Freitag, 1. Februar 2013

Das Leben im Studentenheim, oder: sieben Jahre sind genug


Am 13. September 2005 kam ich nach Wien und zog in mein erstes Studentenheim. Das Zimmer für zwei war etwa 8 m² groß, Klo gab’s am Gang. Die Hausverwalterin und ihr Lebensgefährte Manni, der vorzugsweise halbnackt durchs Haus lief, kifften sich regelmäßig zu. Im Erdgeschoss war der Grasgeruch daher omnipräsent. Ich hatte das Vergnügen genau über dem Zimmer zu schlafen, in dem sie ihren Papagei hielten. Dieser konnte das Geräusch eines Canon-Druckers, das Lied Hänschenklein und den Soundtrack von „Das Imperium schlägt zurück“ pfeifen und tat das auch ausgiebig. Vis-à-vis gab es ein Heim für Asylwerber in dem regelmäßig Männer ihre Frauen verprügelten bis Leute hinüber rannten um Schlimmeres zu verhindern. Nach einem Jahr zog ich aus. Nächste Station war das legendäre Pfeilheim, in dem die Wände so dünn waren, dass Schrauben auf der anderen Seite der Wand wieder heraus kamen. Ich bezog ein Doppelzimmer mit dem lieben Wolfi. Wir hatten unsere Nachbarinnen noch gar nicht gesehen, da wussten sie schon, dass wir Vorarlberger waren und ich Politikwissenschaft studierte. Im Sommer wurde die Bruchbude zu einem Hotel umgerüstet, weshalb wir jedes Jahr unseren Krempel auf den Dachboden räumen mussten. Später zog neben uns ein Serbe ein, der Tag und Nach laut Trance-„Musik“ hörte. Auch im Erkerzimmer in das man vom Gang aus hineinsehen konnte, wohnte zunächst ein Techno-affiner Osteuropäer der daraufhin von einer Studentin abgelöst wurde von der man beim Vorbeigehen eines Tages nur die Beine durchs Fenster in die Luft gereckt sah, während aus dem Zimmer ein seltsames Surrgeräusch kam. Interpretationen seien der Fantasie des Lesers überlassen. Jedenfalls ereilte sie kurze Zeit später das Unglück in Form eines Starkregens, der durch das undichte Heimdach eindrang und ihr Zimmer unter Wasser setzte. Ob ihr elektrischer Hausfreund dabei Schaden nahm, ist nicht dokumentiert.

Alle zwei Monate rauchte irgendein Idiot am Gang und löste dadurch den Feueralarm aus, der durch einen minutenlangen Pfeifton bekanntgegeben wurde und regelmäßig fünf Löschzüge anrücken ließ. Der gute Wolfi nahm sich schließlich eine Wohnung und ich wechselte in ein Einzelzimmer, neben dem nun ein Portugiese wohnte, der jedes Wochenende den Kopf einer anderen betrunkenen Kommilitonin rhythmisch gegen die Wand knallte. Nach drei Jahren wurde das Heim renoviert, man bot mir ersatzweise nur ein Zimmer im 15. Bezirk an, wohl auch weil ich im Formular der Heimverwaltung unter „Vereinsmitgliedschaft (freiwillige Angabe)“ nie das Kürzel „CV“ eingetragen hatte. In Rudolfsheim-Fünfhaus lag überall der Lurch, das Klappbett war mit undefinierbaren Flecken übersäht und im Teppich entwickelten sich wohl schon neue Zivilisationen, obwohl man mir 50 Euro Reinigungsgebühren verrechnet hatte. Nach langem Hickhack erstattete man mir die Hälfte „aus Kulanz“. Im Heim am A... der Welt blieb ich kein Jahr.

Schließlich wechselte ich in den 9. Bezirk in das katholische Heim eines katholischen Heimträgers, das nach einem katholischen Heiligen benannt ist und über eine katholische Kapelle verfügt. Ich teilte mir mit einem Hochglanzpsycho aus Bayern Bad und WC. Er rauchte ohne Ende, ließ sich hobbymäßig verprügeln und wurde schließlich aus dem Heim geschmissen, weil er in der Küche an seinen Intimissima herumspielte als die Heimverwalterin hereinkam. Diese pflegte auch schmutziges Geschirr zu beschlagnahmen und für dessen Herausgabe Geld zu verlangen. Das ist rechtlich nicht in Ordnung, aber man versteht‘s irgendwie und ist bereit es zu akzeptieren. Mein Studium ging zu Ende aber ich blieb im Heim. Zum einen weil ich eigentlich noch etwas weiterstudieren wollte, zum anderen weil ich mir von den 970 Euro pro Monat für eine Vollzeitstelle, die ich von der Republik bekam, keine Wohnung leisten konnte. Dann kam eine neue Verwalterin und die Sitten änderten sich. Sie entwendete nicht nur Geschirr, sondern sperrte gleich ganze Küchen für Tage zu, wenn sie ihr nicht sauber genug waren. Irgendwelche Christenkinder grillten im Hof hinter dem Haus. Am nächsten Tag drohte sie ihnen mit Anzeige und Rauswurf. Dann begann sie die Fahrräder von Leuten, die keinen Platz mehr im Fahrradraum gefunden und sie vor dem Heim abgestellt hatten, anzuketten. Selbst erschien sie dafür nur selten pünktlich zu den Bürozeiten. Man kann’s ja noch irgendwie ertragen wenn Gesetze gedehnt werden, wenn aber jemand glaubt sich aufpudln zu müssen und Recht umsetzen möchte das es nicht gibt, wird's bei mir heikel. Auch wenn ich zugegeben nicht selbst betroffen war, wollte ich den Wunsch der Heimverwaltung, möglichst alle Regeln strengstens einzuhalten, von Herzen unterstützen. Ich schrieb daher an die Datenschutzkommission um zu erfragen, ob die im Hause massenhaft montierten Überwachungskameras denn im Sinne des Datenschutzgesetzes 2000 ordnungsgemäß genehmigt worden waren. Zu meinem Entsetzen war dies nicht der Fall. Ich fürchte die Heimverwaltung hat meinen freundlichen Unterstützungsversuch in den falschen Hals bekommen. Als Reaktion auf die staatlich erzwungene Abschaltung ihres Überwachungsequipments wurden alle öffentlichen Toiletten versperrt. Dann fing man an bei ausziehenden Studenten Geld für „Ausmalarbeiten“ zu verrechnen, was entsprechend den Regelungen des ABGB und der Judikatur des OGH illegal ist. Nach sieben Jahren Studentenheim verdichtete sich bei mir daher die Gewissheit, dass für mich die Zeit gekommen war meine Zelte abzubrechen. Man will ja nicht zum alternden Querulanten verkommen. Meinen Hinweis, ich würde illegale Kautionsabbuchungen nicht akzeptieren, quittierte man mit der Drohung einer Anzeige wegen übler Nachrede. Seit gestern habe ich eine Wohnung, mit Monatsende geht meine Studentenheimodyssee endgültig zu Ende, endlich.

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