Die Österreichische Volkspartei hat es zurzeit schwer. Ihre Mandatare fangen plötzlich an mit Behindertenausweisen von verstorbenen Verwandten zu parken, sich an falsche Lobbyisten zu verkaufen oder mit Spesengeldern private Schulden zu tilgen. Sowas gibt schlechte Presse und schlechte Presse ist im politischen Geschäft meist tödlich.
Dabei startete die Zweite Republik so verheißungsvoll für die Konservativen. Die Schrecken des NS-Regimes ließen die Leute den von den Christlichsozialen losgetretenen Bürgerkrieg des Jahres 1934 schon fast vergessen. Man gab sich einen neuen Namen und behielt das alte Personal, nannte sich jetzt aber antifaschistisch und demokratisch. Wie aus der „United Fruit Company“ plötzlich „Chiquita“ wurde, entstand so aus den Trümmern der austrofaschistischen „Vaterländischen Front“ die ÖVP. Der gelang es in den darauf folgenden ersten freien Wahlen von 1945 auch prompt die absolute Mehrheit zu erlangen. Weil die Zeichen aber nach wie vor auf Krise standen und man auch noch immer die Russen im Land hatte, hielt man es für besser die Konzentrationsregierung mit der SPÖ und der KPÖ aufrechtzuerhalten. Der folgten dann große Koalitionen und eine mäßig erfolgreiche ÖVP-Alleinregierung die letztendlich weniger an der Bigotterie ihres Kanzlers Josef Klaus oder dem antisemitischen Wahlkampf der ÖVP - gegen den aus jüdischem Hause stammenden Bruno Kreisky wurden Klaus-Plakate mit dem Schriftzug „Ein echter Österreicher“ affichiert - sondern vielmehr an ihrer Steuerpolitik scheiterte. Zumindest war es die erste Regierung, in der mit Grete Rehor eine Frau vertreten war. Weil der Österreicher es aber nicht mag, wenn sein Bier teurer wird, konnte Kreisky nach der Niederlage der ÖVP zunächst eine Minderheits- und dann folgend drei Alleinregierungen bilden.
Der medienaffine Kreisky machte es den ÖVP-Obmännern nach Klaus schwer sich in Szene zu setzen. Weniger gnädige Beobachter würden sagen, er spielte sie gekonnt an die Wand. Außerdem war die Volkspartei ohnehin damit beschäftigt katholisch zu sein und ihre jeweiligen Vorsitzenden nach kurzen Amtszeiten wieder abzusägen. Dem Strafrechtsreformpaket wurde 1973 und 1974 die Zustimmung verweigert, weil es die Fristenlösung und damit die teilweise Straffreiheit für Schwangerschaftsabbrüche beinhaltete. Die ÖVP blieb konservativ und beschränkte sich auf die Arbeit in den Bundesländern, wo man das Swingtanzen verbot oder der Prostitution zuleiberückte.
Erst das Ende der Kreisky-Ära und der Haider-bedingte Kollaps der rot-blauen Koalition 1986 brachte die ÖVP nach 16 Jahren wieder zurück an die Regierung. Es folgten große Koalitionen unter wechselnden Vorsitzenden und schließlich das bejubelte schwarz-blaue Experiment, mit dessen korrupten Nachwehen vor allem der schwarze Part zurzeit zu kämpfen hat.
Jetzt finden sich die Christlichsozialen wieder in einer Zwangskonstellation mit der SPÖ, die beide Partner nicht wollen, aber an die die Roten gebunden sind, weil sie mit den Grünen keine Mehrheit haben und mit den Blauen nicht können und in der sich die Schwarzen gebunden fühlen, weil es mit den Grünen auch nicht geht und sie mit den Blauen - derzeit - nicht wollen. Hier liegt auch schon der Hund und mit ihm der größte politische Joker der ÖVP begraben: Die rechtspopulistische FPÖ ist für sie kein Tabu, was sie in der Vergangenheit ja schon bewiesen hat, aber sehr wohl für die SPÖ. Das Erpressungspotential, das sich daraus ergibt ist enorm und führt zum permanenten Einbrechen des eigentlich größeren Koalitionspartners. Wesentliche Reformen sind daher bisher am Widerstand der Volkspartei gescheitert:
- ein schärferes Korruptionsgesetz
- die Offenlegung der Parteispenden
- ein modernes Beamtendienstrecht
- die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten
- die Schulreform
- die Gleichstellung von eingetragenen Partnerschaften und Ehen
- die Schaffung eines Berufsheeres
- die Pflichtkarenz für Väter,
- das Minderheitenrecht auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen
- sogar die Einführung von Fahrradstraßen scheiterte am Unwillen der ÖVP
Jetzt hagelt neben der üblichen Kritik an der sogenannten Beton-Fraktion - bestehend vor allem aus dem Bauernbund und ÖAAB-Chef Neugebauer - auch noch die Häme über die Korruptionsskandale in Brüssel auf die Schwarzen ein. Die geben sich verwundert. Wer hätte auch ahnen können, was Ernst Strasser für ein Charaktertyp ist? Und die Tatsache, dass Erwin Pröll einen Herrn Grasser unbedingt zum Vizekanzler machen wollte, ist schon längst vergessen. Die ÖVP hat ein grundsätzliches Problem und das ist ihre Systemverflechtung auf breiter Ebene. Die Gliederung in diverse Bünde, weniger als Vorfeldorganisationen, sondern vielmehr als konstitutive Elemente, macht sie unter allen Parteien sicherlich zu jener mit dem heterogensten Politikfeld. Sie muss, die Bauern, die Wirtschaft, die Besserverdiener und die Beamten bedienen. In der Realität des politischen Alltagsgeschäfts heißt das, dass der Traktordiesel billig bleiben muss, es weiterhin den gesenkten Mehrwertsteuersatz auf Abhofverkäufe zu geben hat, für Bauern viel niedrigere Beiträge zu den Sozialversicherungen fällig werden, Agrarförderungen weiterhin üppig auszufallen haben, ein freundliches Beamtendienstrecht nicht geändert werden darf, die Stiftungssteuer niedrig sein muss, Erbschafts- und Schenkungssteuer tabu sind und nur umweltpolitische Konzessionen, die die Industrie nicht belasten zustandekommen dürfen.
Manchmal kollidieren diese Interessen auch, zum Beispiel, wenn der ÖAAB (Arbeitnehmerbund) für und der Wirtschaftsbund gegen etwas eintritt. Meist gewinnt dann der Wirtschaftsbund, auch wenn der ÖAAB die meisten Mitglieder hat. Denn der größte Batzen für die Wahlkampfkosten der Partei kommt nicht aus dem Säckel der Arbeitnehmer. Die Verflechtung mit der Wirtschaft ist es natürlich auch, die die ÖVP dann so Anfällig für Lobbyingattacken macht. Wer will schon einen roten Wirtschaftsberater einstellen? Wirtschaftspolitik ist neben der Agrarpolitik in Wahrheit das Kerngeschäft der ÖVP. Dafür wird manch anderes hintangestellt. Schon der Wirtschaftskammer-Slogan „Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut.“ spricht Bände. Wenn das Mittel zum Selbstzweck erhoben wird, endet das meistens nicht gut, aber der Einfluss der Wirtschaft in der ÖVP ist enorm bis überwiegend. Allein vier Nationalratsabgeordnete der ÖVP sind auch für Raiffeisen tätig. Größere Wirtschaftsbetriebe halten schon fast grundsätzlich Kontakt zur Volkspartei, auch über Spenden. Spätestens seit Schwarz-Blau sind auch die meisten staatsnahen Betriebe mit ÖVP-Funktionären und Günstlingen voll besetzt. Es ist daher leichter über einen einigermaßen prominenten schwarzen Funktionär Einfluss auf sehr viele Bereiche zu erhalten, weil er das weitreichende ÖVP-Netzwerk nutzen kann, als über den Vertreter irgend einer anderen Fraktion. Kaum eine Partei ist daher auch so anfällig für Korruption.
Die ÖVP leidet unter diesen Zwängen und das äußert sich nicht gerade positiv. Nach Umfragen liegt sie in der Wählergunst derzeit auf Platz drei hinter FPÖ und SPÖ. Sie ist im Vergleich mit der deutschen CDU oder der Schweizer CVP mit Sicherheit die konservativste Partei unter den christlichsozialen. Manchmal fällt sie sogar hinter die CSU zurück. Wenn etwa gleichgeschlechtliche Verpartnerungen nicht auf den Standesämtern geschlossen werden dürfen, weil das Maria Fekter zu weit ginge oder wenn selbige meint, sie könne sich Barbara Rosenkranz vor allem deshalb nicht als Staatsoberhaupt vorstellen, weil ihre Kinder nicht getauft seien, wirkt das verdammt gestrig.
Neben ihren dauernden und systemisch bedingten inneren Streitigkeiten wird sich die ÖVP daher wohl früher oder später auch die Richtungsfrage stellen müssen. Ob eine Partei, die bei Wahlen Kandidaten aufstellt, die - wie Dr. Gudrun Kugler-Lang - dazu aufrufen gegen Homosexualität zu beten, weil das „Schwulen-Propaganda“ vorbeugen könne, die die Gesamtschule aus ideologischen Gründen ablehnt (ich tue es aus anderen), die sich hinter dem Amtsgeheimnis verschanzt und Transparenz als Gefahr wahrnimmt, die jede Art von Frauenförderung grundsätzlich kritisch sieht und die sich kein Berufsheer vorstellen kann, noch den Anforderungen einer modernen Gesellschaft entspricht, hat letztlich das Wahlvolk zu entscheiden. Mit ihrem Klientelismus und der Korruptionsanfälligkeit steht die Österreichische Volkspartei sicherlich nicht alleine da, aber ihre derzeitige Krise hat sie nur sich selbst zuzuschreiben.
„Conservatives define themselves in terms of what they oppose.“ George Will
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