Sonntag, 7. April 2013

zur vertraulichen Kenntnis, oder: warum das Transparenzgesetz zum Scheitern verurteilt ist

Seit 2011 verfügt das Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrates über einen zweiten Anhang, die sogenannte Verteilungsordnung-EU (VO-EU). Sie stellt einen ersten zarten Versuch zu mehr Transparenz im politischen System Österreichs dar. Ihr Erfolg ist bis dato aber eher bescheiden. Dieses Schicksal könnte auch ähnliche Gesetze zur Datenfreizügigkeit treffen. Die Hauptursache für die mangelnde Umsetzung von Transparenzkriterien ist der Beharrungswille der Beamten.

Die VO-EU hat klare Ziele: Sie solle die Mitwirkung des Nationalrates im Rahmen des Systems der nationalen Parlamente im Sinne des Vertrages von Lissabon sicherstellen. Damit der Nationalrat seine Entscheidungen in EU-Angelegenheiten fällen kann, braucht er Informationen und Dokumente. Das sehen sogar Beamte ein, in denen das Amtsgeheimnis so präsent ist wie der Leib Christi in der Hostie gemäß Transsubstantionslehre. Das Parlament kontrolliert schließlich, zumindest in der Theorie, die Verwaltung. Was viele öffentlich Bediensteten gar nicht schmeckt ist jedoch die Bestimmung des § 3 Z 1 der Verteilungsordnung:
„Vorlagen, Dokumente, Berichte, Informationen und Mitteilungen zu Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union werden in der EU-Datenbank erfasst und sind öffentlich zugänglich, sofern auf Grund der Z 2 bis 6 und § 5 nichts anderes bestimmt ist.“
Öffentliche Zugänglichkeit hat nun mit parlamentarischer Kontrolle gar nichts mehr zu tun. Warum sollten irgendwelche Leute irgendwelche Dokumente zu sehen bekommen, die sie gar nichts angehen? Darunter fallen schließlich auch Dienst-Mails. Wär ja noch schöner, wenn da wer mitlesen würde. Der Bürger, im postmonarchischen österreichischen Staatsverständnis immer noch eher Untertan, gibt alle fünf Jahre seine Stimme und damit auch sein Mitspracherecht ab. Was danach passiert braucht ihn nicht zu kümmern. Eine Tausendschaft von bundepräsidial ernannten Beamten, angestellten Dienstnehmern und prekären Handlangern setzen dann den Willen seiner gewählten Vertreter um. Warum also Dinge öffentlich machen, die miss- oder noch schlimmer verstanden werden könnten? Aber Gott sei Dank hat der Bundesgesetzgeber auch in diesem Fall die Saat für das täglich Brot der Staatsbediensteten nicht vergessen: die Ausnahmebestimmung. Wir finden sie in den oben genannten Fällen der Ziffern zwei bis sechs und des Paragraphen fünf, gelobt sei die Einsicht des Nationalrates:
„Vorlagen, Dokumente, Berichte, Informationen und Mitteilungen zu Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union, die nicht zur Veröffentlichung geeignet sind und nicht unter die Z 3 bis 6 fallen, werden in der EU-Datenbank erfasst und sind für die Mitglieder des Nationalrates, Personen, die zur Unterstützung ihrer parlamentarischen Aufgaben beschäftigt und in ihrem Auftrag tätig sind, von den Klubs namhaft gemachte Personen und zuständige Bedienstete der Parlamentsdirektion zugänglich.“ 
Diese Regelung betrifft Dokumente der Kategorie Limite (Eingeschränkt), danach gibt es noch strengere Auflagen für die Geheimhaltungssachen Restreint (Vertraulich), Secret (Geheim) und Très secret (Streng geheim). Letztere sind nur noch für die Mitglieder der Präsidialkonferenz zugänglich, unter gewissen Umständen auch für die des Hauptausschusses, aber nur für die Dauer der Sitzung. Je strenger die Geheimhaltung, desto weniger Menschen bekommen ein Dokument also zu Gesicht.

Hier setzt nun der Erfindungsreichtum der Beamten ein und hier liegt auch das Endlager für alle gegenwärtigen und zukünftigen politischen Projekte mit dem Titel Transparenz. Seit die VO-EU kundgemacht wurde und in Kraft getreten ist, wird praktisch jedes belanglose Mail mit dem Zusatz „vertraulich“ versehen. Damit wird sichergestellt, dass außerhalb des Parlaments niemand Zugriff darauf erhält. Aber schon diese Maßnahme bringt Probleme mit sich: Eigentlich dürfen nach den IKT-Ordnungen der meisten Behörden vertrauliche Dokumente und Informationen nicht per E-Mail verschickt werden, ein Umstand der kurzerhand ignoriert wird. Zudem lässt die Disziplin der Beamten, was das Hochstellen von Dokumenten auf die in der VO-EU vorgesehenen Plattformen angeht, sehr zu wünschen übrig. Vielerorts wurden von vornherein keine Einschulungen gegeben. 

Das Projekt ist also schon durch seine halbherzige Umsetzung zum scheitern verurteilt. Jedes Transparenzgesetz, das noch zu schreiben sein wird, wird solche Ausnahmeregelungen enthalten. Es wird sie auch enthalten müssen, da gewisse Informationen tatsächlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Deren Interpretation obliegt dann jenen, die es umzusetzen haben: den Staatsdienern. Eine extensive Auslegung des Begriffs der Vertraulichkeit kann so helfen, den Status Quo mehr oder weniger aufrechtzuerhalten. Eine Rettung des Amtsgeheimnisses über die Hintertür.

Verhindert werden kann diese Form der Rechtsbeugung kaum. Wer hätte die Kapazitäten abertausende E-Mails durchzulesen und bei grobem Missbrauch der Vertraulichkeitseinstufung Disziplinarmaßnahmen zu verhängen? In Einzelfällen wird es freilich zu Offenlegungen kommen müssen. Das Transparenzgesetz wird, wenn es denn überhaupt kommt, Bestimmungen zur Durchsetzung der Offenlegungsansprüchen enthalten. Allerdings wird es bei allgemeinen Anfragen schwer, sich auf die Herausgabe konkreter Dokumente zu berufen. Wenn in einer Transparenzdatenbank gewisse Datensätze fehlen, wird es mituner auch gar nicht erst auffallen, weil nur Eingeweihte wissen, dass sie überhaupt existieren. Für einen transparenten Staat würde Österreich vor allem eines brauchen: eine neue Beamtengeneration. Die wird es dank Aufnahmestopp auf absehbare Zeit aber nicht geben.

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