Sonntag, 21. März 2010

Bahn wirkt...

Nachdem die letzten beiden Blogs etwas sehr politisch-moralisch geworden sind, kehre ich zur Abwechslung wieder einmal ins leichtere Metier zurück:

Zu den Dingen die ich gerne tue gehört das Zugfahren. Da muss ich nicht lernen und habe sechseinhalb Stunden Zeit um Zeitung zu lesen.
Wenn mich die Angst vor starken Reisetagen überkommt – an Wochenenden vor Ferienbeginn etwa – bin ich sogar einer von denen die sich einen Sitzplatz reservieren. Zweite Klasse, Abteil, Nichtraucher, Fenster bitte. Da es jetzt nur noch Nichtraucherabteile und im neuen Rail Jet auch nur noch Großraumwagen gibt, kann ich mir zwei Klassifikationen meistens sparen.

Der Bahnhof ist ein Ort, an dem meine Zwangsneurosen regelmäßig aufblühen. Meistens bin ich schon eine Stunde vor Abfahrt dort, warte auch bei Minusgraden am Bahnsteig und bin der erste, der in den einfahrenden Zug springt, aus Angst er könnte ohne mich starten. Ist es ein Vormittagszug, nehme ich – nachdem ich meinen meist gigantisch schweren Koffer verstaut habe – ein Cola zu mir, weil ich vermutlich durchgemacht habe, damit ich nicht wieder den Wecker überhöre und folglich den Zug verpasse. Wenn ich dann meinen Abteilfensterfahrtrichtungsplatz habe, bin ich glücklich, höre Musik und lese den Spiegel. Wenn dann die weiteren Zugreisenden einsteigen, bin ich sogar der, der den Damen die Koffer hochhebt. Man merkt: Zugfahren macht aus mir einen anderen Menschen. Das Beste an Bahnreisen sind aber immer die Geschichten die man da so erlebt. Fast jeder fährt irgendwann einmal Zug, also hat man meistens einen bunten Gesellschaftsquerschnitt an Bord, sieht man einmal von den Schnöseln ab, die erste Klasse fahren.

Da ist etwa die Frisörin, die ihre Erfüllung in einem Laden gefunden hat, wo man für besondere Kunden in Vollmondnächten die Haare schneidet und dann feierliche Begräbnisse für den verlorenen Kopfschmuck organisiert.

Da gibt’s auch noch die zwei HAK-Lehrer, für die offensichtlich ein Suff nach einem Maturaball zu unerwünschter Konsequenz geführt hat. Die Konsequenz heißt Luis und ist etwa ein Jahr alt. Meinen ganzen Lebtag lang habe ich noch keine Mutter gesehen, die ihr Kind so wie eine Sache behandelt. Sie strahlt die Herzenswärme eines Eiszapfens aus, er ist einigermaßen verzweifelt über die Gesamtsituation. Und während der Eisberg nach einem mittelgroßen Ehekrach nach Windeln stöbert, finde ich mich wieder wie ich den armen Luis auf dem Schoß sitzen habe und Grimassen schneide.

Nicht zu vergessen sind auch die vier Damen zwischen 50 und 60, die nach einem Shoppingwochenende – das offensichtlich mit einem Sektfrühstück beendet wurde – zurück nach Salzburg fahren und mir Geschichten aus ihrer Jugend erzählen. Wie die von der Freundin, die sich die damals so modernen hautengen Jeans kaufte und sich damit in die Wanne setzte, um sie noch weiter einlaufen zu lassen. Das Ergebnis war, dass sie damit nicht in den Bus einsteigen konnte, weil ihr die Hosen das Anheben der Beine nicht mehr gestatteten.

Und erst die armen Chinesinnen, die versehentlich Fahrkarten mit Fahrradmitnahme lösten und mich verzweifelt ansehen, als ich ihnen im Bahnkorridor um Rosenheim erkläre, wir seien jetzt in Deutschland. Sie wollten doch nach Innsbruck! Der Schaffner ist natürlich einigermaßen überfordert mit ihrem Englisch und sie mit seinem.

Noch mehr aufgeregt hat sich wohl nur der Herr, der mir von seinen Erfindungen erzählte, und dass die Chinesen sein Patent gestohlen und praktisch denselben Föhn auf den Markt gebracht hätten, wie den, den er entworfen habe.

Dann ist da noch die freundliche Steirerin, die sich bei mir erkundigt, ob man sich beim Studium der Politikwissenschaften denn von vornherein auf eine Partei festlegen müsse. Man soll Bildung eben nicht mit Ausbildung verwechseln…

Oft ärgert man sich aber auch über die Bundesbahnen… Da reserviert man extra einen Platz, ab Landeck, weil lange bekannter Schienenersatzverkehr, und als man aus dem Bus steigt gibt es nicht einmal die angegebene Wagonnummer. Antwort des Schaffners auf Nachfrage: „Konn i jo nix dafier, wonn schlechtes Wetter is.“ Dann gab’s noch das eine Mal, als ich vor Weihnachten ohne Heizung mit Minusgraden im Abteil von Wien nach Feldkirch fahren musste. Auf die unzähligen, oft stundenlangen Verspätungen muss ich da gar nicht erst eingehen. In der Deutschen Bahn serviert man dann wenigstens gratis Getränke, die ÖBB bitten kostengünstig um Verständnis und erstatten Preise prinzipiell nur ab dem Limit, das ihnen das Europaparlament setzt. Eigentlich ein Wunder, dass die Bundesbahnen nach derzeitiger Schätzung erst im Jahr 2060 Schuldenfrei sein sollen.
Hin und wieder kommt es natürlich auch zu Überbuchungen bei Sitzplatzreservierungen. An dieser Stelle ein kleine Empfehlung: Fahren Sie niemals Nachtzug. Er ist immer überfüllt mit zwielichtigen Personen, von denen etliche nicht sehr viel Wert auf Körperhygiene legen.
Dann gibt es da noch die nervigen fahrenden Verkäufer, die die Gänge verstopfen und einen dreimal pro Fahrt fragen, ob man ihnen nicht irgendetwas völlig überteuertes abkaufen möchte. Aufheitern kann einen da nur noch das berühmte Zugführerenglisch: „Bitte beachten Sie die Lautsprecherdurchsagen am Bahnsteig! Plies lissn tu dä Ludschpiekers!“ Aber auch am Deutsch mangelt es des Öfteren: „De Reisenden de was mit de Auto do san, bitte auf Bahnsteig zehn.“

Ein Erlebnis ist auch die Reise mit dem 80jährigen EX-Installateur, der sich nach seiner Weltreise mit einem sowjetischen Luxusliner eine philippinische Ehefrau besorgt hat, die erst ein paar Tage später nachreisen wird. Ihr Sohn hat in Wien eine Frau geschwängert und das monatelang verheimlicht. Für ihren Mann kein Wunder, denn: Die Filipinos sind ein verlogenes Volk. Alle Bankmanager möchte er am liebsten einsperren. George W. Bush sollte seiner Meinung nach am besten dasselbe Ende erleben wie Saddam Hussein. Und der Haider, der habe was drauf gehabt, auch wenn er es mit den armen Juden manchmal übertrieben habe. Bestürzt zeigt er sich über meine Äußerung bezüglich Haiders angeblicher Homosexualität. Er habe ja nichts gegen die Schwulen, aber…

Manchmal kommt man auch ins Grübeln, wie an dem Tag, als ich in die Steiermark fahre und permanent verdächtige Geräusche höre. Ich vermute schon einen Zugdefekt, komme dann aber hinter die Ursache, als ich auf den Gang schaue und dort eine Frau entdecke, die in regelmäßigen Abständen „Sch… sch… sch“ macht, dann ihre Zähne bleckt und in einen Handspiegel starrt. Dafür muss ich mir das Lachen verkneifen, als eine Steirerin lautstark ins Telefon brüllt, was sie so am „Wouchenëinde“ macht.

Nett ist auch, wenn man zufällig Leute trifft, die man kennt. Einmal reserviert meine Tante unabsichtlich im selben Zug genau den Platz neben mir. Dann trifft man wieder mal Schulfreunde, die nach einer Fahrt mit mir oft merkwürdig erleichtert und scheinbar mit Kopfschmerzen in Innsbruck aussteigen. Auch die Zugfahrt mit einem bekannten Polizisten nebst fünf Kindern bleibt mir wohl ewig in Erinnerung. Dabei hab ich gottseidank nicht dieselbe Einstellung zu Kindern wie mein Bruder, der fast überkocht wenn sie nur mal laut husten und deshalb prinzipiell nur im Großraumwagen fährt, weil man da leichter flüchten kann. Dabei erlebt man in der kleinen Abteilgemeinschaft viel mehr. Etwa das interessante Prinzip, dass der Letztzugestiegene oft als Eindringling wahrgenommen wird. Öffnet dann der Schaffner die Tür und fragt „Zugestiegen?“, geben etliche Reisende kleine Signale in Richtung des Neuzugangs, etwa indem sie ihn kurz ansehen. Fast eine kleine Parabel über Zuwanderung.

Die Bahn ist ein Sozialbiotop, das einen oft freut, manchmal ärgert und hin und wieder zum ausrasten bringt. Aber wenn’s einem zu blöd wird, gibt’s gottseidank immer noch Kopfhörer und den Spiegel.

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