Als Bruno Kreisky am 29. Juli 1990 starb, war der Autor dieses Artikels noch nicht einmal vier Jahre alt. Dennoch hat er sein Leben beeinflusst, wie das praktisch aller anderer Österreicher auch und mehr als jeder andere Politiker der Zweiten Republik vor und nach ihm. In einer jüngst ausgestrahlten ORF-Dokumentation über Kreisky meinte André Heller die Jungen könnten es sich gar nicht vorstellen, wie Österreich vor Kreisky gewesen sei. Lassen Sie es uns trotzdem versuchen.
Als Kreisky in den Nationalratswahlkampf 1970 zog, hatte er das SPÖ-Urgestein Bruno Pittermann abgelöst, der sich nur widerwillig von der Parteispitze zurückgezogen hatte. Kreisky hatte es nicht leicht: Er war ein Exponent der „Revolutionären Sozialisten“, also jener Gruppierung, die gemeinsam mit den alten Exponenten der Sozialdemokratie die „Sozialistische Partei Österreichs“ gegründet hatten. Der Kompromiss war dabei typisch österreichisch. Die Partei nannte sich sozialistisch, war aber vom Programm her sozialdemokratisch. (Dass sich die SPÖ erst 1991 in „Sozialdemokratische Partei Österreis“ umbenannte, nicht einmal ein Jahr nach Kreiskys Tod, mag seine Gründe gehabt haben.) Als ehemaliger „revolutionärer Sozialist“ war Kreisky also ein Vertreter der „Jungen“ in der Partei, jener Gruppierung von Linken, die sich unter dem Austrofaschismus illegal konstituiert hatte und dann entweder ins Exil gegangen war oder im Untergrund Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatte. Die alteingesessenen Genossen der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“ der Ersten Republik hatten das NS-Regime eher abgewartet denn bekämpft. Kreisky selbst war 1938 in Gestapo-Haft gewesen - er hatte sein Jusstudium noch einen Tag nach dem Anschluss beenden können - und konnte schließlich nach Schweden fliehen. Kreisky floh aber nicht nur, weil er Sozialist war, sondern auch, weil er aus großbürgerlichem jüdischen Hause stammte.
Es heißt, als man den jungen Genossen dem alten Parteivorsitzenden Karl Seitz vorstellte, habe dieser gefragt:
Dass Kreisky jüdischer Herkunft war, er selbst sah sich nicht als Jude im eigentlichen Sinn und wehrte sich stets gegen Vereinnahmungen, sollte ihm auch in der Zweiten Republik noch zu schaffen machen. Der ÖGB-Präsident Anton Benya etwa galt als Antisemit. Ich selbst hatte das Vergnügen eine seiner ehemaligen Sekretärinnen noch persönlich kennen zu lernen. Als die parteiinterne Entscheidung zugunsten Kreiskys und zuungunsten Pittermanns ausgefallen war, so erzählte sie, kehrte Benya in sein Büro zurück. Auf die Frage welcher Bruno es denn geworden sei, habe er leicht zerknirscht Kreisky genannt. Auf die Nachfrage, was daran denn auszusetzen sei, habe Benya entgegnet: „Naja, ein Jud issa halt.“ Antisemitismus war zu jener Zeit noch eine Ideologie, die vielen bis ins Mark verwachsen war.
Es heißt, als man den jungen Genossen dem alten Parteivorsitzenden Karl Seitz vorstellte, habe dieser gefragt:
„Bist du der Sohn vom reichen oder vom gscheiten Kreisky?“Er war der Sohn des reichen Kreisky. Sein Vater war Industrieller, sein Onkel der ideologische Vorreiter der Genossenschaftsbewegung.
Dass Kreisky jüdischer Herkunft war, er selbst sah sich nicht als Jude im eigentlichen Sinn und wehrte sich stets gegen Vereinnahmungen, sollte ihm auch in der Zweiten Republik noch zu schaffen machen. Der ÖGB-Präsident Anton Benya etwa galt als Antisemit. Ich selbst hatte das Vergnügen eine seiner ehemaligen Sekretärinnen noch persönlich kennen zu lernen. Als die parteiinterne Entscheidung zugunsten Kreiskys und zuungunsten Pittermanns ausgefallen war, so erzählte sie, kehrte Benya in sein Büro zurück. Auf die Frage welcher Bruno es denn geworden sei, habe er leicht zerknirscht Kreisky genannt. Auf die Nachfrage, was daran denn auszusetzen sei, habe Benya entgegnet: „Naja, ein Jud issa halt.“ Antisemitismus war zu jener Zeit noch eine Ideologie, die vielen bis ins Mark verwachsen war.
Mit diesem Schema spielte auch die ÖVP, als sie in besagtem Wahlkampf von 1970 ein Plakat affichieren ließ, auf dem ihr - mit absoluter Mehrheit regierender - Bundeskanzler Josef Klaus als „echter Österreicher“ angepriesen wurde. Einer meiner Lehrer meinte einmal, man habe für Klaus' Portrait wohl einen Zeichner des „Stürmer“ angeworben. Ganz verfehlt scheint die Kritik jedenfalls nicht zu sein.
Kriesky gewann die Wahl trotzdem und das war aus einem weiteren Grund nicht eben leicht: Das Wahlrecht war zur damaligen Zeit zwar bereits nach dem Verhältnisprinzip ausgerichtet, bevorzugte aber die ÖVP, die bereits zweimal, trotz weniger Stimmen, mehr Sitze als die SPÖ erhalten hatte. Ihre absolute Mandatsmehrheit der letzten Legislaturperiode hatten die Konservtativen benfalls ohne absolute Stimmenmehrheit erreicht. Kreisky sollte der einzige Spitzenkandidat der österreichischen geschichte sein, dem es gelang, tatsächlich auch die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf seine Partei zu vereinen. Doch noch war es nicht so weit, denn er hatte lediglich eine Relative Mehrheit erhalten und benötigte für die Duldung der von ihm angestrebten Minderheitsregierung die Stimmen der FPÖ. Diese erhielt er, indem er den Blauen eine Wahlrechtsreform versprach, die kleine Parteien - die FPÖ war damals die einzige solche - proportionaler bevorzugen sollte, als das alte Wahlrecht. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten, die ÖVP verweigerte ihre Zustimmung zu einer Zweidrittelmehrheit für eine umfassende Änderung, wurde diese Wahlrechtsreform auch durchgeführt. Es sollte Kreiskys erste große, aber nicht die letzte Reform sein. Ein Jahr später rief er vorgezogene Neuwahlen aus und erhielt dabei die erhoffte absolute Mehrheit.
Wir wollten uns ja eigentlich ein Österreich ohne Kreisky vorstellen, also probieren wir's mal. Bevor Kreisky seine Reformen anging:
- gab es in Österreich keine Schülerfreifahrt,
- Schulbücher mussten zur Gänze selbst bezahlt werden,
- homosexuelle Handlungen waren gerichtlich strafbar,
- ebenso die Ehestörung (Verhältnis mit einer verheirateten Person),
- Abtreibung war illegal,
- der Wehrdienst dauerte 12 Monate,
- Zivildienst gab es keinen,
- es gab weder eine Beteiligung der Studenten an der Universitätspolitik,
- noch einen Schulgemeinschaftsausschuss,
- die Wochenarbeitszeit betrug nicht 40, sondern 42 Stunden,
- es gab kein Karenzgeld,
- keine Bergbauernförderung,
- keinen Mutter-Kind-Pass,
- an Gymnasien wurden Aufnahemprüfungen durchgeführt (die insbesondere sozial selektiv waren),
- an Universitäten gab es Studiengebühren,
- die Frau war dem Mann als Haushaltsvorstand im Eherecht und im Bürgerlichen Recht untergeordnet,
- eheliche Kinder waren unehelichen gegenüber rechtlich bevorzugt,
- der Strafvollzug kannte unter anderem noch den sogenannten „schweren Kerker“,
Bruno Kreisky reformierte aber nicht nur das Strafrecht, das Arbeitsverfassungsrecht, die Sozialgesetzgebung und die Wissenschaftspolitik, er war auch auf dem Internationalen Parkett rege tätig. In den großen Koalitionen nach dem Zweiten Weltkrieg war er ab 1953 als Staatssekretär vertreten gewesen, ab 1959 als Außenminister. Er hatte an den Verhandlungen zum „Moskauer Memorandum“ teilgenommen, das schließlich in den Staatsvertrag mündete. Auch als Kanzler konnte er die Finger von der Außenpolitik nicht lassen. Er machte Jassir Arafat, der bis dahin - nicht zuunrecht - als Terrorist verschrien war, erst international salonfähig, brachte die UNO nach Wien und ließ die Stadt die Gastgeberrolle für den Ost-West-Dialog spielen. 1960 Trafen sich Kennedy und Chruschtschow in Wien um über die Abrüstung zu verhandeln. Kreisky brachte das Süd-Tirol-Problem vor die UNO, was schließlich im Autonomiestatut mündete. Außerdem versuchte er eine eigenständige österreichische Ostpolitik zu fahren, die eine rege Reise- und Vortragstätigkeit in den Ländern des Ostblocks mit sich brachte.
Trotz all seiner Leistungen wäre es aber unsachlich Kreisky nur durch die rosarote Brille zu sehen. Ich spreche hier nicht vom stumpfsinnigen Schlagwort des Schuldenkanzlers, das von mancher Seite verwendet wird um Kreisky anzubatzen. Es ist objektiv einfach falsch. Kreisky machte Schulden, ja. Und er sprach auch davon, dass ihm ein paar hunderttausend Arbeitslose mehr, mehr schlaflose Nächte bereiten würden, als ein paar Milliarden (Schilling wohlgemerkt) Schulden. Man mag auch sein Vertrauen auf die verstaatlichte Industrie im nachhinein als zu grenzenlos einschätzen, gern. Aber Kreisky war kein Schuldenkanzler. In den 13 Jahren seiner Zeit als Regierungschef wirtschaftete er von 1970 bis 1974 ausgeglichen oder mit Überschuss. Der „Kurier“ zitiert den Gouverneur der Österreichischen Nationalbank Ewald Nowotny wiefolgt:
„dass es nicht zuletzt dem persönlichen Engagement Kreiskys zuzuschreiben ist, dass in den 1970er Jahren eine eigenständige, theoretisch fundierte wirtschaftspolitische Position in Form des Austro-Keynesianismus propagiert wurde. Von den Erfolgen dieses Weges zehren wir noch heute. [...] Tatsächlich gelang es auch, das Netto-Defizit, das von 1970 bis 1976 von 1,9 auf 4,6 Prozent des BIP gestiegen war, bis 1981 wieder auf 2,6 Prozent zurückzuführen. Es ist also ein gutes ökonomisches Erbe, das Kreisky hinterlassen hat.“ Kurier
Als Kreisky aus dem Amt schied, lag die Staatsschuldenquote bei etwa 40% des BIP, heute liegt sie über 70%. Am Ende der Kreisky-Ära lag die Staatsschuld bei 30,2 Mrd. Euro, heute steht sie bei 198,8 Mrd. (Vgl. OeNB). Der durchschnittliche Schuldenzuwachs unter den Regierungen Kreisky betrug 1,23% pro Jahr, die richtig fetten Schulden machten seine Nachfolger, unter reger Beteiligung von FPÖ und ÖVP. Unter ihnen stieg die Verschuldung wesentlich stärker an (Gesamtverschuldungszuwachs: 3,32% pa SPÖ-FPÖ 1983-86, 1,36% pa SPÖ-ÖVP). Das Argument vom Schuldenkanzler zählt also nicht. Trotzdem war Kreisky kein Heiliger.
Den wohl schwärzesten Fleck auf seine Karriere warf die sogenannte Kreisky-Wiesenthal-Affäre. Der Nazijäger Simon Wiesenthal deckte - wohlgemerkt erst nach der Nationalratswahl 1975 - die Mitgliedschaft des FPÖ-Obmanns Friedrich Peter in einer SS-Einhgeit, die in Säuberungsaktionen - die sogenannte Partisanenbekämpfung - im rückwärtigen Heeresgebiet verstrickt war, auf. Kreisky verteidigte Peter, warf Wiesenthal „Mafiamethoden“ vor und bezichtigte ihn, er habe sein Leben gerettet indem er mit der Gestapo kolaboriert hätte. Kreisky wurde erst kurz vor seinem Tod in einem von Wiesenthal angestrengten Prozess deswegen zu 270.000 Schilling Strafe verurteilt. Er starb jedoch vor der Vollstreckung. Wiesenthal soll den Prozessausgang so kommentiert haben:
Den wohl schwärzesten Fleck auf seine Karriere warf die sogenannte Kreisky-Wiesenthal-Affäre. Der Nazijäger Simon Wiesenthal deckte - wohlgemerkt erst nach der Nationalratswahl 1975 - die Mitgliedschaft des FPÖ-Obmanns Friedrich Peter in einer SS-Einhgeit, die in Säuberungsaktionen - die sogenannte Partisanenbekämpfung - im rückwärtigen Heeresgebiet verstrickt war, auf. Kreisky verteidigte Peter, warf Wiesenthal „Mafiamethoden“ vor und bezichtigte ihn, er habe sein Leben gerettet indem er mit der Gestapo kolaboriert hätte. Kreisky wurde erst kurz vor seinem Tod in einem von Wiesenthal angestrengten Prozess deswegen zu 270.000 Schilling Strafe verurteilt. Er starb jedoch vor der Vollstreckung. Wiesenthal soll den Prozessausgang so kommentiert haben:
„Kreisky hat verloren, und anstatt die Geldstrafe zu bezahlen, ist er gestorben.“ FAZ
Warum Kreisky sich mit Wiesenthal so überkam, ist zunächst nicht einfach festzustellen. Naheliegend ist, dass er diesem einiges nachtrug. Er hatte vier Minister seiner ersten Regierung als ehemalige Nationalsozialisten enttarnt und soll auch im Wahlkampf 1970 - er kritisierte die verhohlen antisemitische Kampagne der ÖVP nicht - gegen Kreisky mobil gemacht haben. Kreisky als Bundeskanzler schade Israel und müsse daher verhindert werden (Vgl. profil). Als Wiesenthal sich also gegen Peter engagierte, dürfte das für den als Polterer bekannten Kreisky das Fass zum überlaufen gebracht haben. Das entschuldigt nicht seine unbewiesenen Anschuldigungen gegen Wiesenthal und auch nicht, dass er Exnazis in sein Kabinett berief, aber es erklärt einiges.
Seine größte politische Fehleinschätzung war wohl sein Engagement für das, noch unter der ÖVP-Alleinregierung geplante, Atomkraftwerk Zwentendorf. Angeblich soll Kreisky sogar den Parteiausschluss seines eigenen Sohnes forciert haben, weil sich dieser auf der Seite der Gegnerschaft engagierte. Das Kraftwerk wurde schließlich in der vom Bundeskanzler selbst angesetzten Volksabstimmung knapp verhindert. Kreisky blieb.
Was ihm wohl auch menschlich am meisten zusetzte, war die Auseinandersetzung mit seinem Vizekanzler und Finanzminister Hannes Androsch. Er hatte diesen als Vizekanzler Hertha Firnberg vorgezogen. Er soll seine Entscheidung sogar mit dem wenig charmanten Satz „Alt bin ich selber.“ kommentiert haben. Was das zwischenmenschliche Verhältnis letztendlich zum Zerbrechen brachte, ist bis heute nicht eindeutig zu klären. Wahrscheinlich ist, dass Kreisky nicht verstand, warum Androsch ihm nicht um jeden Preis nachfolgen wollte und mit der Privatwirtschaft kokettierte. Er, der selbst ein Vollblutpolitiker war, konnte es nicht verwinden, dass sein Ziehsohn und erwählter Nachfolger nicht ebenso fühlte. Kreisky hatte mit seinen Reformen das österreichische Gesellschaftssystem umgestülpt, er wollte dieses Projekt letztendlich nicht mehr in Androschs Hände legen.
Das Gesellschafssystem umzustülpen, das war der wirkliche, der größte Verdienst Kreiskys. Das ist es wohl auch, was Heller meinte, als er im ORF von der Unglaublichkeit der vorherigen Umstände sprach. All die Gesetze die Kreisky änderte, waren zuvor Ausdruck eines extrem eingeschränkten und in dieser Einschränkung geradezu totalitären gesellschaftlichen Konsenses, der weder Bildung für untere Schichten, noch Frauenemanzipation und schon gar keine Schwulen oder die Abtreibung duldete. Kreisky hat ihn für uns aufgebrochen.
Dieter Zehentmayr der 2005 leider viel zu früh verstorbene Karikaturist, tuschte bei Kreiskys Rücktritt 1983 - als er die absolute Mehrheit, die er dreimal zuvor erhalten hatte verlor - eine Zeichnung, die zu meinen Lieblingskarikaturen zählt. Zehentmayr hatte Kreisky in den Jahren zuvor nicht geschont, aber Kreisky, der vor dem Bundesadler steht und sich, wie dieser vor ihm, verneigt, drückt doch den Respekt aus, den man diesem großen Österreicher auch heute noch zollt.
Dr. Bruno Kreisky wäre am 22. Jänner dieses Jahres 100 Jahre alt geworden.
Dr. Bruno Kreisky wäre am 22. Jänner dieses Jahres 100 Jahre alt geworden.
„Ein Bundeskanzler dieser Republik geht nicht durch die Hintertür.“ Bruno Kreisky
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