Sonntag, 28. Februar 2010

Die Technik und ich, oder: Wie ein Stein das Schwimmen lernt.

Als vergleichsweise junger Mensch bin ich es gewohnt mit Demenzkranken und Osteoporosepatienten in ein Eck geschoben zu werden, denn trotz meiner verhältnismäßig frischen Erscheinung bin ich ein Technikdinosaurier. Das Hohngelächter meiner Mitschüler, als ich versuchte eine E-Mailadresse in das Internetsuchfenster - Heißt das überhaupt so? - einzugeben wird mir noch lange in den Ohren klingen. Immerhin gehöre ich aber zu einer Netzgeneration die noch mit Netscape Navigator 3 gesurft hat.

Als ich zum studieren nach Wien kam und das erste Mal ohne Unterstützung und mit einem eigenen Computer auf das Internet traf, hatte ich nicht wirklich eine Ahnung von Antivirus Software. Soll heißen, ich hatte auf meinem Laptop die Gratissoftware von Norton installiert und natürlich verlangte die nach absehbarer Zeit Bezahlung für ein Update und fing mich an mit Pop-up-Fenstern zu nerven. Also wurde sie kurzum deinstalliert. Als mein Computer dann nach Wochen immer langsamer wurde und mein Bruder mich fragte wann ich das letzte Mal meine Antiviren-Software upgedatet hätte, war er entsetzt ob der Antwort. Freundlicherweise installierte er mir Avira - dem ich mangels Alternative bis heute treu geblieben bin - und saugte mir einige hundert Trojaner, Würmer und anderes Ungeziefer von der Festplatte.

Eine Eigenschaft von mir ist, dass ich es mit der Organisation meines Computers immer ganz genau nehme. Mein Desktop ist nie überfüllt, alles hat einen Ordner, seinen Unterordner und seinen Unterunterordner. Da ich also zwar relativ Kompetenzfrei aber dafür ein Ordnungsfanatiker bin, fiel mir auf, dass mein tolles neues Antivirus-Programm zwar mit der Zeit kaum noch Treffer erzielte, aber dafür immer zwei Warnungen abgab. Da mir das nicht geheuer war entschied ich mich - von niemandem außer mir selbst beraten - die beiden fraglichen Programmpunkte kurzerhand zu deinstallieren. Warnungen des Computers bestätigten mich in der Ansicht, dass es sich dabei um zwei ganz besonders ausgefuchste Viren handeln musste. Dummerweise ließ sich infolge mein Laptop nicht mehr hochfahren. Wäre da nicht einer von den fünf Markusen in meinem ersten Studentenheim gewesen, der schon eine Glatze hatte, sich aber als Informatikstudent dafür hervorragend mit Computern auskannte, das Ding wäre wohl nie wieder angesprungen. Ich hatte nämlich just jenen Teil des Betriebssystems deinstalliert, der für das Hochfahren des Laptops zuständig war. Seitdem ist meine Toleranz gegenüber bloßen Warnungen merklich gestiegen.

Natürlich war und bin ich mit meiner technischen Naivität auch ein leichtes Opfer für die Häme und Schadenfreude meines Bekanntenkreises, allen voran mein Lieblingsexmitbewohner Wolfi, der mich aufforderte doch einmal diese oder jene Tastenkombination zu drücken, woraufhin dann mein Bildschirm schwarz wurde oder sich sämtliche Tabs schlossen. Man merkt vielleicht, dass ich trotz meiner Boshaftigkeit leidergottes auch abseits des technischen Bereiches etwas naiv bin. Ein äußerst unangenehmer Wesenszug. Das ganze paart sich bei mir noch mit einer ordentlichen Portion Tollpatschigkeit, die es mir etwa ermöglicht hat mit einer Bewegung meinen Laptop und meine externe Festplatte gleichzeitig zu vernichten. Das Eine hatte gedroht herunterzufallen, ich wollte es auffangen und schmiss das Andere gleich hinterher. Trotz Platinenriss - was immer das auch sein mag - konnte man zumindest noch die Daten retten.

Der bislang letzte große Fauxpas meiner Informatikkarriere geschah bei meiner Anmeldung auf facebook wo ich unbedarft das Angebot wahrnahm doch weitere Freunde mittels ihrer E-Mailadressen zu suchen. Das Programm verständigte mich aber nicht - wie von mir erwartet - über deren eventuelle Anwesenheit auf dieser Plattform, sondern schickte an ALLE ein Aufforderungsmail, facebook beizutreten und meine Freunde zu werden. Das Ganze wäre ja noch glimpflich verlaufen, hätte es sich auf die Kontakte aus meinem Adressbuch beschränkt, aber dieses Mail wurde an jeden verschickt mit dem ich jemals E-Mailkontakt gehabt hatte, darunter Universitätsprofessoren, Lehrer, Verwandte und der Präsident des Bundesrates. Der tagelange Versuch vor Scham im Boden zu versinken klappte auch dann nicht, als mich mein ehemaliger Klassenvorstand während einer Universitätsveranstaltung in der UNO-City anrief um dankend meine Einladung abzulehnen. Seitdem lebe ich in einer relativen Hassbeziehung mit facebook, dem ich zwar nicht vertraue, das ich aber trotzdem nutze. (Was soll ein mitteilsamer Charakter wie ich sonst auch machen?)

Auch wenn manche jetzt ein mitleidiges Lächeln aufsetzten werden, so kann ich doch vermelden, dass ich mich mittlerweile von der Sonderschule in die geschützte Werkstätte der Internet- und Computernutzer hochgearbeitet habe. Zu meinem eigenen Erstaunen habe ich ohne Hilfe ein Spyware-Schutzprogramm installiert und weiß jetzt - etwas umständlich zwar aber es geht - wie man Musik von YouTube runterladen und auf MP3 formatieren kann. (Was ich - sehr verehrtes Anwaltsteam von Greenberg & Rosen - natürlich nicht mache, da ich mir der zivil- und strafrechtlichen Implikationen illegaler Datentransfers bewusst bin.)

Es ist aber auch so, dass es einem die Technik nicht immer leicht macht. Besonders kleinere Geräte erfreuen sich immer größerer Beliebtheit ob ihrer zigfachen Raffinessen. Aber wer braucht sowas? Das klingt jetzt vielleicht wie die Frage einer Oma, die keine SMS schreiben kann und der die Handytastatur zu klein ist, aber ich meine es ernst. Ich bin stolzer Besitzer eines Musikhandys (Ein NOKIA von dem ich die Nummer nicht mehr weiß, weil sowas ja nie oben steht), nachdem ich an das Vorgängermodell mit einem Multistecker zu hohe Spannung angelegt und es damit in die ewigen Jagdgründe geschickt hatte (Ja, bei mir geht wirklich alles hin). Das Bespielen mit Musik habe ich mehr oder weniger aufgegeben, nachdem mir die schreckliche Beispielmusik als nicht löschbare Systemdatei präsentiert wurde, ich keine Ahnung habe, wie ich auf den Zusatzspeicher zugreifen kann und ich mir die Peinlichkeit der gesamten Umgebung meinen Musikgeschmack präsentieren zu müssen, wenn ich versehentlich die Kopfhörer ziehe, für ein weiteres Mal ersparen möchte. Die interessanteste Einrichtung an diesem Gerät ist schließlich die, dass es zwar über einen Radioempfang verfügt, dieser aber nur mit einer Antenne möglich ist, die man in dieselbe Buchse stecken muss wie die Kopfhörer. Fazit: Radio kann nur laut gehört werden.

Gestern schließlich habe ich mich durchgerungen den Konkursabverkauf der letzten großen heimischen Elektrowarenhandelskette Cosmos zu nutzen, um einen neuen MP3-Player zu erstehen. Gemeinsam mit hunderten anderen Aasgeiern stürzte ich mich auf die Überbleibsel des Inventars und erstand ein Gerät vom Format einer Kleinen Kamera. Die einzige Alternative war rosarot, was selbst mir als eingefleischtem Stilbrecher zu geschmacklos war. Zumindest konnte mein Vater dem Verkäufer, der seit Jänner keinen Lohn mehr gesehen hatte, noch ein Lächeln auf den Mund zaubern, als er mir riet ich solle doch gleich zwei Geräte kaufen, falls meine Mutter wieder mal eines waschen wolle (So nahm das Vorgängermodell sein unrühmliches Ende). Zuhause angekommen musste ich feststellen, dass mein Abverkaufsschnäppchen - 29,99€ abzüglich 20% - eigentlich kein MP3-Player im herkömmlichen Sinne war, sondern vielmehr ein Minicomputer ohne Tastatur. Mein gutes altes Gerät konnte Musik abspielen, Radio empfangen - ohne Antenne und in guter Qualität - und Aufnahmen machen, die zu meinem Ärger nicht immer aufgenommen wurden. Mit dem neuen Teil, das über 262.000 Farben verfügt (Kann der Mensch überhaupt so viele sehen?), kann ich:
- Musik abspielen
- Videos abspielen (mein Wunsch danach, hält sich bei einem 3x4 cm Bildschirm in Grenzen)
- Bücher lesen (Zu meinen diesbezüglichen Intentionen siehe oben)
- Tonaufnahmen machen
- Radio hören
- Bilder ansehen
- und zu meiner grenzenlosen Überraschung auch Spiele spielen, was mich in meine zweite Tetris-Sucht seit Ende der 90er getrieben hat.

Zumindest war die Neuerwerbung um ein ganzes Stück billiger als ihr Vorgänger, der noch 75€ gekostet hatte. (Ja ich merke mir den genauen Preis jeder teuren Anschaffung die ich tätige.) Dafür wechselt die Menüsprache nach jedem mal Ausschalten automatisch auf Japanisch (oder sonst irgendeine Hieroglyphensprache) zurück und ich kann das Gerät nicht wie mein altes einfach anstecken, sondern muss dafür ein USB-Kabel mitführen.

Es lebe die technische Revolution!

Sonntag, 21. Februar 2010

Ein Funken Volkskultur

Die Stimme des Ortsvorstehers leiert ins Mikrofon:
„Wir bitten Sie keine Raketen oder Knallkörper oder sonstige feuerwerksähnliche Sachen im Publikumsring abzulassen.“
Er klingt wie das was er ist: Ein Vorarlberger, der versucht anspruchsvolles Hochdeutsch zu sprechen. Mitunter holpern die Formulierungen, oft wiederholt er sich. „Ganz besonders herzlich“ wird der anwesende Bürgermeister von Feldkirch nebst Gattin begrüßt, der zwischen den einzelnen Funkenveranstaltungen in den sieben Ortsteilen seiner Stadt pendeln muss. In Wahlkampfzeiten eine Herausforderung, da er auch noch Beerdigungen, goldene und silberne Hochzeiter sowie 90jährige Uromas zum Geburtstag aufsuchen muss. Zweimal wird der Ortsvorsteher an diesem Abend die Liste der Sponsoren verlesen: Herberts Dorfmetzg, Bernies Brotlädele, Elektro Böhler („Vielen herzlichen Dank für die besonders großzügige Spende“), Sparmarkt Coni Wurzenberger (Die Lebensgefährtin des Ortsvorstehers), Bickl Transporte („Wer kennt es nicht, das größte Transportunternehmen in Tosters?“), die Baufirma Hilti & Jehle und viele andere die das Pech haben eine Firma zu besitzen und gleichzeitig gesellschaftlich aktiv sein zu wollen. Um die regelmäßige Society-Steuer für Funken und Musik kommt keiner herum.

Es ist Funkensonntag und der Dorfadel feiert sich selbst. Wer in Tosters etwas gelten will muss alteingesessen sein – bei einem Dorf das 995 erstmals urkundlich erwähnt wurde und damit ein Jahr älter ist als Österreich soll das etwas heißen – oder sich vereinsmeierisch organisieren. Am besten ist man ein musikalischer Feuerwehrmann und Funkenzunft- sowie ÖVP-Mitglied.
Der Funken ist altes alemannisches Brauchtum und markiert den Übergang vom Winter in den Frühling. Zum Ärger alle GenderanhängerInnen wird dort Jahr für Jahr symbolisch eine Hexenpuppe auf einem Scheiterhaufen oder Turm verbrannt. Nur Brederis hat heuer erstmals aus politischer Korrektheit auf die Hexe verzichtet – ein Skandal.

Es gibt in etwa so viele Funkenbauweisen wie Dörfer: Während man im Bodenseegebiet häufig Schilffunken vorfindet, sind es im oberen Rheintal eher turmförmige Gebilde aus Holz. Tisis – das Nachbardorf – baut viereckige Funken mit jeweils einer Fichte als Stabilisator in jedem Eck. Tosters baut nach Montafoner Brauch – obwohl das Montafon nicht gerade um die Ecke liegt – einen Sechskantfunken mit einer Fichte in der Mitte. Der Funken ist der zentrale Treffpunkt für das Dorfvereinswesen, allen voran die Funkenzunft, die Ortsfeuerwehr, die Dorfmusik und die Fasnachtzunft, wobei unter allen Vereinen etliche Personalunionen bestehen. Da ist dann der Bürgermeister oft auch Feuerwehrkommandant, Funken- und Kapellmeister. In Tosters sind die Funktionen getrennt und daher bittet Ortsvorsteher Fredi den Kapellmeister Seppel darum mit dem musikalischen Rahmenprogramm zu beginnen. Die Harmoniemusik Tito – benannt nach den beiden Dörfern Tisis und Tosters, die sich eine Kapelle teilen und nicht nach einem jugoslawischen Langzeitdiktator – gibt daraufhin mit nicht nur temperaturbedingt wenig harmonisch klingenden Instrumenten den einen oder anderen Marsch zum besten.

Danach kommt der Auftritt der Funkenhexe, dem dörflichen Moralgericht. Ein weibliches Mitglied der Lokalschickeria wirft dabei in dialektalen Stolperreimen einer Familie vor, sie habe heuer die Weihnachtsbeleuchtung zu lange hängen lassen, der Chef der örtlichen Raiffeisenfiliale wird als Technikdepp entlarvt – er habe mehrfach mit seinem neuen Handy seine eigene Festnetznummer gewählt und sich dann über anonyme Anrufe beschwert – und ein Montessorikindergarten wird als nächtlicher Swingerclub enttarnt (mit der gleichzeitigen Offenbarung, dass eine Muslimin sich geweigert habe sich dort zu entblößen, die habe sicher nicht gewusst um was es gehe). Ausgesparte Pausen für erhoffte Lacher werden vom Publikum mehrheitlich ignoriert und nachdem der poetische Volksgerichtshof mit einem mehr als verhaltenen dreifachen „Funka, Funka hooo“ verabschiedet wurde, kommt der Höhepunkt des Abends.

Ein angesehenes Mitglied der Dorfgesellschaft – heuer der Geschäftsführer der örtlichen Rasenmäherreparaturfirma – darf den Funken mit einer langen Lanze entzünden. Zuvor wurde er von „Funkenmeister Bayer Franz“ (Zit. Himmer Fredy, Ortsvorsteher) eingehend mit Benzin behandelt. Während die Funkenhexe darüber ätzt, dass der Funken im benachbarten Gisingen auch heuer wieder umgefallen sei, ist der Tostner Funken der einzige der innerhalb von zwei Minuten voll in Flammen steht. Bei 18 m Höhe (mit Fichte 25 m) eine stattliche Leistung, die ohne Unterstützung der OPEC so wohl nicht möglich gewesen wäre. Die Hexenpuppe an der Spitze explodiert dementsprechend auch kurze Zeit nach der Funkenentzündung mit einem kriminell lauten Knall und lässt die Trommelfelle der Umstehenden erzittern. Der Turm ist gefüllt mit alten Christbäumen und Sperrholz. Früher, als die blöde Bezirkshauptmannschaft noch nicht so penibel war, stellte der Funken auch die alljährliche Möglichkeit zur Sperrmüllvernichtung dar. Vom alten Kleiderkasten bis zum Autoreifen wurde alles kostengünstig beseitigt. Heutzutage muss umweltfreundlicher gebaut werden, an der Schiefe des Bauwerks kann aber immer noch der Alkoholkonsum der Baumannschaft abgelesen werden. Heuer halten die sich die Kurven in Grenzen, möglicherweise eine Folge der Wirtschaftskrise. Daher fällt der Funken leider auch nicht um, sondern in sich zusammen.

Während der Scheiterhaufen noch brennt laufen überall Kinder mit Gratisfackeln herum und brennen ungefragt Löcher in Jacken und Hosen. Die Handschuhe voll Wachs versuchen einige Nachwuchszündler trockenes Gras, vermischt mit Papptellern und Plastikbechern, zu verheizen. Die gelangweilte Elternschaft steht mit einem „Hexentee“ in der Nähe und lässt Chiara-Jaqueline und Sandro-René gewähren.
Diejenigen, die sich bereits zu Beginn des Spektakels entgegen der Windrichtung positioniert haben – die Deppenkurve – machen sich gleich nach der Entzündung des gigantischen Phallussymbols schleunigst aus dem Staub um sich nicht die Jacken vom Funkenregen perforieren zu lassen. Die Harmoniemusik spielt noch ein Stück und begibt sich dann halb verdurstet zum Wirtschaftsstand. Das musikalische Programm übernimmt eine CD mit Volkstümlicher Schlagermusik. „Er ist ein alter Casanova“ löst „Sie ist die schönste Frau“ ab, die Hintertupfinger Vollspastiker folgen auf die Deppentaler Schürzenjäger.

Das zahlreich anwesende Bildungsprekariat betäubt sich mit reichlich Alkohol und die imbezile Landjugend lässt trotz Warnung des Ortsvorstehers Schweizerkracher im Publikum hochgehen. Da wird’s dann sogar dem Himmer Fredy zu viel und er vergisst sein schönes Hochdeutsch: „Ich bitte noch einmal keine Feuerwerkskörper abzubrennen… und vor allem dia Kindr do hinta ufm Hügl doba, lond des si und konnd sofort aba do!“ Die altersgraue Dorfgestapo berät währenddessen bereits über mögliche Züchtigungsmaßnahmen.
Doch die traditionelle Funkenformation – Wichtige unten, weniger Wichtige in der Mitte und Jugendliche oben am Funkenhügel – löst sich erst auf, als der Wind dreht und das Funkenkarussell beginnt: Jeder flüchtet vor den niederfallenden glimmenden Fetzen und so setzt sich eine kleine Völkerwanderung in Gang.

Nachdem der petroleumbetankte „Biofunken“ (Zit. Himmer Fredy) in Rekordzeit abgebrannt ist wie ein magyarisches Romadorf nach einer Stippvisite der ungarischen Garden, wird das Feuerwerk entzündet. Da der offizielle „Chefpyromane“ (Zit. Himmer Fredy) leider nach einem Unfall in Mexiko im Spital liegt, musste ein anderer übernehmen, der zwar geplant aber nicht angezündet hat, da er nach Spanien musste. Die Positionierung des Feuerwerks kann durchaus als bürgernah bezeichnet werden. Nicht einmal 50 m vom Publikum entfernt starten die Raketen in den Nachthimmel, was für steifen Nacken und taube Ohren sorgt. In der Ferne kann man die Funken im nahen Liechtenstein und den Ketzerfunken in der Hub erkennen. Dieser Dorfweiler hat sich vor Jahren entschieden einen eigenen Funken aufzumachen und verbrennt daher jährlich einen mickrigen Bretterstapel. Verglichen mit dem Tostner Funken darf sich das Hubner Seperatistenfeuer aber fühlen wie ein Japaner der das Pissoire neben einem afroamerikanischen Pornodarsteller benutzt.

Nachdem Verzehr der obligatorischen Funkenwurst oder alternativ von Schüblingen (nein, das sind keine Schubhäftlinge sondern Knackwürste) oder Zizile (auch als Wienerle oder im Osten als Frankfurter bekannt) und eventuell eines Funkaküachles (in Fett herausgebackene mit Staubzucker bepuderte Diätspeise) macht sich der Großteil der Gesellschaft durch Schneematsch und Gatsch auf den Rückweg hinunter ins Dorf. Der harte Kern der Eingeborenen bleibt aber noch wesentlich länger und „verhockt“ dann im Gasthof zum Löwen. Lang lebe die Volkskultur…

Montag, 8. Februar 2010

Der Wiener Opernball, weltberühmt in Österreich.

Die jährliche Ballsaison findet ihren Höhepunkt am Wiener Opernring. Dort wo das Gebäude steht, das von den Wienern liebevoll die Schuhschachtel genannt wird und dessen Architekten bereits vor seiner Eröffnung starben. Einer wurde vom Fieber dahingerafft, ein weiterer - so heißt es - habe sich das Leben genommen, nachdem der Kaiser das Bauwerk als hässlich kritisiert habe. Der alte Franz Joseph sei ob des Konstrukteurssuizids derart bestürzt gewesen, dass er fortan mit seiner allerhöchsten architektonischen Meinung hinterm Berg gehalten habe um allzu empfindliche Künstlerseelen zu schonen. Dort in diesem ehrwürdigen Bau - dem ersten Haus am Ring - steigt jeden Feber der große Wiener Opernball. Und alles was Rang und Namen hat in diesem Land lässt sich blicken, um einmal weltberühmt zu sein - in Österreich.

Der Ball der Bälle beginnt mit einem pompösen Zeremoniell, das eines der letzten Überbleibsel der alten Monarchie darstellt und das zutiefst österreichische Bedürfnis nach Devotionalität befriedigt. Eine laute Fanfare ertönt, die Ballgäste erheben sich in ihren Logen. Nur ein paar Deutsche bleiben sitzen, deren Anstand entweder nicht über ihre Schuhbändel hinausreicht oder die zu lange an Habermas' herrschaftsfreien Irrlehren geschnuppert haben. Die Türe zur ehemaligen Kaiserloge öffnet sich und heraus tritt der Bundespräsident, die rot-weiß-rote Staatsscherpe umgebunden, am Frack prangt der Großstern des Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich.

Danach ertönt die Bundeshymne und schließlich noch „Freude schöner Götterfunken“, um die Europafanatiker im Publikum gnädig zu stimmen.
Dann gehört der Ball den anderen, den Wichtigen und vor allem den Wichtigtuern. Wirtschaftsmagnaten laden internationale Gäste ein, ein Baumeister internationale Busenwunder. Die Seitenblickegesellschaft darf natürlich auch nicht fehlen. Deren Doyenne, die allseits bekannte und beliebte Grand Dame der besseren Wiener Gesellschaft, Jeannine Schiller trägt ein langes Abendkleid und ihre neueste Schönheits-OP zur Schau. Der Staatsoperndirektor - ein Rumäne mit niederländischem Nachnamen - gibt bissige Kommentare von sich und lässt durchblicken, dass er es am liebsten hätte, wenn man den Opernball wo anders feiern würde, um seine schöne Oper nicht zu arg abzunützen. Ein homosexueller Travestiekünstler und eine ausrangierte ZIB-Lady moderieren das Ereignis für den staatlichen Rundfunk. Ganz oben auf der Speisekarte steht natürlich ein Interview mit dem Staatsoberhaupt nebst Gattin, die wieder dasselbe Kleid wie letztes Jahr trägt. Sein Adjutant, ein Generalmajor der Flieger fadisiert sich derweil im Hintergrund.
Dann erfolgt die öffentlichkeitswirksame Bewerbung eines Wiener Gürtelkaufhauses, vorgetragen durch des Baumeisters und Kaufhauseigentümers jährlichen Möchtegernstargast. Dort lispelt dann ein gestresstes Ex-Hollywood-Starlett, das in den späten Achtzigern einmal in einem B-Movie mitgewirkt, oder ein paar Aufenthalte in der Betty-Ford-Klinik hinter sich hat, irgendwelche Sinnlosigkeiten in das Mikro, die der noch gestresstere ORF-Schwule zusammenfassend übersetzt.

Nach einem fatalen Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut, beherbergt die Wiener Staatsoper das größte Ballspektakel der Republik und polarisiert damit zwischen gesellschaftskritischen DemonstrantInnen und gesellschaftlich interessierten Omas, die zuhause vorm TV-Gerät kleben und Dinge sagen wie:
„Mei fesch schauts heit wieda aus die Frau vom Fischer!“ oder „Die Neiche vom Lugner is vielleicht ein ordinäres Gschropp. Und sei Tochter kenntats a scho sei.“

Das billigste am Opernball ist ein Stehplatz für die Generalprobe um 15€. Der gewöhnliche Eintritt zum Hauptevent - ohne alles - kostet dann schon 230€. Für Herren besteht dabei Frackzwang, Damen mögen sich bitte in bodenlange Abendcouture hüllen. In den letzten Jahren ist man diesbezüglich jedoch lax geworden. Hubsi Kramer wäre beinahe als Adolf Hitler verkleidet ins Foyer gelangt und Gerry Keszlers bärtiger Begleiter durfte letztes Jahr auch ohne Frack in die Oper, zumindest trug er ein bodenlanges Abendkleid. Rang- und Bühnenlogen kosten 17.000€, wobei letztere nur mehr an Operngönner vergeben werden, die zusätzlich über 36.000€ pro Jahr abdrücken müssen. Ein Glas Mineralwasser kostete 2006 ganze 5€ eine Gulaschsuppe 7€, mittlerweile dürfte sich die Preise eher erhöht als gesenkt haben.

Schon in der ersten Republik - und im Nationalsozialismus - war der Opernball ein gesellschaftliches Ereignis. Heute ist es vor allem ein Tummelplatz des besagten Baumeisters, seines Zeichens Enfant Terrible der heimischen Oberschicht und einziger Vetreter des Proletariats am Ball der Bälle. Sein heuriger Stargast Lindsay Lohan wird sich mit Sicherheit gemeinsam mit seiner derzeitigen Lebensabschnittspartnerin Anastasia Sokol in perfektem Englisch über Proust und die Bedeutung der Wiener Secession für die Moderne unterhalten. Die Anwesenheit von Lugners neuester Amour fou, die von ihrem großväterlichen Liebhaber zärtlich „Katzi“ genannt wird, verspricht jedenfalls einen Hauch von Favoriten in das Haus am Ring zu tragen.

Um die Präsenz weiterer hochkarätiger Gäste muss freilich gezittert werden. Meinl, Grasser und Mensdorff-Pouilly sind zwar sehr angesehene Namen, könnten aktuell aber jederzeit auf internationalen Fahndungslisten auftauchen.
Jedenfalls mit ihrer Anwesenheit beehren wird den Ball jedoch der Großteil der Bundesregierung, wobei man auch heuer wieder gespannt sein darf, welcher Teil der SPÖ-Ministerriege auf die Staatsscherpe verzichtet um dem Durchschnittsarbeiter aus Linz-Urfahr näher zu sein. Dabei wirkt ein Sozialist im Frack an sich schon so natürlich wie Uwe Scheuch mit akzentfreiem Deutsch und in slowenischer Tracht. Oder wie Bruno Kreisky einst so treffend sagte:

„Es ist die Rache der Geschichte an den jungen Revolutionären, dass sie im fortgeschrittenen Alter mit Orden und Ehrenzeichen geschmückt auf den Opernball gehen müssen.“

Der Opernball ist eine wunderbar sinnlose Veranstalltung. Sie ist in der Tat so sinnlos, überflüssig, arrogant, ordinär und verschwenderisch, dass sie getrost als Herzstück des Österreichertums verstanden werden kann. In einem Land, in dem die Dinge nicht nach ihrer Nützlichkeit beurteilt werden, sondern danach ob sie angenehm und fesch sind, ist der Wiener Opernball für wahr nur das I-Tüpfelchen auf den Schrullen einer Nation, für die Genuss und Tradition schon immer mehr gezählt hat als Bescheidenheit und Fortschritt.
In diesem Sinne:
Alles Walzer!

Dienstag, 2. Februar 2010

Der Bundespräsident, oder: Wer braucht den alten Mann in der Hofburg?

Er darf bei Festakten immer erste Reihe - Gang - fußfrei sitzen, er hat ein eigenes Autokennzeichen "A 1" - das er aber fast nie benützt, Uniformierte salutieren vor ihm, sein Konterfei ziert Briefmarken, er bekommt Gratiskarten für alles, beim Opernball kann er in seiner Loge die Füße ausstrecken, er hat seinen eigenen Marsch, eigene Gesetze schützen sein Leben und seine Ehre, man darf ihn nicht einmal verhaften, wenn er gerade jemanden auf offener Straße erwürgt hat und er wird rund um die Uhr beschützt.
Wer einmal die Josefstädterstraße im achten Wiener Gemeindebezirk hinaufspaziert ist und sich gewundert hat, warum gegenüber dem Theater in der Josefstadt, gleich links vom BIPA, des Öfteren Herren über 50 stehen - manchmal sogar mit Mantel, Hut und Pfeife - und warum über der Tür des Hauses vor dem sie sich postiert haben seltsame lampenartige Gebilde hängen, dem sei gesagt: ER wohnt hier. Seine Exzellenz Dr. Heinz Fischer, 71 Jahre alt, Verfassungsjurist, Politikwissenschaftler, Sozialdemokrat mit ruhender Mitgliedschaft und Staatsoberhaupt der Republik Österreich, kurz: Unser Herr Bundespräsident (UHBP). Die Glocken die über seiner Tür hängen sind Kameras. Die Herren, die davor stehen, sind zu seinem Schutz abkommandiert und damit nachts nicht immer betrunkene Studenten anläuten.

Die Statistik
Der österreichische Durchschnittspräsident ist um die 70, ausgedienter Politiker der zweiten Reihe (dort überlebt man am längsten) und ein zurückhaltend-staatstragender Großvater. Acht Bundespräsidenten hat die Zweite Republik nun schon gesehen, insgesamt waren es zehn. (Karl Seitz war zwar erstes republikanisches Staatsoberhaupt, aber nicht Bundespräsident und wird hier nicht mitgezählt.) Davon wurden sechs auf Vorschlag der SPÖ gewählt (alle II. Republik), die anderen vier gingen auf das Konto der Christlichsozialen/ÖVP, wobei insgesamt zwei Präsidenten parteifreie Kandidaten der beiden Lager waren (Hainisch/CS und Kirchschläger/SPÖ). Drei wurden von der Bundesversammlung (Nationalrat und Bundesrat), sieben vom Volk gewählt. Die drei ersten Staatsoberhäupter der Zweiten Republik wurden nicht auf dem heutigen Gebiet der Republik Österreich geboren (Renner und Schärf in Mähren, Körner in Ungarn). Die Hälfte aller Bundespräsidenten verstarb im Amt. Bisher hat nur ein Bundespräsident - der die erste Amtszeit überlebt hat - auf eine zweite verzichtet (Waldheim) und nur einer hat zwei sechsjährige Amtszeiten überlebt (Kirchschläger). Das Amt bringt einen also mit hoher Wahrscheinlichkeit um, auch wenn es einen nur zwei Tage vor Ende der zweiten Amtszeit erwischt, wie Thomas Klestil.


Die Bundespräsidenten
Michael Hainisch, der erste Bundespräsident, wurde von der Bundesversammlung zweimal für eine jeweils vierjährige Amtszeit gewählt. Er war der Sohn einer bekannten Feministin und wohl das zurückhaltendste Staatsoberhaupt der österreichischen Geschichte seit Kaiser Ferdinand I., genannt Gütinand der Ferdige. Das lag vor allem an den äußerst bescheidenen Aufgaben die ihm das Bundes-Verfassungsgesetz von 1920 zuwies. Er verweigerte sogar die Teilnahme an einer kirchlichen Prozession, im Glauben er dürfe dies nur auf Vorschlag der Regierung tun. Als ihm ein Passant einmal sein zu Boden gefallenes Taschentuch aufhob habe er dankend geantwortet, dass dies das Einzige sei, in das er seine Nase stecken dürfe. Sein Nachfolger Wilhelm Miklas - Vater von 14 Kindern - war ebenso Christlichsozialer und wurde durch die Verfassungsnovelle 1929 in seinen Rechten theoretisch massiv gestärkt. Im Jahr darauf löste er als bisher einziger Amtsinhaber den Nationalrat auf. Die Christlichsozialen verloren die folgende Wahl, die präsidiale Parlamentsauflösung wurde unpopulär. Zwar fand man in seinem Nachlass durchaus Kritische Bemerkungen zur Errichtung der Diktatur unter Engelbert Dollfuß (Das soll ein katholisches Gewissen aushalten!), dennoch verhinderte er 1934 die Ausschaltung von Parlament und Verfassungsgerichtshof nicht und wurde damit zum Unterstützer des austrofaschistischen Ständestaatregimes. Miklas trat zurück, als er sich weigerte das Gesetz über den Anschluss an das Deutsche Reich zu unterzeichnen.
Der Ursprüngliche Plan der Nazis, eine Art Personalunion mit Österreich herzustellen wurde, angeblich aufgrund der begeisterten Aufnahme des Anschlusses durch die Bevölkerung, fallen gelassen. Die tobende Masse am Heldenplatz hat uns paradoxer Weise damit nicht nur die formale Kriegsschuld, sondern auch einen Bundespräsidenten Hitler erspart.

Nach der Wiedererrichtung der Republik 1945 wurde der Sozialist Karl Renner durch die Bundesversammlung einstimmig zum Bundespräsidenten gewählt. Er hatte den Anschluss 1938 befürwortet, trat aber ab 1945 wesentlich für die Wiederherstellung der österreichischen Souveränität ein und führte bis zu seiner Wahl zum Präsidenten die erste Nachkriegsregierung. Renners Nachfolger wurde nach seinem Tod der SPÖ-Politiker Theodor Körner. Dieser hatte im ersten Weltkrieg als Oberst des Generalstabes am Isonzo gedient und war General des ersten Bundesheeres. Nach 1945 wurde er Bürgermeister von Wien. Körner war überzeugter Single, eine lange kolportierte Homosexualität wird mittlerweile jedoch für unwahrscheinlich gehalten. Körner hatte ein sehr intensives Techtelmechtel mit einer verheirateten Frau. Er war der erste Bundespräsident, der vom Volk gewählt wurde und lehnte die von der ÖVP gewünschte Beteiligung des VdU (Vorgänger der FPÖ) an der Regierung ab.
Nach Körners Tod wurde Adolf Schärf auf Vorschlag der SPÖ zum Bundespräsidenten gewählt. Der angebliche Wahlslogan Schärfs "Wer einmal schon für Adolf war, wählt Adolf auch in diesem Jahr." war vielmehr eine informelle Geschmacklosigkeit die kursierte um "die Ehemaligen" (Nazis) ins Boot zu holen oder Schärf zu diskreditieren. Dieser teilte sich mit dem anderen Adolf auch seinen Geburtstag, den 20. April und ist deshalb immer noch Ziel diverser rechter Dichter und Sänger. Der Hauspoet der Kronenzeitung Wolf Martin veröffentlichte an einem 20. April ein Gedicht in dem er einen Adolf lobte, "der einst in unserm schönen Land an allererster Stelle stand" und behauptete hinterher er habe damit Schärf gemeint.
Nach dessen Tod wurde Franz Jonas, ebenfalls SPÖ, Bundespräsident. Er war zuvor Körners Nachfolger als Wiener Bürgermeister gewesen. Jonas war ein Sozialdemokrat alter Schule, Esperantist und strikter Antialkoholiker. Er war nur wiederwillig zur Wahl angetreten, da er die soziale Isolation der Hofburg fürchtete.
Auch Jonas verstarb während seiner zweiten Amtszeit, sein Nachfolger wurde der parteifreie Rudolf Kirchschläger. Bruno Kreisky hatte zuvor alle Ambitionen, ihn für dieses Amt aufzustellen, wütend abgelehnt. Kirchschläger war zurückhaltend und einer der mit Abstand beliebtesten Bundespräsidenten. Zuvor war er Außenminister und davor Diplomat gewesen. Kirchschläger hatte sich als österreichischer Botschafter während des Prager Frühlings geweigert der anderslautenden Weisung seines Vorgesetzten - und Nachfolgers im Amt des Bundespräsidenten - Außenminister Kurt Waldheim Folge zu leisten und stellte weiterhin massenweise Visa an flüchtende Tschechen aus. Bei seiner Wiederwahl 1980 - die ÖVP hatte auf einen Gegenkandidaten verzichtet - erhielt er mit 79,9% der Stimmen das höchste Wahlergebnis einer Bundespräsidentenwahl. Obwohl er als einziger Bundespräsident zwei Amtszeiten überlebte, lehnte er eine ins Auge gefasste Verfassungsänderung, um eine weitere Amtszeit zu ermöglichen, strikt ab.
Nach Kirchschläger wurde Kurt Waldheim - als erster von der ÖVP vorgeschlagener Kandidat - zum Staatsoberhaupt gewählt. Der Wahl war eine mediale Schlammschlacht über Waldheims Rolle in der Wehrmacht vorausgegangen. Dieser hatte - ohne sein SA-Pferd - als deutscher Verbindungsoffizier am Balkan gedient und war dabei vermutlich auch gut über dortige Kriegsverbrechen informiert. Waldheim, der mit seiner Aussage, er habe nur seine Pflicht getan, die öffentliche Aufarbeitungsdiskussion in Österreich auslöste, bereute seine Aussagen später. Da er auf der Watchlist der Amerikaner stand, konnte er während seiner Amtszeit de facto nur arabische Staaten besuchen. Er verzichtete - als erster Bundespräsident - auf ein Antreten zur Wiederwahl.
Sein Nachfolger wurde der - ebenfalls von der Volkspartei nominierte - Diplomat Thomas Klestil, der den zweiten Wahlgang überraschend gewann und damit mit 59 Jahren der bei Amtsantritt jüngste Bundespräsident war. Seinen Wahlslogan "Macht braucht Kontrolle" konnte er jedoch kaum umsetzen. Sein Versuch als ständiger Vertreter Österreichs an den Sitzungen des Europäischen Rates teilzunehmen, scheiterte ebenso wie seine Oppositionshaltung gegen die Ernennung der Bundesregierungen Schüssel I. und II.. Als Klestil entgegen dem Verfassungsbrauch nicht den erst-, sondern den drittgereihten Kandidaten für die Funktion als Verfassungsrichter ernannte, änderte die große Koalition kurzweg das Bundes-Verfassungsgesetz. Seitdem erhält das Staatsoberhaupt nur noch einen Vorschlag. Klestil starb offiziell zwei Tage vor Ende seiner Amtszeit, informell heißt es, dass sein Hirntod bereits wesentlich früher eingetreten sei.
Als Klestils Nachfolger wurde Heinz Fischer vereidigt. Er war früher Wissenschaftsminister, dann Erster und Zweiter Nationalratspräsident gewesen. Fischer folgt mit seiner Amtsführung wieder dem sogenannten Rollenverzicht, nach dem ein Bundespräsident seine - ihm theoretisch zustehenden Rechte - gar nicht oder nur sehr eingeschränkt ausübt und sich auf Repräsentationsaufgaben konzentriert.

Wer braucht den Ersatzkaiser?
Tag ein Tag aus sitzt ein alter Mann in der Hofburg, unterschreibt Gesetze, Dekrete, Entschließungen, Bestallungs-, Ernennungs- und Ehrenurkunden an deren Inhalt er zumeist nicht beteiligt ist. Er empfängt Abordnungen von Bauern, Arbeitern, Studenten, Behinderten und Sportlern, verleiht Orden, schüttelt Hände und fährt ins Ausland um noch mehr Hände zu schütteln. Ein Bundespräsident hinterlässt noch immer den Eindruck eines francisco-josephinischen Surrogats. Er wird nicht dafür gemocht was er tut, sondern dafür was er darstellt. Für diese Leistung erhält er 22.848 €, 14 mal im Jahr. Für jeden Österreicher sind das etwa 3,8 Cent Bundespräsidentengehaltssteuer per anno. Nach dem was er verdient werden sämtliche Gehälter der Bundesbeamten und Politiker berechnet. Nur im ÖIAG-Vorstand darf man mehr verdienen, weil dort ja die formelle Privatwirtschaft herrscht.
Dabei könnte der alte Mann das Land ins Chaos stürzen, wenn er nur wollte. Er könnte die gesamte Regierung entlassen, einen guten Spezi zum Bundeskanzler machen und dessen Spezis zu Ministern. Mit deren Hilfe könnte er dann das Parlament beseitigen. Er ist Oberbefehlshaber des Bundesheeres, ernennt alle Bundesbeamten und die Richter des Verfassungsgerichtshofes. Er ist gesetzlich nicht belangbar, außer für seine Amtsführung und das auch nur durch die Bundesversammlung. Er kann Landtage auflösen, mit Notverordnungsrecht regieren und das Heer entsenden, um Verfassungsgerichtsurteilen zur Durchsetzung zu verhelfen.
Das klingt alles sehr pompös und mächtig. Warum also sitzt der Greis nur da und unterschreibt, steht herum und schüttelt Hände? Der Grund ist, dass seine Amtsfunktionen - wie beinahe alles in Österreich - das Ergebnis eines Kompromisses darstellen. Die Verfassungsnovelle von 1929 war ein Entgegenkommen an die autoritär orientierten Heimwehren, die sich einen starken Mann an der Spitze des Staates wünschten. Die Sozialdemokraten - deren Zustimmung zum Erlangen der 2/3-Mehrheit notwendig war - reklamierten die Volkswahl des Bundespräsidenten und die Bindung der meisten seiner Beschlüsse an den Vorschlag der Bundesregierung hinein. Außerdem wurde die Regierung nun zwar vom Bundespräsidenten ernannt und nicht mehr vom Nationalrat gewählt, sie blieb diesem jedoch verantwortlich. Will der Präsident also seine Macht ausüben, indem er eine Regierung nach seinen Vorstellungen ernennt, kommt es automatisch zum Konflikt mit dem Nationalrat, sollte diese Regierung dort keine Mehrheit hinter sich haben. Ein Konflikt zwischen den einzigen beiden Organen, die auf Bundesebene direkt vom Volk gewählt werden, würde das Ansehen der Demokratie jedoch schwer beschädigen. Außerdem kann ein Präsidialkabinett auf Dauer nicht gegen das Parlament regieren. Diese Möglichkeit hat unter anderem zum Untergang der Weimarer Republik geführt. Daher hat es sich mit dem Rollenverzicht in der Praxis eingebürgert, dass ein Bundespräsident nicht gegen die Volksvertretung regiert und sich daher auf seine repräsentative Rolle selbstbeschränkt.

Wer hat Angst vorm alten Mann?
Nun wird daher immer wieder die Forderung erhoben, man möge das Amt des Bundespräsidenten gleich abschaffen. Einer der seine Funktionen nicht ausüben will oder kann, werde fürs Nichtstun bezahlt und das gehe schließlich nicht an. Dass dieses Ansinnen immer wieder von der FPÖ gestellt wird, verwundert aus mehreren Gründen nicht:
- Die FPÖ hat als kleinere und radikalere Partei de facto keine Chance einen Kandidaten aufzustellen, der genug Stimmen auf sich vereinen könnte um Bundespräsident zu werden.
- Sie kratzt durch ihr Verhalten außerdem permanent am Ruf der Republik, was sie zur primären Zielscheibe präsidentieller Mahnrufe macht.
- Die Forderung nach einer Abschaffung der Funktion aus Kostengründen ist dazu noch populär um nicht zu sagen populistisch, was der FPÖ besonders liegt.
- Schließlich ist der Präsident - Rollenverzicht hin oder her - eine Bremse für die Regierungsambitionen der Freiheitlichen. Klestil hat zwar zweimal erfolglos versucht ihre Regierungsbeteiligung zu verhindern, die FPÖ hat dennoch zwei Kandidaten (Kabas und Prinzhorn) beim Bundespräsidenten nicht durchgebracht. Zudem hat Fischer nach den letzten beiden Wahlen beide Großparteien vehement zur Zusammenarbeit gedrängt und dabei hinter den Kulissen sein volles Gewicht in die Waagschale geworfen.
Trotz Einklang mit dem Führerprinzip lehnt die FPÖ die Funktion des Bundespräsidenten daher ab.

Warum das Amt trotzdem sinnvoll ist...
... aus technischen Gründen
Wer es gerne technisch sieht möge sich Folgendes vorstellen: Wenn Österreich ein Haus ist, so ist der Bundespräsident der Sicherungskasten. Selbst die modernste Technik und die besten Geräte haben den FI-Schalter im Stromsystem eines Gebäudes bis heute nicht überflüssig werden lassen.
Der Bundespräsident hat die Möglichkeit in außergewöhnlichen Situationen außergewöhnliche Mittel zu ergreifen. Schlägt die Regierung staatsgefährdende Wege ein, kann er sie entlassen. Wird das Parlament durch Blockade handlungsunfähig, kann er den Nationalrat auflösen. Miklas hat es aus Furcht verabsäumt diese Möglichkeiten zum Schutz der Demokratie wahrzunehmen und damit die Republik zu retten. Deshalb ist das Amt keines für Parteisoldaten, Duckmäuser und Zauderer, aber auch keines für Choleriker und Wagemutige. Bundespräsidenten müssen vor allem ausgeglichene Charaktere sein. Dass an dieser Stelle häufig Verlässlichkeit mit Farblosigkeit verwechselt wird entspringt dem niederen politischen Alltag und sollte ein Staatsoberhaupt nicht weiter kränken. Nun mit dem Argument zu kommen, dass eine Gefährdung des Staates an sich heutzutage höchst unwahrscheinlich sei, ist fadenscheinig: Wer schafft sich schon eine Haushaltsversicherung an und hofft dann dass es brennt?

... aus moralischen und emotionalen Gründen
Noch viel wichtiger aber ist der Bundespräsident als moralische Instanz, die dem Staat ein Gesicht gibt und bei vielen einen psychologischen Effekt auslöst, der bis hin zum abstrakt-ideellen Vaterersatz reichen kann. In diesem Sinne sind die Bundespräsidenten tatsächlich zu Ersatzkaisern geworden, sie personifizieren das Land in Zeiten der Individualisierung der Gesellschaft und der Anonymisierung der Verwaltung. Die soziale Funktion des Staatsoberhauptes darf neben der rechtlichen nicht vergessen werden. Das Gefühl, dass der Staat als Mensch und vor allem menschlich auftritt gibt vielen Sicherheit. Sicher, sie ist nur emotional und subjektiv, aber Sicherheit entsteht bekanntlich im Kopf und nicht alle Vorgänge dort sind der Rationalität unterworfen. UHBP erfüllt also auch die Funktion des Landesvaters. Man kann sich über ihn ärgern oder ihn mögen, er ist und bleibt aber nicht nur Staats-, sondern auch irgendwie Familienoberhaupt von Österreich.