Sonntag, 21. März 2010

Bahn wirkt...

Nachdem die letzten beiden Blogs etwas sehr politisch-moralisch geworden sind, kehre ich zur Abwechslung wieder einmal ins leichtere Metier zurück:

Zu den Dingen die ich gerne tue gehört das Zugfahren. Da muss ich nicht lernen und habe sechseinhalb Stunden Zeit um Zeitung zu lesen.
Wenn mich die Angst vor starken Reisetagen überkommt – an Wochenenden vor Ferienbeginn etwa – bin ich sogar einer von denen die sich einen Sitzplatz reservieren. Zweite Klasse, Abteil, Nichtraucher, Fenster bitte. Da es jetzt nur noch Nichtraucherabteile und im neuen Rail Jet auch nur noch Großraumwagen gibt, kann ich mir zwei Klassifikationen meistens sparen.

Der Bahnhof ist ein Ort, an dem meine Zwangsneurosen regelmäßig aufblühen. Meistens bin ich schon eine Stunde vor Abfahrt dort, warte auch bei Minusgraden am Bahnsteig und bin der erste, der in den einfahrenden Zug springt, aus Angst er könnte ohne mich starten. Ist es ein Vormittagszug, nehme ich – nachdem ich meinen meist gigantisch schweren Koffer verstaut habe – ein Cola zu mir, weil ich vermutlich durchgemacht habe, damit ich nicht wieder den Wecker überhöre und folglich den Zug verpasse. Wenn ich dann meinen Abteilfensterfahrtrichtungsplatz habe, bin ich glücklich, höre Musik und lese den Spiegel. Wenn dann die weiteren Zugreisenden einsteigen, bin ich sogar der, der den Damen die Koffer hochhebt. Man merkt: Zugfahren macht aus mir einen anderen Menschen. Das Beste an Bahnreisen sind aber immer die Geschichten die man da so erlebt. Fast jeder fährt irgendwann einmal Zug, also hat man meistens einen bunten Gesellschaftsquerschnitt an Bord, sieht man einmal von den Schnöseln ab, die erste Klasse fahren.

Da ist etwa die Frisörin, die ihre Erfüllung in einem Laden gefunden hat, wo man für besondere Kunden in Vollmondnächten die Haare schneidet und dann feierliche Begräbnisse für den verlorenen Kopfschmuck organisiert.

Da gibt’s auch noch die zwei HAK-Lehrer, für die offensichtlich ein Suff nach einem Maturaball zu unerwünschter Konsequenz geführt hat. Die Konsequenz heißt Luis und ist etwa ein Jahr alt. Meinen ganzen Lebtag lang habe ich noch keine Mutter gesehen, die ihr Kind so wie eine Sache behandelt. Sie strahlt die Herzenswärme eines Eiszapfens aus, er ist einigermaßen verzweifelt über die Gesamtsituation. Und während der Eisberg nach einem mittelgroßen Ehekrach nach Windeln stöbert, finde ich mich wieder wie ich den armen Luis auf dem Schoß sitzen habe und Grimassen schneide.

Nicht zu vergessen sind auch die vier Damen zwischen 50 und 60, die nach einem Shoppingwochenende – das offensichtlich mit einem Sektfrühstück beendet wurde – zurück nach Salzburg fahren und mir Geschichten aus ihrer Jugend erzählen. Wie die von der Freundin, die sich die damals so modernen hautengen Jeans kaufte und sich damit in die Wanne setzte, um sie noch weiter einlaufen zu lassen. Das Ergebnis war, dass sie damit nicht in den Bus einsteigen konnte, weil ihr die Hosen das Anheben der Beine nicht mehr gestatteten.

Und erst die armen Chinesinnen, die versehentlich Fahrkarten mit Fahrradmitnahme lösten und mich verzweifelt ansehen, als ich ihnen im Bahnkorridor um Rosenheim erkläre, wir seien jetzt in Deutschland. Sie wollten doch nach Innsbruck! Der Schaffner ist natürlich einigermaßen überfordert mit ihrem Englisch und sie mit seinem.

Noch mehr aufgeregt hat sich wohl nur der Herr, der mir von seinen Erfindungen erzählte, und dass die Chinesen sein Patent gestohlen und praktisch denselben Föhn auf den Markt gebracht hätten, wie den, den er entworfen habe.

Dann ist da noch die freundliche Steirerin, die sich bei mir erkundigt, ob man sich beim Studium der Politikwissenschaften denn von vornherein auf eine Partei festlegen müsse. Man soll Bildung eben nicht mit Ausbildung verwechseln…

Oft ärgert man sich aber auch über die Bundesbahnen… Da reserviert man extra einen Platz, ab Landeck, weil lange bekannter Schienenersatzverkehr, und als man aus dem Bus steigt gibt es nicht einmal die angegebene Wagonnummer. Antwort des Schaffners auf Nachfrage: „Konn i jo nix dafier, wonn schlechtes Wetter is.“ Dann gab’s noch das eine Mal, als ich vor Weihnachten ohne Heizung mit Minusgraden im Abteil von Wien nach Feldkirch fahren musste. Auf die unzähligen, oft stundenlangen Verspätungen muss ich da gar nicht erst eingehen. In der Deutschen Bahn serviert man dann wenigstens gratis Getränke, die ÖBB bitten kostengünstig um Verständnis und erstatten Preise prinzipiell nur ab dem Limit, das ihnen das Europaparlament setzt. Eigentlich ein Wunder, dass die Bundesbahnen nach derzeitiger Schätzung erst im Jahr 2060 Schuldenfrei sein sollen.
Hin und wieder kommt es natürlich auch zu Überbuchungen bei Sitzplatzreservierungen. An dieser Stelle ein kleine Empfehlung: Fahren Sie niemals Nachtzug. Er ist immer überfüllt mit zwielichtigen Personen, von denen etliche nicht sehr viel Wert auf Körperhygiene legen.
Dann gibt es da noch die nervigen fahrenden Verkäufer, die die Gänge verstopfen und einen dreimal pro Fahrt fragen, ob man ihnen nicht irgendetwas völlig überteuertes abkaufen möchte. Aufheitern kann einen da nur noch das berühmte Zugführerenglisch: „Bitte beachten Sie die Lautsprecherdurchsagen am Bahnsteig! Plies lissn tu dä Ludschpiekers!“ Aber auch am Deutsch mangelt es des Öfteren: „De Reisenden de was mit de Auto do san, bitte auf Bahnsteig zehn.“

Ein Erlebnis ist auch die Reise mit dem 80jährigen EX-Installateur, der sich nach seiner Weltreise mit einem sowjetischen Luxusliner eine philippinische Ehefrau besorgt hat, die erst ein paar Tage später nachreisen wird. Ihr Sohn hat in Wien eine Frau geschwängert und das monatelang verheimlicht. Für ihren Mann kein Wunder, denn: Die Filipinos sind ein verlogenes Volk. Alle Bankmanager möchte er am liebsten einsperren. George W. Bush sollte seiner Meinung nach am besten dasselbe Ende erleben wie Saddam Hussein. Und der Haider, der habe was drauf gehabt, auch wenn er es mit den armen Juden manchmal übertrieben habe. Bestürzt zeigt er sich über meine Äußerung bezüglich Haiders angeblicher Homosexualität. Er habe ja nichts gegen die Schwulen, aber…

Manchmal kommt man auch ins Grübeln, wie an dem Tag, als ich in die Steiermark fahre und permanent verdächtige Geräusche höre. Ich vermute schon einen Zugdefekt, komme dann aber hinter die Ursache, als ich auf den Gang schaue und dort eine Frau entdecke, die in regelmäßigen Abständen „Sch… sch… sch“ macht, dann ihre Zähne bleckt und in einen Handspiegel starrt. Dafür muss ich mir das Lachen verkneifen, als eine Steirerin lautstark ins Telefon brüllt, was sie so am „Wouchenëinde“ macht.

Nett ist auch, wenn man zufällig Leute trifft, die man kennt. Einmal reserviert meine Tante unabsichtlich im selben Zug genau den Platz neben mir. Dann trifft man wieder mal Schulfreunde, die nach einer Fahrt mit mir oft merkwürdig erleichtert und scheinbar mit Kopfschmerzen in Innsbruck aussteigen. Auch die Zugfahrt mit einem bekannten Polizisten nebst fünf Kindern bleibt mir wohl ewig in Erinnerung. Dabei hab ich gottseidank nicht dieselbe Einstellung zu Kindern wie mein Bruder, der fast überkocht wenn sie nur mal laut husten und deshalb prinzipiell nur im Großraumwagen fährt, weil man da leichter flüchten kann. Dabei erlebt man in der kleinen Abteilgemeinschaft viel mehr. Etwa das interessante Prinzip, dass der Letztzugestiegene oft als Eindringling wahrgenommen wird. Öffnet dann der Schaffner die Tür und fragt „Zugestiegen?“, geben etliche Reisende kleine Signale in Richtung des Neuzugangs, etwa indem sie ihn kurz ansehen. Fast eine kleine Parabel über Zuwanderung.

Die Bahn ist ein Sozialbiotop, das einen oft freut, manchmal ärgert und hin und wieder zum ausrasten bringt. Aber wenn’s einem zu blöd wird, gibt’s gottseidank immer noch Kopfhörer und den Spiegel.

Dienstag, 16. März 2010

Dieses Land braucht ein Verbotsgesetz.

Hitler war gerade erst acht Tage tot und der Krieg hatte an diesem Tag erst geendet, da erließ die Provisorische Staatsregierung der Republik Österreich ein Gesetz. Sie tat dies einstimmig und erließ es im 13. Stück des Staatsgesetzblattes. Für so ein Gesetz – und wäre es auch nur ein Scherz gewesen – hätte man die gesamte Staatsregierung – Sozialdemokraten, Christlichsoziale und Kommunisten – Wochen zuvor noch geköpft oder wie es in diesen Tagen eher üblich war: An irgendeiner Straßenlaterne aufgeknüpft, wie jene drei Mitglieder des österreichischen Widerstandes die versucht hatten Wien an die Russen zu übergeben und damit die Stadt vor weiterer Zerstörung zu bewahren.
Doch die zwölf Staatssekretäre und der Staatskanzler taten es, im Bewusstsein dessen, dass sie alle das Schlimmste schon hinter sich hatten und vielleicht mit der stillen Genugtuung, dass sie es nun tun konnten ohne von einer vorbeikommenden Abteilung des Volkssturms, der SS oder einem jener fliegenden Feldgerichte ermordet zu werden, die in jenen letzten Kriegstagen noch so vielen Menschen das Leben gekostet hatten. Das Gesetz – es stand und steht noch im Verfassungsrang – begann mit den bedeutungsschweren Worten:

„Die Provisorische Staatsregierung hat beschlossen: […] Die NSDAP, ihre Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK). ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände sowie alle nationalsozialistischen Organisationen und Einrichtungen überhaupt sind aufgelöst; ihre Neubildung ist verboten. Ihr Vermögen ist der Republik verfallen.“

Auch wenn die Staatsregierung wusste, dass ihr Einfluss noch nicht weit reichte, sie war erst von den Sowjets anerkannt worden – die restlichen Alliierten hielten sie zunächst für eine Marionettenregierung und ließen sich mit ihrer Bestätigung daher bis Oktober Zeit – erließ sie es, um klar zu machen wohin es nie mehr gehen sollte. Zu einem Zeitpunkt, als es noch ein gefährliches und mitunter Tage dauerndes Unterfangen war von Wien nach Graz zu fahren, machte die neue Regierung kurzen Prozess mit jenen, die nicht nur diese Fahrzeitverkürzung, sonder auch noch über 50 Millionen Tote in Europa, darunter etwa 330.000 Österreicher, und die Zerstörung von Städten, Straßen, Brücken und unwiederbringlichem Kulturgut zu verantworten hatten. In Paragraph drei des neuen Gesetzes wurde mit solchen, die sich eine Wiederholung des Ganzen wünschten, nicht lange gefackelt:

„Es ist jedermann untersagt, sich, sei es auch außerhalb dieser Organisationen, für die NSDAP oder ihre Ziele irgendwie zu betätigen. Wer weiterhin dieser Partei angehört oder sich für sie oder ihre Ziele betätigt, macht sich eines Verbrechens schuldig und wird hierfür mit dem Tode und dem Verfalle des gesamten Vermögens bestraft.“

Man schrieb den 8. Mai 1945, Staatskanzler Renner und seine zwölf Minister, damals noch Staatssekretäre genannt, unterschrieben das Verbotsgesetz, das nach der nächsten umfassenden Novelle „Verbotsgesetz 1947“ genannt wurde, und machten es im Staatsgesetzblatt kund, das an seine Abonnenten ging, wahrscheinlich nur die Parlamentsbibliothek und die russische Kommandantur im Palais Epstein vis-a-vis. Viele Österreicher wussten vielleicht noch nichts davon und hatten andere Probleme als sich mit etwas auseinanderzusetzen, das die meisten von ihnen zu Beginn gutgeheißen hatten und das dann so viel Leid über sie und die Welt gebracht hatte. Und die Mehrheit wäre wohl nicht im Traum darauf verfallen dem Gesetz zuwider zu handeln, weder hatte man einen Bedarf an gescheiterten Katastrophenpolitikern – wie Renner sie in der österreichischen Unabhängigkeitserklärung genannt hatte – noch wollte man mit den Besatzungsmächten Probleme bekommen. Und sowieso, wer gründet eine Mörderpartei neu, wenn er nicht weiß was er morgen essen soll?

Das Land wurde neu aufgebaut, das Verbotsgesetz wurde novelliert. Zunächst (1947) wurde es noch verschärft. Neue Tatbestände fanden Einzug, die alles unter Strafe stellten, was man so rund um NS-Wiederbetätigung anstellen kann, von Raub über Sprengstoffdelikte und Brandstiftungen bis zum Mord. Und auch die „sonstige Wiederbetätigung“ wurde mit §3g verboten. Noch immer dachten nur wenige daran, sich auch nur sonstig wiederzubetätigen. Das neue Stichwort hieß Entnazifizierung – natürlich auf Österreichisch. Am Anfang hatte man noch ein paar „feste Nazis“ gehenkt, einige lebenslang eingesperrt, noch 1945 waren etwa 800.000 „Ehemalige“ nicht wahlberechtigt. Die Zeiten änderten sich und Österreich tat was es am besten konnte: Es änderte sich mit. Die Entnazifizierungen wurden laxer, die „Ehemaligen“ sickerten wieder in die Gesellschaft, wurden Politiker in allen Parteien oder kehrten in ihre Beamtenstellen zurück – unter Nachzahlung ihrer Pensionsansprüche für die Jahre 1938-45 und die entgangene Dienstzeit danach. 1957 strich man das Verbotsgesetz etwas zusammen, ein paar Absätze entfielen, die Registrierungspflicht für ehemalige wurde aufgehoben. In der Schule lernten die Kinder welche Schlachten Erzherzog Karl und Prinz Eugen geschlagen hatten, was ein KZ war ließ man lieber unter den Tisch fallen, so wie mehr oder weniger die ganze Geschichte nach 1918. Kreisky, ein Mann aus bürgerlich-jüdischem Hause, wurde Bundeskanzler und holte sich ein paar Altnazis in die Regierung. Der Verband der Unabhängigen (VdU) – Politische Heimat der Übriggebliebenen Ex-Braunen – wurde zur FPÖ, nachdem er über seinem neuen Grundsatzprogramm zerbrochen war (Zitat: „Österreich ist ein deutscher Staat, seine Politik muß dem gesamten deutschen Volk dienen“). Das Verbotsgesetz wuchs mit. 1968 entfernte man die Todesstrafe. Mit den Verurteilungen hielt es sich in Grenzen, Wiederbetätigung war ein selten angeklagter Tatbestand. Nur die Nationaldemokratische Partei (NDP) lehnte sich zu weit aus dem Fenster und verfiel 1984 dem verfassungsgerichtlichen Verbot.
Dann kam das Jahr 1986, die Waldheimaffäre und mit ihm die ungeliebte Erinnerung. Vranitzky räumte eine Mitschuld der Österreicher an den Gräueln des Nationalsozialismus ein und das Verbotsgesetz wurde novelliert. Diesmal meinte man es aber ernst, vielleicht so ernst wie seit jenen Maitagen im Jahre 1945 nicht mehr, und man machte die Sache gründlich. Erstmals wurde die Leugnung des nationalsozialistischen Völkermords unter Strafe gestellt. Die Novelle von 1992 hatte es in sich und erlaubte es den Gerichten denjenigen ein bis zu zehn Jahre, bei besonderer Gefährlichkeit des Täters oder der Betätigung bis zu 20 Jahre gesiebte Luft atmen zu lassen, der:

„[…] in einem Druckwerk, im Rundfunk oder in einem anderen Medium oder […] sonst öffentlich auf eine Weise, daß es vielen Menschen zugänglich wird, den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost, gutheißt oder zu rechtfertigen sucht.“

Wutschäumende Neonazis wie Gerd Honsik haben seither immer wieder vor Gericht versucht den Holocaust mit „Fakten“ zu widerlegen. Der Oberste Gerichtshof stellte jedoch ein Beweismittelverbot fest:

„Der Bundesverfassungsgesetzgeber […] hat ex lege klargestellt, daß der nationalsozialistische Völkermord und die anderen nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Strafverfahren keiner weiteren beweismäßigen Erörterung bedürfen, woraus folgt, daß dieses Beweisthema einer Beweisführung entrückt ist. […] eine Beweisaufnahme über diese Tatsachen kommt mithin nicht in Betracht.“

Nun ändern sich die Zeiten wieder und das Verbotsgesetz wird angegriffen. Der Angriff erfolgt von zwei Seiten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Die eine Seite hat selbst handfeste Interessen daran nicht hinter Gittern zu landen, verlangt die Abschaffung aus Gründen der Meinungsfreiheit und meint damit dass sie wieder sagen möchte was nicht stimmt. Die Neonazipartei NVP betreibt im „Weltnetz“ eine „Heimseite“ auf der geegen das Verbotsgesetz im Allgemeinen und den §3g im Besonderen gehetzt wird. Dieser sei ein Gummiparagraph, „sonstige NS-Wiederbetätigung“ sei ja schon wenn man den Bau von Autobahnen und Familienförderung fordere, das hätte die NSDAP ja auch getan. Hitler ist auch Bahn gefahren, dennoch ist mir im Zug bisher noch kein Adibart gewachsen.
Die Gerichte haben wiederholt festgestellt was unter „sonstig“ zu verstehen ist, die NVP juckt das wenig. Sie kann froh sein, wenn ihre Anhänger überhaupt auf freiem Fuß sind.
Unterstützt wird diese Ansicht von Politikern des dritten Lagers, die den Antifaschistischen Grundkonsens für nicht so wichtig halten aber die Meinungsfreiheit dafür sehr mögen. Manche davon unterschreiben dann eidesstattliche Erklärungen und „distanzieren“ sich vom Nationalsozialismus. Das Ganze spielt sich meist in medialem Rahmen ab und ist gewürzt mit einer Extraprise Glaubwürdigkeit.

Die andere Seite des Angriffs rollt aus der liberalen Ecke, fordert die Abschaffung aus Gründen der Meinungsfreiheit und meint damit auch die Meinungsfreiheit. Dabei ist es scheinheilig davon zu sprechen, dass man niemanden für seine Meinung einsperren dürfe. Man muss Menschen für ihre Meinung oft einsperren. Es gibt keinen Staat der Welt in dem das nicht geschieht. In den USA, dem vielgepriesenen Land der Freiheit, in dem Leute in SS-Uniform auf die Straße gehen und Heil Hitler schreien können, wird man schon vom FBI verhört, wenn man sich kritisch über die Regierung äußert. Fordert heute jemand die Vernichtung aller Österreicher, hat er noch nichts getan als seine Meinung gesagt. Stellt sich jemand vor Martin Graf hin und sagt zum Beispiel: „Herr Graf, ich finde Sie sind ein verschissener Faschist der eine Nazibrut von Angestellten hat! Verlassen Sie doch dieses Land in Richtung Norden, wenn Sie sich schon als Deutscher fühlen!“, dann bekommt er einige Tage später vielleicht eine Privatanklage wegen Ehrenbeleidigung von einem FPÖ-Anwalt zugestellt und hat doch nur seine Meinung gesagt.

Mit der Meinung ist das so eine Sache, sie kann verletzend sein und sie kann gefährlich sein. Im Falle der Wiederbetätigung ist sie beides. Sie beschmutzt das Andenken an viele viele Menschen, die ermordet, industriell vernichtet wurden und sie ist gefährlich für den Staat und die Gesellschaft. Es gibt schlechterdings keinen Nazi, der öffentlich den Holocaust leugnet und damit nicht eine Gefahr darstellen würde, die Jugend und andere Unbedarfte für eine Sache gewinnen zu wollen, deren letztendliches Ziel nur erneuter Völkermord und Diktatur sein kann. Wer den Holocaust leugnet, ebnet den Weg für neue Gräuel, denn was noch „nicht“ war, kann ja noch werden.
Darüber hinaus ist dieses Ereignis, die Ausbrennung von Menschen aufgrund ihrer Religion, Rasse, Behinderung, politischen oder sexuellen Orientierung, eine historische Ungeheuerlichkeit, die zu leugnen nur ein Gewissenloser versuchen kann, den Einzusperren die Pflicht des Staates sein muss. In den österreichischen Gefängnissen können gar nicht genug Nazis stecken!

Um meinen Standpunkt zu verdeutlichen zum Schluss ein trauriges Gedankenspiel:
Sie alle kennen vermutlich ein Kind, aus ihrer Familie, ihrem Bekanntenkreis. Vielleicht ist es Ihr Kind, vielleicht ihr Geschwister, Enkel, Patenkind. Stellen Sie sich vor, dieses Kind und seine Eltern werden eines Tages abgeholt. Sie dürfen zwei Koffer packen und werden zum Bahnhof gebracht wo sie ihr Gepäck mit Kreide beschriften müssen. Dort wartet schon der Zug mit Viehwagons. Das Kind und seine Eltern werden in den Wagen verladen wie das Vieh für das er gebaut wurde. Ihr Gepäck werden sie nie wieder sehen. Der Wagon ist vollgestopft mit Menschen: Frauen, Männern, Kindern, Alten, Kranken. Es gibt keine Toilette, vielleicht einen Eimer, vielleicht nur eine Ecke. Bald stinkt es. Wenn es Winter ist werden sie frieren, wenn es Sommer ist schwitzen. Zu essen oder zu trinken bekommen sie nichts. Die Fahrt kann Tage dauern. Vielleicht wird doch an einem Bahnhof mit einem Schlauch Wasser durch die oberen Gitterstäbe des Wagons gespritzt, alle werden sich danach recken, nur wenige werden etwas abbekommen, für keinen wird es genug sein. Am Ende wartet der Bahnhof von Auschwitz. Die Menschen werden aus den Zügen getrieben und in eine Schlange gestellt. Am Ende der Schlange steht ein Arzt, er heißt Josef Mengele. Er teilt die Schlange in zwei Reihen. Arbeitsfähige Männer und Frauen auf die eine Seite, Alte, Kranke und Kinder auf die andere. Das Kind und seine Eltern werden getrennt, es wird beide nie wieder sehen. Es weint, doch die Schlange schiebt es weiter. Am Ende wird man das Kind ausziehen, es wird sich schämen. Man wird ihm die Haare schneiden, es wird wieder weinen. Man wird es in einen Raum bringen, zusammen mit vielen nackten Menschen die es nicht kennt. Der Raum ist gekachelt. Das kind friert. Die Tür wird geschlossen und von außen verriegelt. Es riecht plötzlich nach bitteren Mandeln. Die ersten beginnen nach Luft zu schnappen, ihnen wird schwindlig, sie erbrechen und gehen zu Boden. Stelle Sie sich das Kind das Sie kennen vor, sterbend unter Fremden, in Erbrochenem liegend, nackt, frierend, kahlgeschoren und Tränen in den Augen. Und jetzt stellen Sie sich vor jemand sagt Ihnen ins Gesicht, dass das eine Lüge sei, das Alles sei nie geschehen...
Ich denke zwanzig Jahre Haft wären gerade noch angemessen.

In Gedenken an Millionen Tote, unter ihnen die Kinder von Izieu.

Samstag, 6. März 2010

Ein Rosenkranz für Österreich...

Ich hatte an dieser Stelle bereits schon einmal die zweifelhafte Ehre mich auf die Person Barbara Rosenkranz einzulassen. An meiner Meinung von damals hat sich bis dato nichts geändert. Frau Rosenkranz hat ein undifferenziertes Verhältnis zum Nationalsozialismus. Doch neuerdings möchte sie gerne Bundespräsidentin werden.

Die Kandidatin
Es heißt, innerhalb der FPÖ habe es längere Zwistigkeiten über die Frage gegeben, ob nun sie oder ihr Parteiführer Heinz-Christian Strache für das höchste Amt im Staate kandidieren solle. Schließlich hat sich Rosenkranz durchgesetzt, wohl vor allem unter der Prämisse, dass man die Wahl gegen den amtierenden Bundespräsidenten Heinz Fischer nur verlieren kann und auch ein noch so respektables Ergebnis die Niederlage nicht völlig vertuschen könnte. Weil also Strache gerne als Gewinnertyp dasteht, musste man sich nach jemandem umsehen, der möglichst ein gewisses Alter und einen – für rechte und bürgerliche Kreise – einwandfreien Leumund hat.

Zumindest erstere Anforderung stellt für die FPÖ keine wirkliche Herausforderung dar, alte Sympathisanten hat sie wahrlich genug (leider auch junge). Nein, schwierig wird es, wenn man ein angesehenes Mitglied des dritten Lagers sucht, das noch nicht mit dem Verbotsgesetz in Berührung gekommen ist oder zumindest seine Grenzen des Öfteren exzessiv ausgelotet hat.

So gesehen ist Barbara Rosenkranz die perfekte Kandidatin: Sie ist unbescholten - genauso wie ihr Ehemann - und hat sich über Jahre hinweg als brave Parteisoldatin erwiesen.
In der Tat genießt Frau Rosenkranz so viel Ansehen, dass sogar mehrere andere politische Gruppierungen zu ihrer Wahl aufgerufen haben! So etwa die Bunten, deren Wahlvorschläge für die Gemeinderatswahl in Wels leider Gottes vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) erst kürzlich in einem Erkenntnis als „von der Verfassungsrechtsordnung verpönte - unzulässige Akte national-sozialistischer Wiederbetätigung“ gewertet wurden. Aber Frau Rosenkranz kann daneben zumindest noch auf die Unterstützung der Nationalen Volkspartei zählen, die zwar nach eigener Aussage traditionell (die Partei wurde 2007 gegründet) keine Wahlempfehlungen abgibt, aber für sie eine Ausnahme macht. Die Neonazis rechnen es...

... „ Frau Rosenkranz hoch an das sie sich, dem Mainstream [Nazideutsch müsste es wohl „Hauptstrom“ heißen] trotzend, weder von ihrem Mann distanzierte, noch ihre Meinung im Bezug auf das Verbotsgesetz änderte und somit voll auf NVP-Linie ist.“

Abgesehen von den kleinen Problemen mit der das/dass-Schreibung kommt diese Erklärung sicherlich von Herzen. Barbara Rosenkranz ist eben prinzipientreu und standhaft. Weder will sie sich von ihrem geliebten Sippenoberhaupt lossagen, noch kann sie es verantworten, dass weiterhin arme und unschuldige Menschen, die doch nur ihre Meinung sagen wollen, ins Gefängnis geworfen werden! HC-Strache würde Frau Rosenkranz deshalb gerne als „Mutter der Nation“ sehen, fragt sich nur von welcher... die österreichische wird's vermutlich nicht sein.
Damit also das deutsche Volk in Österreich nicht ausstirbt, hat die niederösterreichische Landesrätin ihre Gebärmutter in den Dienst des Pangermanismus gestellt und der Welt zehn Kinder mit den schönen Namen Hedda, Ute, Alwine, Sonnhild, Volker, Hildrun, Mechthild, Arne, Horst und Wolf geschenkt. Sie erntete für ihren Einsatz für den „Volkserhalt“ auch promptes Lob von ihrem langjährigen Mitstreiter Ewald Stadler.

Der Gatte
Für diese Volksgenossenfließbandproduktion zeichnet Horst Jakob Rosenkranz mitverantwortlich. Er nennt sich selbst einen „rechtsdenkenden Menschen“, was eine fromme Umschreibung für einen Neonazi ist. Seine politische Karriere lässt bezüglich seiner poltischen Ausrichtung keine Zweifel aufkommen. Unter anderem war er bisher:

- Funktionär der „Nationaldemokratischen Partei (NDP)“ (1988 vom VfGH aufgelöst)

- Kandidat der Liste „NEIN zur Ausländerflut (NA)“ (Wahlantritt durch die Kreiswahlleitung und den VfGH als Akt nationalsozialistischer Wiederbetätigung eingestuft und untersagt),

- Mitglied der Notwehrgemeinschaft „Ein Herz für Inländer“,

- Herausgeber der Zeitschrift „Fakten“,

- Parteivorsitzender der rechtsextremen „Kritischen Demokraten“.

- Mitunterstützer des „überparteilichen“ Volksbegehrens „Österreicher für Österreich“,

- Obmann des „Vereins zur Förderung der ganzen Wahrheit“,

- und hielt wiederholt Vorträge bei der als rechtsextrem geltenden „Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik“.



Seine Gattin legt Wert darauf, dass ihr Mann unbescholten sei. Schließlich ist die Mitgliedschaft in Neonaziorganisationen kein Grund jemanden einzusperren. Er selbst hat sich nie der Wiederbetätigung strafbar gemacht, im Gegensatz zu seinem alten Spezi, dem kürzlich wegen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz zu vier Jahren unbedingter Haft verurteilten Gerd Honsik, mit dem er noch zu NA-Zeiten durch die Lande zog. Von dort her kennt er übrigens auch Strache, der in seiner Zeit als FP-Bezirksrat in Wien an einer Veranstaltung der Liste „NEIN zur Ausländerflut“ teilnahm. (derstandard.at)

Der Wahlkampf hat begonnen...
Frau Rosenkranz polarisiert bisher weniger durch ihre Aussagen, als vielmehr durch ihren politischen Background. Jeder weiß was sie denkt, nur sagen tut sie's halt nicht. Die Wogen in den Internetforen gehen bereits hoch und geben vielleicht schon einen Vorgeschmack auf den bevorstehenden Wahlkampf.

Im KRONE-Forum blüht der Antisemitismus in sogar dort bisher ungekannten Ausmaßen auf. Immer wieder liest man, dass die Israelitische Kultusgemeinde - die sich kritisch zum Antreten von Rosenkranz geäußert hat - den Österreichern nicht dreinzureden habe, wen diese wählen sollten. Für manche Leser der KRONE haben die Nürnberger Rassegesetze wohl immer noch Geltung: Ein Jude kann kein Österreicher sein. Eine Nutzerin schlägt dem Fass jedoch den Boden aus. Sie spricht aus, was man heutzutage fast nicht mehr für möglich gehalten hätte:

…„und wenns mich jetzt den Knast Kostet... nur ein toter Jude ist ein guter Jude!!“(krone.at)

Genauso unglaublich erschein es, dass 22 andere Leser dieser „Haltung“ zustimmen. Hier steht also Österreich im Jahr 2010... man kann gar nicht so viel fressen wie man speiben möchte. Selbst KRONE-Herausgeber Hans - Cato - Dichand, der zuvor noch zur Wahl von Rosenkranz aufgerufen hatte, hat sich mittlerweile distanziert und fordert ihre eidesstattliche Distanzierung vom Nationalsozialismus.
Barbara Rosenkranz kann zwar für die Äußerungen im KRONE-Forum persönlich nichts, aber die Giftpilze wachsen in ihrem Schatten und ihr Antreten hat offensichtlich alte Hoffnungen bei Nazis und Antisemiten geweckt:

„Muzicant hat jetzt schon Angst denn auch er weiß das Frau Rosenkranz neue BP wird. Dann weht ein anderer Wind da wird ihm jetzt schon Angst und Bange.“(siehe ebenda)

Auch 24 weitere User stimmen dem zu und hoffen auf den anderen Wind, der vermutlich wieder Menschen in die Öfen wehen soll.
In einer Straßenumfrage für Vorarlberg Online äußern sich mehrere Passanten erfreut über die „bürgerliche Alternative“, die sich mit Rosenkranz' Kandidatur ergebe. Offensichtlich wird die Grenze zwischen Biedermann und Brandstifter immer fließender.
Ein möchtegerninformierter Jugendlicher ergeht sich in politikwissenschaftlichen Analysen, in denen er Heinz Fischer dem ganz Linken Eck der SPÖ zuordnet und eine alternativ gekleidete Frau, die man eher den Grünen zugeschlagen hätte, bezeichnet Rosenkranz als ihre Wahl. Von vier Interviewten darf sich nur eine negativ über das Antreten dieses Kellernazis äußern.

Auf der politischen Gegenseite formieren sich derweil vor allem facebook-Gruppen, über die Standard und News berichten:

„Täglich kommen eine Handvoll weitere Seiten hinzu, charakteristisch für Facebook-Aktionismus, der zur Zersplitterung neigt. Auf Platz zwei rangierte gestern Abend "Eine Million Österreicher gegen Barbara Rosenkranz" , gerade erst gegründet, trotzdem schon 2627 Mitglieder stark. 42 Gruppen gab es bis gestern Abend, dazu zwölf Seiten (wobei der Unterschied zwischen Gruppen und Seiten inzwischen eher theoretisch ist), darunter Aktionen wie "Kann dieser Bärenjude mehr Fans haben als Barbara Rosenkranz Wähler?" , mit einem Darstellerbild aus dem Film Inglorious Basterds.“ (Standard)

„Falls es diese unerwartet doch in die Hofburg schaffen sollte, so werden vier Facebook-Gruppen samt Mitgliedern auswandern, was nach derzeitigem Stand etwa 750 Menschen weniger in Österreich ausmachen würde.“ (News)

Umfragen geben Rosenkranz zurzeit zwischen 21 und 26%, jede Stimme ist dabei eine zu viel. Auch wenn die Dame höchstwahrscheinlich nicht in die Hofburg einzieht, alleine ihr Antreten schadet dem Ruf des Landes und lässt Kreaturen aus ihren Nazikellern kriechen, die besser dort geblieben wären.

Man sollte beten, dass sie miserabel abschneidet, am besten einen ganzen Rosenkranz.