Donnerstag, 24. Februar 2011

Mad Muammar, oder: Es lebe die Konterrevolution!

 Muammar al-Gaddafi schläft gern im Zelt, hat eine Hundertschaft heißer Leibwächterinnen und ein Faible für Berberpferde. Wie sein Ex-Kollege aus Ägypten befördert er durch seine Eitelkeit die Einnahmen der Firma Schwarzkopf. Darüber hinaus lässt sein Gesicht - zum Beispiel im Vergleich mit Silvester Stallone - vermuten, dass auch Gaddafi sich hie und da mal hat liften lassen. Eigentlich hat der Revolutionsführer - wie er erst vor kurzem in einer seiner, an Klarheit und Stringenz unübertroffenen, Fernsehansprachen betonte - kein tatsächliches politisches Amt in seinem Staat Libyen inne. Staatsoberhaupt ist formal der „Parlaments“präsident.

Traditionell pflegte der einfache Staatsbürger gute Kontakte nach Österreich, insbesondere zu einem einfachen Parteimitglied aus Kärnten. Schon Kreisky hatte erfolglos versucht, den Terrorpaten international hoffähig zu machen. Doch spätestens nachdem er 1986 eine mit Amerikanern vollbesetzte Disco in Berlin sprengen ließ und auch zwei Jahre Später den Anschlag auf eine Panam-Maschine befahl, die schließlich über dem schottischen Ort Lockerbie niederging, war's mit dem internationalen Ansehen des lieben Muammar nicht mehr weit her. Seit er 1969, gerade mal 27 Jahre alt, den libyschen König Idris aus dem Amt putschte und eine sozialistisch-arabisch-muslimische Mischmaschdiktatur errichtete, hat er sich einen stattlichen Familienclan herangezüchtet, der von sadistischen Folterknechten über eine Juristin bis zu prügelnden Jetsetern reicht. Die Gaddafi-AG hat in der Folge Libyen wie einen Privatkonzern aufgeteilt und nimmt es als mafiöses Familienkonsortium aus. Oppositionelle wurden massenweise liquidiert oder verschwanden in Lagern in der Wüste. Die Stammesstrukturen nützte Gaddafi systematisch aus, um sich Loyalitäten zu erkaufen oder diese gegeneinander auszuspielen. Seit der MI6 als Rache für den Lockerbie-Anschlag ein kleines Sümmchen zu einem missglückten Attentat auf den Diktator beisteuerte, muss dieser aufgrund der erlittenen Verletzungen schwere Medikamente nehmen, was seinen ohnehin schon wirren Geisteszustand weiter verschlechtert hat. Hier ein kleiner Auszug aus seinen extravaganten Auftritten:

- Er betrieb den Aufbau der Afrikanischen Union, nachdem seine Versuche sich mit anderen arabischen Staaten zusammenzuschließen fehleschlagen waren und nannte sich in der Folge König der Könige Afrikas, was auch durch seinen Hang zu weiter Kleidung mit Bildern des Kontinents verdeutlicht wird.

- Er zerriss öffentlich vor der UN-Vollversammlung die UN-Charta, forderte den Sitz der Vereinten Nationen nach Tripolis oder - besten Dank Muammar - nach Wien zu verlegen und bezeichnete die Resolutionen des Sicherheitsrates als Terrorakte.

- 1989 prophezeite er einen neuen Weltkrieg in dem sich Frankreich und Deutschland erneut wegen Gebietsstreitigkeiten gegegnüberstünden und forderte daher die Schaffung eines jüdischen Staates in Elsass-Lothringen, um diesem Konflikt vorzubeugen. Später meinte er über den Staat Israel: „Israel ist ein kolonialistisch-imperialistisches Phänomen. Es gibt so etwas wie ein israelisches Volk nicht.“

- Er forderte die Islaminsierung Europas mit den Worten: „Europa sollte sich zum Islam bekehren.“ nur um dann später in einer französischen Zeitung zu sagen: „Ich habe nie gesagt, dass Europa sich zum Islam bekehren solle. (...) Ich bin aber davon überzeugt, das Europa auf dem Weg der Islamisierung ist. Europa wird nicht mehr sein, was es heute ist. Es wird nicht mehr christlich sein, sondern muslimisch.“

Diese Reihe ließe sich fast endlos fortsetzten. Besondere Berühmtheit erlangte seine persönliche Vendetta gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft, weil es die Genfer Kantonspolizei gewagt hatte seinen Sohn Hannibal zu verhaften, nachdem dieser seine Angestellten verprügelt hatte. Hannibal war schon zuvor wegen seiner Gewalttätigkeit aufgefallen. Nachdem er seine schwangere Freundin geschlagen hatte, reiste seine Schwester nach London, um diese zur Falschaussage bei der Polizei zu überreden. Der Gaddafi-Spross wurde von den Schweizer Behörden  zwar schließlich freigelassen, aber der Zorn des imbezilen Vaters war schon heraufbeschworen. Er ließ zwei Schweizer Geschäftsleute wegen angeblicher Visavergehen als Geiseln nehmen und gab sie erst frei, nachdem der Schweizer Bundespräsident Merz den diplomatischen Kotau vor ihm vollzogen hatte. Zuvor hatte er - mit nicht nur bei den Haaren herbeigezogenen Argumenten - in einer Wutrede die Vernichtung der Schweiz gefordert:
„In der Schweiz wird Geldwäsche in großem Stil betrieben. (...) Die Schweiz ist kein Staat, sondern eine weltweite Mafia. (...) Ich rufe dazu auf, die Schweiz als Staat aufzulösen. Der französische Teil sollte an Frankreich gehen, der italienische an Italien und die deutsche Gemeinschaft zu Deutschland zurückkehren.“
Dass die Österreicher diesmal leer ausgehen sollten, ist vom Standpunkt eines territorialen Aasgeiers aus gesehen natürlich bedauerlich. Andererseits wollte uns der liebe Muammar vielleicht auch nur vor den grundschlechten Schweizern retten, die die Religionsfreiheit mit Füßen treten:
„In der Schweiz reißen sie die Moscheen nieder und wir schweigen. (...) Wer vor den Augen der Muslime Gottes Moscheen zerstört, der hat es verdient, dass man gegen ihn in den Heiligen Krieg zieht. (...) Wenn wir eine gemeinsame Grenze mit den Schweizern hätten, dann würden wir gegen sie kämpfen. (...) Jeder Muslim, der mit der Schweiz zusammenarbeitet (...), ist ein Ungläubiger, der sich gegen den Islam versündigt.“
Dass die Schweizer so Prinzipientreu sind und glauben jeden verhaften zu können, nur weil er etwas angestellt hat, ist ihnen nicht gut bekommen. Als nach einer orgiastischen Party mit einem Gaddafi-Sohn in Wien plötzlich eine Frau tot war, sorgte der Familienfreund Jörg dafür, dass er - ob seiner diplomatischen Immunität - so schnell wie möglich ausreisen konnte und dass man der Kronenzeitung (für angeblich 45 Millionen Euro) die für den Gaddafi-Clan unangenehme Titelstory wegkaufte. Haiders Millionen in Liechtenstein - viel ist ja jetzt angeblich nicht mehr davon über - soll er als kleines Dankeschön für seine Hilfe erhalten haben. Es könnte den Schweizern also nicht schaden, ab und zu etwas österreichischer zu sein. Man lebt gut damit und vor allem davon.

Auch wenn seine helveticophoben Ausfälle auf eine gewisse geistige Umnachtung schließen ließen, so war der „Bruder Oberst“, wie er sich gerne nennen lässt, 2003 doch noch fitt genug um - angeblich auf Betreiben seines Österreich-affinen Sohnes Saif-al-Islam - sein Atomwaffenprogramm offenzulegen und dessen Abrüstung zu veranlassen. Natürlich im Tausch gegen eine Beendigung der Sanktionen. Gleichzeitig zahlte er hohe Entschädigungssummen an die Opfer der von ihm befohlenen Terroranschläge, obwohl er immer abgestritten hatte daran beteiligt gewesen zu sein:
 „Ich denke, dass Amerika alle Arten von Terrorismus gegen Libyen praktiziert. Sogar die Anschuldigung, dass wir in Terrorismus involviert seien, ist in sich selbst ein Akt des Terrorismus.“
Später ließ er sogar auf Vermittlung Frankreichs jene bulgarischen Krankenschwestern und einen Arzt frei, die er jahrelang hatte einsperren lassen, weil sie angeblich absichtlich libysche Kinder mit AIDS infiziert hätten. Daraufhin wurden letztlich die Sanktionen gegen sein Regime aufgehoben, was die Wichtigkeit seiner Person in seinen Augen noch weiter steigerte. In einem Streitgespräch mit dem saudischen König soll er geantwortet haben:
„Ich bin ein internationaler Führer, der Vorsitzende der arabischen Führer, der König der Könige Afrikas und der Imam der Muslime und mein internationaler Status erlaubt es mir nicht, mich auf ein niedrigeres Niveau zu begeben.“
Von seinen realitätsfernen Wutausbrüchen hat sich der Diktator also nie verabschiedet. Wie sollte er auch? Sie sind bedingt durch seinen Medikamentenkonsum und seine narzistische Paranoia. Seinem kruden Weltbild, das eine Mischung aus islamischer Heilslehre, Panarabismus, Panafrikanismus und Sozialismus darstellt, entspringen immer wieder wirre Phantasien und Aussagen. So versprach er einem italienischen Kaff, in dem er seinen Wagenkonvoi anhalten ließ, Millionenförderungen, einfach weil es im dort so gut gefallen hat. Angela Merkel bezeichnete er als starke Persönlichkeit, die eher ein Mann als eine Frau sei. Kein Wunder, denn Frauen haben in seinem Weltbild eigentlich klar zugeteilte Aufgaben:
„Die Frau ist wie ein Möbelstück, das man verrücken kann, wenn man möchte, und niemand wird jemals fragen, warum man das gemacht hat.“

„Es muss eine Weltrevolution geben, die ein Ende macht mit all den materialistischen Umständen, die die Frauen daran hindern ihre natürliche Rolle im Leben auszuüben und sie dazu bringen die Pflichten der Männer zu verrichten um rechtlich gleich zu sein.“
Jetzt sitzt der messianische Wirrkopf angeblich mit vier Brigaden in Tripolis und erwartet das Ende seiner Herrschaft wie ein durchgeknallter Sektenführer. Die Demonstranten hat der Tablettensüchtige als drogenabhängige Jugendliche und Ratten diffamiert. Er hat afrikanische Söldner aus dem Niger angeheuert, die gut bezahlt und wahllos auf das libysche Volk schießen und sogar seine Luftwaffe angewiesen auf Demonstrationszüge zu feuern. Muammar al-Gaddafi ist ein geisteskranker Despot, der ein Unrechtsbewusstsein vom Format eines österreichischen Ex-Finanzministers hat, diffuse Reden schwingt wie die Sektenführerin Uriella und jetzt in seinem Bunker auf den Untergang wartet, wie einst Hitler in Berlin. Sollte die Revolution siegreich sein, wird Gaddafi das vermutlich nicht überleben. Ob er sich selbst erschießt, bei der Erstürmung seiner Festung ums Leben kommt oder ob ihn ein wütender Mob laternisiert, ist schließlich zweitrangig. Das Einzige was wir an ihm vermissen werden ist der aufheiternde Effekt, den seine Aussagen auf die Abendnachrichten hatten. Wer in Zukunft so etwas hören will, muss wohl warten, bis Silvio Berlusconi ein Interview unter Drogeneinfluss gibt:
„Immer wenn ich nach Pepsi-Cola oder Coca-Cola frage, sagen die Leute sofort es sei ein amerikanisches oder europäisches Getränk. Das ist nicht wahr. Das Kola ist afrikanisch. Sie haben die billigen Rohmaterialien von uns genommen. Sie haben es produziert, sie haben es in ein Getränk verwandelt und sie verkaufen es an uns für einen hohen Preis. Warum sind Pepsi-Cola und Coca-Cola so teuer? Weil sie unser Kola genommen haben, es produziert haben und an uns zurückverkaufen. Wir sollten es selber produzieren und es an sie verkaufen.“

Sonntag, 13. Februar 2011

Die Tiroler, oder: Hände hoch Franzos!

In unserer antropologisch-ethnologischen tour d'Autriche machen wir nach den Vorarlbergern nun bei den Tirolern halt. Aber wie viele verschiedene Arten von Tirolern gibt es eigentlich? Wahrscheinlich lautet die richtige Antwort ungefähr eine Million. Aber glauben Sie nicht, dass die nicht trotz aller Verschiedenheit auch Gemeinsamkeiten hätten. Die Tiroler, ob sie nun in Nord-, Süd- oder Osttirol leben, haben vor allem zwei Dinge, die sie verbinden: Einen Sprachfehler und Waffen. Darauf sind sie auch sehr Stolz und wenn jemand sich erdreistet einem Ex-Oberösterreicher im Landtag sein Ex-Oberösterreichertum unter die Nase zu halten, kann er von Glück sagen, wenn er nicht vor ein Exekutionskommando der Tiroler Schützen gestellt und zum Heiligen Hofer in den Himmel geschickt wird. Da merkt man schon: Die Tiroler sind ein feinfühliges [Volckch] und man lässt es besser bleiben auf ihrem Sprachproblem herumzureiten, egal ob sie jetzt Landeshauptmann oder ÖH-Vorsitzende sind. Es ist besser die Tiroler nicht zu Feinden zu haben. Ehe man sich's versieht, wartet vor der Wohnungstür ein bärtiger Schlägertrupp mit Vorderladern oder die lokale Stromzufuhr wird sprengstofftechnisch unterbunden. Verhalten Sie sich in der Nähe von Tirolern also brav und still, versuchen sie nicht wie ein Italiener oder Franzose auszusehen und stellen Sie keine Fragen, deren Beantwortung lautmalerische Probleme bereiten könnten wie „Wie heißen nochmal die Rassisten mit den weißen Kapputzen?“ oder „Wie nennt man unehelichen Nachwuchs noch?“, denn Wörter wie [Kchuckchluckchsckchlan] und [Ckchuckchuckchsckchinder] könnten bei Ihnen einen Lachanfall und bald darauf den Tod auslösen. Denn Tiroler haben vielleicht schwerfällige Zungen, aber schnelle Hände und oft sind die auch noch groß wie Bärenpratzen. Der Grund, warum man über die Tiroler so wenige Witze erzählt ist nämlich der, dass es so weh tun kann. Sollte Ihnen also Ihr Trommelfell und ihr [Ckchnackch] lieb sein, folgen sie der alten Bauernweisheit: „Hände falten, Goschn halten.“

Wenn es aber nur Sprachfehler und Waffen wären, die die Tiroler verbinden, könnt sie ja genausogut Schweizer sein. Nein, die Tiroler haben auch eine glorreiche Vergangenheit des Besetztwerdens und des Den-Besetzern-das-Leben-zur-Hölle-machens hinter sich und sind darauf sehr stolz. In vier Schlachten am Bergisel bei Innsbruck kämpften sie in den Befreiungskriegen gegen die napoleonischen Truppen und fielen schließlich erst der Wiener Diplomatie zum Opfer. Dass man den Landeshelden Andreas Hofer auch als Tiroler Taliban verunglimpft, weil er Frauen das Tragen züchtiger Kleidung anraten ließ und mit besonders reaktionären Elementen in der Kirche auf gutem Fuß stand, wird vom offiziellen Tirol nicht gerne gesehen. Vielleicht wird die Verhöhnung der Landeshymne auch deshalb mit bis zu 2000 € Bußgeld bestraft. Die Androhung von Arrest musste nach allgemeinen Protesten zurückgenommen werden. Die Hymne, die Hofers physisches Ende in Mantua umschreibt, ist textlich mehrfach umstritten, verweist sie doch sowohl auf Deutschland, als auch auf den guten Kaiser Franz. Jeder, der sich dadurch in seinem österreichischen Nationalbewusstsein oder in seinem Republikanismus verletzt fühlt, steht in Tirol aber sowieso auf verlorenem Posten. Es ist das einzige Bundesland, in dem die Landesidentität gegenüber dem Nationalbewusstsein nach wie vor überwiegt.

Das mag auch damit zu tun haben, dass etliche Teile der Tiroler im italienisch administrierten Süden des Landes leben und dort je nach politischem Couleur einen auf deutsche, Trioler oder österreichische Minderheit machen. Seit die Beutetiroler dort nach dem Ende des Ersten Weltkrieges von den Italinern als Ceteros „zivilisiert“ wurden, hoffen sie im Verband der Sammelpartei SVP nebst Propagandapostille „Dolomiten“ auf die Landeseinheit wie die Christen auf die Wiederkehr des Messias. Solange sie Ihre Steuereinnahemn aus Rom zurückbekommen ist ihnen aber in Wahrheit sowieso alles relativ wurscht. Nur sagen würden sie das nie. Man spricht lieber vom Europa der Regionen und der Überflüssikeit der Nationalstaaten. Um ein bisschen an die Unterdrückung durch den italienischen Staat und insbesondere durch die Faschisten zu erinnern, trägt man hin und wieder Dornenkronen spazieren oder fährt auf Schutzmachtwallfahrt nach Wien. Das Sprengen von Strommasten und anderen Infrastruktureinrichtungen hat man mittlerweile aufgegeben, so wie die Italiener jetzt auch nicht mehr darauf bestehen, dass Grabsteine italienisiert werden oder Gefangene im Häfen zu Tode foltern. Man betont die positive Zusammenarbeit, wenn dann aber irgendwelche italinieschen Resorgimentofeierlichkeiten anstehen, geht man doch lieber auf Distanz, schließlich - so meint der Südtiroler Landeshauptmann, der ewige Durni - hat man sie 1919 ja nicht gefragt, ob sie da mitmachen wollen. Und deshalb wollen sie es jetzt auch nicht. Das Siegesdenkmal in Bozen bleibt zu seinem Schutz auch lieber bewacht und umzäunt. Man versteht sich vielleicht jetzt mit den Kindern im italienischen Sandkasten, bleibt aber doch lieber am Rand sitzen. Es könnten ja Sizilianer und Kalabresen dabei sein.

Auch wenig Schmeichelhaftes wurde schon über die Tiroler gesagt. Weil aber der Autor - selbst Vierteltiroler - so sehr an seinem Leben hängt und folgende Meinung auch überhaupt nicht teilt, lässt er lieber Heinrich Heine darüber sprechen:
„Die Tiroler sind schön, heiter, ehrlich, brav, und von unergründlicher Geistesbeschränktheit. Sie sind eine gesunde Menschenrasse, vielleicht weil sie zu dumm sind, um krank sein zu können.“ Heine
Derlei Pamphletismus entbehrt natürlich jeder Grundlage und man sollte sich hüten ihn unbedarft von sich zu geben, denn wie gesagt: Die Tiroler sind sensibel. Man kann sie zum Beispiel nicht einfach besetzten und dann Schwamm drüber. Ohne Bürgerkrieg hat noch niemand die Tiroler überzeugt. Außer Rudolf IV. von Habsburg vielleicht, genannt der Stifter, weil er ein ungemeines Geschick im Urkundenfälschen besaß. Der schaffte es der verwitweten Margarethe Maultasch das Land Tirol abzuschwatzen. Dafür erhielt sie eine Pension und der fünfte Wiener Gemeindebezirk ihren Namen. Überhaupt scheinen die Wiener die einzigen zu sein, die die Tiroler irgendwie einwickeln können. Auch als sie behaupteten, sie würden sie gegen die Franzosen unterstützen, haben die Tiroler ihnen das einfach geglaubt. Unter ihrer harten Schale steckt also auch ein naiver Kern.

Die Tiroler waren aber auch feste Nazis und das nicht nur aus Naivität. Die erhoffte Landeseinheit hat ihnen auch Hitler nicht gebracht. Er hat die Südtiroler vielmehr zusammen mit Mussolini mit der Option - der Möglichkeit als Italiener zu bleiben oder als Deutsche zu gehen - beglückt und damit einen Keil durch die Minderheit getrieben. Sogar Osttirol hat man damals an Kärnten angeschlossen, ein kulturelles Manko, das die Osttiroler bis heute nicht ganz [loosgloosn] hat. Die höchste NSDAP-Mitgliederquote aller Bundesländer und ein Gauleiter Namens Hofer hinderte die Tiroler aber dann doch nicht daran am Ende Innsbruck in Eigenregie zu befreien und den Amerikanern zu übergeben. Solange es nicht die Franzosen waren, war ihnen alles Recht. Um deren Vormarsch zu verhindern, trieben sie sogar einen Eisenbahnwagon in den Arlbergtunnel und taten damit was sie am Besten konnten, ihn sprengen. Die wesentlich unprätentiöseren Vorarlberger zeigten den Franzosen draufhin den Weg über den Pass. Als die dann aber eine Truppenfahne suchten, die Hofers Männer in den napoleonischen Kriegen erbeutet hatten, war sie schon versteckt worden. Die zweite französische Besatzung ließen die Tiroler williger über sich ergehen, die Fahne haben sie aber heute noch.

Alte Sturschädel sind sie die Tiroler, das muss man auch noch über sie sagen. Wehrhafte Sturschädel. Wenn auf der Inntalautobahn der Lärm zu viel wird, wird die Autobahn gesperrt, oder besetzt. Wenn die Landeskorruptions- und Vetternwirtschaftsverwaltung TIWAG irgendwo ein Kraftwerk hinbauen will, sind die einen dagegen und die anderen beschimpfen sie als „undankbares Gesindel“, so wie das Herwig van Staa gemacht hat, das alte Schweigen. Wie die Nachbarn im Westen sind auch die Tiroler konservativ, oder noch konservativer. Von den sieben Zweidrittelmehrheiten, die in der Geschichte der Zweiten Republik von einer Partei erreicht werden konnten, entfielen sechs auf die Tiroler-ÖVP. Mittlerweile verfügt diese zwar nicht einmal mehr über die  absolute Mehrheit, aber die meisten der anderen Landtagsfraktionen sind in Wahrheit nur Blockparteien in der Demokratischen Volckchsrepublickch Tirol, deren Dasein sich darauf beschränkt Opposition zu simulieren. Weil die Teile doch oft mehr ergeben als das Ganze, gibt es dann auch in der Landeshauptstadt Innsbruck eine Stadt-ÖVP und eine „unabhänige“ Liste, die das vertrauen der Landespartei genießt. Aus dem Boden gestampft hat die der Ex-Oberösterreicher van Staa, um schneller Bürgermeister zu werden. Nach Ihm haben auch  Hilde Zach,Tochter eines Metzgers und Fleischkas-Hilde genannt, Friede ihrer Asche, und deren Nachfolgerin - wie hieß sie noch? - das Listensystem übernommen. Die größte Einflugschneise der Republik wird daher nach wie vor „völlig unabhängig“ von irgendeiner Parteipolitik regiert. Währenddessen behandelt die Landes-ÖVP Tirol wie Forrest Gump seine Pralinenschachtel. Da gründet man schnell mal einen Privatuniversität auf der sich vom Pfleger bis zur Putzfrau die ganze Landeskrankenanstaltengesellschaft zumindest zum Bachelor qualifizieren soll, bis ihr die Akkreditierungen entzogen werden. Ein Tirolerhut ist eben noch kein Doktorhut. Die landeseigene Elektrizitätsgesellschaft TIWAG sponsert auch schon mal den Wahlkampf eines ÖVP-Bürgermeisters. Man merk also: Die Tiroler sind doch Österreicher (zumindest die im Norden und Osten). Dass das auch so bleibt, dafür sorgen die Myriaden an Bundesheersoldaten die in Tirol stationiert wurden, falls die Italiener mal wieder der imperialistische Gusto über die Alpen treiben sollte. Weil das aber nie eintrat und wohl auch auf absehbare Zeiten nicht eintreten wird - es sei denn Silvio Berlusconi will von einem seiner Skandale ablenken - ist das Heer in Tirol wie überall sonst mit einem umfassenden Auftrag zur alkoholischen Landesverteidigung ausgestattet. Und auch die Tiroler verstehen was vom Trinken, auch wenn sie danach manchmal das Zeitgefühl verlieren und in Innsbrucker Parkhäusern mit einem erweiterten Phantasiegefühl wieder aufwachen.

Wer sind nun also die Tiroler? Ein leicht aggressives, selbstbewusstes Volk, das eine herbe Sprache hat und einem Glas nicht abgeneigt ist? Man könnte fast glauben, sie wären die Klingonen Österreichs. Aber die Tiroler sind dann doch meist ansehnlicher als die langhaarigen Weltraumkrieger aus [Schtar Treckch]. Sie haben die Kulturform des Törggelen erfunden, produzieren im Süden mehr Äpfel als Europa verbrauchen könnte und die Qualität ihrer Weine soll auch zugenommen haben, seit die Arlbergbahn gebaut wurde und der süße Südtiroler Fusel den Weinanbau im Rheintal gekillt hat
Zugegeben, sie sind manchmal etwas von gestern. Ihre Verfassung heißt wie zu Kaisers Zeiten noch immer „Landesordnung“ und hat eine Präambel die „die Treue zu Gott und zum geschichtlichen Erbe, die geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes“ beschwört. Die letzte österreichische Verfassung in der Gott was zu suchen hatte wurde von Engelbert Dollfuß persönlich verlesen. Immerhin gibt es in Tirol auch offiziell Bordelle. Bei den vielen Kasernen ist das aber eine zivilisatorische Selbsterhaltungsmaßnahme.

Die Tiroler sind nette Leute, vielleicht nicht so modern wie andere heute, aber doch so wie die meisten es gestern waren. Sie wallfahren - mehrheitlich - nicht mehr zum Anderl von Rinn und sie wählen nicht nur ÖVP, sondern auch ÖVP, övp und Ö-V-P. Ah ja... und SVP natürlich. Im Gegegnsatz zu den Halbwahrheiten die manche bösen Witze über sie kolportieren, können sie sehr wohl Banane ohne „ckch“ aussprechen und sie schlagen nicht gleich jeden tot der ihnen zu nahe tritt...ein kleines Koma tut's auch.

Montag, 7. Februar 2011

Belgium haut alle um, oder: Der europäische Irak

In 49 Tagen ist es endlich soweit, dann wird Belgien Weltmeister sein. Nur freut sich auf diese Meisterschaft nicht jeder, denn am 28. März 2011 wird die Heimat von Tim und Struppi womöglich jenes Land in der Geschichte der modernen Staatlichkeit sein, das am längsten ohne Regierung auskommen muss. Bisheriger Rekordhalter mit 289 Tagen ist der Irak (siehe Countdown). Nun liegt die Hauptproblematik der ganzen Sache viel weniger in gewöhnlichen politischen Streitfragen begründet, wie das hierzulande der Fall sein könnte. Es geht nicht um die Frage der Ganztagsschule oder um die Abschaffung der Wehrpflicht. Nein, Belgien - das seit den 90ern ein Berufsheer hat - wird grundsätzlich infrage gestellt, oder wie der Wiener sagen würde: „Für wos brauchma des no?“

Als sich das Land vor 181 Jahren vom Vereinigten Königreich der Niederlande loslöste und für unabhängig erklärte, gab es dafür genau einen Grund: Die Gretchenfrage. „Sag, wie hast du's mit der Religion?“ fragten sich die Belgier wohl selbst und weil sie sich als Katholiken unter der protestantischen Mehrheitsbevölkerung nicht so sehr respektiert fühlten, machten sie Zores, was in den Geschichtsbüchern unter „Belgische Revolution“ Eingang fand. Passend zu Belgien, weil in sich nicht ganz stimmig, nahmen sie sich dann einen Protestanten zum König, Leopold von Sachsen-Coburg-Saalfeld. Der arme Poldi war zuvor schon als britischer Prinzgemahl gescheitert - Frau weggestorben - und hatte die Griechische Krone abgelehnt. Sein Sohn machte vor allem als Sklaventreiber Karriere. Er erwarb den Kongo - heute Demokratische Republik Kongo - als Privatbesitz und ließ widerwilligen Sklaven schon mal die Gliedmaßen amputieren, während er sich in Europa als Wohltäter und Retter der Schwarzen feiern ließ. Weil die Sache dann aber doch rauskam und Verstümmelung, Folter und Mord schon im 19. Jahrhundert nicht mehr zu den gesellschaftsfähigen Sanktionsmaßnahmen zählten, musste Poldi zwei seinen schönen Kongo dem Belgischen Staat vermachen, der sich noch heute über Reparationsforderungen freuen darf.

Nun ist Belgien aber nicht Belgisch Kongo und es bleibt nach wie vor die Frage, wo die Probleme denn herkommen. Das einende Band des Katholizismus hat nachgelassen, auch wenn heute sogar das Königshaus katholisch ist. Wie in den meisten Ländern Westeuropas interessiert sich außer dem Staatsanwalt kaum einer mehr für das Treiben in der Kirche. Und so stellt man sich in Belgien heute Fragen wie:  „Sag wie hast du's mit der Sprache?“ oder  „Sag wie hast du's mit der innerstaatlichen Lasten- und Einnahmenumverteilung?“

Belgien hat über 10,8 Millionen Einwohner, wovon über 60% Flamen sind, also Niederländisch sprechen. Der Rest verteilt sich großteils auf die französischsprachigen Wallonen und nicht einmal 75.000 Beutedeutsche, die nach dem Ersten Weltkrieg geschluckt wurden, als hätte man noch eine Sprache mehr gebraucht. Als es den Flamen in den 60ern dann endgültig zu bunt wurde, dass der belgische Zentralstaat mehrheitlich auf französisch verwaltet wurde, begann man mit der schrittweisen Dezentralisierung, modelte das Land schließlich 1993 zum Bundesstaat um und gewährte den Sprachgruppen Autonomien, die seitdem sukzessive ausgebaut wurden. Sogar das germanische Liliput um Eupen-Malmedy hat jetzt sein 25-köpfiges Minimundusparlament und darf einen auf Teilstaat machen.

So weit so ungut. Die Geschichte ist natürlich noch viel verzwickter: Früher war die Wallonie in der belgischen Zweckehe die Geldbringerin, seit aber die Industrie dort unaufhaltsam dem Niedergang verfiel, ist Flandern finanzstärker und denkt natürlich nicht im Traum daran der faulen Francophonie auch nur einen Cent in den waffelnverschlingenden Rachen zu werfen. Die Wallonen haben als die Ärmeren naturgemäß wenig Lust diesen Umstand ständig unter die Nase gerieben zu bekommen oder den reichen Gatten ohne Abfindung ziehen zu lassen.
Ein weiterer Knackpunkt ist Brüssel. Es ist die Hauptstadt Flanderns und offiziell bilingual, aber praktisch französischsprachig. Wer glaubt der österreichische Föderalismus sei Komplex, dem sei gewahr, dass es in Belgien nicht nur drei Regionen (Flandern, Brüssel und Wallonie), sondern auch drei Gemeinschaften (flämische, französischsprachige und deutschsprachige Gemeinschaft) und vier Sprachgemeinschaften (französische, niederländische, deutsche und zweisprachige (Brüssel)) gibt. Die beiden großen Regionen zerfallen nochmals in 10 Provinzen. Der Sprachenstreit hat sich mittlerweile so tief eingefressen, dass die Provinz Barbant, die die Hauptstadt Brüssel umgibt, in zwei Provinzen geteilt werden musste. Zweisprachige Schilder werden - besonders von flämischen Separatisten - häufig übersprüht. Auf Kinderspielplätzen gibt es Aufschriften á la „Tun Sie sich und Ihrem Kind einen Gefallen und sprechen Sie nur Niederländisch mit ihm.“ Um eine weitere Francophonisierung des Brüsseler Umlandes zu verhindern, dürfen nur niederländischsprachige Belgier dort hinziehen, weshalb man als Wallone zum Europäischen Gerichtshof gehen muss, um für sich die Niederlassungsfreiheit, die ein Portugiese in Finnland genießt, im eigenen Land einzuklagen.

Das Ganze hat natürlich seine Ursachen. Bevor die flämische Bewegung die Entwicklung Belgiens zum Bundesstaat durchsetzte, war der niederländischsprachige Landesteil einer schleichenden kulturellen Umwandlung unterzogen. Da nur wenige Wallonen ausreichende Niederländischkenntnisse besitzen, aber die meisten Flamen gut Französisch sprechen, ist Letzteres die im gemeinschaftlichen Verkehr de facto vorherrschende Sprache. Auch die königliche Familie mit Albert II. (dritter Vorname Humbert) an der Spitze ist francophon, was ihr Ansehen im flämischen Landesteil nicht maßgeblich steigert. Die Situation ist mittlerweile so aufgeheizt, dass diverse Politiker schon paranoide Züge zeigen. So äußerte sich der flämische Separatist Bart De Wever im Spiegel-Interview über die Rolle des Monarchen:
„Es ist ein Problem, dass der König noch eine politische Rolle spielt. Wenn es eine Krise gibt, wird der König wichtig, er führt die Regie bei der Regierungsbildung. Für uns Flamen ist das ein Nachteil, weil der König nicht so denkt wie wir. Für die Wallonen ist es ein Vorteil, weil sie mit ihm verbündet sind. Wir sind für die Republik“ De Wever
Dass ein Staatsoberhaupt sich nicht unbedingt für die Zerstückelung seines Landes ausspricht,  dürfte kaum verwundern. Dass er deshalb schon mit den Wallonen unter der Decke stecken soll, zeigt wie ernst es den Flamen mit der Trennung ist. Sie wollen keine Eheauflösung wegen Zerrüttung, sie wollen eine Scheidung aus Schuld.

Dass jemand wie Herman van Rompuy - seine unaufdringliche Art in allen Ehren - als eine der letzten Hoffnungen des belgischen Staates galt, bevor er ein anderes Büro in Brüssel bezog, zeigt, dass das Beste was diesem Land zurzeit noch passieren kann das politische Wachkoma ist. Der König hat mittlerweile den sechsten Vermittler ernannt, der eine Regierungsbildung zustande bringen soll. Die fünf Vorgänger haben allesamt ihr Amt wieder niedergelegt. Man braucht nicht zu glauben, dass sich Christlichsoziale und Christlichsoziale verstehen, auch wenn sie verschiedene Sprachen sprechen. Nicht in Belgien. Es gibt eine wallonische Sozialistenpartei und eine flämische, das gleiche gilt neben den genannten Konservativen auch für die Liberalen. Im Abgeordnetenhaus sind von 150 Mandataren 39 Angehörige explizit separatistischer flämischer Parteien („Neue flämische Allianz“ 12 Mandate (rechts) und „Vlaams Belang“ 27 Mandate (sehr rechts)), die zum Teil deutlich einen an der Waffel haben (man verzeihe mir das billige Wortspiel):
„Nach der Ermordung eines 17-Jährigen, die zunächst fälschlich Nordafrikanern angelastet wurde, forderte Flanderns rechtsradikaler Vordenker Paul Belien, verheiratet mit einer VB-Abgeordneten: "Gebt uns Waffen. (...) Die Raubtiere haben Messer. Von klein auf haben sie beim jährlichen Opferfest gelernt, wie sie warmblütige Herdentiere abstechen. (...) Not kennt kein Gebot."“ (Der Standard)
Der Protestbelgier 2030?
Die Lage ist schon so ernst, dass tausende Belgier unlängst - man stelle sich das einmal in Österreich vor - für eine Regierung demonstrierten. Es wurde sogar ein Rasurstreik ausgerufen, demzufolge sich alle Teilnehmer verpflichten ihre Bärte erst wieder zu stutzen, wenn Belgien eine Regierung hat. Vielleicht wird die Firma Gillette ja jetzt ihren politischen Einfluss zur Rettung der Lage einsetzten, wie das die United Fruit Company einst in Honduras tat. 

Es mag sein, dass einige der belgischen Streitparteien darauf setzen, dass die EU als einigendes Band eine Spaltung des Landes nicht zulassen wird. Wie wollte man auch mit Brüssel, der Hauptstadt  Europas verfahren? Aufteilen? Dass man sich im Fritten- und Schokoladestaat demnächst auf eine funktionierende Bundesregierung wird verständigen können, ist doch eher unwahrscheinlich. Vermutlich wird es in den nächsten Monaten zu Neuwahlen kommen. Kann dann immer noch keine Koalition gebildet werden, wird es richtig brenzlig. Was aus dem König und Masseverwalter Albert II. wird, fragen sich dabei wohl nur wenige. Seine Legitimationsgrundlage scheint ihm eigentlich schon entzogen zu sein, denn sein formaler Titel lautet „König der Belgier“ und davon gibt es ja nicht mehr allzuviele...