Mittwoch, 23. März 2011

Ernst Strasser, ein Sittenbild.

Es war der 4. Feber 2000, als Bundespräsident Thomas Klestil mit der finstersten Miene, die ein österreichisches Staatsoberhaupt auflegen kann, die Bundesregierung Schüssel I. angelobte. Er verlas nicht einmal für jeden einzelnen Minister die Formel, sondern nur einmal und sammelte dann das „Ich gelobe!“ bei allen ein. Es war nicht nur der Tag, an dem sich die Grenzen der semipräsidialen Komponente der österreichischen Bundesverfassung zeigten, sondern auch jener, an dem die erste österreichische Mitte-rechts-Koalition seit 1938 angelobt wurde. Unter den ernannten Ministern war auch Ernst Strasser, ÖVP-Funktionär aus Niederösterreich und Schützling des örtlichen Landeshauptmannes Erwin Pröll.

Der frisch ins Amt eingeführte Innenminister machte sich sogleich ans Werk, das sich trefflich in jenes seiner Amtskollegen jener Tage einfügte und einer Politik diente, die - wenn man Peter Westenthaler glauben schenken mag - „Herz und Verstand“ in sich vereinen sollte. Vor allem Verstand, um nicht Raffinesse zu sagen, hatte zuvor Wolfgang Schüssel bewiesen, der trotz seiner Ankündigung als Dritter nach den Wahlen in Opposition zu gehen, sich zum Bundeskanzler ernennen hatte lassen. Die ÖVP hatte zumindest noch genug Verstand gehabt „heiße Eisen“ wie das Innen- oder Außenressort nicht der FPÖ anzuvertrauen. Dennoch blieben auch diese Ministerien nicht von der neuen schwarz-blauen Politik verschont. Insbesondere das Bundesministerium für Inneres wurde ein Beispiel schwarz-blauer Umfärbeaktionen.
Der Polizeigeneral Franz Schnabl, Generalinspektor der Bundessicherheitswache und damit ranghöchster österreichischer Polizist, wurde als einer der Ersten abserviert. Er hatte - in zivil wohlgemerkt - seine Tochter von einer Antiregierungsdemonstration abgeholt und war darob in Ungnade gefallen. Seine Versetzung zur Polizei im Wiener Gemeindebezirk Margarethen beantwortete er mit der Bitte um Karenzierung. Die Entfernung roter Polizisten hatte unter Strasser System. Wie später aufgetauchte E-Mails beweisen, wurden Parteigänger der ÖVP an jeder erdenklichen Stelle postiert, persönliche Eignung sekundär. Die Besetzung eines Inspektionskommandanten ist zum Beispiel Angelegenheit des Landespolizeidirektion. Besteht die Gefahr, dass der Posten von dieser nicht parteipolitisch gewünscht besetzt wird, veranlasst man die Scheinbewerbung eines ÖVP-nahen Polizisten aus einem anderen Bundesland, der den Posten in Wahrheit gar nicht will. Bewirbt sich nämlich jemand über Ländergrenzen hinweg, kann das Bundesministerium die Entscheidung an sich ziehen und die Führung der Inspektion dem auserkorenen Parteigänger zuschanzen. Die ganze Aktion war so strikt an der Parteibuchwirtschaft orientiert, dass selbst die Intervention Erwin Prölls für einen roten Polizisten nichts fruchtete. Der christlich„soziale“ Personalvertreter schrieb diesbezüglich an Strasser:
„der von pröll angesprochene kandidat ist nicht unsererer!!!!“
Nun kann man natürlich einwenden, dass Postenschacher auch unter roten Ministern stattgefunden habe und das Argument wäre nicht von der Hand zu weisen. Allein es geht um die Qualität und Quantität der Umfärbung. Von 1970 weg bis 2000, also dreißig Jahre lang, waren alle Innenminister der Republik Österreich SPÖ-Mitglieder. Während der gesamten Zeit blieb die Gendarmerie ein Hort von ÖVP-Funktionären. Kein roter Minister hat je mit der Aggressivität und Rücksichtslosigkeit eines Ernst Strasser diese Form von Enthauptungspolitik betrieben, die die Polizei später in Affären á la Horngacher laufen ließ. Kein Wunder, wenn ohne Rücksicht auf persönliche Eignung posten allein nach der Farbe des Parteibuchs vergeben werden. Die Zusammenlegung von Gendarmerie und Polizei ergab dabei das Übrige: Tatsächlich wurde sowohl organisatorisch, als auch personell die rote Polizei der schwarzen Gendarmerie einverleibt. Kontrollmechanismen wurden beseitigt, der Einsparungseffekt war gleich Null, da beide Wachkörper zuvor unterschiedliche Einsatzbereiche (Stadt/Land) bedient hatten und die Synergien daher endenwollend waren. Dafür gab es etliche Gendarmerieoffiziere, die liebend gern auf einen Polizeiposten wollten. Dieser Wunsch wurde ihnen mit der Zusammenlegung unter dem Bauernopfer der Aufgabe des Namens „Gendarmerie“ ermöglicht. Die Qualität der Polizeiarbeit brach dadurch ein. Tausende Polizisten wurden aus dem roten Wien abgezogen, um der SPÖ zu schaden. Ins Kabinett des Ministers hielten Leute wie  Philipp Ita Einzug, der seine Dienstkreditkarte im Puff vergaß und von dem die „Kleine Zeitung“ schrieb, er habe womöglich seine Ex-Frau verprügelt. Später wechselte er aus dem Ministerialkabinett in die, Zitat: „Privatwirtschaft“, soll heißen ins ÖBB-Management.

Als dann später die Postenschacher-Mails von Strasser bekannt wurden, war die Aufregung groß und doch wieder nicht. Schließlich war jedem klar, dass solche E-Mails existiert haben mussten. Wahrscheinlich ist, dass in Telefonaten noch viel heiklere Dinge besprochen wurden. Interventionen von FC-Gewerkschaftern mit Wortlauten wie:
„Es handelt sich um einen Mann, welcher uns gegenüber loyal ist, dies obwohl sein Vater, Kriminalbeamter E.J., ein blauer Gemeinderat in Schwechat war.“
wirken da ja noch recht mild. Die Staatsanwaltschaft hat die im Zuge der Affäre eingegangenen Anzeigen gegen Ernst Strasser betreffend Amtsmissbrauch jedenfalls „vergessen“. Das ist kein Scherz, sondern die tatsächliche Entschuldigung der Behörde, nachdem die Anschuldigungen verjährt waren.

Ernst Strasser selbst trat 2004 zurück, Grund waren innerparteiliche Zerwürfnisse mit Kanzler Schüssel. Unter seiner Nachfolgerin Liese Prokop änderte sich an der Ministeriumspolitik wenig. Es ist anzunehmen, dass die Geschäfte in Wahrheit mehr oder weniger vom Kabinett geleitet wurden. Prokop selbst dürfte für die Führungsfunktion einfach zu wenig... intellektuelle Kompetenz mitgebracht haben.

Ihr Vorgänger verschwand währenddessen wieder im Sumpf der niederösterreichischen ÖVP, wurde Präsident des Hilfswerkes, stellte sein „Know How“, will heißen Einfluss, der Privatwirtschaft zur Verfügung und gründete eine Beteiligungsgesellschaft. So sieht eigentlich das Standardausgedinge für Altpolitiker aus: Versorgungsposten plus Beratervertrag. Aber dann: Dann kam Josef Pröll, der Neffe des einstigen Strasser-Förderers Erwin, auf die Idee, dass der - zugegeben etwas farblose - EU-Politiker Othmar Karas nicht aufregend genug für die anstehenden Europaparlamentswahlen sei und holte Strasser aus dem ÖVP-Horrorkeller. Der geschasste Karas nahm es mit dem was er anstatt des Glamours besaß, Anstand, und bekam prompt die meisten Vorzugsstimmen aller angetretenen Politiker. Wahrscheinlich war das auch ein Mitgrund für den Sieg der ÖVP.
Ironischerweise wurde die Anti-Strasser-Geste des Wahlvolkes so erst zum Sprungbrett des Ernstl an die Spitze der ÖVP-Delegation, soviel zu den Defiziten des repräsentativ-demokratischen Systems. Karas behielt seinen Posten im Bundesparteivorstand, gab den Delegationsleiter aber auf Druck von Pröll an Strasser ab. Von da ab herrschte Eiszeit zwischen Karas und den anderen beiden Politikern. Bis zu jenem denkwürdigen Tag, an dem Strasser in die Falle der britischen Zeitung „Sunday Times“ tappte und mit seinem schlechten Englisch prahlte er habe schon fünf und hoffentlich bald sechs Klienten, die ihm pro Nase 100.000 € pro Jahr ins Säckel stecken würden. Als die Sache ruchbar wurde, versuchte Karas seinen Parteichef Pröll darüber zu informieren. Pröll, seit der EU-Wahl wie gesagt nicht mehr allzugut auf den schlechten Gewinner Karas zu sprechen, soll das Handy einfach nur läuten haben lassen. Dann wurde die Geschichte publik und natürlich setzte automatisch der parteipolitische Herunterspielmechanismus ein. Man müsse die Sache erst einmal begutachten, nun seien die Behörden am Zug etc. Dann kam das Video mit Strasser und die ÖVP kinckte schneller ein als die südvietnamesische Armee nach dem Abzug der US-Truppen. Pröll, der aufgrund einer Lugenembolie im Krankenhaus lag, intervenierte noch vom Bett aus und drängte seinen Parteifreund zum Rücktritt. Im heimlich aufgezeichneten Gespräch mit den als Lobbyisten getarnten Reporter der „Sunday Times“ hatte Strasser nämlich das offenbart, was man hinter der grinsenden Fassade des Ex-Ministers schon immer hatte vermuten können:
„I have only one chance to lie, yes? So I will be very very careful on this, because if you once lie, you are dead. I don't want to be [dead], I want to build up my network and want to use it after my time as an MEP.“ Der Standard - Strasser Zitate
Mittlereile ist Strasser nicht einmal mehr Präsident des niederösterreichischen Hilfswerkes, seine Parteimitgliedschaft ruht, die Sponsoren sind ihm abgesprungen. So endet nun die Karriere eines weiteren führenden Politikers der schwarz-blau/orangen Wendezeit im Sumpf der Korruption und des Amtsmissbrauches. Die Oppositionsparteien und der Regierungspartner zeigen sich hämisch, die ÖVP spielt die Schockierte, als hätte man vor seiner Nominierung nicht wissen können, dass Ernst Strasser gelinde gesagt gewisse charakterliche Defizite aufweist. Verdientermaßen ist nun auch die Stunde des Othmar Karas gekommen, nach dem Motto „Wer zuletzt lacht...“ darf er sich von seinen Parteifeinden Rosen streuen lassen, verknüpft mit der Bitte doch wieder den Posten des Delegationsleiters zu übernehmen.
Die EU-Betrugsbehörde Olaf ermittelt nun gegen Strasser, sein Büro wurde bereits versiegelt. Pikant ist bei der Geschichte vor allem eines: Seine „Lobbyistentätigkeit“ wäre nach österreichischem Recht für Abgeordnete zum Nationalrat gar nicht strafbar.
„Eine Wohltat entgegennehmen heißt die Freiheit verkaufen.“ - Publilius Syrus
(Hier schon im Zusammenhang mit einem anderen -rasser zitiert, aber weiterhin zutreffend)

Dienstag, 15. März 2011

Die Atomkraft, bzw.: Ja ja! oder Nein nein!

Man hat als Österreicher ja leicht reden. Man wohnt in seinem alpinen Bergparadies oder in den Tälern dazwischen und lamentiert über die Gefahren der Atomkraft, während Staaten ohne ausreichende Wasserkraftressourcen wie Frankreich oder Japan sich einen Meiler um den anderen vor die Tür stellen müssen, um ihren Elektrizitätsbedarf zu decken. So sieht das Argument der einen Seite aus. Die andere würde wohl einwenden, dass man dort ja auch den Weg des geringsten Widerstandes gegangen ist. Anstatt Strom zu sparen oder alternative Erzeugungsmethoden zu entwickeln, hat man eben ein paar Uranstäbe ins Wasser gestellt und mit dem Dampf eine Turbine betrieben. Tada: Strom.

Lange galt die Methode als zuverlässig, witterungsunabhängig und relativ sicher. Nur mit dem relativ ist das so ein Problem. Hin und wieder spinnt mal ein Lüftungsventil, manchmal brennt ein Stäbchen durch. Bumsdi, wie man in Wien sagt. Schon hat man einen Störfall. Natürlich sind nicht alle Störfälle gleich todbringend. In Temelin gibt es jedes Jahr so um die 100 bis 200 Stück, passiert ist bisher noch nix.

Ja, viele Jahre lang ging die Sache mit den Atomkraftwerken gut. Der eine oder andere Zwischenfall wurde vertuscht oder heruntergespielt wie der 1957 in Sellafield oder jener auf Three-Mile-Island. Und dann kam Tschernobyl.
Schwedische Messstationen am AKW Forsmark registrierten am 28. April 1986 einen Strahlungsanstieg, was dort den Alarm auslöste. Den Schweden war bald klar, dass ihr Kraftwerk keine Strahlung abgegeben hatte. Währenddessen hüllten die Sowjets noch tiefes Schweigen darüber, dass in den frühen Morgenstunden des 26. April nach einer fehlgeschlagenen Notfall-Simulation bei einem Schnell-shutdown-Versuch im Reaktorblock vier des Kernkraftwerkes Tschernobyl in der Ukrainischen SSR eine unkontrollierte Kettenreaktion stattgefunden und den Reaktormantel gesprengt hatte. Als die Russen dann langsam mit der Wahrheit herausrückten, durften in Europa die Kinder nicht mehr in den Garten. In der DDR stieg der Gemüseverzehr, weil Salat und Co. nun billig zu haben waren, da im Westen keiner mehr Grünzeug aß. Die Abtreibungsrate schnellte in die Höhe, weil viele Frauen bei dünner Informationslage fürchteten, schwer entstellte und todkranke Kinder zu bekommen. Wer zum Jahrgang '86 gehört kennt aus Schulzeiten die Bezeichnung Tschernobyl-Kind wohl zu genüge. Die Hysterie ging vorüber, die Angst blieb, auch wenn heute ein meterdicker Stahlbetonsarkophag den strahlenden Pharao von Tschernobyl einsargt. Die Internationale Agentur für Krebsforschung schätzt, dass bis zum Jahr 2065 über 40.000 Menschen an den Folgen des Atomunfalles an Krebs erkranken werden.Tausende sind bereits gestorben.

Nun kann man natürlich einwenden, dass das Unglück auf sowjetische Kommandostrukturen, veraltete Technik und falsche Entscheidungen zurückzuführen ist. Aber es gibt ja immer noch Erdbeben und die 442 Reaktoren, die nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA weltweit noch am Netz sind. Man wird sie nicht von heute auf morgen stilllegen können und Ersatz ist auch nicht so schnell zu schaffen. Die EU experimentiert zwar für mehrere Milliarden Euro gerade in Südfrankreich mit der Kernfusionstechnologie, die kaum strahlt und enorme Energiemengen liefern kann. Aber bis man zwei extrem heiße Ströme aus Wasserstoffplasma in einer Magnetröhre punktgenau aufeinender schießen und dann auch noch die Energie daraus abzapfen kann, wird's wohl noch etwas dauern.
Die Österreicher können bis dahin aber auch nur halb so gut lachen, wie die meisten von ihnen wohl glauben mögen. Wer seinen Strom etwa bei der Salzburg AG bezog, hatte 2005 einen Atomstromanteil von über 20%. Österreichweit liegt er aktuell zwischen 5 und 15%. Importiert wird die strahlende Elektizität aus dem Ausland, auch aus Temelin. Die Wienenergie gewinnt an die 75% ihrer Stromproduktion aus fossilen Energieträgern. Bei der niederösterreichischen EVN waren es 2005 noch immer 60%. Wir können dank unseres zweidrittel Wasserkraftanteils an der nationalen Stromproduktion vielleicht lächeln, aber wir müssen nicht strahlen. Zumindest hat sich die österreichische Politik eine Blamage á la Angela Merkel erspart, die die frisch beschlossene Laufzeitverlängerung für die deutschen AKWs nun wieder zurücknehmen musste, wegen der Geschichte in Japan... ah ja: und wegen der Landtagswahl in Baden-Württemberg.

Die Frage, die wir uns letztendlich stellen müssen, ist: Können wir die Verantwortung dafür übernehmen, eine relativ sichere Technologie einzusetzten, die uns nur dann Probleme macht, wenn ein Erdbeben, ein Tsunami oder ein paar Russen am Werk sind? Auch andere Dinge sind gefährlich, stimmt. Zum Beispiel Autofahren. Irgendwer stirbt garantiert jeden Tag auf irgendeiner Straße. Wenn man ein Auto fährt, nimmt man diese Möglichkeit stillschweigend inkauf. Man nennt das Übernahmsfahrlässigkeit. Wenn dann mal jemand mit seinem VW-Phaeton von der Loiblpass-Straße abkommt, ist es aber - so grausam das klingen mag - eben nur einer. Das Auto, das bei 40.000 Menschen Krebs verursachen kann, muss erst noch gebaut werden. (Toyota ist wahrscheinlich schon dabei.) Bei Autowracks wird auch nicht ewig über die Endlagerung gestritten, manche werden sogar vom Land Kärnten für viel Geld angekauft.

Kernenergie ist relativ sicher, aber auch relativ gefährlich. Ob man das Leben Hunderttausender oder von Millionen riskieren sollte, nur weil fast nie was passiert? Freilich, man kann das Risiko minimieren, indem man zum Beispiel nicht in Erdbebenzonen baut - was für Japan eher schwierig werden dürfte - oder keine sowjetischen Reaktortechniker anstellt. Trotzdem bleibt immer ein Mindestmaß an Gefährdung übrig. Die Problemstellung Atomenergie ja/nein spießt sich letztendlich nur an der Frage, ob man bereit ist dieses Restrisiko zu tragen. Ich bin es nicht.
„Die Kinder san dran.“ STS

Dienstag, 8. März 2011

Die Gleichheit die ich meine, oder: Herbert, trink das nicht!

Man muss die Frauen schon verstehen. Da legt man ihren Feiertag ausgerechnet auf den Faschingsdienstag, das Datum für aufgesetzte Fröhlichkeit und alkoholische Triebauslebung. Wie soll ma da besinnlich an 100 Jahre Frauenbewegung denken? Nein, das wird kein polemischer Artikel und das kostet mich Mühe, denn über kaum etwas kann man so polemisieren wie über den Geschlechterunterschied. Sie finden in mir keinen Frauenfeind, auch wenn meine Klassenvorständin meinen Mitschülern und mir im zarten Alter von 11/12 Jahren Dinge erklärte wie „Jeder Mann ist ein potentieller Vergewaltiger.“ Und auch wenn immer nur - wenn auch nicht immer nur unverdient - Buben im Klassenbuch landeten, bin ich heute kein Gegner der Emanzipation, weil ich gelernt habe sie vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus zu sehen.

Und von diesem Standpunkt aus ist noch viel zu tun. Das sagen nicht nur die Frauen, aber erreicht haben sie bisher doch auch einiges: Vorbei sind die Zeiten, als sie als Suffragetten ihr Wahlrecht auf der Straße einforderten. Seit 1991 dürfen sie sogar im Schweizer Kanton Appenzell-Innerrhoden ihre Stimme abgeben. Schon seit 1975 brauchen sie in Österreich nicht mehr die Unterschrift ihres Ehemannes, wenn sie arbeiten gehen wollen und Abtreibungen sind jetzt auch legal.
Die Diskriminierungen waren damals noch sehr vehement: Der Mann war explizit das Familienoberhaupt. Wenn die Frau den Haushalt nicht ordentlich führte, war das ein gesetzlich anerkannter Scheidungsgrund. Nach Eheauflösungen durften Frauen - und nur diese - zehn Monate lang keine neue Ehe eingehen. Wer ungewollt schwanger wurde musste sich einen Kurpfuscher suchen oder viel Geld für einen Arzt ausgeben, der im Hinterzimmer illegal Schwangerschaftsabbrüche vornahm. Wenn man heute davon spricht, dass es zwischen Männern und Frauen eine Einkommensschere gibt, dann deshalb, weil Frauen eher in Niedriglohnberufen arbeiten, was auch nicht zu begrüßen ist. Ein Mann im selben Job erhält aber nicht mehr Gehalt. Auch das war früher anders. Meine Großmutter war Schweißerin in einem Metallverarbeitungsbetrieb und damit gelernte Facharbeiterin. Damals wurden dafür gezielt Frauen angeworben, weil man ihnen weniger bezahlen musste. Der Hilfsarbeiter, der meiner Oma die Bleche vorlegte hatte ein höheres Einkommen als sie, nur weil er ein Mann war und diese Diskriminierung war völlig legal. Bis 1989 war Vergewaltigung in der Ehe überhaupt nicht strafbar, dannach bis 2004 nur als priviligiertes Unterdelikt der Vergewaltigung, also mit geringerer Strafandrohung. Die Frauen hatten einen steinigen Weg vom Einrichtungsgegenstand zur gleichberechitgten Partnerin zurückzulegen.

Die Zeiten der gesetzlichen Unterdrückung sind nun vorbei, oder neigen sich gottseidank dem Ende zu und daher schielt das kritische Frauenauge auf neue Baustellen, wie die Quotenregelung: Ich war zugegeben nie ein Freund von Quoten, denn Quoten bedeuten Auslese aufgrund von Merkmalen, für die der Ausgewählte nichts kann. In gewisser Weise ist das auch immer ein Qualitätsverlust. Nehmen wir ein Beispiel: Kennen Sie Verena Remler? Nein? Sie ist Staatssekretärin für Familienangelegenheiten und ein vierfaches Quotenprodukt. Als die massiv erfolglose dröge Dauergrinserin Christine Marek sich nach ihrem 13% Wahldebakel in den Wiener Landtag verabschiedete, musste für sie eine Nachfolgerin her. Weil die Optik schlecht ist, wenn man eine Fau durch einen Mann ersetzt, musste sie jedenfalls weiblich sein. Weil die Tiroler sich schon zu Beginn der neuen Regierungskoalition beschwert hatten, kein Amt in Wien zu haben, musste sie auch Tirolerin sein. Weil Marek von der ÖVP war, stand natürlich auch außer Frage, dass die Nachfolgerin eine Schwarze sein musste. Aufgrund des ÖVP-internen Proporzes konnte es dann aber nur eine ÖAAB-Funktionärin sein, musste also vom Arbeitnehmerflügel kommen. Da war dann guter Rat teuer. Nachdem eine quotenmäßig geeignete Landesrätin abgesagt hatte, kam man schließlich auf die Stadträtin aus Lienz: Verena Remler. Ihre persönliche Eigung spielte bei ihrer Auswahl praktisch keine Rolle. Sie musste im Prinzip nur stubenrein sein und Armin Wolf beim Interview nicht beißen.
Man merkt: Über Quoten betreibt man nicht unbedingt Exzellenzmanagement. Die Münze hat aber natürlich auch eine andere Seite: Heute sind zum Beispiel mehr als die Hälfte der Studenten Frauen, trotzdem sind sie im universitären Mittelbau nur spärlich, bei den Professoren kaum und bei den Rektoren fast gar nicht vertreten. Man kann jetzt natürlich davon ausgehen, dass in etwa 30 Jahren der Großteil des Universitätspersonals weiblich sein wird, dass man aber damit schwerlich Leute trösten kann, die seit 100 Jahren für Gleichberechtigung kämpfen, mag man jedoch auch verstehen. Letztendlich kann die Frauenquote ein Einstiegsinstrument sein, aber niemals eine Dauereinrichtung. In Schweden wurde sie in manchen Bereichen bereits wieder abgeschafft, weil sie den Frauen schadet. 

Und damit kommen wir zum nächsten Problem: Wie weit geht Emanzipation, bis sie ins Gegenteil bricht? Sind Frauenquoten nur solange gut, bis sie die Frauen daran hindern mehr als die Hälfte vom Kuchen zu bekommen? Wie weiblich muss die Gesellschaft insgesamt werden und gibt es auch einen Femi-Chauvinismus? Das soll jetzt keine Angstmache werden, wie sie vielleicht an Kärntner Stammtischen betrieben wird, aber zur Verdeutlichung auch hier ein Beispiel: 
Wir - vielleicht auch nur die Männer - amüsieren uns heute über brachial politisch unkorrekte Werbung aus früheren Jahrzehnten, in denen der Mann nachhause kommt und die Frau ihm Patschen und Zeitung bringt. Keine Firma würde sich heute mehr trauen so ein Werbesujet zo machen. Die Grenzen des politisch Erlaubten haben sich - in den allermeisten Fällen gottseidank - zugunsten der Frauen verschoben. Schon als man die Operntoilette am Ring mit Pissoires in Form von Frauenmündern ausstattete, war die Empörung so groß, dass sie wieder abgebaut werden mussten. Andererseits gibt es aber sehr wohl Werbung, die Männer als Vollpfosten darstellt. Zum Beispiel diesen knapp an der Idiotie vorbeigeschrammten Familienvater und Ehemann, der neuerdings mit Gorillablick versucht auf dem Gemüsemark die tollen Acerolakirschen zu kaufen, aus denen das angepriesene Joghurtprodukt angeblich zum Teil besteht. Kurz bevor er in dummheitbedingte Depressionen verfällt, weil die Verkäuferin ihn nicht versteht, rettet ihn seine Frau vom Format einer Helena Bonham Carter als Bellatrix Lestrange mit einem Joghurtdrink vor der Verzweiflung und dem immunologischen Supergau. Man stelle sich den Spot mit geschlechtervertauschten Rollen vor. Ein Mann der seine dumme Frau mit Befehlston zum Joghurttrinken bringt. Man stelle sich auch vor, wie drei Männer mit Schokopralinen vor dem Fernseher sitzen und kreischend aufspringen, weil der Kerl im Video gerade seiner untreuen Freundin - die ihn eher weniger mit Eike, Nicole und Babette betrogen haben dürfte und schon gar nicht Mit Carole, seiner Schwester - ordentlich eine reinbrezelt, der dreckigen Schüftin. Auch sexistische Werbung gibt es mittlerweile zuhauf für beiderlei Geschlecht. Da stehen sich Magermodells und Waschbrettbauchfuzzis um nichts nach. Aber man sieht: Heute sind manche Dinge in die eine Richtung möglich, in die andere aber nicht mehr. Ob das gut ist, soll jeder für sich beurteilen.

Genauso kann sich jeder die Frage stellen, warum nur Männer den Präsenz- oder Zivieldienst ableisten müssen und warum Frauen gesetzlich fünf Jahre und effektiv noch früher in Pension gehen können als Männer, obwohl sie länger leben. Das alles mit Kindererziehungszeiten zu rechtfertigen ist lächerlich. Man kann nicht einerseits schreien „Verbrennt die Putzfetzen“ und dann andererseits im Geschäft Putzfetzenrabbat einfordern. Gleichberechtigung heißt auch Gleichverpflichtung und man kann nicht am einen Rad der Gesellschaftsmaschine drehen, ohne am anderen mitzujustieren.

Wir dürfen uns weder der Illusion hingeben, dass die Gleichberechtigung bereits erreicht wäre - denn das ist sie nicht - noch jener Vorstellung, dass eine von Frauen regierte Welt eine floral ausgeschmückte Gynarchie wäre, in der alle nur noch Kombucha trinken und InTouch lesen.
Warum ist es nicht so, dass der Karenzanspruch 50:50 zwischen Mann und Frau aufgeteilt wird und jeder jeweils nur diese Hälfte konsumieren kann? Warum steht in allen Texten jetzt ÖsterreicherInnen, das man wie Österreicherinnen liest und wo bleiben jetzt die Österreicher? Befördert es die Emanzipation wirklich, wenn man „man/frau“ oder „mensch“ statt „man“ schreibt? Warum gibt es bei Unibesetzungen Bereiche in denen Männer nicht sitzen dürfen, aber keine wo Frauen nicht hinkönnen? Warum muss sich eine 75-jährige Frau von ihrem antiquierten Nachbar noch als Fräulein ansprechen lassen, nur weil sie nicht verheiratet ist? Warum dürfen bei Diskussionen immer nur abwechselnd Männer und Frauen sprechen und nicht die, die gerade etwas zur Sache zu sagen hätten? Warum ist die Erforschung des Geschlechts ein Wissenschaftszweig, der in jedes Studium einfließen soll und warum ist das mit Theaterwissenschaften und Molekularbiologie nicht so? Wie kann heutzutage noch jemand wie Silvion Berlusconi dauerhaft und öffentlich die Würde der Frau angreifen und trotzdem gewählt werden?

Vielleicht sind das Fragen, die wir uns in Zukunft nicht mehr stellen müssen. Für den Moment aber sind sie noch sehr aktuell. Wir haben eben noch einen weiten Weg zu gehen, gemeinsam - so steht zu hoffen.

„Wenn eine Frau zu Hause bei den Kindern bleibt, ist sie ein unemanzipiertes Muttchen, geht sie schnell wieder in den Beruf, ist sie eine herzlose Karrieristin.“ - Harald Martenstein