Freitag, 6. Juni 2014

Mittwoch - Schottentor, oder: Die Polizei muss schuld sein

Ich bin kein Demonstrationsgänger, die Leute die da so auftauchen sind mir manchmal fast genau so unangenehm wie die, gegen die demonstriert wird. Ich habe eine grundsätzliche Verachtung für Faschisten, Deutschnationale und Nationalsozialisten, aber ich beschränke mich darauf sie zu zeigen, wenn sie mir über den Weg laufen. Das Risiko, dass bei einer Demo plötzlich neben mir jemand seine private Weltrevolution ausrufen möchte und ich ihn augenscheinlich mit meiner Anwesenheit unterstütze, ist mir einfach zu groß und den schwarzen Block mag ich auch nicht so.

Am Mittwoch bin ich also nur ganz zufällig in den Tumult geraten. Eigentlich wollte ich vom Schottentor mit der Straßenbahn weiter, aber der Ring war von den Demonstranten noch blockiert, also doch U-Bahn. An mir geht eine Gruppe mit roten und türkischen Nationalfahnen vorbei zur U 2. Alles ist ruhig, bis von oben ein Trupp Polizisten gerannt kommt. Als ich sie einige Sekunden später auf der Rolltreppe einhole, ist auf dem Bahnsteig schon die Hölle los. Ein Mann, der offenbar verhaftet werden soll, wehrt sich dagegen mit Händen und Füßen. Er windet sich und schlägt umher. Zu seiner ursprünglichen Gruppe stoßen schnell weitere Demonstranten dazu, ich bin mir nicht sicher, ob sie sich überhaupt kennen. Jedenfalls beginnen sofort die Sprechchöre: „Lasst ihn frei! Lasst ihn frei!“ Es klirrt und scheppert, Fahnenstangen fallen auf den Boden. Plötzlich tauchen von irgendwo her einige Jugendliche auf. Sie sehen nicht wie Demonstranten aus und scheinen auch nicht zur Gruppe zu gehören. Einer beschimpft die Polizisten, während ein Mädchen versucht ihn zurückzuhalten. Sie redet auf Türkisch auf ihn ein, er schreit auf Deutsch weiter. Sie versucht ihn in die eben einfahrende U-Bahn Richtung Seestadt zu schieben, er widersetzt sich. Jetzt skandieren die Demonstranten „Wiener Polizisten beschützen die Faschisten!“ Rechte Gegendemonstranten sind bislang nicht aufgetaucht. Die Polizei versucht den Festgenommenen mit dem Lift nach oben zu bringen, was scheitert. Daher ziehen sich die Beamten in Richtung des Ausgangs Hohenstaufengasse zurück. Auf dem Perron wird es langsam eng. Eine Demonstrantin stellt eine Gösserdose direkt auf der Bahnsteigkante ab, ein us-amerikanischer Tourist erkundigt sich, was eigentlich los sei. Einige Leute suchen bereits das Weite. Irgendwo schreit jemand „Tötet die Faschisten!“

Endlich fährt die U-Bahn ein, mir ist die ganze Geschichte schon unangenehm. Momentan kann man noch nichts herauslesen: Warum hat die Polizei die eigentlich friedliche Gruppe aufgehalten? Wer hat zuerst zugeschlagen? Wissen eigentlich alle die da schreien, worum es geht? Jetzt will ich nur noch weg, aber die U-Bahn fährt nicht. Der Schaffner bittet die Türen frei zu machen, nichts rührt sich. Hinten, Richtung Hohenstaufengasse, spielt es sich ab. Man hört Schreie und empörte Rufe. Plötzlich laufen die Jugendlichen von vorhin durch den Zug, dicht gefolgt von einem Polizisten. Den Letzten von ihnen erwischt er und zieht ihn hinaus. Sofort scharen sich Demonstranten um ihn. Eine schreit „Er hat nichts gemacht!“ Vom Ausgang Universitätsring kommt Verstärkung für die Polizei, die jetzt den ersten Verhafteten über die Mitteltreppe nach oben abführt. Von hinten ruft eine „Hurenpolizisten!“ Ein blonder junger Mann schlägt wütend gegen die Scheibe der Treppe, zeigt seinen Mittelfinger und ruft „Fuck you!“ Eine junge Frau vergisst sich scheinbar völlig. Ohne sie zu sehen, höre ich sie aus der U-Bahn. Hysterisch schreit sie um sich „Ihr Schweine!“ Endlich fährt die Garnitur an, mich und mein mulmiges Bauchgefühl nimmt sie mit.

In der ZiB 2 sieht man am Abend den Mann, der zuerst verhaftet wurde, mit blutigem Gesicht. Die Verhaftung habe nichts mit der Demonstration zu tun gehabt, heißt es. Hat ihn die Polizei so zugerichtet? Aber die ganze Situation wurde gefilmt, von Anfang an. Als ich auf den Bahnsteig gekommen bin, war der ORF schon dort und ein halbes Duzend Demonstranten hielt die Handys in die Höhe. Wie hätte da einer unbemerkt so zuschlagen können? Am nächsten Tag höre ich, dass ein Polizist den Mann erkannt hat. Er soll bei einer früheren Demonstration eine Beamtin schwer verletzt haben. Sie musste am Arm geschient werden. In der U-Bahnstation verweigerte der Verdächtige die Aufnahme seiner Daten. Bei der Amtshandlung verletzt er sich. Jemand hält dem ORF sein Handy hin. Auf dem Video sieht man, wie der Mann auf einen Polizisten eintritt, der umgefallen ist und am Boden liegt. Mit Antifaschismus hat das wenig zu tun. Ich frage mich, wie wohl die Umstehenden reagiert hätten, wenn der Mann irgendeine Frau, keine Polizistin, verletzt hätte und deshalb verhaftet worden wäre. Dann wäre er wohl nur ein brutaler Schläger. Vielleicht würden manche es so aber „Widerstand gegen die staatlichen Suppressionsbehörden“ nennen. Andere würden vielleicht vorher nachfragen, für wen sie da eigentlich Parolen skandieren. Ein Demonstrant sagt dem ORF, das ganze Geschehen habe Frauen mit Kindern in die Flucht getrieben, der Vorwurf richtet sich wohl an die Exekutive. Offenbar muss sie irgendwie schuld sein, die Polizei. Ich weiß wieder, warum ich nicht auf Demos gehe: Blinde Solidarität ist nicht das Meine.