Montag, 19. August 2013

Wie schwarz sind die NEOS? oder: Kann man die wählen?

Die ÖVP ist für manche Ihrer Kinder wie eine verbitterte Großmutter. Manchmal erzählt sie vom Krieg und wie der Figl den Staatsvertrag ganz allein erreicht hat. Dann raunzt sie über die Schwulen und die Ausländer, gegen die sie ja eigentlich nix hat, aber... Kurzum, für manche ist sie ein einziger Bremsklotz für die gesellschaftspolitische Weiterentwicklung der Republik. Darum gibt es jetzt die NEOS. Die sind jung und hipp und unverstaubt, wollen alles Mögliche rrrraus und vieles andere rrrreinbringen in die Politik und so... Aber irgendwie hängt ihnen nicht nur personaltechnisch der schwarze Mief nach. Wie viel ÖVP steckt eigentlich unter dem rosa Mantel?

Eines kann man der neuen Politbewegung nicht absprechen: Sie profiliert sich in der Öffentlichkeit mit einer vertrauenserweckenden Sachlichkeit und dem Mut Politik nicht als Produkt verkaufen zu wollen. Gerne wird auch zugegeben, dass man nicht auf alles eine Antwort habe, ein Selbsteingeständnis das man heute bei sonst keiner Partei mehr findet. Oft hat es auch den Anschein als ringe da eine liberale Parteiführung mit der strukturkonservativen Basis. Für Forderungen wie dem Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare haben die NEOS lange gebraucht. Die ÖVP hat das bis heute nicht geschafft, nicht zuletzt weil Politiker wie Maria Fekter regelmäßig Weihwasser schwitzen, wenn sie auch nur auf Schwulenrechte angesprochen werden. Die NEOS, so hat man den Eindruck, wollen es vor allem auch in diesem Punkt anders machen: Politik soll sich an der Gesellschaft orientieren, so wie sie ist und nicht so wie man sie gerne hätte.
„Es ist das generelle Verständnis, auf dem Neos aufbaut, dass man bereit ist, Fakten anzuerkennen, anstatt sich der Realität zu verweigern.“ Claudia Gamon im Standard
Trotzdem hat man das christlichsoziale Erbe im Hinblick auf das Thema Homosexualität nicht ganz überwunden. Die eingetragene Partnerschaft soll der Ehe zwar gleichgestellt werden, so heißen darf sie aber nicht.
„Wir haben da lang diskutiert. Und es gibt auch sehr wertkonservative Kirchgänger bei uns. Die haben gesagt: Uns ist es ein Anliegen, dass wir das nicht Ehe nennen.“ Matthias Strolz in der Presse
Das ist so vernünftig als würde man fordern, dass Tankstellen zukünftig Superbenzin in zwei verschiedenfarbigen Zapfsäulen anbieten müssen. Wo bleibt der frische Wind, wenn man zwar Gleichberechtigung fordert, aber aus offensichtlich theologischen Überlegungen das alte Etikett drauflassen will?

Die NEOS haben ein innovatives Bildungskonzept, das sich tatsächlich am Stand der Wissenschaft und nicht am Stand der Gewerkschaft orientiert. Nicht einmal die Grünen können heutzutage ein Schulprogramm vorlegen, das ausschließlich pädagogischen und nicht ideologischen Richtlinien folgt. Während die ÖVP noch ihrem Lehrer-Lämpel-Image frönt in dem sie ihr Elitendenken im Gymnasium einzementiert sehen möchte und erst seit kurzem begonnen hat sich, wenn auch nur etwas, von einer Lehrergewerkschaft zu distanzieren deren Kompromissbereitschaft zwischen ein und zwei Grad Kelvin pendelt, fordern die rosaroten Meuterer volle Autonomie in Fragen des Schultyps und freie Schulwahl.

In vielerlei Hinsicht sind die NEOS eine entschlackte ÖVP. Sie verzichten auf die xenophobe Nerzmantelmafia aus dem ersten Bezirk und auch auf die Innovationskompetenz eines Fritz Neugebauer. Der geht selbst der ÖVP schon seit Jahren so auf die Nerven, dass man ihn zum Zweiten Nationalratspräsidenten gemacht hat, im Glauben er wäre dann ruhiger. Genutzt hat es nichts. Die Schwarzen kommen scheinbar nicht mit ihren Altlasten zurecht, den personellen und den ideologischen. Der Landeshauptmann von Vorarlberg lässt eingetragene Partnerschaften nur in der Abstellkammer zu, der Bürgermeister von Graz öffnet den Trausaal erst nachdem er ein VfGH-Erkenntnis studiert hat und der oberste Lehrergewerkschafter stellt allen Ernstes fest, dass es eine Gesetzesbegutachtung zum neuen Lehrerdienstrecht ohne Zustimmung der Gewerkschaft gar nicht geben könne. Auch bei Bienenschutz und Mafiaparagraf brauchte es erst öffentliche Empörung um die ÖVP von ihrem Kurs abzulenken.

Freilich, die NEOS wollen es anders machen und in den oben genannten Punkten würden sie das auch. Ihr Wahlprogramm strotzt nur so vor reformatorischer Begeisterung, da schießt man auch manchmal über das Ziel hinaus: Man fordert ein personalisiertes Verhältniswahlrecht bei dem 75% der Mandate direkt vergeben werden sollen, wobei es schwer sein dürfte mit den restlichen 25% Proportionalität herzustellen. Der Bundesrat soll abgeschafft werden, dass er dem selbst zustimmen muss und eine Gesamtänderung der Bundesverfassung samt Volksabstimmung fällig wäre, bremst die NEOS nicht. Regierungsmitglieder sollen sich einem Hearing im Nationalrat stellen, auch wenn für deren Ernennung ausschließlich der Bundespräsident zuständig ist. Die Länder sollen entweder die Steuerhoheit bekommen oder abgeschafft werden. Die Parteienförderung soll um 75% gekürzt werden, was ein doch eher populistischer denn realistischer Ansatz sein dürfte. Die Sozialpartner sollen nicht mehr in Begutachtungsverfahren eingebunden werden. Der Güterschienenverkehr soll zum Wirtschaftsministerium wandern, der restliche Schienenverkehr beim BMVIT bleiben. In Fragen EU wird man dann etwas größenwahnsinnig und abstrus. Einerseits fordern die NEOS - doch etwas deftig für eine außerparlamentarische Oppositionspartei im bevölkerungsmäßig 15.-größten EU-Land - einen neuen, direkt gewählten EU-Verfassungskonvent einzusetzen, andererseits soll der Rat zur zweiten Parlamentskammer aufsteigen. Einer Forderung die wohl einige in Versuchung führen würde Margret Thatcher zu zitieren. Außerdem sollen die Ratsvertreter direkt gewählt werden, gleichzeitig aber will man das „Stimmverhalten aller Regierungsvertreter_innen bei Abstimmungen ... restlos offen[legen]“. Spätestens hier beschleicht einen der Verdacht, dass die NEOS in diesem Punkt ihre eigenen Ideen nicht verstanden haben. Man kann kaum verlangen, dass direkt gewählt wird und gleichzeitig annehmen, dass die Vertreter im Rat dann weiterhin Regierungsmitglieder sein werden, es sei denn man ist von der Aussichtslosigkeit der ersten Forderung überzeugt und hängt die zweite daher quasi in eventu dran.

Der ÖVP-ness-Faktor der NEOS mag in gesellschaftspolitischen Fragen niedriger sein, in wirtschaftspolitischen ist er kaum zu übersehen. In manchen Punkten werden die Schwarzen von der neuen Bewegung sogar auf der Autobahn des Neoliberalismus überholt. Die NEOS sind die Einzige Partei, die die umstrittene Exploration von Schiefergasfeldern unumwunden befürwortet. Sie fordern eine Liberalisierung der Landenöffnungszeiten, die Anhebung des Höchststeuersatzes, die Abschaffung der Gesellschaftssteuer, die Erhöhung der Grundsteuer, Privatisierung staatlicher Unternehmungen, Einfrieren aller Gehälter im öffentlichen Dienst auf fünf Jahre, die Gebietskörperschaften und Kammern sollen „Konzernbilanzen“ vorlegen und automatische Gehaltssprünge für Arbeitnehmer sollen geändert oder gleich abgeschafft werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.

Das Projekt NEOS ist ambitioniert und gut gemeint. Vermutlich würde die Partei im Parlament nicht schaden, aber soll man sie deshalb wählen? Die Rosaroten sind Fleisch vom Fleisch der ÖVP. Ihr Parteichef Strolz wird als politischer Ziehsohn von Karlheinz Kopf bezeichnet, sie lassen sich von Erhard Busek beraten und verweisen in ihrem Programm direkt auf das Steuerkonzept der Industriellenvereinigung. Vielleicht ist man die katholische Moral der ÖVP, wenn auch nicht immer zum Vorteil, losgeworden. Möglicherweise sind die NEOS auch so korrekt, transparent, leistungsorientiert und fortschrittlich wie sie sich geben und ja, sie verzichten im Gegensatz zur großmütterlichen Volkspartei auf den vorgeblich christlichen Anstrich. Aber eines haben sie mit ihr jedenfalls gemeinsam: sozial sind beide nicht.