Montag, 6. Mai 2013

Das Jahr der ÖVP, oder: König Phyrrus auf dem Vormarsch


Spindeleggers TV-Statthalter spricht mit schwerem Vorarlberger Akzent, als er erneut die prophetische Aussage seines Parteichefs in die Kamera wiederholt: 2013 werde das Jahr der ÖVP. Vier Landtagswahlen hat die Volkspartei in diesem Jahr bestritten, bei keiner einzigen konnte sie einen Stimmengewinn verzeichnen. Trotzdem erklärt sie sich zur Siegerin im jahrelangen Rückzugsgefecht mit der SPÖ, weil sie diese als noch größere Verliererin einstuft. Zu Recht?

Zunächst scheint einiges für die vermeintlichen Erfolge der Schwarzen zu sprechen: In Kärnten konnte die ÖVP trotz massivster Verstrickungen in diverse Korruptionsfälle einen Totalausfall verhindern. In Niederösterreich glückte der Erhalt der Absoluten. In Tirol konnte man den Landeshauptmannsessel halten und in Salzburg nun gar zurückerobern. Außerdem hat man die Volksbefragung zum Bundesheer klar für sich entscheiden können. Auf den ersten Blick lässt sich die vorläufige Bilanz der ÖVP also durchaus sehen, auf den zweiten trübt sich die Sicht allerdings etwas ein.

In Kärnten hat die Volkspartei ihr Allzeittief erreicht. In Niederösterreich hat man trotz Erfolg über 50.000 Stimmen verloren. Günther Platter hat nicht nur das schlechteste Ergebnis der Tiroler ÖVP in der Geschichte der II. Republik eingefahren, er wurde auch eher durch den Rückzug von Fritz Dinkhauser gerettet als durch sein eigenes Zutun. Und auch in Salzburg hat die ÖVP seit 1945 nie so wenige Stimmen erhalten. Bei der Volksbefragung zur Wehrpflicht hat, selbst wenn manche Politiker der Volkspartei es nicht glauben wollen, auch niemand „ÖVP“ angekreuzt. Sich davon einen politischen Vorteil zu erwarten, der auch noch bis zum Herbst halten soll, ist etwas zu hochtrabend. Insgesamt sieht die schwarze Halbzeitbilanz also wesentlich ernüchternder aus, als es die Parteigranden gerne darstellen. Während die SPÖ bei den vier Landtagswahlen heuer insgesamt 88.746 Stimmen (plus in Kärnten gegengerechnet, Salzburg nach vorläufigem Endergebnis) verloren hat, kehrten ganze 113.446 Wähler der ÖVP den Rücken.

Natürlich darf man nicht den Fehler machen einzelne Landtagswahlen auf die Bundespolitik umzulegen. Wenn die ÖVP sich aber in drei Wahlduellen, von denen sie eineinhalb tatsächlich gewonnen hat, als Siegerin darstellt und trotz teils herber Verluste die Chuzpe besitzt 2013 zu ihrem annus iubilaeus zu deklarieren, muss man schon beinahe von einer masochistischen Verschiebung in der schwarzen Selbstwahrnehmung sprechen. 

Trotzdem passt der, vom Jubelalemannen Kopf allerorts verkündete, „Erfolgskurs“ der Christlichsozialen zum modernen großkoalitionären Politikverständnis. Im Duell SPÖ-ÖVP geht es schon lange nicht mehr ums Gewinnen. Es geht darum, dass der andere noch höher verliert. Das mag zum Teil auf Veränderungen im Stimmverhalten und schwächere Wählerbindungen zurückzuführen sein, im Kern haben sich die beiden ehemaligen Großparteien jedoch schon längst selbst aufgegeben. Vergangen sind die Zeiten, in denen es um gesellschaftliche Konzepte ging. Themen wie Ganztagsschule, Gesundheitsreform und Verwaltungsvereinfachungen werden zwar, wenn auch zum Teil nur halbherzig angepackt, aber von der Öffentlichkeit nur als Nebenschauplätze der innerkoalitionären Dauerschlammschlacht wahrgenommen. Ob Bankgeheimnis, Bienen oder Saatgut: Die kleinste Staubwolke wird zum großen „mir-san-mir-Orkan“ aufgebauscht, um ja nur tatkräftig genug zu wirken und den anderen gleichzeitig möglichst schlecht aussehen zu lassen.

Dass die Qualität der heimischen Politiker extrem nachgelassen hat, spielt in der Gesamtproblematik eine massive Rolle. Diese Erosion des politischen Humankapitals trifft nicht nur aber auch die ÖVP. Ein Parteichef, dem man offensichtlich in Coachings beigebracht hat, wie ein normaler Mensch wirkt, wenn er entrüstet ist und eine dauerpeinliche Finanzministerin, die ein antiquiertes Bleiberecht für Schwarzgeld verteidigt, sind ebenso genante Aushängeschilder der Republik wie der Ex-Taxler im Bundeskanzleramt und die fast fertige Zahnarzthelferin mit Zuständigkeitsbereich Innovation und Technologie.

Besseres Personal wird sich auf die Schnelle nicht finden lassen, aber die ÖVP wäre, ebenso wie ihre Koalitionspartnerin, gut beraten ihre Wahlziele neu zu überdenken. Ja, sie konnte einen Landeshauptmann halten und einen weiteren gewinnen. Für die Wahl im Herbst sagt das genau Garnichts aus. Außerdem grenzt es an Dreistigkeit zu glauben, dass es beim Wähler irgendeinen Eindruck hinterlässt, wenn man sich selbst die immer gleichen Sätze vorlügt: „Es waren schwierige Umstände für uns.“, „Wir haben trotz des Skandals, für den eigentlich die Partei XY verantwortlich war, das Wählervertrauen zurückgewinnen können.“, „Bundesland YZ hat für Stabilität gestimmt.“ etc. etc. Wer will das noch hören? Und wer will noch zuschauen, wenn ÖVP und SPÖ schwer verletzt aufs Ziel zulaufen, sich aber nicht darauf konzentrieren, sondern vielmehr versuchen dem anderen noch ein Bein zu stellen? Offensichtlich nicht mehr viele.