Montag, 24. Mai 2010

Blumen für Kim Il Sung, oder: Von der Kunst der kreativen Wahrheitsdarstellung.

Es gibt ein Land, in dem Milch und Honig fließen, wo die werktätigen Massen die Macht im Staate übernommen haben, wo das Volk wahrlich herrscht, das in allen wissenschaftlichen, militärischen und wirtschaftlichen Bereichen führend unter den Nationen dieser Erde ist: Nordkorea.

Letzte Woche hatte ich das Vergnügen die Ausstellung „Blumen für Kim Il Sung“ im MAK zu besuchen. Ein Stück nordkoreanisches Paradies in Österreich. Nachdem man den Eintritt bezahlt hat - soviel Kapitalismus muss sein - betritt man den Sicherheitsbereich durch einen Metalldetektor. Besonders amüsant: Am selben Tag schlug das Ding bei meiner Gürtelschnalle im Parlament nicht an, der Detektor im MAK hat sie gefunden. Hat man die Sicherheitsüberprüfung wohlbehalten überstanden, geht man eine Treppe hinauf und erreicht den Ausstellungsraum durch eine Glastür. Es herrscht absolutes Fotografieverbot und die Anzahl des Wachpersonals übersteigt jene der Besucher um das Doppelte. Eine Vase mit aufwändigem Blumenschmuck erhebt sich im Raum. Gladiolen, Kirschzweige, Hortensien, Orchideen, Nelken und Pfingstrosen ergeben gemeinsam eine interessante pink-rosa Mischung zu Ehren eines Mannes: Kim Il Sung, seines Zeichens ewiger Präsident der Demokratischen Volksrepublik Korea, Diktator, Massenmörder und seit 1994 tot.

Die Bilder der Ausstellung sind größtenteils in einem herrlichen Kunststil gehalten, der sich sozialistischer Realismus nennt. In einer Pose aus ängstlichem Entzücken blickt eine Soldatin den großen Führer - so Kim Il Sungs Propagandatitel - von unten an. Der Bildtitel erklärt ihre Furcht: „Mein Führer, dort vorne ist die Front.“ Weitere Gemälde zeigen den stalinistischen Langzeitherrscher und seinen Sohn und Nachfolger Kim Jong Il umringt von lachenden Kindern, Arbeitern und Soldaten. Niemand ist größer als die Diktatoren, obwohl Sohnemann Jong Il selbst für koreanische Verhältnisse kurz bemessen ist. Die Plateauschuhe, die er trägt um seine natürliche Körpergröße von etwa 1,6 m zu überragen, sieht man auf den Bildern im Museum aber nicht. Der Künstler hat die diktatorischen Ausmaße wohl etwas wohlwollender bewertet als die Realität, vielleicht auch aus Furcht vor einem der gut 200 Arbeitslager, die das nordkoreanische Regime für seine geschätzten 150.000 Widersacher im eigenen Land unterhält. Sozialistischer Realismus zeichnet sich nicht unbedingt durch Realitätsverbundenheit aus.

Neben den kommunistischen Jubelmalereien finden sich auch etliche Propagandaplakate in der Ausstellung. „Lasst uns mehr Äpfel ernten um die Apfelernte zu steigern.“ verkündet sinngemäß eines von diesen. Eine lächelnde Arbeiterin posiert vor dem Ernteerfolg, während im Hintergrund ein Traktor die Bäume mit einem - sicher biologisch abbaubaren - Mittel besprüht. Ein Weiteres Plakat fordert die gewissenhafte Umsetzung des Volksgesundheitsgesetzes. Eines verlangt den Bau von mehr Zügen und Kraftwagen, ein weiteres warnt vor den Gefahren unbeschrankter Bahnübergänge. Besonders amüsant wirkt jenes Poster, das aus Anlass des 50. sozialistischen Frauentages entstand und das im Hintergrund Demonstrationsplakate gegen Atomwaffen zeigt.

Mein absolutes Lieblingsbild ist jenes, das den lieben Führer - Propagandatitel des jüngeren Kim - dabei zeigt, wie er eine Armeekantine inspiziert. Dort türmen sich Fleisch- und Gemüseberge. Ein stehendes Heer von über einer Millionen Mann will schließlich ernährt werden. Formal unterhält Nordkorea damit die fünftgrößte Armee der Welt. Tatsächlich dürften weite Teile der Ausrüstung bereits veraltet sein. Wenn sich die Lebensmittel in den Kantinen der Koreanischen Volksarmee auch nicht stapel dürften, so ist diese bei der Nahrungsversorgung doch privilegiert. Als in den 90ern etwa eine Millionen Nordkoreaner in diversen Hungersnöten starben, wurden die Hilfslieferungen der UNO zunächst zur Versorgung der Streitkräfte verwendet.

Wer sich auch nur etwas mit nordkoreanischer Innenpolitik beschäftigt hat, erahnt den Wahrheitsgehalt der in Wien ausgestellten Kunstwerke.
Kim Il Sung spielt mit Kindern auf einer Parkbank, Flüchtlingskinder aus dem stalinistischen Korea zeichneten in chinesischen Lagern Bilder von menschlichen Extremitäten an Fleischerhaken. Gerüchteweise wird das Fleisch Hingerichteter auf den Wochenmärkten Verkauft.
Glückliche Arbeiter sehen verklärt zu ihrem lieben Führer auf, während sie einen gigantischen Staudamm errichten. Die Sklaven in den nordkoreanischen Konzentrationslagern haben eine geschätzte Lebenserwartung von 50 Jahren, leben oft nur von 100g Reis am Tag, bei 16 Stunden Arbeit und kochen heimlich Frösche, Insekten und Ratten. Frauen in den Lagern werden zu Abtreibungen gezwungen, oft werden mit den Delinquenten auch deren Familien interniert. Jene die Propagandaunterricht erhalten, gehören dabei noch zu den Privilegierten, weil sie als noch resozialisierbar angesehen werden. Sie dürfen ihre Mitgefangenen und sich selbst öffentlich kritisieren. Die anderen arbeiten mehr, essen weniger und haben keine Aussicht darauf jemals entlassen zu werden. Der gute Bekannte eines Professors unternahm eine Reise nach Nordkorea - man wird ständig bewacht und hat keinen Kontakt zur normalen Bevölkerung - und erkundigte sich, warum es im Land des realen Sozialismus keine Versehrten gebe. Man antwortete ihm, dass der Führer alle Behinderten heile. Das klingt verdammt nach Spiegelgrund.

Möglicherweise glauben die Nordkoreaner aber tatsächlich an die übernatürlichen Fähigkeiten ihres Herrschers. Die Jubelpropaganda verbreitet über ihn so liebevolle Geschichten wie jene, die am Tage seiner Geburt einen Regenbogen über dem Paektusan, dem heiligen Berg Koreas, bezeugt. Dementsprechend verwundert es auch nicht, dass der kleine Kim laut offizieller Geschichtsschreibung alle Seifenkistenrennen gewann, an denen er teilnahm. Vielleicht auch deshalb, weil etwaigen Widersachern das Gulag bevorstehen hätte können. Kim Jong Il soll seinen großen Vater außerdem vor einer Verschwörung gerettet und selbsternannte Dichter entlarvt haben, die in Wirklichkeit die Partei spalten wollten und von amerikanischen Imperialisten bezahlt worden waren. Aber auch im Erwachsenenalter sind ihm die wundersamen Begabungen nicht abhanden gekommen: So erkannte er den negativen Einfluss der Mona Lisa, die ihm unheimlich vorkam und er besitzt die erstaunliche Fähigkeit auf der Stelle den Fehler zu finden, wenn er die Motorhaube eines defekten Wagens hebt und das Motorengeräusch hört. Auch konnte Kim Jong Ill während einer Frontbesichtigung - Nordkorea befindet sich offiziell noch immer im Krieg mit dem Süden - durch plötzlich aufkommenden Nebel die hermetisch abgeriegelte Grenze überschreiten und die feindlichen Stellungen auskundschaften. Voll Wahrheit dürfte auch jene Story sein, die berichtet, dass es ihm während eines Marinemanövers durch die Gewalt seiner Stimme gelang das tosende Meer zum Schweigen zu bringen. Ob er danach auch über selbiges zu wandeln pflegte, ist leider nicht überliefert.

Während das Volk von der Göttlichkeit seiner Führung überzeugt wird, pflegt diese auch einen überaus himmlischen Lebensstil. Ausländische Köche stehen rund um die Uhr bereit, um vom Burger bis zu Kaviarbrötchen alles zu kredenzen, was der kommunistische Herrscher von Welt zu speisen wünscht. Aus Österreich lässt sich der geliebte Führer von der Limousine bis zum Geigerzähler alles beschaffen, was das Diktatorenherz begehrt.
Das Staatsoberhaupt, das als begeisterter Cineast bekannt ist - er besitzt angeblich die weltgrößte private Videosammlung - ließ sich auch südkoreanische Schauspieler und Regisseure entführen, um von diesen eine eigene Filmindustrie aufbauen zu lassen. Seine filmerische Leidenschaft stellte Kim schon in jungen Jahren dem Staat zur Verfügung. So führte er angeblich bei Propagandaklassikern wie „Meer des Blutes“ und „Der unsterbliche Soldat“ selbst Regie.

Damit das Volk auch nicht den Hauch eines Zweifels an der Qualität seines Führungspersonals hegt, wird zu besonderen Anlässen nicht nur zu deren Ehren massengeturnt, nein, um die Super-Kims nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, stehen auch überall im Land Statuen des berühmten Vaters und des - Zitat - „vom Volk so geliebten Sohnes und Erfinders des Kim Il Sungismus“. Ein großes Museum stellt alle Geschenke aus, die die beiden Kims von ausländischen Gästen erhalten haben und die eine tiefe Verehrung des Auslandes für den - nochmals Zitate - „Stern Koreas“ und seinen Sohn das „Genie des 21. Jahrhunderts“ erkennen lassen sollen.

Am besten läuft die Kimsche Propagandamaschinerie in der Hauptstadt Pjöngjang, vor allem weil dort noch genug Strom vorhanden ist um die Bürger um fünf Uhr früh mit Sirenen und Nationalhymne aus dem Bett zu reißen. Fernsehen, Radio und Zeitungen sind völlig gleichgeschaltet und singen jeden Tag ein Loblied ums andere auf Marschall Kim und seinen Spross, der sich gerne als „das Gehirn der Massen“ verehren lässt. Damit aber nicht genug: Hin und wieder lässt das Regime in Pjöngjang ganzseitige Anzeigen in angesehenen ausländischen Zeitungen schalten, um diese dann zu zitieren.

Ganz klar, dass auch die Ausstellung in Wien propagandistisch verwertet werden wird. Deren kritikfreie Kommentarlosigkeit wird dazu sicherlich beitragen. Dennoch: Ohne diesen Kompromiss hätte die Kommis ihre kostbaren Kunstschätze sicherlich nicht herausgerückt und der liebe Wolfi und ich hätte uns im Museum nicht lautstark über den Stalinismus nordkoreanischer Prägung lustig machen können. Für die geschundenen Einwohner des fleischgewordenen George-Orwell-Albtraums macht das bisschen Propaganda zusätzlich auch keinen Unterschied mehr.

Wen nun die Reiselust gepackt hat, der kann sich unter flogender Adresse für eine Reise ins Land von Kall Malx und Fliedlich Engels anmelden:
http://www.nordkoreareisen.de/

Den anderen sei ein Besuch des Museums für Angewandte Kunst anempfohlen.

Samstag, 15. Mai 2010

At Her Majesty's pleasure... or: Long May She Reign.

Eine 84-jährige mehrfache Großmutter regiert seit 58 Jahren und 98 Tagen ein Land mit 62 Millionen Einwohnern sowie 15 andere Staaten auf dem ganzen Globus. Nach dem thailändischen König Bhumibol ist sie das dienstälteste Staatsoberhaupt der Welt, keiner ihrer Kollegen regiert ein so großes Territorium.

Sollte sich jemals ein österreichischer Bundespräsident über die tiefe Kluft ereifern, die zwischen seinen formalen Rechten und seinen tatsächlichen politischen Möglichkeiten klafft, möge er sich an diese Dame wenden und er wird seinen Seelenfrieden finden. Formal gehört ihr jeder Grundbesitz im Reich - dort kann eigentlich kein Land, sondern nur Pachtrecht verkauft werden -, sie ernennt nach Belieben ihre Regierung, sämtliche Richter, Beamte und Offiziere, erklärt Krieg, führt den Oberbefehl über ihre Streitkräfte und löst das Parlament nach Lust und Laune auf. Kein Gesetz kann Gültigkeit erlangen, das nicht ihre Zustimmung, den Royal Assent, erhalten hat. Sie ist die Verteidigerin des Glaubens, das Oberhaupt des Commonwealth, sie ist die Königin des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland.

Elizabeth II. D.(EI) G.(RATIA) REG.(INA) F.(IDEI) D.(EFENSOR) wäre also durchaus sehr mächtig. Wenn da nicht das Problem mit der Verfassung wäre. „Wir haben keine“ bemerkt etwas spitzfindig und nicht ganz korrekt die Schauspielerin, die im Film „The Queen“ Tony Blairs ungraziöse Ehefrau Cherie darstellt. Die Briten stecken mit ihrer Verfassungsentwicklung noch im 17. Jahrhundert fest und weil Traditionen im Land des Nebels und des schlechten Essens ja sehr groß geschrieben werden, wäre eine Verfassung, die die Monarchin von Gottes Gnaden binden würde, geradezu ein Sakrileg. Es gibt bedeutende Gesetze, die vor allem das Verhältnis von Krone und Parlament beziehungsweise von Krone und Untertanen (man denke etwa an die Habeas Corpus Akte) regeln, aber keine geschriebene Verfassung an sich. Deshalb gilt für die Konstitution im Vereinigten Königreich, was der österreichische Gesetzgeber zu vermeiden versucht wie der Teufel das Weihwasser und nur im absoluten Ausnahmefall gelten lässt, das Gewohnheitsrecht.

All die Macht, die in der ursprünglichen Verfassungstradition dem Monarchen zukam, liegt nun tatsächlich in den Händen der Regierung. Seit König Charles I. im Bürgerkrieg gegen das Parlamentsheer unterlag und daraufhin sein Haupt einbüßte, halten sich britische Monarchen mehr oder weniger aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik raus. Und das wird von ihnen auch erwartet. Als sich Elizabeth II. für die Einheit ihres Landes – und damit vor allem gegen den schottischen Sezessionismus – aussprach, wurde ihr das schon als Einmischung angekreidet. Dementsprechend schmal sind auch ihre tatsächlichen Funktionen im politischen system des Inselreiches: Die Königin wird informiert, sie berät und warnt. Das wars dann auch schon. Sie ernennt den Wahlsieger zum Premier, hält im Parlament die Rede, die er für sie geschrieben hat, erklärt Krieg und löst das Parlament auf, wenn er es ihr rät, sprich vorschreibt.

Das faszinierende am Verfassungssystem Großbritanniens ist aber, dass es niemals jemand wagen würde der Queen auch formal Vorschriften zu machen. Man verbeugt sich vor ihr, nennt sie „Your Majesty“ und „Mam“, dreht ihr beim Rausgehen niemals den Rücken zu und verhält sich auch sonst so, als stünden ihr die erwähnten formalen Rechte tatsächlich noch zu. Als Michelle Obama die Queen am Arm berührte, ging ein Raunen durch den Blätterwald. Der Palst musste sogar eine Presseerklärung herausgeben, in der verlautbart wurde, dass der Körperkontakt von Ihrer Majestät selbst ausgegangen sei und Mrs. Obama diesen lediglich erwidert habe. Eine Königin darf nicht unaufgefordert angetatscht werden. Dies musste auch der australische Premierminister Paul Keating erfahren. Weil er ungefragt seinen Arm um die Regentin gelegt hatte, erntete er von der britischen Presse den wenig schmeichelhaften Spitznamen „The Lizard of Oz“. Die walisische Regionalabgeordnete Leanne Wood wagte es sogar - wohlgemerkt in Abwesenheit der Queen - diese als „Mrs. Windsor“ zu bezeichnen und wurde - als erste Mandatarin des Parlaments von Wales überhaupt - des Saals verwiesen. Man spricht von Gottes gesalbter Königin nicht wie von der Hausbesorgerin von der Fünferstiege.

Höchstens die Regenbogenpresse wagt es ab und an die Queen zu kritisieren, wenn sie etwa keine Krokodilstränen um ihre Exschwiegertochter vergießt oder man sie wegen der Parlamentsrede etwas wenig schmeichelhaft den Papagei des Premierministers nennt. Doch sogar Schundheftchen wie der Sun ist Monarchie irgendwie heilig. Immerhin  - so heißt es - seien etliche Eskapaden Prinz Williams verschwiegen worden, zuungunsten seines jüngeren Bruders, der jetzt als Schnapsnase und Nazifaschingsprinz der Nation verschrien ist. Man wollte eben den Ruf des zukünftigen Königs nicht beschädigen. Das Volk soll Respekt haben vor der Person vor der es das Knie beugt.

Wenn sie jährlich in ihrer Staatskutsche ins Parlament tingelt, um mit der Imperial Crown auf dem Kopf die Gedanken des Prime Ministers vom Blatt zu lesen, schickt dieses traditionell einen Abgeordneten als Geisel in den Buckingham Palace, um mit seinem Kopf für die Sicherheit der Monarchin zu bürgen. In Großbritannien verhält man sich so, als würde Guy Fawkes noch immer im Keller des Palstes von Westminster auf Pulverfässern sitzen, oder als warte Oliver Cromwell nur darauf den Herrscher Köpfen zu lassen um seine stinkende Republik ausrufen zu können.

Bei aller Liebe zum Pomp, das große Britannien schießt schon den Vogel ab: Als letzte Monarchie in Europa werden Könige dort noch gesalbt und gekrönt. Weder im katholischen Spanien, noch im neoabsolutistischen Liechtenstein geschieht Vergleichbares. Und während der schwedische König ohne Aufsicht der Regierung nicht einmal mehr husten darf - die Verfassung nennt ihn mit etwas patzigem Republikanismus meist nur „Staatschef“ - bittet Elizabeth II. immer noch den Sieger der letzten Unterhauswahl zu sich, um ihn mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Wenn wir dem oben erwähnten Film Glauben schenken dürfen, muss sich der Kandidat dabei niederknien. Ob die Queen dann wirklich den bedeutungsschweren Satz
The duty falls upon me, as your sovereign, to invite you to become Prime Minister and to form a government in my name.“ 
sagt, bleibt der Öffentlichkeit wohl verborgen. In einem Land, in dem es nicht üblich ist das Staatsoberhaupt anzusprechen, ohne gefragt worden zu sein, bleiben auch Interviews mit der Queen eine schöne Phantasie für alternde Journalisten. Immerhin dürfte „The Queen“ im Palast nicht gänzlich auf Ablehnung gestoßen sein. Man munkelt Regisseur und Hauptdarsteller seien zu einem Abendessen geladen worden.

Wie Traditionsverhaftet die Briten noch immer sind, zeigt auch, dass der Premierminister zwar einen Nuklearkrieg führen kann, sein Posten im Protokoll des Vereinigten Königreiches aber recht weit hinten steht: Nach dem Monarchen, seinen thronfolgeberechtigten Verwandten, dem Erzbischof von Canterbury und den sieben Great Officers of the State.

Andererseits: Was schadet es, wenn die Briten ihre politische Schizophrenie weiterpflegen? Sie singen „God save the Queen“ und machen einen Diener, während das Volk die eigentliche Macht im Staate besitzt. Wahrscheinlich ist die Monarchie so etwas wie eine anachronistische Beruhigungstablette, die einem Glauben macht, dass es Dinge gibt, die sich nicht verändern: Die Queen als würdevolles Antimodernisierungsgroßmütterchen.

Diese Woche hat Oma Lisbeth wieder einmal einen neuen Regierungschef ernannt. Dass dieser zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg – in dem sie als Mechanikerin bei der Army diente - eine Koalitionsregierung anführt, stört formal nicht im Mindesten und an Realitäten stört man sich nicht. Die Regierung Ihrer Majestät wird so lange im Amt bleiben wie es IHR beliebt, nicht dem Volk. Eben at her Majesty's pleasure ...

Montag, 3. Mai 2010

Einmal Manila und zurück, oder: Fünf Jahre studieren in Wien.

In Großbuchstaben stand „6800 Feldkirch – PHILIPPINEN“ auf dem Umschlag. Der letzte Zusatz war vom Postler durchgestrichen und durch „ÖSTERREICH !“ ersetzt worden. Da war er nun also, der lang erwartete Brief. Angefordert noch vom Computer aus der Schulbibliothek, mangels häuslicher Internetversorgung. Er enthielt ein personalisiertes Massenschreiben, von denen ich in den folgenden Jahren noch viele erhalten sollte und eine genaue Liste mit Dokumenten und deren Kopien die mitzuführen waren zum Inskriptionstermin an der Universität Wien. Fast fünf Jahre sind seitdem vergangen.

Manche Leute würden sagen ich sei sonst organisatorisch eher verpeilt - bei der Internetanmeldung war ich warscheinlich bei der Länderangabe um einen Buchstaben auf die Philippinen verutscht - aber Listen liegen mir. Da kann man alles abarbeiten und doppelchecken und am Ende passts dann auch. Daher hatte ich auch alles mit, um mich fürs Diplomstudium zu inskribieren, nicht wie ein Jahr später der gute Wolfi, dem es trotzdem - wohl als erstem Menschen überhaupt - gelang, ohne original Maturazeugnis und nur mit seinem Charme bewaffnet einer abgebrühten kalten Universitätssekretärin einen Studentenausweis abzuluchsen.
Mein philippinischer Brief aber sorgte im Zulassungssekretariat für umgehende Heiterkeit: „Hobts es des scho gwusst? Feldkirch liegt auf de Philippinen!“ Und tatsächlich fühlte ich mich in den Jahren danach oft so, als wäre ich vom andern Ende der Welt und nicht vom andern Ende Österreichs nach Wien gekommen. Was man denn studieren wolle war die nächste Frage. Gut vorbereitete Antwort: „Jus und Politikwissenschaft.“ Gegenfrage: „Was als Hauptstudium?“ Schlecht vorbereitete Antwort: „Ähhh... Hauptstudium?“ Schließlich entschied sich das Bauchgefühl für eines der beiden. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde ich wüsste noch welches. Später erfuhr ich, das habe ohnehin keine rechtliche Bedeutung mehr. Aha... Österreich.

Ich zog in ein Studentenheim, acht Quadratmeter Doppelzimmer, WC am Gang, 100€ Kampfpreis im 20. Bezirk. Immer wieder Stromausfälle und ein baugleiches Asylantenheim vis a vis, aus dem man regelmäßig Angstschreie von Frauen und Kindern hören konnte. Die Hausverwalterin hatte einen Hund im Rattenformat und einen Papagei, der ein Zimmer direkt unter meinem bewohnte und neben dem Nokia-Standardklingelton, dem Druckergeräusch und Hänschen klein auch die Titelmelodie von Star Wars pfeifen konnte. Außerdem hatte Frau S. einen Hang zum Kontrollwahn - Schuhe sind aus feuerpolizeilichen Gründen nicht am Gang zu verwahren - und einen Lebensgefährten namens Manfred mit langem dunklem Haar und einem Hang dazu den ganzen Tag mit nacktem Oberkörper herumzulaufen. Was am Gang vor ihrer Wohnung so seltsam roch, erschloss sich meiner grenzenlosen Naivität und Unbedarftheit erst, als ich über die charakteristische Geruchsnote illegaler Rauchmittel informiert worden war... Wien.

Ich teilte mir mit meinem Mitbewohner einen Schreibtisch, ein Bad und die Eltern. Über das Vergnügen, sich mit 19 wieder ein Zimmer mit seinem Bruder teilen zu dürfen etwas nach der Wahrheit zu erwähnen verbietet mir die familiäre Courtoisie. Die Freude dürfte aber durchaus gleichmäßig verteilt gewesen sein. Mein Zimmergenosse glänzte aber ohnehin mehrheitlich durch freundinbedingte Abwesenheit, irgendwie war es glaube ich uns beiden recht.

Das Leben packte mich von der harten Seite an wie ein Kleinkind, das man ohne seine Mutter in einem Einkaufszentrum aussetzt. Am ersten Wochenende saß ich im Heim, das Wort zu Hause kommt mir diesbezüglich heute noch schwer über die Lippen, mit leerem Magen und mit schrecklichem Heimweh. Ich hatte vergessen einzukaufen. Meine Tage verbrachte ich auf der Uni oder vor dem Fernseher im Gemeinschaftsraum, mit dem ich - aus Sicht der anderen Heimbewohner - zu einer optischen Einheit verschmolz. Manchmal hatte ich Gesellschaft von einer ebenso eremitischen Steirerin aus Liezen (ja, der Bezirk ist größer als Vorarlberg). An manchen Tagen habe ich aber mit keinem Menschen ein Wort gewechselt. Manche Leute werden auch so erwachsen.

In Wien sah ich Dinge, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Vor meinem Heim kramten Menschen, auch Kinder, in den Mülltonnen um Essen und Wertsachen. Über die Straßen liefen nachts Ratten. Einmal musste der Manni von der Hausbesorgerin mit ein paar stärkere Burschen ins Asylantenheim hinüber rennen um einer Frau zu Hilfe zu kommen, die von ihrem Mann verprügelt wurde. Von akademischer Abgehobenheit war in diesem Studentenheim keine Spur.

Auf der Uni wurde einem nichts nachgetragen, die Schule war im Vergleich dazu ein Tageshort gewesen. Meine zwischenmenschlichen Erfolgserlebnisse hielten sich in Grenzen. Wer mich kennt wird's vielleicht nicht glauben, aber ich hab's nicht so mit der Kontaktaufnahme. Im ganzen Studium hab ich aus eigenem Antrieb - soeben mit Erschrecken nachgezählt - nur vier Leute kennengelernt, mit denen ich noch ab und an Kontakt habe und die mir nicht von Freunden vorgestellt wurden. Man kann auch in eine Millionenstadt ziehen um dort allein zu sein. Über dreißig - großteils völlig sinnlose - Wikipediaartikel verdanken mir wohl auch deshalb ihre Existenz. Aber keine Angst, ich bin zwar ein komischer Kauz, aber keiner von der Sorte der eine Todesliste führt und Sie mit manischem Blick und einer abgesägten Schrotflinte besuchen kommt. Und ich verbitte mir im Übrigen jedes Mitleid. Sollten Sie mich näher kennen, wissen Sie, dass ich es nicht verdient habe. Außerdem bin ich Gefühlsduseleien grundsätzlich abgeneigt.

Ein Jahr verging, es kamen Schulfreunde nach Wien und die Zeiten wurden besser - wesentlich. Ich wurde ein leidenschaftlicher Politikwissenschafter und ein freudloser Jurist. Ich kann zwar kurzfristig Lerninhalte abspeichern, aber nicht auf Dauer, wenn sie mich intellektuell nicht tangieren.
Wenn einen Fragen der Diversionsfähigkeit von Delikten interessieren, aber Fragen der fehlenden Notwendigkeit der qualifizierenden Haupttätereigenschaft beim sonstigen Beitragstäter nicht, sollte man die Juristerei besser lassen. Das habe ich getan, lasse mich nun als zukünftigen Langzeitarbeitslosen verspotten und mir juristisches Halbwissen bescheinigen. Seis drum. Beinahe der Großteil der Studenten die ich kenne haben nach einem Jahr ihr Studium geschmissen und ein neues angefangen. Ich hab nur einen Abschnitt Jus gemacht und mich dann auf Powi konzentriert. Schande über mich und alle zukünftigen Taxifahrer!

Dabei kann ich nur den Wenigsten ihre Abneigung gegen dieses Pimperlstudium verübeln, das ich führe. Wow! Laura Rudas und Alfred Gusenbauer sind Politikwissenschaftler... auch so kann man den Ruf eines Wissenschaftszweiges ruinieren. Mit mir studieren Leute, die genau wissen, wie der kapitalistische Eurozentrismus in der postmodernen patriarchalen Konsumgesellschaft die sozialkritische neotrotzkistische Selbstentfaltung der lesbitrans-Frauenbewegung verhindert, die aber keine Ahnung haben, wie eine Bundesregierung gebildet wird oder welche Staaten der Europäischen Union angehören. Diskussionen mit Frauen, die drei Haarfarben und offensichtlich selbst gewebte Kleidung tragen, klingen oft wie der Abgesang einer dauerprotestierenden und realitätsentfremdeten Akademikergeneration, die mich dazu gebracht hat den Begriff links neu zu definieren. Aber auch anderswo sieht’s nicht besser aus... Ein Wahlfach auf der Geschichte hat mich gelehrt, dass selbst Hochschuldozenten nicht unbedingt den Vornamen von Karl Seitz - erstes republikanisches Staatsoberhaupt unseres Landes - kennen und auch mal Deutschösterreich mit Österreich verwechseln. Selbst die vielgerühmte Juristerei bleibt nicht davon verschont. Ein deutscher Rechtsgeschichteprofessor versuchte das volle Audimax davon zu überzeugen, dass der Bundespräsident in Österreich nicht vom Volk gewählt wird. Selbiger hielt dann bei der Parlamentsbesichtigung den Sitzungssaal des alten Abgeordnetenhauses für jenen des Bundesrates. Die knapp 450 Sitze Unterschied fielen ihm offensichtlich nicht auf. Das neue Hochschulgesetz - so der Herr Studienprogrammleiter Dvorak - habe dem "Bodensatz der deutschen Lehre" an österreichischen Universitäten Tür und Tor geöffnet. Der heimische Bodensatz ist jetzt wenigstens nicht mehr so allein...

Das wirklich Schöne beim Studieren war die Selbstbestimmtheit. Allen, die in einer modernen Krabbelschule namens Bologna-System das Laufen lernen müssen, an dieser Stelle mein aufrichtiges Mitleid. Ich durfte lesen und lernen was mir gefiel und konnte ein volles Politikwissenschaftsstudium hinter mich bringen ohne eine einzige Lehrveranstaltung zur Gender-Thematik besuchen zu müssen. Die - man verzeihe mir die Ausdrucksweise - ideologisch aufgespritzten Genderschnallen mit ihrer monokausalistischen Kapitalismuskritik durften mir auch in den übrigen Seminaren und Vorlesungen den Buckel runterrutschen. Wer glaubt, dass er die Welt verbessern kann, indem er den Staat als kriminelle Organisation abschaffen will, gehört nicht in eine Uni, sondern unter die Beobachtung der Staatspolizei. Nur Phrasen dreschende Akademiker können Themen wie soziale Gerechtigkeit und Emanzipation durch permanente Schwachsinnigkeit in den Dreck reiten. Genauso wie all jene die es für politisch korrekt halten, wenn es jemand der weder Englisch noch Deutsch in einem Ausmaß spricht, dass man mit ihm eine sinnvolle Unterhaltung führen kann, bis ins Diplomandenseminar schafft. Wer in Wien Politikwissenschaft studiert hat, hat nur meinen Respekt, wenn ich ihn oder seine Arbeit kenne. Die anderen sind prinzipiell zum wegschmeißen... im wissenschaftlichen Sinn natürlich.

Ich habe mit Kurden studiert, die allein den kapitalistischen Interessen der USA die Schuld am Afghanistankrieg gaben und mit einem schlagenden Burschenschafter von der FPÖ, der die Existenz der österreichischen Nation in Zweifel zog. Man könnte sage ich habe alles gesehen. Auch dass Vorlesungen für 350 Personen in Seminarräume für 55 stattfanden oder dass der Bibelprediger, den ich schon von der Wienwoche kannte, einen Hörsaal missionieren wollte, bis ihm der alte Prof. Tálos mit der Polizei drohte. Mein Rechtsgeschichteprüfer rechtfertigte in der Prüfung vor mir die Ausschaltung des Parlaments im Austrofaschismus und war dann Mitglied im Personenkomitee für Barbara Rosenkranz. Im Buch seines Kollegen las ich von der fast vollständig gewährleisteten richterlichen Unabhängigkeit im Nationalsozialismus. Die Schwiegertochter eines verstorbenen Altkanzlers bleibt immer ein, zwei Wochen länger im Urlaub, weil man sie nach ihrem Dienstvertrag aus dem Jahre Schnee praktisch in keiner Form belangen kann. Ein Prof. für Internationale Politik ist bekannt als ein wahrer Kapazunder auf dem Gebiet der Vereinten Nationen und dafür, dass er sich gern an Studentinnen heranmacht. So ist eben die Uni, auch nur ein Mikrokosmos.

Zumindest auf dem Gebiet der Studentenheimwissenschaft wurde ich in Wien zum Experten. Vier Heime und fünf verschiedene Zimmer habe ich in fünf Jahren hinter mich gebracht. Aus dem Loch im 20. Bezirk zog ich nach einem Jahr aus, lebte dann zwei Jahre mit dem schrecklich schnarchenden Wolfi in der Pfeilgasse im 8. Bezirk in einem Doppelzimmer, bis er sich eine Wohnung und ich mir ein Einzelzimmer leistete. Nach drei Jahren wurde das Heim - laut Portier ein ehemaliges Frauengefängnis - renoviert. Ich bat um ein Einzelzimmer in einem der anderen beiden Pfeilheime, beide mehrere hundert Plätze fassend. Da ich wusste, dass etwa 60-80% der Belegschaft jedes Jahr wechseln, dachte ich dass ich nach drei Jahren gute Chancen hätte. Weit gefehlt. Bei den Anmeldebögen für die Zimmer kann man freiwillig eine nicht näher definierte Vereinsmitgliedschaft angeben. Unter den Bewohnern katholischer Studentenheime ist weithin bekannt: Die besten Zimmer bekommt man, wenn man beim CV ist. Die fehlende Verbandsmitgliedschaft brachte mich in den 15. Bezirk. Zwei U-Bahnstationen hinter dem Westbahnhof - bis zu 40 Minuten Fahrzeit zur Uni. Im neuen Zimmer lag überall der Lurch. Für die nicht erfolgte Reinigung hatte ich 50€ bezahlt. Es dauerte mehrere E-Mails und Monate, bis man mir aus Kulanz die Hälfte erstattete. Das Internet stürzte ständig ab. Schließlich zog ich aus. Neues Heim, neues Glück... im 9. Bezirk lebt sich’s nicht nur zentraler sondern auch besser.

Trotz all meinen Umzugseskapaden bin ich - aus reiner Sentimentalität - Vorarlberger geblieben. Vom Land erhalte ich dafür keinerlei Förderung, andere Bundesländer gewähren sie. So hat mich mein Hauptwohnsitz in Feldkirch schon alleine 500 € mehr an Semesterticketgebühren gekostet. Das alles um den psychologischen Selbstbetrug aufrecht zu erhalten, dass man ja gar nicht in Wien zu Hause sei. Dabei geht mir der Großstadtsumpf sogar manchmal schon ab. Aus einem Vorarlberger einen Wiener zu machen, erscheint mir aber immer noch als Sakrileg. Wer den Refrain der Landeshymne mitsingt, sollte ihn auch ernst meinen.

Fünf Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Noch nie sind sie für mich so schnell vergangen wie die letzten und noch nie hat sich so viel verändert. Die Rohfassung meiner Diplomarbeit liegt beim Betreuer, ich hoffe die Note wird der Zahl der Jahre die ich darauf hingearbeitet habe nicht entsprechen.