Mubarakzentrismus in ägyptischen Medien |
Hosni Mubarak ist 82 Jahre alt und färbt sich die Haare. Er ist seit 1981 ägyptischer Diktator und hat nie mit einem Schwert in der Hand zum Jihad gegen die USA aufgerufen. Das reicht, um es zum strategischen Partner der Amerikaner in der Region zu bringen. Im Democracy Index 2010 steht sein Land auf Platz 138 von 167, zwei Plätze hinter China. In Ägypten verschwinden Menschen. Das geschieht anderswo auch, aber dort beschwert man sich, meistens. Der Westen hat Mubarak immer geschützt. Er gilt als verlässlicher Stabitlitätsfaktor im arabischen Raum. Das ist heute schon viel wert. Vor allem aber bietet er keinen Islamisten Unterschlupf, hat kein geheimes Atomprogramm und mit Israel einen Friedensvertrag abgeschlossen. Da darf man schon einmal ein bisschen foltern lassen. Korruption gehört natürlich zum arabischen Präsidialgeschäft wie der Personenkult und braucht eigentlich nicht extra erwähnt zu werden. Letzterer gipfelte vergangenes Jahr in einem Photoshopfauxpas nach einem Treffen Mubaraks mit US-Präsident Obama, dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu, Palästinenserpräsident Abbas und König Abdulla II. von Jordanien. Mubarak wurde von der ägyptischen Staatspresse vom linken Rand in die Mitte des Bildes retuschiert, als würde er die Delegation anführen. Das dürfte das politische Verhältnis zu den Konferenzteilnehmern nicht belastet, aber doch zumindest für einiges Schmunzeln gesorgt haben.
Weil Mubarak es dem Westen abgesehen von seiner medialen Geltungssucht also leicht macht, ist er bei den Islamisten nicht sonderlich gut angeschrieben. Die ägyptische Muslimbruderschaft, die größte und daher verbotene Oppositionspartei, ist schon seit der britischen Kolonialzeit ein politischer Faktor im Land. Obwohl sie erklärt habe soll, im Falle eines Regimewechsels nicht an einer neuen Regierung teilnehmen zu wollen, ist das noch kein Grund zum aufatmen. Die Frage, ob die Muslimbrüder ein eventuell entstehendes Machtvakuum für sich nutzen könnten, dürfte zurzeit etliche westliche Staatskanzleien umtreiben. Insbesondere Israel ist über die Demonstrationen und eine mögliche Ablöse Mubaraks nicht besonders begeistert. Verständlich: Israel hat nicht gerade viele Freunde in der Region. Da freut man sich schon, wenn man sich mit einem Nachbarn zumindest arrangieren konnte, auch wenn der seit 30 Jahren mit Notstandsrecht regiert. Unbemerkt von der Weltöffentlichkeit machen viele Israelis Urlaub beim Nachbarn, weil dort die Sicherheitslage bisher in der Umgebung am besten war. Ägypten hat auch in Sachen Grenzzaun zum Gazastreifen immer wieder mit Israel kooperiert. Die Islamisten freut das natürlich nicht im geringsten. Mubarak geht gegen sie mit äußerster Brutalität vor. Das Schlagwort Terrorismusbekämpfung erlaubt seit dem 11. September 2011 sehr viel. Amnesty International berichtet im Jahr 2006 über das Verhör eines aus Italien entführten Terrorverdächtigen:
„Im April wurde der als Abu Omar bekannte Osama Mostafa Hassan Nasr dem Staatsanwalt vorgeführt. Zum ersten Mal seit seiner Entführung aus Italien im Februar 2003 war es ihm erlaubt, zu dem Verhör einen Anwalt hinzuzuziehen. Er schilderte seine Verschleppung aus Italien und die ungesetzliche Rückführung nach Ägypten. Abu Omar gab an, während seiner geheimen Haft in Ägypten gefoltert worden zu sein. Man habe ihn unter anderem extremen Temperaturunterschieden ausgesetzt und ihn mit Elektroschocks an den Genitalien gequält.“ AI
Auch wenn hier natürlich Aussage gegen Aussage stehen dürfte: Ägypten findet sich auch auf der Liste jener Staaten, in denen die CIA mutmaßlich Verdächtige foltern ließ. Ein vom Schweizer Geheimdienst abgefangenes Fax des ägyptischen Außenministers an die ägyptische Botschaft in London sprach von 23 irakischen und afghanischen Gefangenen, die von den USA auf einen Militärstützpunkt an der rumänischen Schwarzmeerküste verbracht worden seien. Die Menschenrechtssituation im Land am Nil ist fatal. Was es den Ägyptern erlaubt die einfachsten Grundrechte mit Füßen zu treten, ist ihr bisher positives Verhältnis zum Westen. Auch wenn Barak Obama Mubarak mittlerweile zu Reformen aufgefordert hat, Menschenrechte und Demokratie sind oft nur ein politisches Argument in der Auseinandersetzung zweier Staaten. Zugegeben: Ägypten hätte nicht die Steinigung von Eherbrecherinnen legalisieren können, ohne internationalen Protest hervorzurufen, aber es durfte weiter gehen, als nicht befreundete Staaten, ohne Kritik ausgesetzt zu werden.
Selbiges gilt für das nunmehr befreite Tunesien, das unter seinem Potentaten Ben Ali im Democracy Index 2010 mit Platz 144 noch hinter Ägypten landete. Im Verzeichnis über die weltweite Pressefreiheit erreichte es gar nur Platz 164 von 178, Ägypten war immerhin noch auf Platz 127 gelandet, 13 Stellen vor Russland und fünf vor dem israelischen Siedlungsgebiet im Westjordanland. Mubarak mag vielleicht nicht gerade der Musterknabe für Anitkorruption sein und Ägypten mag im Weltkorruptionsindex mit Platz 98 von 178 noch hinter Tunesien (Platz 59) liegen, aber dass sich die Gattin eines Präsidenten von den Behörden sämtliche Geschäfte über der Höhe von 500.000 Dinar (ca. 250.000€) melden ließ, um daran mitschneiden zu können, dürfte sogar für den arabisch-nordafrikanischen Raum eine Einmaligkeit gewesen sein. Leïla Trabelsi hat sich vor ihrer Abreise aus Tunesien mit 1,5 Tonnen Gold getröstet. Hungern wird sie daher wohl auch im Exil nicht müssen. Ihr Gatte Zine el-Abidine Ben Ali hatte sich 1987 unblutig an die Staatsspitze geputscht. Er hat, wie auch Mubarak, einen militärischen Hintergrund und gute Verbindungen zur CIA. Tunesien stützte sich außenpolitisch wesentlich auf seine ehemalige Kolonialmacht Frankreich, die bereits diverses Sicherheitsmaterial bereit gestellt hatte, um es zur Unterstützung Ben Alis auszufliegen. Offensichtlich hat man es sich dann doch anders überlegt. Am Ende war Frankreich nicht einmal mehr bereit die Familie des gestürzten Diktators aufzunehmen. Zurzeit befindet er sich angeblich in Saudi-Arabien.
Bevölkerungspyramide Tunesiens (2005) |
Die Ursachen für die Revolte in Tunesien, die sich nunmehr auf Ägypten, aber auch auf den Jemen ausgebreitet hat, sind vielschichtig: Fast 24% der Bevölkerung sind unter 14 Jahre alt. Die Arbeitslosigkeit bei den Jungen beträgt über 30%, in Ägypten sind es sogar 80%. Das Durchschnittsalter in Tunesien beträgt etwa 28 Jahre, in anderen Staaten der Region ist die Situation ähnlich. Die niedergeschlagene Revolution im Iran wurde ebenfalls von einer zum Teil gut gebildeten aber perspektivenlosen jungen Generation vorangetrieben. Die Korruption und Vetternwirtschaft wirken als weitere Katalysatoren. Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten über das Internet und die Berichterstattung von Al Jazeera tragen ihr Übriges bei, weshalb Ägypten mittlerweile sowohl das Internet, als auch den Empfang von ausländischen TV-Sendern eingestellt hat. Wie verzweifelt die jungen Menschen in diesen Staaten sind, zeigen auch die Selbstverbrennungen, die in Tunesien die Revolution zusätzlich angeheizt haben. Ein weiterer Auslöser waren die steigenden Lebensmittelpreise. Die internationalen Finanzmarktjongleure, die in den letzten Monaten die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe trieben, haben also - mit Sicherheit unabsichtlich - etwas Gutes mitverursacht.
Die Frage, die sich nun alle stellen, lautet: Wie weit wird sich der Atem der Revolution über die Region ausbreiten? Es steht zu vermuten, dass zumindest Ägypten noch fallen dürfte. Als relativ stabil kann man die Rentenstaaten in der Golfregion betrachten, die fähig sind ihrer Bevölkerung einen höheren Lebensstandard über Rohstoffeinnahmen zu finanzieren. Dazu zählt neben Saudi-Arabien (Democracy Index Platz 160), Kuwait (DI 114), Bahrain (DI 122), Katar (DI 137), den Vereinigten Arabischen Emiraten (DI 148) und Oman (DI 143) auch Libyen (DI 158). Fraglich scheint mir dies aber für jene Systeme, die zwar rohstoffreich, aber nicht fähig oder nicht Willens sind, diesen Reichtum nach unter weiterzuleiten. Eines der korruptesten Regime der Region, Algerien, hat eine Jugendarbeitslosigkeit von 20-30% und das trotz seines Öl- und vorallem Gasreichtums. Als stabil einzuordnen sind wohl auch die Monarchien Marokko (Press Freedom Index Platz 135, Corruption Percepcion Index Platz 85, Democracy Index Platz 116) und Jordanien (Press Freedom Index Platz 120, Corruption Percepcion Index Platz 50, Democracy Index Platz 120), die trotz relativer Rohstoffarmut und ähnlicher Probleme wie ihre Nachbarstaaten, eine verhältnismäßig offene Politik fahren und deren Herrscherhäuser - nicht zuletzt durch ihre direkte Abstammung vom Propheten Mohammed - in der Bevölkerung höhere Legitimität genießen, als Langzeitdiktatoren wie Mubarak und Ben Ali.
Es wäre unseriös zu behaupten, dass irgendjemand zurzeit verlässlich sagen kann, wie sich die Situation im arabisch-nordafrikanischen Raum weiter entwickelt. Kandidaten für einen Umsturz gäbe es jedenfalls genug. Müsste ich sie, nach der Wahrscheinlichkeit eines Regimewechsels geordnet aufzählen, wären dies: Ägypten, Jemen (DI 146), Algerien (DI 125), Sudan (DI 151) und Syrien (DI 152). Ob sich die Völker in diesen Staaten auch wirklich die Freiheit erkämpfen können, hängt auch davon ab, ob der Westen seine Solidarität mit den dortigen Diktatoren bricht und ob diese bereit sind das Feld zu räumen oder ob sie sich notfalls mit Waffengewalt behaupten wollen. Wie nervös die derzeitigen Vorgänge andere Regime machen, wird etwa dadurch deutlich, dass China die Internetsuche nach „Ägypten“ mittlerweile unterbunden hat. Ein Kommentator meinte kürzlich, dieses Jahr könnte das 1989 des arabischen Raumes werden. Auch wenn das verfrühte Euphorie gewesen sein mag: Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
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