kleine unscheinbare Sache - sagen wir die Biene - und suchen die für sie relevanten Rechtsquellen. Sie glauben über Bienen könne es nicht allzu viele Reglungen geben? Weit gefehlt.
Allein das Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes (RIS) liefert 76 Treffer zum Stichwort „Bienen“. Und da ist das allerbeste Beispiel noch gar nicht inbegriffen. Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch nämlich, in Kraft seit dem 1. Jänner 1812 und damit neben dem Code Civil das älteste noch in Geltung stehende Zivilrechtsbuch der Welt, regelt in § 383, dass die „politischen Gesetze“ zu bestimmen hätten,
„wie der Honigraub, der durch fremde Bienen geschieht, zu verhindern sey“
Außerdem hält das ABGB weiter fest, dass sich niemand einfach an den Bienen eines anderen vergreifen darf, denn „[h]äusliche Bienenschwärme und andere zahme oder zahm gemachte Thiere sind kein Gegenstand des freyen Thierfanges“. Damit ist das älteste noch geltende österreichische Bienenrecht immerhin schon 200 Jahre alt. Die Regelung des ABGB geht im Übrigen auf das antike römische Recht zurück.
Natürlich befasst sich aber auch der moderne Gesetzgeber mit immenspezifischen Rechtssätzen. So bestimmt das Bienenseuchengesetz, dass unter einem „,Bienenvolk‘ die Gesamtheit der in einer Bienenwohnung (Beute) lebenden Bienen mit ihrer Brut und ihren Waben“ zu verstehen sei, und wie mit welcher Art von Bienenkrankheit zu verfahren ist. Die §§ 10 und 59 des Arzneimittelgesetzes regeln dann entsprechend die Heilbehandlung von Bienen. Aber Bienen können nicht nur krank werden, sie dienen auch als Futtermittel: In Abs. 2 zu Punkt 12.2.3. der 2. Anlage zur Tierhalteverordnung wird nämlich bestimmt, dass Spinten, das sind laut Gesetz Vögel der Familie Meropidae, unter anderem Bienen als Nahrungsmittel anzubieten sind. Dass die Meropidae besser unter dem Namen Bienenfresser bekannt sind, erwähnt das Bundesgesetz natürlich nicht.
Aber auch das Völkerrecht beschäftigt sich ausführlich mit der Bienenfrage. Das GATT - Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen bestimmt zum Beispiel, dass „Bienen und ausgebildete Blindenführhunde“ zollfrei eingeführt werden dürfen. Der Weltpostvertrag aus 2004 wiederum regelt, dass unter bestimmten Umständen Bienen lebendig verschickt werden dürfen. Alle Biologen werden außerdem erleichtert sein zu hören, dass Art. 2 Abs. 1 lit. c des Veterinärabkommens zwischen Österreich und Ungarn ausdrücklich feststellt, dass Bienen Tiere im Sinne des Art. 1 Abs. 1 des Abkommens sind. Weil Österreich aber auch ein Teil der Europäischen Union ist, darf natürlich die Richtlinie 92/65/EWG des Rates hinsichtlich der Muster-Veterinärbescheinigungen für Tiere aus Betrieben bzw. für Bienen und Hummeln genauso wenig unerwähnt bleiben, wie § 2 Abs. 1 Z 4 der Veterinärbehördlichen Binnenmarktverordnung, der in Ausführung des Gemeinschaftsrechts noch genauer bestimmt, was Bienen sind, nämlich:
„Bienenvölker oder Bienenköniginnen mit ihren Begleitbienen“
Natürlich sind Bienen nicht nur um ihrer selbst Willen da, sondern sollen auch etwas Leisten. Was die Bienen herzustellen haben, hat die seinerzeit zuständige Bundesministerin für Gesundheit und Frauen mit ihrem Amtskollegen aus dem Wirtschaftsressort in der Honigverordnung genau festgelegt:
„Im Sinne dieser Verordnung ist ,Honig‘ der natursüße Stoff, der von Bienen der Art Apis mellifera erzeugt wird, indem die Bienen Nektar von Pflanzen, Absonderungen lebender Pflanzenteile oder auf den lebenden Pflanzenteilen befindliche Sekrete von an Pflanzen saugenden Insekten aufnehmen, diese mit arteigenen Stoffen versetzen, umwandeln, einlagern, dehydratisieren und in den Waben des Bienenstockes speichern und reifen lassen.“
Weil aber wie überall auch beim Honig gepfuscht werden kann legt § 16 Abs. 5 der Rückstandskontrollverordnung fest, in welchen Ausnahmefällen Bienenstöcke, in denen vorschriftswidrig behandelter Honig hergestellt wurde, unter sofortiger Meldung an den Landeshauptmann an einen anderen Ort verbracht werden dürfen.
Wenn Sie nun aber glauben, dass es ausreicht, wenn jeder Bienenstock das Bundesgesetzblatt aboniert, haben Sie sich ein weiteres Mal geschnitten, denn die österreichischen Bundesländer haben in ihrem Wirkungsbereich etwa 31 bienenrelevante Rechtsnormen erlassen. (Wenn man einmal von der Kundmachung der niederösterreichischen Landesregierung über die Verleihung eines Wappens für die Gemeinde St. Corona am Wechsel, das mit Bienen belegt ist, absieht.) Das Wiener Bienenzuchtgesetz beispielsweise stellt in § 2 Abs. 1 unzweifelhaft fest:
„Ein Bienenstock ist eine für die Unterbringung eines Bienenvolkes bestimmte Einrichtung. Ein Bienenstock gilt als besiedelt, wenn er von einem Bienenvolk besetzt ist.“Weil aber auch die Wiener Landesjuristen nicht alles über Bienen wissen, verlangt § 17 des Gesetzes schließlich die Bestellung von „Bienensachverständigen“ durch den Magistrat nach Anhörung der Landwirtschaftskammer.
Wenn Sie abschließend in Betracht ziehen, dass zu den genannten 76 RIS-Treffern für Bundesnormen und den 31 Landesregelungen noch 23 Treffer zu „Bienen“ auf der EU-Rechtsplattform EURLEX angezeigt werden, werden Sie vielleicht zu dem Schluss kommen, dass Bienen gesetzgeberisch überbetreut sind, was aber vermutlich nicht der Fall ist. Vielmehr ist es einfach so, dass es zu jedem x-beliebigen Lebensbereich tausende unterschiedliche Verträge, Gesetze, Verordnungen, Urteile, Erkenntnisse und Erlässe gibt. Wirklich Sorgen macht einem das aber nur, wenn man daran denkt, dass folgender Rechtsgrundsatz immer noch gilt:
„Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.“
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