Doch die zwölf Staatssekretäre und der Staatskanzler taten es, im Bewusstsein dessen, dass sie alle das Schlimmste schon hinter sich hatten und vielleicht mit der stillen Genugtuung, dass sie es nun tun konnten ohne von einer vorbeikommenden Abteilung des Volkssturms, der SS oder einem jener fliegenden Feldgerichte ermordet zu werden, die in jenen letzten Kriegstagen noch so vielen Menschen das Leben gekostet hatten. Das Gesetz – es stand und steht noch im Verfassungsrang – begann mit den bedeutungsschweren Worten:
„Die Provisorische Staatsregierung hat beschlossen: […] Die NSDAP, ihre Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK). ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände sowie alle nationalsozialistischen Organisationen und Einrichtungen überhaupt sind aufgelöst; ihre Neubildung ist verboten. Ihr Vermögen ist der Republik verfallen.“
Auch wenn die Staatsregierung wusste, dass ihr Einfluss noch nicht weit reichte, sie war erst von den Sowjets anerkannt worden – die restlichen Alliierten hielten sie zunächst für eine Marionettenregierung und ließen sich mit ihrer Bestätigung daher bis Oktober Zeit – erließ sie es, um klar zu machen wohin es nie mehr gehen sollte. Zu einem Zeitpunkt, als es noch ein gefährliches und mitunter Tage dauerndes Unterfangen war von Wien nach Graz zu fahren, machte die neue Regierung kurzen Prozess mit jenen, die nicht nur diese Fahrzeitverkürzung, sonder auch noch über 50 Millionen Tote in Europa, darunter etwa 330.000 Österreicher, und die Zerstörung von Städten, Straßen, Brücken und unwiederbringlichem Kulturgut zu verantworten hatten. In Paragraph drei des neuen Gesetzes wurde mit solchen, die sich eine Wiederholung des Ganzen wünschten, nicht lange gefackelt:
„Es ist jedermann untersagt, sich, sei es auch außerhalb dieser Organisationen, für die NSDAP oder ihre Ziele irgendwie zu betätigen. Wer weiterhin dieser Partei angehört oder sich für sie oder ihre Ziele betätigt, macht sich eines Verbrechens schuldig und wird hierfür mit dem Tode und dem Verfalle des gesamten Vermögens bestraft.“
Man schrieb den 8. Mai 1945, Staatskanzler Renner und seine zwölf Minister, damals noch Staatssekretäre genannt, unterschrieben das Verbotsgesetz, das nach der nächsten umfassenden Novelle „Verbotsgesetz 1947“ genannt wurde, und machten es im Staatsgesetzblatt kund, das an seine Abonnenten ging, wahrscheinlich nur die Parlamentsbibliothek und die russische Kommandantur im Palais Epstein vis-a-vis. Viele Österreicher wussten vielleicht noch nichts davon und hatten andere Probleme als sich mit etwas auseinanderzusetzen, das die meisten von ihnen zu Beginn gutgeheißen hatten und das dann so viel Leid über sie und die Welt gebracht hatte. Und die Mehrheit wäre wohl nicht im Traum darauf verfallen dem Gesetz zuwider zu handeln, weder hatte man einen Bedarf an gescheiterten Katastrophenpolitikern – wie Renner sie in der österreichischen Unabhängigkeitserklärung genannt hatte – noch wollte man mit den Besatzungsmächten Probleme bekommen. Und sowieso, wer gründet eine Mörderpartei neu, wenn er nicht weiß was er morgen essen soll?
Das Land wurde neu aufgebaut, das Verbotsgesetz wurde novelliert. Zunächst (1947) wurde es noch verschärft. Neue Tatbestände fanden Einzug, die alles unter Strafe stellten, was man so rund um NS-Wiederbetätigung anstellen kann, von Raub über Sprengstoffdelikte und Brandstiftungen bis zum Mord. Und auch die „sonstige Wiederbetätigung“ wurde mit §3g verboten. Noch immer dachten nur wenige daran, sich auch nur sonstig wiederzubetätigen. Das neue Stichwort hieß Entnazifizierung – natürlich auf Österreichisch. Am Anfang hatte man noch ein paar „feste Nazis“ gehenkt, einige lebenslang eingesperrt, noch 1945 waren etwa 800.000 „Ehemalige“ nicht wahlberechtigt. Die Zeiten änderten sich und Österreich tat was es am besten konnte: Es änderte sich mit. Die Entnazifizierungen wurden laxer, die „Ehemaligen“ sickerten wieder in die Gesellschaft, wurden Politiker in allen Parteien oder kehrten in ihre Beamtenstellen zurück – unter Nachzahlung ihrer Pensionsansprüche für die Jahre 1938-45 und die entgangene Dienstzeit danach. 1957 strich man das Verbotsgesetz etwas zusammen, ein paar Absätze entfielen, die Registrierungspflicht für ehemalige wurde aufgehoben. In der Schule lernten die Kinder welche Schlachten Erzherzog Karl und Prinz Eugen geschlagen hatten, was ein KZ war ließ man lieber unter den Tisch fallen, so wie mehr oder weniger die ganze Geschichte nach 1918. Kreisky, ein Mann aus bürgerlich-jüdischem Hause, wurde Bundeskanzler und holte sich ein paar Altnazis in die Regierung. Der Verband der Unabhängigen (VdU) – Politische Heimat der Übriggebliebenen Ex-Braunen – wurde zur FPÖ, nachdem er über seinem neuen Grundsatzprogramm zerbrochen war (Zitat: „Österreich ist ein deutscher Staat, seine Politik muß dem gesamten deutschen Volk dienen“). Das Verbotsgesetz wuchs mit. 1968 entfernte man die Todesstrafe. Mit den Verurteilungen hielt es sich in Grenzen, Wiederbetätigung war ein selten angeklagter Tatbestand. Nur die Nationaldemokratische Partei (NDP) lehnte sich zu weit aus dem Fenster und verfiel 1984 dem verfassungsgerichtlichen Verbot.
Dann kam das Jahr 1986, die Waldheimaffäre und mit ihm die ungeliebte Erinnerung. Vranitzky räumte eine Mitschuld der Österreicher an den Gräueln des Nationalsozialismus ein und das Verbotsgesetz wurde novelliert. Diesmal meinte man es aber ernst, vielleicht so ernst wie seit jenen Maitagen im Jahre 1945 nicht mehr, und man machte die Sache gründlich. Erstmals wurde die Leugnung des nationalsozialistischen Völkermords unter Strafe gestellt. Die Novelle von 1992 hatte es in sich und erlaubte es den Gerichten denjenigen ein bis zu zehn Jahre, bei besonderer Gefährlichkeit des Täters oder der Betätigung bis zu 20 Jahre gesiebte Luft atmen zu lassen, der:
„[…] in einem Druckwerk, im Rundfunk oder in einem anderen Medium oder […] sonst öffentlich auf eine Weise, daß es vielen Menschen zugänglich wird, den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost, gutheißt oder zu rechtfertigen sucht.“
Wutschäumende Neonazis wie Gerd Honsik haben seither immer wieder vor Gericht versucht den Holocaust mit „Fakten“ zu widerlegen. Der Oberste Gerichtshof stellte jedoch ein Beweismittelverbot fest:
„Der Bundesverfassungsgesetzgeber […] hat ex lege klargestellt, daß der nationalsozialistische Völkermord und die anderen nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Strafverfahren keiner weiteren beweismäßigen Erörterung bedürfen, woraus folgt, daß dieses Beweisthema einer Beweisführung entrückt ist. […] eine Beweisaufnahme über diese Tatsachen kommt mithin nicht in Betracht.“
Nun ändern sich die Zeiten wieder und das Verbotsgesetz wird angegriffen. Der Angriff erfolgt von zwei Seiten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Die eine Seite hat selbst handfeste Interessen daran nicht hinter Gittern zu landen, verlangt die Abschaffung aus Gründen der Meinungsfreiheit und meint damit dass sie wieder sagen möchte was nicht stimmt. Die Neonazipartei NVP betreibt im „Weltnetz“ eine „Heimseite“ auf der geegen das Verbotsgesetz im Allgemeinen und den §3g im Besonderen gehetzt wird. Dieser sei ein Gummiparagraph, „sonstige NS-Wiederbetätigung“ sei ja schon wenn man den Bau von Autobahnen und Familienförderung fordere, das hätte die NSDAP ja auch getan. Hitler ist auch Bahn gefahren, dennoch ist mir im Zug bisher noch kein Adibart gewachsen.
Die Gerichte haben wiederholt festgestellt was unter „sonstig“ zu verstehen ist, die NVP juckt das wenig. Sie kann froh sein, wenn ihre Anhänger überhaupt auf freiem Fuß sind.
Unterstützt wird diese Ansicht von Politikern des dritten Lagers, die den Antifaschistischen Grundkonsens für nicht so wichtig halten aber die Meinungsfreiheit dafür sehr mögen. Manche davon unterschreiben dann eidesstattliche Erklärungen und „distanzieren“ sich vom Nationalsozialismus. Das Ganze spielt sich meist in medialem Rahmen ab und ist gewürzt mit einer Extraprise Glaubwürdigkeit.
Die andere Seite des Angriffs rollt aus der liberalen Ecke, fordert die Abschaffung aus Gründen der Meinungsfreiheit und meint damit auch die Meinungsfreiheit. Dabei ist es scheinheilig davon zu sprechen, dass man niemanden für seine Meinung einsperren dürfe. Man muss Menschen für ihre Meinung oft einsperren. Es gibt keinen Staat der Welt in dem das nicht geschieht. In den USA, dem vielgepriesenen Land der Freiheit, in dem Leute in SS-Uniform auf die Straße gehen und Heil Hitler schreien können, wird man schon vom FBI verhört, wenn man sich kritisch über die Regierung äußert. Fordert heute jemand die Vernichtung aller Österreicher, hat er noch nichts getan als seine Meinung gesagt. Stellt sich jemand vor Martin Graf hin und sagt zum Beispiel: „Herr Graf, ich finde Sie sind ein verschissener Faschist der eine Nazibrut von Angestellten hat! Verlassen Sie doch dieses Land in Richtung Norden, wenn Sie sich schon als Deutscher fühlen!“, dann bekommt er einige Tage später vielleicht eine Privatanklage wegen Ehrenbeleidigung von einem FPÖ-Anwalt zugestellt und hat doch nur seine Meinung gesagt.
Mit der Meinung ist das so eine Sache, sie kann verletzend sein und sie kann gefährlich sein. Im Falle der Wiederbetätigung ist sie beides. Sie beschmutzt das Andenken an viele viele Menschen, die ermordet, industriell vernichtet wurden und sie ist gefährlich für den Staat und die Gesellschaft. Es gibt schlechterdings keinen Nazi, der öffentlich den Holocaust leugnet und damit nicht eine Gefahr darstellen würde, die Jugend und andere Unbedarfte für eine Sache gewinnen zu wollen, deren letztendliches Ziel nur erneuter Völkermord und Diktatur sein kann. Wer den Holocaust leugnet, ebnet den Weg für neue Gräuel, denn was noch „nicht“ war, kann ja noch werden.
Darüber hinaus ist dieses Ereignis, die Ausbrennung von Menschen aufgrund ihrer Religion, Rasse, Behinderung, politischen oder sexuellen Orientierung, eine historische Ungeheuerlichkeit, die zu leugnen nur ein Gewissenloser versuchen kann, den Einzusperren die Pflicht des Staates sein muss. In den österreichischen Gefängnissen können gar nicht genug Nazis stecken!
Um meinen Standpunkt zu verdeutlichen zum Schluss ein trauriges Gedankenspiel:
Sie alle kennen vermutlich ein Kind, aus ihrer Familie, ihrem Bekanntenkreis. Vielleicht ist es Ihr Kind, vielleicht ihr Geschwister, Enkel, Patenkind. Stellen Sie sich vor, dieses Kind und seine Eltern werden eines Tages abgeholt. Sie dürfen zwei Koffer packen und werden zum Bahnhof gebracht wo sie ihr Gepäck mit Kreide beschriften müssen. Dort wartet schon der Zug mit Viehwagons. Das Kind und seine Eltern werden in den Wagen verladen wie das Vieh für das er gebaut wurde. Ihr Gepäck werden sie nie wieder sehen. Der Wagon ist vollgestopft mit Menschen: Frauen, Männern, Kindern, Alten, Kranken. Es gibt keine Toilette, vielleicht einen Eimer, vielleicht nur eine Ecke. Bald stinkt es. Wenn es Winter ist werden sie frieren, wenn es Sommer ist schwitzen. Zu essen oder zu trinken bekommen sie nichts. Die Fahrt kann Tage dauern. Vielleicht wird doch an einem Bahnhof mit einem Schlauch Wasser durch die oberen Gitterstäbe des Wagons gespritzt, alle werden sich danach recken, nur wenige werden etwas abbekommen, für keinen wird es genug sein. Am Ende wartet der Bahnhof von Auschwitz. Die Menschen werden aus den Zügen getrieben und in eine Schlange gestellt. Am Ende der Schlange steht ein Arzt, er heißt Josef Mengele. Er teilt die Schlange in zwei Reihen. Arbeitsfähige Männer und Frauen auf die eine Seite, Alte, Kranke und Kinder auf die andere. Das Kind und seine Eltern werden getrennt, es wird beide nie wieder sehen. Es weint, doch die Schlange schiebt es weiter. Am Ende wird man das Kind ausziehen, es wird sich schämen. Man wird ihm die Haare schneiden, es wird wieder weinen. Man wird es in einen Raum bringen, zusammen mit vielen nackten Menschen die es nicht kennt. Der Raum ist gekachelt. Das kind friert. Die Tür wird geschlossen und von außen verriegelt. Es riecht plötzlich nach bitteren Mandeln. Die ersten beginnen nach Luft zu schnappen, ihnen wird schwindlig, sie erbrechen und gehen zu Boden. Stelle Sie sich das Kind das Sie kennen vor, sterbend unter Fremden, in Erbrochenem liegend, nackt, frierend, kahlgeschoren und Tränen in den Augen. Und jetzt stellen Sie sich vor jemand sagt Ihnen ins Gesicht, dass das eine Lüge sei, das Alles sei nie geschehen...
Ich denke zwanzig Jahre Haft wären gerade noch angemessen.
In Gedenken an Millionen Tote, unter ihnen die Kinder von Izieu.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen