Donnerstag, 3. Mai 2012

Der Wiederholungstäter, oder: die kranke Welt des Gottfried Küssel

Der gedrungene Herr mit dem Hut und dem stechenden Blick wirkt ein wenig, als hätte er sein bisheriges Leben auf der dunklen Seite des Mondes verbracht. Bleich und ausdruckslos blickt er zumeist in die Kameras, wahrscheinlich soll das kämpferisch wirken. Einst bezeichnete er Adolf Hitler „als einen der größten Männer in der Geschichte Deutschlands“, verlangte die Wiederzulassung der NSDAP als Wahlpartei und wollte den österreichischen Staat „zertrümmern“, jetzt sitzt er in Untersuchungshaft. Am 14. Mai wird sich der mehrfach vorbestrafte Neonazi Gottfried Heinrich Küssel erneut wegen Verbrechen nach dem Verbotsgesetz vor einem Geschworenengericht verantworten müssen. Es wird ihm vorgeworfen einer der Betreiber der rechtsradikalen Homepage „Alpen-Donau.info“ gewesen zu sein. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Dabei hatte die rechte Karriere des Sohnes eines niederösterreichischen Hofrates so glänzend angefangen: Nach Abstechern in diverse Burschenschaften, Hooligan-Szenen und sonstige rechte Randgruppierungen, hatte er 1986 die „Volkstreue außerparlamentarische Opposition“ (VAPO) gegründet. Die, so sollte der Oberste Gerichtshof später feststellen, machte es sich unter anderem zum Ziel „die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Republik Österreich zu untergraben“. Küssel organisierte regelmäßige Veranstaltungen, darunter auch Wehrsportübungen, und ernannte „Gauleiter“ für ganz Österreich. Das Tagebuch der Anne Frank bezeichnete er als eine von Juden erfundene „Lüge“ und „Fälschung gegen das deutsche Volk“. Mit seinen Anhängern fuhr Küssel ins KZ Sachsenhausen und errichtete eine hölzerne Gedenkstätte für die dort tätigen Mitglieder der SS. Der Falter berichtete, er sei auch in Theresienstadt gewesen, wo er „sehr gelacht“ habe.

Küssels Lebensweg zeichnet das Sittenbild eines Vollblutnazis. Bei ihm gibt es kein herumlavieren, nicht einmal eine Relativierung, er ist ein zu tiefst überzeugter Holocaustleugner, Nazi und Rassist. Als geistiges Kind der 30er Jahre erstaunt er nur insofern, als dass ihm bisher keine konkreten terroristischen Ambitionen nachgewiesen werden konnten.

Vor den Briefbombenanschlägen des Franz Fuchs, genoss die rechte Szene in den 80ern und Anfang der 90er noch Freiheiten, die ihr später durch die Verschärfung des Verbotsgesetzes mit der Novelle von 1992 nicht mehr zur Verfügung standen. Zu dieser Zeit bewegte sich auch der spätere FPÖ-Chef Strache im Milieu um die Neonazis Burger und Küssel. Erst durch das immer aggressivere Auftreten der Rechten, sah sich der Staat gezwungen die Gesetzeslage zu verschärfen beziehungsweise auch im Hinblick auf die polizeiliche Vorgehensweise härtere Bandagen anzulegen.

Im Klima der staatlichen Untätigkeit machte auch Küssel zunächst Karriere. Die deutsche Ikone der Ewiggestrigen Michael Kühnen - der später an AIDS verstarb - ernannte ihn 1987 zum „Bereichsleiter Ostmark“. In der Folge wurde er neben Norbert Burger zu einer der zentralen Führungspersonen der äußersten Rechten in Österreich. Nach Kühnens Verhaftung packte Küssel dann vollends der Größenwahn. Er versuchte zunächst die Kontrolle über die deutsche Neonaziszene zu übernehmen, scheiterte dabei jedoch. Schließlich gab er im Dezember 1991 den Fernsehsendern „Tele 5“ und „ABC“ Interviews, in denen er nicht nur seine Sympathie für Hitler kundtat, sondern auch ankündigte, er wolle die VAPO in NSDAP umbenennen und dann versuchen über Nationalratswahlen an die Macht zu kommen. Sollte dies nicht gelingen, strebte er - so die spätere Feststellung des OGH - an „mit einem Putsch die österreichische Regierung zu stürzen, die rechtsstaatlichen Einrichtungen auszuschalten und die Macht in Österreich zu ergreifen.“ Im Jänner des Folgejahres legte er in einem weiteren Interview mit „ABC-News“ nochmals nach. Auf die Frage, ob er einen zweiten Holocaust anstrebe, antwortete er:
„Ich glaube nicht an den ersten“ - Küssel OGH/13Os4/94
Dem ORF sagte er schließlich, er sehe sich als Nationalsozialist. Weil 1992 aber nicht mehr 1938 war, wurde es der Republik irgendwann doch zu bunt. Küssel hatte die lange Zurückhaltung des österreichischen Staates fälschlicherweise als Schwäche interpretiert. Diese Einschätzung und seine Dreistigkeit wurden ihm nun zum Verhängnis. Er wurde verhaftet und wegen des Verbrechens der nationalsozialistischen Wiederbetätigung vor Gericht gestellt. Die Geschworenen befanden ihn für schuldig, das Strafmaß wurde auf zehn Jahre Haft festgesetzt. Der erste Prozess wurde später wegen Verfahrensmängeln vom OGH in Teilen aufgehoben, im zweiten Anlauf verschärfte sich das Strafmaß dann auf elf Jahre. Seine VAPO-Organisation wurde zerschlagen, einige seiner Mitstreiter mit ihm der Gerechtigkeit zugeführt. Der braune Traum des Gottfried K. war vorerst ausgeträumt.

Küssel wurde 1999 vorzeitig wegen „guter Führung“ entlassen, danach wurde es für einige Zeit still um ihn. Er nahm an der Sonnwendfeier der „Österreichischen Landsmannschaft“ teil und man sichtete ihn an den Gräbern der NS-Schergen Walter Nowotny und Otto Skorzeny. Öffentlich zu sprechen begann er erst wieder 2007 beim „Fest der Völker“ im deutschen Jena. In Leipzig beschwerte er sich 2009 über den  „Genozid des deutschen Volkstums in Österreich“, weil nur noch 4,3% der Österreicher gerne Deutsche wären. Zwischendurch kam Küssel immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. 2005 wurde er wegen illegalen Waffenbesitzes verurteilt, die Behörde hatte über ihn wegen seiner Vorgeschichte bereits 1982 ein absolutes Waffenverbot verhängt. 2010 wurde er angezeigt, weil er mit „Kammeraden“ in einem Lokal den Hitlergruß gezeigt und die Lokalbesitzerin verprügelt hatte.

Schließlich wurde Gottfried Küssel im April 2011 im Zuge einer Razzia erneut verhaftet. Die Aktion war durch Journalisten der Kronenzeitung gefährdet worden, die bereits vor dem Eintreffen der Cobra mit Kameras vor Küssels Wohnhaus gewartet hatten.
Er steht im Verdacht im Verein mit anderen Rechtsextremen die neonazistische Webseite „Alpen-Donau.info“ betrieben zu haben, die auch durch den damaligen freiheitlichen Abgeordneten Werner Königshofer mit Informationen versorgt worden war.

Küssel ist ein Überzeugungs- und ein Wiederholungstäter. Wer einmal die Auslöschung der Juden bezweifelt und jene Österreichs gefordert hat, wird von dieser braunen Agitationsdiarrhö so schnell nicht abweichen. Man wird sich auch schwer tun, in Österreich einen überzeugteren Neonazi zu finden als ihn. Was Küssel gerne wäre, ist er in Wahrheit aber nie gewesen: Eine Gefahr für den Bestand der Republik Österreich. Sein Deutschnationalismus und paranoider Rassismus sind höchstens geeignet, andere zu verhetzen oder im Untergrund als ideologische Batterie jener Neonaziszene zu dienen, die als geistiger Fußpilz der Gesellschaft nur in den verrauchten Vereinsstuben von Landsmannschaften und dem Bierdunst rechtsextremer Burschenschafterbuden überlebt. Da Herr Küssel aber offenbar nicht gelernt hat, was es heißt, einem antifaschistischen Rechtsstaat ans Bein zu pinkeln, wird er wohl neuerlich Gelegenheit erhalten mit dem Gefangenenhaus in der Josefstadt den einzigen Ort aufzusuchen, an dem er zu guter Führung fähig ist.

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