Donnerstag, 18. Oktober 2012

Brüssel, of/ou/oder: die Götter hassen mich


Insgeheim glaube ich ja, es muss sowas wie einen unsichtbaren Reisekobold geben, der sich mir auf die Schultern setzt, sobald ich mich anschicke irgendwo hinzufahren. Unter all den Schrecklichkeiten, die mir bislang bei solchen Gelegenheiten passiert sind, reiht sich mein kürzlicher Brüsselaufenthalt an erster Stelle ein. 

Wenn ein Ministerium einen freien Dienstnehmer nach Brüssel schickt, um dort die Republik Österreich zu vertreten, läuft das so ab: Man bucht einen Flug, den zahlt gnädiger Weise das Haus, den Rest soll man selber vorstrecken und bekommt es dann bestenfalls später zurück. Abgesehen von der Petitesse,  dass sich der Staat in intergouvernementalen Organisationen von jemandem vertreten lässt, der nicht einmal bei ihm angestellt ist, bleibt für den Betroffenen natürlich auch das finanzielle Risiko. Weil vor einiger Zeit ein Attaché in Brüssel ausgeraubt und zusammengeschlagen wurde, hielt ich es daher für angebracht nicht mit tonnenweise Bargeld durch jene Ansammlung von Abbruchhäusern zu marschieren, die sich Hauptstadt Europas nennt. Deshalb nahm ich, da mir das Ministerium keine Kreditkarte stellt und ich privat keine besitze, meine Bankomatkarte mit nach Belgien. Die hatte mir ja schon in Norwegen gute Dienste geleistet.

Ich flog also am späten Montagnachmittag mit einer klapprigen Fokker der AUA - seit Kollektivvertragszwangsumstellung  „operated by Tyrolean“ - in der schon Kreisky hätte sitzen können, nach Brüssel. In den Armlehnen waren zugeklebte Aschenbecher eingelassen. Der Himmel war bewölkt. Das erste was ich wieder unter mir sehen konnte war Deutschland. Auch wenn der Flug im weiteren Verlauf problemlos verlief, ging die Reise für mich von da an bergab. Überall Wälder, Felder und ein paar stinkende Dörfer. Mir fiel Tactitus ein: Wer würde schon da hinziehen wollen „es sei denn, es wäre seine Heimat?“

Nach der Ankunft blieb meiner Bankomatkarte bereits die erste potentielle Anwendungsmöglichkeit versagt. Die Ticketautomaten für den Zug vom Flughafen nach Brüssel, die Aussahen als hätte man sie kurz vor dessen Unabhängigkeit noch aus dem Kongo hergekarrt, nahmen nur Bares. Außerdem waren zwei von dreien defekt und bis das Wechselgeld kam, hätte schon ein zweiter sein Ticket kaufen können. Erzählen Sie mir jetzt übrigens bitte nicht, ich hätte den Bus nehmen sollen. Der fährt ins Zentrum ich musste nach Brüssel Zuid/Midi, was mich zum nächsten Thema bringt: Die anfangs sehr sympathisch und kosmopolitisch wirkende Zweisprachigkeit geht einem früher oder später gewaltig auf die Nerven, insbesondere wenn man weder Französisch, noch Niederländisch spricht. Jede Durchsage, jedes Straßenschild, überall: Parität. Zuerst „chä-chö-chui“ dann „schua-schuö-schiu“. Am Flughafen ist es noch schlimmer, weil da auch noch auf Englisch durchgesagt wird. Der ist auch insgesamt eine Zumutung. Man muss einen Halbmarathon rennen, um vom Flugzeug zum Ausgang und vice versa zu kommen. Dann stehen da überall Manneken Pis Figuren oder Bilder von Manneken Pis. Sogar auf den Getränkeautomaten sieht man den Knilch, wie er auf eine Cola-Flasche uriniert. Für die Belgier ist diese Figur offenbar Mozartkugel, Lipizaner und Edelweiß in einem. Die dünne Suppe der belgischen Identität scheint ausschließlich auf Fritten, Waffeln und dem Brüsseler Brunzzwerg aufzubauen.

Erst nachdem ich ein gefühltes Dutzend Mannekens und ein recht ironisch wirkendes Werbeplakat für die „Innovationsregion Wallonien“ passiert und vom Fahrkartenautomat aus König Leopolds Zeiten ein Billet erstanden hatte, konnte ich mich in den 80erjahre-Vorortezug setzen, der dann nach Brüssel tingelte. Dort angekommen musste ich feststellen, dass die fünf Schotten, die ich am Flughafen gesehen hatte, keine exotischen Ausnahmen waren. Brüssel sah sich vielmehr einer kaledonischen Invasion gegenüber. Mehr Röcke als im Mädcheninternat und mehr Tartans als in Aberdeen. Weil ich mit den alkoholisierten Kiltträgern nicht in näheren Kontakt treten wollte, beschloss ich mein Ticket für die Öffis - der Automat hatte meine Karte nicht akzeptiert - mit dem zu bestellen, was ich für Französisch hielt: „Ö Billee puur dieß woiasch, sie wu plee“ Der migrantische Fahrkartenverschleißer sah mich etwas schief an, hatte aber scheinbar verstanden. Die folgende Fahrt zum Hotel war einigermaßen problemlos. Fast schockiert betrachtete ich den verwahrlosten Zustand der Metropole. Überall heruntergekommene Häuser, leere Fabriken mit zugemauerten Fenstern und Bauruinen. Dagegen wirkt der zehnte Wiener Gemeindebezirk wie ein Nobelviertel.

Im Hotel angekommen erklärte man mir unumwunden: Cash oder Kreditkarte. Nun ist das international sicherlich üblich, aber Sie müssen mir die Unkenntnis dessen nachsehen, denn es war das erste Mal, dass ich allein in ein Hotel eincheckte. Obwohl - wie ich später herausfand ich ohne weiteres auch mit einer funktionierenden Bankomatkarte hätte bezahlen können - machte ich mich also auf den Weg, um in der vom Portier beschriebenen Richtung einen Bankomaten zu suchen. Zehn Minuten Fußmarsch später warf das erste Gerät meine Karte als nicht berechtig aus, beim zweiten verlief es nicht besser. Ich beschloss die Notfallnummer der Bank anzurufen. Da ich Kunde einer regionalen Sparkasse bin - hören Sie auf „selber schuld“ zu denken - war die Nummer in meinem Fall jene der Erste Bank. Die wirklich sehr bemühte und freundliche Dame am anderen Ende teilte mir aber mit, sie könne mir bei Kooperationsbanken nur bedingt helfen. Ob sie mir eine neue Karte nach Brüssel schicken solle? Für einen zweitägigen Aufenthalt und eine sofort fällige Hotelrechnung genauso ungeeignet, wie der Vorschlag meines Herrn Papa mir Geld postalisch anweisen zu lassen. Als sie am Ende auflegte, klang die Telefonistin verzweifelter als ich. Zurück im Hotel versuchte ein anderer Portier zunächst fünf Mal meine Karte zu reinigen und sie dann in das Zahlgerät des Herbergsbetriebs einzuführen - kein Ergebnis. Mein Vorschlag die Summe per E-Banking anzuweisen und vor Ort eine Bestätigung auszudrucken, musste erst mit dem nicht auffindbaren Manager besprochen werden. Nach eineinhalb Stunden war ich mit meiner Bitte endlich durchgedrungen. Ich durfte am Hotelcomputer im Foyer mit Münzeinwurf eine Netbankingtransaktion durchführen. Dann ging der Drucker nicht - zurück zur Rezeption. Neuer Versuch - jeder Kostete einen Euro - wieder nix. Dann kam ich auf die Idee einen anderen Drucker zu wählen: tada. Sieben Euro und eine Kopie meines Passes, mit handschriftlicher Versicherung ich würde bezahlen, wenn die Transaktion nicht ankomme, später durfte ich endlich auf mein Zimmer. 

Natürlich war der erste Lift defekt und der zweite kam nicht, weil der erste im Erdgeschoss stand. Nach sechs Stockwerken Fußmarsch stand ich schließlich vor meinem Zimmer mit einer Karte, die selbiges nicht aufschloss. Ich gebe freimütig zu, dass dies der Augenblick war, in dem mein Blut den Siedepunkt erreichte. Dreimal tief durchatmen, zurück ins Foyer. Der Rezeptionist buchte die Karte erneut und ging mit mir mit. „Oh zee Elöweitör dosn't wörk!“ Ach wirklich? Gottseidank kam gerade der zweite Lift von oben, die Zimmertüre funktionierte dann auch. Hosanna!

Obwohl es schon nach neun war, beschloss ich wie ursprünglich geplant noch die Innenstadt zu besichtigen, um nicht vollends wahnsinnig zu werden. Pünktlich beim Verlassen des Hotels setzte der Regen ein. Und in der Innenstadt: Besoffene Schotten wohin das Auge reichte. Die Verwandtschaftsgrade musste man gar nicht am Kiltmuster ablesen, man konnte es am Gegröle hören. In einem kleinen Geschäft kaufte ich mir ein Cola - es schmeckte übrigens nicht nach Manneken Pisse - und suchte verzweifelt nach einem Haarspray. Lachen Sie mich nicht aus. Ich wollte mein Gepäck nicht einchecken und ins Flugzeug darf Haarspray nicht mit und weil meine Frisur aussieht, als wär sie keine und mir alle Haare ins Gesicht... Ich muss mich doch für Haarspray nicht rechtfertigen! Der Verkäufer den ich fragte, fuchtelte wild mit dem Armen „No English!“ Er bedeutete mir ich möchte mich bitte an den sprachkundigeren Kollegen wenden. Haarspray? Nein, sowas führe man nicht, sagte der Mann, der vor einem Regal mit fünf Marken Haarspray stand. Ich bedankte mich artig, kaufte Cola und Spray und ging meiner Wege. Zu belgischen Pommes Frittes bin ich leider nicht mehr gekommen. Die einzigen Fritten die ich sah, gab's bei Dönerbuden und konnten kaum als original belgisch eingestuft werden. Für weitere Streifzüge fehlte mir eindeutig der Nerv.

Nach einer unruhigen Nacht auf einer Steinharten Matratze mit Zimmerwänden die so dünn waren, dass ich hören konnte, wenn der Nachbar die Klobrille hochstellte, stand ich zeitig auf um - für mich untypisch - zu frühstücken. Auf einem Schild stand „confiture d'abricots“ meine umfassenden Sprachkenntnisse erlaubten mir festzustellen, dass es sich dabei wohl um Marillenmarmelade handeln müsse. Der Geschmackstest bestätigte diese Vermutung. Beim folgenden Anruf stellte meine Hausbank die wenig überraschende Theorie auf, meine Karte sei just nach ihrer letzten Verwendung in Wien defekt geworden.

Die Sitzung - wegen der ich eigentlich nach Brüssel gekommen war - verlief so fad wie vorgestellt. Vor Beginn konnten sich zwei Mitarbeiterinnen nicht darüber einigen, ob „Former Yugoslav Republic of Macedonia“ nun unter F oder M rangieren sollte. Die Frage wurde dadurch obsolet, dass der FYROM-Delegierte gar nicht auftauchte. Nach der alphabetischen Ordnung saß ich als erster in der Reihe, vor mir das Schild „Austria“. Das bisschen Ego-Pushing konnte ich gut brauchen, denn besprochen wurden großteils nur ermüdende technische Details en masse. Dafür gab's stereotype Ländervertreter zu bestaunen. Ein Franzose mit passendem Hemd, Krawatte (beide Flieder) und Klischeeakzent („Zey äv ä pröblem zzere“), eine Norwegerin die angezogen war wie ein Christbaum, eine frankophobe Belgierin, ein graubärtiger griechischer Selbstdarsteller und eine Spanierin mit Spanglish-Sprachkenntnissen („Sé Infromación está here.“). Der sehr gemütlich wirkende Slowake schwärmte mir in der Kaffeepause vom neuen Wiener Skylink-Terminal - der ja jetzt so wie das AKW Sellafield irgendwie anders heißt - vor, woraufhin ich ihm die Funktionsweise des österreichischen Proporzsystems erklären musste, bei dem ein Roter und ein Schwarzer, die beide keine Ahnung haben, zusammen eine Milliarde in den Sand setzen. In der Mittagspause - es gab belegte Brote - erzählte mir die knapp 30-jährige Spanierin sie sei pragmatisiert und fragte mich nach meinem Arbeitsverhältnis. Ob denn die Krise in Österreich so schlimm sei, wollte sie nach meiner Erklärung wissen. Wir müssten ja schließlich, so meinte ich milde, auch für andere haften.

Nach sieben Stunden Wichtigtuerei warf ich mich in die U-Bahn und dann in den Flughafenzug, der nach wenigen Minuten wieder stehen blieb. Technisches Gebrechen - mindestens 20 Minuten Verspätung, soviel konnte ich aus dem flämisch-wallonischen Kauderwelsch heraushören. Gottseidank war ich früh genug dran, um dann auch noch den Flughafenmarathon, die 20 Minuten Wartezeit vor der Sicherheitskontrolle und die intensive Abtasterei durch das Security-Personal überstehen zu können, bevor mich die AUA samt Donauwalzer wieder nach Wien brachte.

Am Tag darauf behob ich wieder problemlos Geld mit der angeblich defekten Karte. Sie dürfen sich das E-Mail, das meine Bank erhalten hat, in den buntesten Farben ausmalen. Das vermaledeite Brüssel hat mich in zwei Tagen die Lebensenergie von Jahren gekostet. Wie schön war dagegen doch Leobersdorf…