Dienstag, 27. September 2011

J'accuse, oder: Die perverse Welt der Medien.

Es gab einmal eine Zeit, als man noch den Eindruck hatte, man könne sich darauf verlassen, was die Zeitungen, das Fernsehen oder das Radio berichten. Damals war es nur die „Kronenzeitung“, die massive Kritik auf sich zog. Heute gibt es eigentlich nur noch Boulevard in verschiedenen Abstufungen. Das Internet schließlich hat die Nachrichtenwelt zwar demokratisiert, sie aber gleichzeitig auch unübersichtlich werden lassen.
Wenn der Bundeskanzler eine Pressekonferenz gibt, dann sind nur sehr wenige Österreicher wirklich mit dabei, aber viele andere erfahren durch sie davon. Berichterstatter sollen etwas aufnehmen und dann für die Konsumenten wiedergeben, doch die „Blackbox“, durch die die Informationen fließen, ist in Österreich extradunkel. Die Medien sind unser Tor zur Welt, aber nehmen sie diese Aufgabe auch ernst genug?

Objektivität, so lernt man mit der Zeit, muss man sich von einem österreichischen Medium nicht erwarten. Kanzler Schüssel durfte seinen eigenen Sessel zur TV-Konfrontation ins ORF-Studio mitnehmen, zum besser sitzen. Raiffeisen diktiert als Haupteigentümerin angeblich nicht nur die Bankenberichterstattung von Kurier, News und Profil mit. Wer sich die „Krone“ zum Feind macht, kann sich gleich die Kugel geben. Um es freundlich auszudrücken: Österreich ist ein medialer Abfalleimer.

Das perfide System, mit dem die Medienlast das freie Denken mitunter totwalzt, konnte man erst neulich wieder beobachten: Der deutsche Rapper Sido entsprach bisher weder meinem musikalischen noch gesellschaftlichen Geschmack, hat sich aber mittlerweile meinen Respekt verdient. Als der schmierige Kronenzeitungsschreiberling Jannee glaubte, er müsse bei der ORF-Randgruppensendung „Die große Chance“ allein durch seine bedrohliche Anwesenheit einem befreundeten Heurigenwirt zum Karrieredurchbruch verhelfen, war der preußische Sprechsänger der Einzige der sich laut dagegen vorzugehen traute. Vielleicht war es nicht gerade die feine englische Art, wie er ihn abkanzelte, in der Konsequenz hatte er aber ins Schwarze getroffen. Ein Exponent der medialen Diktatur der Krone wollte durch seine Fürsprache ein machtpolitisches Zeichen setzen, das bei zwei Jurymitgliedern auch prompt ankam. Zirkusdirektor Bernhard Paul machte sich beim Anblick Jannees beinahe in die Hosen und gab ein erklärtes Mitleidsplus, zum Dank erhielt er im Hetzblatt eine geneigte Berichterstattung, während die Vierfarbreinkarnation des Völkischen Beobachters Jannees Kritiker zur Sau machte. Am Ende wertete das Publikum die Performance des Motorenimitators als nicht ausreichend und die von der Krone sooft geforderte direkte Demokratie machte dem Trauerspiel ein Ende.
„Wir kennen uns jetzt schon seit den Tagen, als du noch die Edelfeder bei der größten deutschen Tageszeitung warst. Nun, eine Edelfeder bist du noch immer und damit auch ein Mensch, der polarisiert. Solche Menschen sind das Salz in der Suppe.“ Zirkusdirektor Paul in seinem offenen Brief an Jannee
Eine Episode? Ein Sittenbild! Die Zeitung „Österreich“ - orthographisch eine noch größere Wüste als dieser Blog - veröffentlicht die angeblich geheimen Geschäfte des Kurier-Chefredakteurs. Warum? Der Österreich-Herausgeber Fellner und Kurier-Boss Brandstätter gönnen sich seit längerem eine Intimfeindschaft via Internet, wobei Brandstätters Standardsätze auf Twitter nur noch mit „Fellner lügt...“ beginnen und Fellner im Gegenzug immer neue Aufdeckungsgeschichten bringt, die in Wahrheit wohl nur G'schichtln sind. In derselben Ausgabe von „Österreich“ wird Sido gelobt - kein Wunder, denn die Krone ist ja gegen ihn.

Kanzler Faymann wiederum soll auf ÖBB und ASFINAG Einfluss genommen haben, um millionenteure Inserate in den ihm gewogenen Medien zu platzieren. Ein vermeintlicher Skandal, über den man in der „Krone“ aber genauso wenig etwas lesen kann, wie im „Heute“ oder in „Österreich“. Wenn's ums Geld geht, ist der Boulevard eisern. Trotzdem ist es kein Wunder, dass „Heute“ sich in seinem Artikel über die Medienförderung - die es als Gratiszeitung nicht erhält - nur über die Zeitungen beschwert, die weniger Auflage haben: Schließlich ist die Chefredakteurin von „Heute“ die Frau des Krone-Herausgebers und wird wohl kaum die Zeitung des Gatten an den Pranger stellen. 
Eheliche Kontakte in alle Richtungen sind ja keine Seltenheit in der Polit-Medien-Branche, immerhin saß die Frau von Krone-Innenpolitik-Chef Claus Pandi lange in Kanzler Faymanns Vorzimmer. Die Politik schafft sich ein unanständiges Naheverhältnis zum größten Printmedium des Landes, weil sie einerseits von seiner Reichweite und manipulativen Kraft profitieren möchte, andererseits aber auch das Bild der Gescheiterten vor Augen hat. Busek und Plasnik sind dabei nur zwei bekannte Opfer der koronalen Medienhetze. Wie sehr zum Beispiel Claus Pandi Teile der roten Regierungsmannschaft unter Kontrolle hat, zeigte schon ein hochpeinliches Interview mit Verteidigungsminister Norbert Darabos vor dem Ministerratszimmer. Immer wieder gingen Bekannte Pandis vorbei, immer wieder unterbrach dieser das Ministerinterview, um ausgiebig Hände zu schütteln und zu palawern. Darabos blieb wie ein Schuljunge stehen und wartete auf die Fortführung eines Gesprächs, das sogar versöhnlichere Politiker schon längst abgebrochen hätten. Dazu passt dann auch noch das Gerücht, Darabos habe die ursprünglich fünf Heeres-Reformmodelle auf sieben erweitern lassen, nur weil die Krone diese Zahl am Vortag der geplanten Veröffentlichung genannt hatte.
„Inhalte gegen Inserate, das ist am Boulevardsektor mittlerweile part of the game. Da kauft man sich als Partei wohlwollende Berichterstattung. Manche Herausgeber sagen einem das auch ganz offen: ‚Wenn ihr bei uns nicht inseriert, kommt ihr in unserer Berichterstattung nicht vor.‘“ Ein Mitarbeiter einer Parlamentspartei im Falter
Wer bleibt denn noch über, wenn die „Krone“ mit Xenophobie nur so um sich wirft, zum Teil offen Leute erpresst und sich mit Schlagzeilen wie „Tiere würden Faymann wählen“ auch noch den letzten Funken an Seriosität austreibt? Wenn der „Kurier“ und andere Medien auf die RAIKA hören müssen, „Österreich“ auf der Titelseite entweder Enten bringt  - „Grasser wird Vizekanzler“, „Neil Shicoff wird Staatsoperndirektor“ - oder die zeitungseigene Reiseagentur bewirbt - „Urlaub ist jetzt billig wie nie“ ? Was tun, wenn „Heute“ behauptet, Otto Habsburg sei Kaiser Franz Josephs Enkel gewesen und Einstein habe die Quanten- und die Urknalltheorie aufgestellt? Woher die Informationen beziehen, wenn selbst Armin Wolf sich nicht traut zu sagen, dass sein Chef Wrabetz am Tag seiner Wiederwahl ein bereits zugesagtes Studiogespräch platzen ließ, obwohl die Erwähnung von Interviewablehnungen ursprünglich ein wichtiger Punkt im Reformprogramm „Neuen-ORF“ war? Wer soll noch seriöse Berichterstattung bieten in einer Republik, in der Politik, Medien und Wirtschaft in Wirklichkeit ein einziges Geflecht aus Beziehungen und Dienstbarkeiten bilden? 
„Erwähne sehr häufig nicht, wenn ein Gespräch, über das wir nachgedacht haben, letztlich nicht zustande kommt.“ Armin Wolf auf Twitter
Gut, es gibt ja noch das Internet, aber wer tummelt sich da herum? Ein paar Leute auf Twitter und eine Hand voll spinnerter Blogschreiber - also ehrlich, wie kann man nur? - können das Informationsdefizit nicht aufwiegen, das Zeitungen wie die „Krone“ mit ihrer selektiven Berichterstattung hinterlassen. Außerdem: Wie weit ist es denn her mit der so hochgelobten Informationsgesellschaft und der Freiheit des Internets? „WikiLeaks“ kämpft mit internen Zerwürfnissen, die dazu geführt haben, dass persönliche Daten potentiell gefährdeter Personen ins Internet gestellt wurden. Die Hackergruppe Anonymous schlachtet selbstgerecht alles aus, was das Netz hergibt. Kürzlich wurden die Daten von 25.000 Exekutivbeamten online gestellt: Name, Geburtsdatum Adresse. Mittlerweile kursiert die Aufforderung bei Polizisten zuhause anzurufen, um sie zu beschimpfen. Wie würden Sie sich wohl fühlen, wenn man sie tagtäglich, angreift, bespuckt und beleidigt, während zu Hause ihre Familie von ein paar assozialen Arschlöchern per Telefon kontaktiert wird? Es ist nicht nur eine bodenlose Frechheit, sondern auch eine Gefährdung der Menschen, die für die Sicherheit dieses Landes und seiner Bevölkerung verantwortlich sind. Aber das dürfte die moralisch retardierten Idioten von Anonymous wohl kaum interessieren. Für sie ist der Staat ein gesichtsloser Feind und jeder der für ihn arbeitet darf exponiert, gedemütigt und bestraft werden. Für das Linsengericht einer EDV-technischen Kurzzeitbefriedigung wird so aber auch die letzte Bastion der freien Meinungsäußerung torpediert: das Internet. Wer bestimmt, ob morgen nicht auch der ORF oder „Profil“ offline müssen, weil sie dem persönlichen Geschmack irgendeines Computer-Geeks nicht entsprechen?

Während die heimischen Print-, Rundfunk- und Online-Medien der Politik in Sachen Korruption um nichts nachstehen, hat auch die Netzgesellschaft in Wahrheit schon Bankrott angemeldet. Ganze 27.462 Follower hat der ZIB 2 Moderator Armin Wolf mittlerweile auf Twitter. Damit steht er in Österreich einsam an der Spitze. Aber was ist das schon? Geschätzte 2,9 Millionen Menschen lesen nach wie vor jeden Tag die „Kronenzeitung“. Twitter bleibt im Gegensatz dazu ein Elitenprodukt, zugänglich für alle aber nur attraktiv für wenige.
Im Medialen Massenwahnsinn nicht selbst Opfer zu werden ist mittlerweile selbst für Experten schwierig. Schleichwerbung zu erkennen ist dabei noch eine der einfachsten Übungen, aber woher weiß man, ob ein Kommentar nun ein Kommentar oder eine Abrechnung ist? Woher soll jemand, der nicht über die notwendigen Hintergrundinformationen verfügt, wissen, dass eine Zeitung mit einem Bericht vielleicht nur redaktionelle, private oder finanzielle Interessen verfolgt? Schließlich kann nicht einmal Kobuk jeden einzelnen Fall von fortgeschrittenem Medienschwachsinn aufdecken. 
 „Ein Verleger hat einmal einem Politiker von uns eine Seite seines Magazins mit einer Negativgeschichte über unsere Partei gezeigt, die erscheinen sollte. Dazu hat er gesagt: „Hier könnte aber auch ein Inserat von euch stehen.“ Das Inserat stand dann in der nächsten Ausgabe auch dort.“  Ein Landtagsabgeordneter im Falter
Viel schlimmer aber, als die Mangelnde Qualität des Österreichischen Journalismus ist die fehlende Integrität. Wer den hier mehrfach zitierten Artikel des Falter liest, kann mit dem Kopfschütteln eigentlich kaum mehr aufhören. Moderne Medien sind einem Konkurrenzdruck um Inserate und Auflagen ausgeliefert, klar. Aber muss man sich wirklich dermaßen an den Teufel verkaufen? Erpressung ist ja kein Kavaliersdelikt, sondern ein Verbrechen. Man bekommt langsam den Eindruck, das trifft auch auf die Berichterstattung insgesamt zu.

„Objektivität: Alles hat zwei Seiten. Aber erst wenn man erkennt, dass es drei sind, erfasst man die Sache.“ Heimito von Doderer

P.S.: Vorsicht! Dieser Blog ist ein Medium! Zu Risken und Nebenwirkungen...

Mittwoch, 21. September 2011

Die Anständigen, oder: Was blieb von Schwarz-Blau?

Es ist fast ein bisschen wie in Agatha Christies Roman „Mord im Orientexpress“. Wolfgang Schüssel und seine schwarz-blaue Entourage starteten 2000 so hoffnungsfroh in ihre Reise, am Ende stellte sich heraus, dass fast jeder irgendwo zugelangt hatte. Um dieses kollektive Verbrechen aufzuklären musste nicht einmal Hercule Poirot auftauchen, es genügte maßloser Dilettantismus gepaart mit ein paar Indiskretionen.
Was bleibt nach dem endgültigen Rückzug von Exkanzler Schüssel eigentlich von Schwarz-Blau außer Korruption, Umfärbungsaktionen und Machtmissbrauch? Vier Verkehrsminister und vorübergehend 160 Km/h auf der Autobahn? Die Erinnerung an Intelligenzbestie Elisabeth Sickl - Ministerin vom 2. Feber bis 24. Oktober 2001 -, die angeblich ihre Beamten den Generationenvertrag suchen schickte? Oder die an den 25-Tage Justizminister Michael Krüger, der hauptsächlich für ein offenes Interview bekannt wurde:
Krüger: „Waßt no, die Miss Vienna?“ Chmelar: „Mein Gott, was haben wir geschnackselt. Die Miss Vienna haben wir uns geteilt. Zuerst ich im Schlafzimmer, dann du im Wohnzimmer.“ Falter
Vielleicht denken viele doch eher an Reinhart Gaugg, dem zum Wort Nazi  „Neu, attraktiv, zielstrebig ideenreich“ einfiel und der nach einer gescheiterten Kandidatur zum Vizepräsidenten der Pensionsversicherungsanstalt und einer nächtlichen Autofahrt unter Alkoholeinfluss aus dem Verkehr gezogen wurde... Aber bevor wir uns zu sehr verstricken, machen wir doch lieber eine kurze Aufstellung der Personalhighlights aus der Schüssel-Ära:

Elisabeth Gehrer hat zwölf Jahre lang erfolgreich das österreichische Bildungssystem bankrottiert, führte Studiengebühren ohne ein ausreichendes Stipendiensystem ein und färbte sowohl die ÖH, als auch die UNI-Führungen durch ihre politischen Reformen um. Größter Erfolg: Umbenennung des Unterrichtsfachs „Leibesübungen“ in „Bewegung und Sport“.

Michael Schmid - Amtszeit Feber bis November 2000 - telefonierte während eines ORF-Interviews ohne Freisprecheinrichtung am Steuer. Größter Erfolg: Ließ im Streit mit dem niederösterreichischen Landeshauptmann per Bescheid vorübergehend die Bauarbeiten am Semmeringtunnel unterbrechen.

Monika Forstinger - die Sickl des BMVIT und Ministerin bis Feber 2002 - beauftragte ein Meinungsforschungsinstitut für 75.000 Schilling die Wirkung des neuen Ministeriumslogos zu evaluieren, hinterließ schließlich einen politischen Scherbenhaufen und trat zurück. Größter Erfolg: Verbot ihren Mitarbeiterinnen das Tragen von Miniröcken und Stöckelschuhen

Ähnlich lang wie seine Vorgänger amtierte auch Mathias Reichhold als Verkehrsminister. Der agile Bio-Bauer aus Kärnten und Träger des Großkreuzes des Verdienstordens der Italienischen Republik war bis Feber 2003 Minister, dann 40 Tage lang FPÖ-Spitzenkandidat bekam dann angeblich Herzprobleme und verschwand in der Versenkung. Im Wahlkampf hatte er noch mit dem Slogan „Sein Handschlag zählt“ geworben, wie jüngst aufgetauchte Papiere zur Telekomaffäre nahelegen hat er die Hand aber eher nur aufgehalten. Größter Erfolg: Nach seinem Ministerium war er Weltraumberater für Magna.

Hubert Gorbach hielt es schließlich am Längsten aus, wollte ein Blaulicht auf seinem Dienstwagen und auf der Autobahn sehr schnell fahren, war schließlich sogar Vizekanzler und ließ sich nach dem Ende seiner Amtszeit 2007 von der Telekom eine Sekretärin bezahlen. Größter Erfolg: Erkannte die geringe Größe der Welt in Vorarlberg und ist jetzt Berater für Beschneiungstechnik an der Schneiakademie.
„Es gibt die Aussage von Willibald Berner, dem Ex-Kabinettschef des FP-Infrastrukturministers Michael Schmid, dass bei einem Arbeitsfrühstück mit dem Lobbyisten Peter Hochegger ein „Masterplan“ entworfen worden sei, auf welche Weise die blauen Minister bei der Privatisierung mitverdienen können. Ich hege wenig Zweifel, dass es so war.“  Peter Lingens - Profil
Martin Bartenstein, rechts (standard.at
Martin Bartenstein, Pharmamulti mit Sinn für Sparsamkeit, drehte in einem Schuhgeschäft auf, weil er keinen Rabatt bekam, gehört selbst dem nichtadligen Teil der Familie an, nimmt's aber bei der Anrede nicht immer so genau. Größter Erfolg: Kauf des ehemaligen Mauthausen-Außenlagers Schloss Lannach als Residenz.

Dieter Böhmdorfer, Nachfolger vom Schnacksl-Krüger, bezeichnete die Bestrafung von Abgeordneten, die die Regierung kritisieren als überlegenswert und wurde daraufhin im Bericht der drei Weisen über Österreich für seinen Angriff auf die Freiheit der Kritik kritisiert. Größter Erfolg: Ist nie der FPÖ beigetreten.

Günther Platter Tiroler Verteidigungsminister - später Innenminister - für die Tiroler ÖVP mit gewissem Tiroler Hang zu tirolerischen Entscheidungen, ließ sich gern von den Luftstreitkräften im Saab 105 OE von Innsbruck nach Wien fliegen, protegierte nach bestem Vermögen die Tiroler Militärmusik und verfolgte als Innenminister eine Politik der eisernen Faust. Größter Erfolg: Ist wieder in Tirol.

Ursula Haubner, Hauptkompetenz Schwester, war Sozialministerin mit Herz aus Stein, ließ legal residierenden und steuerzahlenden Ausländern das Kindergeld streichen und der blau/orangen-Jugend ordentlich Geld aus Fördertöpfen ihres Hauses zukommen. Größter Erfolg: Namensänderung durch Heirat.

Herbert Scheibner, galt lange Zeit als einer der Besonneneren im dritten Lager, befürwortete den Eurofighterkauf und erhielt - ohne jeglichen Zusammenhang - nach seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung eine Zeit lang monatlich 5.000€ vom EADS-Konzern, die er - sicher nur aus Veranlagungsgründen - nach Zypern und auf die Caymans verschob. Größter Erfolg: Begriff, nach Erläuterung der Befehlskette durch seine Offiziere, warum er als Verteidigungsminister nicht auch Milizsoldat sein kann.

Maria Rauch-Kallath, die dem lieben Gott für das Wahlergebnis von 2002 dankte und der österreichischen Jugend - Zitat - „megaaffengeile“ Gesundheitspässe zukommen ließ, bestellte acht Millionen Grippemasken, die nicht vor Grippe schützen, und ließ sie um viel Geld zwischenlagern. Ehemann Mensdorff-Pouilly jagt privat Wild - beruflich Beraterverträge - und kennt mittlerweile wohl jeden Korruptionsstaatsanwalt zwischen Wien und London persönlich. Größter Erfolg: Sorgte mit ihrer zweiten Hochzeit für eine Änderung des österreichischen Namensrechts.

Im Rahmen dieser Aufstellung auch noch auf Karl-Heinz Grasser und Ernst Strasser eingehen zu müssen, würde einfach den Rahmen sprengen. Der Umfang an vermutlicher Unschuld ist schlichtweg so gigantisch, dass man schon ein Staatsanwalt sein müsste um ihn zu übersehen.

Wolfgang Schüssel ist jetzt zurückgetreten. Der Exlotse hat das längst gesunkene Schiff verlassen. Er habe nichts gewusst sagt er. Aber sogar wenn wir so wohlwollend sind seinem katholischen Gewissen zu glauben: Schwere Fahrlässigkeit bleibt mindestens über, wenn nicht Eventualvorsatz. Unter seiner Kanzlerschaft haben sich Mitglieder seiner Regierung parasitär vom Vermögen der Republik ernährt, haben Privatisierungen als Start ins neue Jahrtausend verkauft und dabei nur selber profitiert. Manche haben ganze Systeme aufgezogen, um das Gemeinwesen zu schröpfen.
„Es ist gut, dass es in dieser Welt noch anständige Menschen gibt, die einen Charakter haben, die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind.“ Jörg Haider
Das Ausmaß der Korruption unter den Regierungen Schüssel I und II ist insgesamt unfassbar. Als dieses Land noch von Volksparteien regiert wurde und nicht von Umfragen und dem Boulevard, da haben hin und wieder auch schwarze und rote Politiker in die Honigtöpfe der Republik gegriffen. Die Bundeskanzler von Figl bis Klima haben ein derartiges Verhalten jedoch nicht mit aktivem Wegschauen unterstützt. Das Versagen von Schwarz-Blau ist vor allem ein Versagen Wolfgang Schüssels. Das ist so offensichtlich, dass man sich jetzt sogar auf die fehlende Richtlinienkompetenz rausredet. Der Bundeskanzler kann seinen Kabinettskollegen ja nichts anschaffen. Er hat sie aber allesamt dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagen. Aus lauter Geilheit auf den Kanzlerposten, hat er nicht nur sein erpresserisches Wahlversprechen gebrochen - „wenn wir Dritte werden, gehen wir in Opposition“ -, sondern auch mit dem personellen Bodensatz einer halbfaschistischen Hinterwäldlerpartei eine Selbstbedienungsregierung gebildet. Wolfgang Schüssel wollte damals wirklich, wirklich Bundeskanzler werden. Er unterschrieb die vom Bundespräsidenten eingeforderte Regierungserklärung, tolerierte es, dass jeder blaue Kleinfunktionär von Seibersdorf bis zum Patentamt seinen Posten bekam und ließ Jörg Haider von Kärnten aus über seine geheimhomophilen Stellvertreter in Wien mitregieren. Dass Schüssel nach alldem 2002 42% der Wählerstimmen erhielt, ist ein Wahnsinn, den zu erklären mir unmöglich ist. Im Ganzen hat seine Entourage damit sechs Jahre lang die Republik geplündert wie Pippi Langstumpf den Weihnachtsbaum. Wolfgang Schüssel hat sich vom öffentlichen Regieren immer mehr zurückgezogen, hat im Hintergrund delegiert und durch Nichteinmischung die restliche Regierungskamarilla gewähren lassen.

Klar, natürlich auch rote Minister vergeben Beraterverträge und ÖBB-Inserate und da gab es ja die zwei, drei Dinge die als schwarz-blaue Erfolge gelten: Die Zwangsarbeiterentschädigung zum Beispiel. Aber vielleicht hat es auch dafür erst ein paar Beraterverträge regnen müssen. Außerdem war sie politisch opportun, sie fand als Entlastungsmoment Aufnahme in den Bericht der Weisen und trug zur Beendigung der Sanktionen gegen Österreich bei. Dass es der FPÖ ein Herzensanliegen war die Opfer des Nationalsozialismus zu entschädigen, mag angesichts früherer Zitate Haiders bezweifelt werden.
„Wenn sie so wollen, dann war es halt Massenmord.“ Jörg Haider
Doch daran wird niemand denken, wenn er sich an die Schüssel-Regierungen erinnert. Man wird sich an die Homepageaffäre erinnern, an den Polizeifunk, die Blaulichtaffäre, die Sanktionen der EU-14, den besoffenen Gaugg, gänzlich ungeeignete Minister, an Karl-Heinz Grassers Grinsen und seine supersaubere Weste.

Leider war eben kein Hercule Poirot mit von der Partie, um das Verbrechen aufzudecken. Deshalb haben am Ende alle Verbrecher und die die nur zugeschaut haben den Zug verlassen. Drinnen liegen blieb der österreichische Rechtsstaat, mit einem guten Dutzend Messer im Rücken.

„Ich habe allen in unserer Regierung immer gesagt: 'Wenn ich einen erwische, der hier Linke macht, dann spielt´s Granada!'“ Wolfgang Schüssel

Donnerstag, 15. September 2011

Il Principe, oder Liechtensteins Demokratiedefizit

Der Regierer des Hauses von und zu Liechtenstein ist ein großer Mann. Bei öffentlichen Anlässen überragt er die meisten der restlichen Teilnehmer um mindestens einen Kopf. Seine Durchlaucht ist schlank, brillenlos, hat kurzes grau-weißes Haar, spricht ein österreichisch-aristokratisches Deutsch und ist konservativ bis ins Mark. Hans Adam II. Fürst von und zu Liechtenstein, Herzog von Troppau und Jägerndorf, Graf zu Rietberg wurde 1945 in Zürich geboren. Sein Taufpate war der Papst, was über die Festigkeit seines katholischen Gewissens eigentlich alles aussagt.

Als der Fürst 2003 beim Stimmvolk eine Verfassungsäderung durchbrachte, die nicht unbedingt der landläufigen Vorstellung von konstitutioneller Monarchie entsprach, äußerte der Europarat Bedenken über die demokratiepolitischen Entwicklungen im rechtsrheinischen Zwergstaat. Der Einfluss des fürstlichen Hauses auf die Politik im Lande ist wirklich erstaunlich: Die Richter werden von einem speziellen Gremium ernannt, in dem Fürst und Landtag paritätisch vertreten sind, de facto ist die Judikative daher fürstlich handverlesen. Der Fürst vertritt das Land nach Außen, nicht nur symbolisch, sondern wirklich. Wenn man zu Verhandlungen über das Bankgeheimnis nach Berlin fährt, darf der Regierungschef als demokratischer Beipackzettel mitkommen, aber nicht mehr. Außerdem bedarf jedes Gesetz der Sanktion, also der ausdrücklichen Billigung durch den Landesfürsten, ohne die es nicht kundgemacht werden kann.

Seit dem Tod seines Vaters Franz Josef II. 1989 herrscht Hans Adam II. als Staatsoberhaupt über das letzte monarchische Überbleibsels des Heiligen Römischen Reiches und ein Land, in dem es zwei große Parteien gibt - eine konservative und eine konservativere - und zwei Zeitungen - gleichfalls eine konservative und eine noch konservativere. In Liechtenstein wirbt der Regierungschef im Wahlkampf ernsthaft mit Slogans wie „Leise viel erreichen“. Die ÖVP würde dort mitunter als überdrehte linksliberale Yuppiepartei durchgehen.
Die Frauen durften 1986 zum ersten Mal wählen, ein Jahr später wurde die Todesstrafe abgeschafft. Seit 1990 ist man UNO-, seit 1992 EWR-Mitglied. Der liechtensteinische Landtag besteht aus 25 Abgeordneten, die Einzugshürde beträgt 8% nachdem der Staatsgerichtshof die ursprüngliche 18%-Hürde als verfassungswidrig aufhob. Ein gewichtiger Teil der Beamten und Richter sind Österreicher die sich eine goldene Nase verdienen, ganz einfach, weil weite Teile des österreichischen Rechts in Liechtenstein rezipiert wurden. Beispiele für Ausnahmen sind Teile des ABGB, die Finanz-, Treuhand-, Banken- und Steuergesetzgebung, das in Österreich viel zu arbeitnehmerfreundliche Arbeitsrecht und die Abtreibung betreffende Bestimmungen des StGB. Seit das Landesvolk aber einen gewissen Schwenker zum Liberalismus vollzogen hat - die eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare wurde per Volksentscheid eingeführt - steht auch die Legalisierung der Abtreibung zur Debatte.
Dieser Punkt ist es daher auch an dem sich zurzeit die öffentliche Meinung im 36.000 Einwohner zählenden Liliputstaat spießt. Die derzeitige Rechtslage ist mehr als scheinheilig: Weil im Land nicht abgetrieben werden darf, fahren betroffene Frauen - schätzungsweise jährlich 50 - über die allerorts nahgelegene Grenze nach Österreich oder in die Schweiz. Die Abortion bleibt theoretisch auch dann strafbar, wenn sie im Ausland vorgenommen wird. Praktisch schert sich aber niemand um die Strafverfolgung in diesem Punkt.
Im Erzbistum Vaduz drückt Teile der Bevölkerung und vor allem das fürstliche Haus aber allerorts das Gewissen, wenn sie an die privaten Entscheidungen anderer denken. Ihre Königliche Hoheit, die Erbprinzessin und Herzogin in Bayern Sophie betreibt daher auch eine Initiative für junge Mütter in Liechtenstein und im benachbarten Vorarlberger Ausland, wo Abtreibung zwar grundsätzlich Bundessache ist, in Landesspitälern aber verboten bleibt.
Der Fürst selbst und sein zur ständigen Vertretung berufener Spross, der Erbprinz, haben nun im Zuge der laufenden Legalisierungsdebatte bekannt gegeben, dass einem zur Volksabstimmung vorgelegten Gesetz über die Legalisierung der Abtreibung keinesfalls die allerdurchlauchtigste Zustimmung widerfahren werde. Punkt. Das Volk kann abstimmen soviel es will, solange sein Princeps njet sagt, wandert jede Vorlage in den Reißwolf. Es gibt viele Definitionen des Wortes Demokratie, die liechtensteinische ist auch nicht ganz neu. Offensichtlich hat man sich Anleihen am Verständnis diverser demokratischer Volksrepubliken genommen.

Die liechtensteinische Verfassung von 1921 in der Fassung von 2003 erhebt in Wahrheit aber auch nur einen formalen Anspruch auf Volksherrschaft. Ihr Souveränitätsprinzip basiert auf der Floskel „Fürst und Volk“:
„Das Fürstentum ist eine konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage [...] die Staatsgewalt ist im Fürsten und im Volke verankert und wird von beiden nach Massgabe der Bestimmungen dieser Verfassung ausgeübt.“ Art. 2 Verfassung des Fürstentums Liechtenstein
Man könnte einwenden, dass andere europäische Verfassungen noch wesentlich monarchozentrischer sind: In Großbritannien - wo es nicht einmal eine geschriebene Konstitution gibt - gehört der Königin das gesamte Land, Gesetze bedürfen ihrer Zustimmung und sie ernennt die Regierung. Aber all das tut sie nur formal: Nach Konvention wird sie keinem Gesetz den Royal Assent verweigern ohne den Rat (i.e. Befehl) des Premierministers und keine Regierung ernennen, die im Unterhaus nicht über eine Mehrheit verfügt. Monarchien wie Großbritannien, Norwegen, Spanien, Belgien, die Niederlande oder Luxemburg sind dem Text der Verfassung nach konstitutionell, in Wahrheit aber parlamentarisch. Die formale Macht des Monarchen ist maximal „power in reserve“ und für Notzeiten da.
Der Fürst von Liechtenstein und sein Stellvertreter auf Erden sehen das jedoch anders. Der Regierung ist das naturgemäß peinlich. Sie wird dem Fürsten vom Landtag zur Ernennung vorgeschlagen und ist daher von einer Mehrheit im Parlament getragen. Es gehört aber zu den ureigensten Aufgaben einer Regierung sich vor ihr Staatsoberhaupt zu stellen, auch wenn sie anderer Meinung sein sollte. Die Demokratiedefizite des regierenden Hauses werden daher mit Betretenheit hingenommen. Da verschwinden schon mal vom Landtag ordnungsgemäß verabschiedete Gerichtsorganisationsgesetze klammheimlich in der Schublade, weil der Fürst schlichtweg seine Sanktion nicht erteilen will. Die Regierung schweigt, dem Volk ist es nicht Recht, aber niemand zieht die Konsequenzen, weil sie als überzogen erachtet werden.
„Echte Demokratien sind in meinen Augen nur jene Staaten, die neben der repräsentativen Demokratie über eine ausgebaute direkte Demokratie verfügen wie die Schweiz oder Liechtenstein. Dort hat der Staat dem Volk zu dienen und nicht das Volk dem Staat.“ Hans Adam II. von  Liechtenstein
Loswerden will die fürstliche Familie ja keiner. Sie gilt als Garant für den Wohlstand des Landes als Steuerparadies. Als die Abstimmung zur Verfassungsnovelle 2003 anstand, genügte schon die Drohung des Fürsten, er werde das Land verlassen, sollte seine Vorlage nicht angenommen werden, um über 64% der Stimmbürger in sein Lager zu treiben. Seit dem kann er theoretisch zwar abberufen werden, aber auch nach Lust und Laune den Landtag auflösen und Notverordnungen regnen lassen.

Der Fürst von Liechtenstein verbleibt im Verein mit dem Papst und dem Fürst von Monaco der letzte Monarch in Europa, der tatsächlich noch auf die Tagespolitik seines Landes Einfluss nimmt. Andernorts spielt sich das längst nicht mehr. Als der Großherzog von Luxemburg 2008 gekannt gab, er könne das vom Parlament verabschiedete Sterbehilfegesetz aus Gründen der persönlichen Moral nicht sanktionieren, änderte die Abgeordnetenkammer kurzerhand die Verfassung. Das Staatsoberhaupt verkündet fortan nur noch die Gesetze, muss sie aber nicht mehr bestätigen. Das letzte Gesetz das ein luxemburgischer Großherzog sanktionierte war das Gesetz zur Abschaffung des Sanktionsrechtes des Großherzogs. Ähnlich war es König Baudouin von Belgien ergangen, als er dem Gesetz zur Liberalisierung der Abtreibung nicht die Zustimmung geben wollte. Der Ministerrat erklärte ihn kurzerhand für regierungsunfähig, sanktionierte das Gesetz selbst und bescheinigte dem Monarchen danach wieder die volle Befähigung zur Ausübung seiner Amtsgeschäfte. Als man den spanischen König Juan Carlos fragte, ob er das Gesetz zur Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe unterschreiben werde, antwortete er in Anspielung darauf:
„Soy el Rey de España y no el de Bélgica.“ - „Ich bin der König von Spanien, nicht der von Belgien.“
Die Aufgabe einer modernen Monarchie ist es zu repräsentieren und zurückzuweichen, wo man es von ihr verlangt. Das Volk hat das Recht Fehler zu machen und sich von Idioten regieren zu lassen. So wie der Bundespräsident in Österreich nicht einfach den Kärntner Landtag auflöst, haben konstitutionelle Monarchen sich im Rollenverzicht zu üben. „Suprema lex regis voluntas“ war vorgestern, das muss auch der Fürst von Liechtenstein begreifen. „Fürst und Volk“, das klingt so gut, ist aber eigentlich eine perverse Formel. Die Aufteilung der Staatsgewalt zwischen einer demokratisch nicht legitimierten Einzelperson und dem Rest des Volkes ist semidiktatorisch. Das ganze Konstrukt steht in dem Denken, dass der liebe Landesvater dem armen Volk 1921 die Hälfte seiner Macht von Gottes Gnaden überlassen hat und seit dem mit ihm gemeinsam glücklich und zufrieden regiert. Müssten die Teletubbies ein Souveränitätsprinzip basteln, es könnte nicht kitschiger und realitätsfremder sein.
Politische Bildung im Dualismus (www.fuerstundvolk.li)

Es steht dem Fürsten zu, eine persönliche Moral zu haben, die es ihm verbietet ein Gesetz mit seiner Zustimmung zu versehen. Es steht ihm aber nicht zu, einem präsumptiven Abstimmungsergebnis mit der Drohung vorzugreifen, das Gesetz werde ohnehin nicht in Kraft treten. Das Gottesgnadentum zieht als Legitimation nicht mehr, der Katholizismus soll als Staatsreligion, auch mit dem Willen des Fürstenhauses, demnächst ausgedient haben. Der Landesfürst verfügt als Staatsorgan jedoch über keine demokratische Legitimation, seine Berechtigung kann nur moralischer und symbolischer Natur sein.  „Duty first, self second.“ heißt es so schön in einem Film von Stephen Frears. Dazu zählt auch das zurückstellen persönlicher Einstellungen hinter die demokratische Entscheidungsgewalt des Staatsvolkes. Religiöse Bedenken gegen die Abtreibung sind kein Staatsnotstand, die den Einsatz verstaubter Verfassungsbestimmungen rechtfertigen würden. Die notwendige Konsequenz könnte nur ein Verzicht sein: Auf das Recht oder auf den Thron. Womöglich lehnt das Volk die Vorlage aus Angst vor offenem Dissens mit dem Staatsoberhaupt aber auch gleich selbst ab, dann hätte der Fürst nur sein Ansehen ramponiert.

„Das Wort Demokratie ist im 20. Jahrhundert ein reines Schlagwort geworden, ohne dass sich die Menschen viel darunter vorstellen können. Die ärgsten Diktaturen haben sich als Demokratien bezeichnet oder tun es noch immer.“ Hans Adam II. von Liechtenstein

Montag, 5. September 2011

Die Burgenländer, oder: Ethanolbasiertes nation building

Am 25. Jänner 1921 beschloss der österreichische Nationalrat das „Bundesverfassungsgesetz über die Stellung des Burgenlandes als selbständiges und gleichberechtigtes Land im Bund und über seine vorläufige Einrichtung“. Damit war Österreich um ein Bundesland, 285.000 Einwohner, einen Sumpfsee, einige Hektar Weinanbaugebiet, einen neuen geographischen Tiefpunkt (114m ü.d.A. bei Apetlon) ein paar Krowoten und etliche Störche reicher. Die Ungarn hatten ein paar Quadratkilometer Steppe, den Großteil ihres zweiten Sumpfsees und ein paar tausend Alkoholiker verloren. Da sie aber von alldem noch immer reichlich haben, war die Abtrennung des Burgenlandes zumindest kulturell kein allzu schmerzlicher Verlust. Wie so viele österreichische Gesetze zuvor und danach, sollte aber auch das Burgenlandgesetz nur zum Teil umgesetzt werden, denn das Schicksal des ehemaligen Westungarn war noch keineswegs besiegelt und die Tinte auf den neu gezeichneten Landkarten noch nicht trocken. Schon der erste Paragraph sollte nie wirklich Wirksamkeit erlangen:
„Landeshauptstadt des Burgenlandes ist die Stadt Ödenburg.“
Die Ungarn stemmten sich vehement gegen die in Art. 27 des Vertrages von  Trianon festgelegte Grenze zu Österreich. Es war dies einer der wenigen Vertragspunkte, der zur Zeit der Unterzeichnung noch nicht umgesetzt war. Während sich also die anderen ungarischen Anrainerstaaten bereits ihren Teil vom magyarischen Kuchen gesichert hatten, war das Gebiet des späteren Burgenlandes noch immer unter ungarischer Kontrolle. Da es aber mehrheitlich von deutschsprachiger Bevölkerung bewohnt war, sollte es Österreich angeschlossen werden. Als die Bundesgendarmerie nun einrückte, leisteten ungarische Freischärler bewaffneten Widerstand, woraufhin sich die österreichische Exekutive zurückzog. Man erreichte einen Kompromiss, demzufolge die Mehrheit des auch als Deutsch-Westungarn bezeichneten Territoriums an Österreich fallen, im Raum Ödenburg jedoch eine Volksabstimmung stattfinden sollte. Die Überwachung des Plebiszits übernahmen die Italiener, womit sein Ausgang mehr oder weniger bereits besiegelt war. Die Ungarn fälschten die Abstimmung nach allen Regeln der Kunst: Tote standen dabei ebenso auf den Wählerlisten wie Nichtansässige, die zur wundersamen Stimmenvermehrung führten. Im Ergebnis blieb Ödenburg als Sopron, nebst einigen benachbarten Dörfern, bei Ungarn und erhielt für das offizielle Endergebnis von über 65% den Titel einer „Civitas Fidelissima“.

Auch wenn sich die genaue Festlegung der Grenze noch bis 1924 zog, war das Burgenland somit im Grundsatz konstituiert. Für ein vollständiges Bundesland fehlten jedoch noch einige Dinge. Zumindest hatte sich der Name Burgenland bereits gegen Hoanzenland und Vierburgenland durchgesetzt. Hoanzen ist ein teilweise abfällig gemeinter Begriff für die Burgenländer und ihren Dialekt, der Name Burgenland stammt hingegen von den drei ehemaligen ungarischen Komitaten, aus deren Westteilen das Land gebildet wurde: Eisenburg, Wieselburg und Ödenburg, während das ursprünglich ebenfalls beanspruchte Pressburg an die Tschechoslowakei fiel. Was noch fehlte war jedoch vor allem eine Landeshauptstadt. Mit dem Verbleib von Ödenburg bei Ungarn, war das Gebiet seines natürlichen Zentrums beraubt, man machte sich also auf die Suche nach einer neuen Kapitale. Weil das nordwestburgenländische Tausend-Seelen-Kaff Sauerbrunn - heute Bad Sauerbrunn -, in dem die Landesregierung seit 1921 tagte, nicht unbedingt als repräsentativ angesehen wurde, wählte man schließlich 1925 Eisenstadt als neuen Sitz der Landesinstitutionen. Das südburgenländische Mattersdorf, das sich durch die Namensänderung in Mattersburg mehr Attraktivität im Kampf um den Titel „Hauptstadt des Burgenlandes“ sichern wollte, ging damit leer aus.
Man braucht aber nicht zu glauben, dass es sich bei Eisenstadt (Ung.: Kismarton, Kro.: Željezno) um eine Metropole handelt. Mit nicht einmal 13.000 Einwohnern steht es in der Liste der bevölkerungsreichsten österreichischen Gemeinden auf Platz 47. Wer am Bahnhof von Bahnsteig zwei auf eins wechseln möchte, nimmt nicht die Unterführung oder einen Übergang, sondern quert die bekiesten Gleise. Es musste halt ein Verwaltungszentrum her, Eisenstadt war die Verlegenheitslösung. Unter den österreichischen Landeshauptstädten bleibt jene des Burgenlandes aber ein Makel an Provinzialität und Rückständigkeit, darin höchstens übertroffen durch die städtebauliche Unsäglichkeit namens St. Pölten.

Trotzdem wurde in der Folge weiter fleißig nation building betrieben. Eine Landesflagge wurde entworfen - rot-gold - und ein Wappen - roter Adler in goldenem Schild auf schwarzem Fels - kreiert. Als Vorlagen dienten die Insignien historischer Adelsgeschlechter, die Produkte waren aber letztlich heraldische und vexiollogische Neuschöpfungen. Am Ende gab's sogar noch eine recht opulente Landeshymne oben drauf. Als am 15. Jänner 1926 die bisherige provisorische Landesordnung durch die Verfassung des Burgenlandes ersetzt wurde, war das neue Bundesland fertig modelliert. In der Länge 166 km und an seiner schmalsten Stelle geraden einmal 4,5 km breit trat es mit 3.961,8 km² als flächenmäßig drittkleinstes Land nun endgültig in den Bundesstaat ein. Auch wenn es in der Landeshymne
„An Kraft und Treue allen gleich, Du jüngstes Kind von Österreich.“
heißt, so ist das nur die halbe Wahrheit. Zwar ist das Burgenland das neueste Gebiet, das seit der Aufnahme Salzburgs 1805 dem österreichischen Gesamtstaat inkorporiert wurde, das jüngste Bundesland ist es aber nicht. Mit dem sogenannten Trennungsgesetz wurden Wien und Niederösterreich am 1. Jänner 1922 politisch geschieden und die Bundeshauptstadt damit ein eigenständiges Land. Das Burgenlandgesetz war da schon fast ein Jahr alt.

Nach der politischen ging die wirtschaftliche Integration des neu erworbenen österreichischen Gazastreifens nur schleppend voran. Österreich hatte den Krieg verloren und damit 90% seines Territoriums, das Burgenland war zwar als kleine territoriale Entschädigung, aber auch als volkswirtschaftliche Belastung dazugekommen. Daher machte es zunächst nichts als Scherereien. Die jahrhundertealte wirtschaftliche Anbindung an Ungarn war mit dem Anschluss an Österreich abgebrochen und stürzte das ohnehin unterentwickelte Gebiet in weitere ökonomische Schwierigkeiten. Die infrastrukturelle Anbindung an den restlichen Bundesstaat war schlecht. Das Schul- und das Rechtswesen sowie die Verwaltung waren nach ungarischen Maßstäben aufgebaut. Viele Schulen waren konfessionell, höhere Bildungsanstalten fehlten gänzlich. Sämtliche Bundesgesetze mussten für das Burgenland erst in Geltung gesetzt werden. Das Adelsaufhebungsgesetz etwa erstreckt seinen Geltungsbereich formalrechtlich erst seit 2008 auch  auf das östlichste Bundesland.

Zumindest in Sachen politische Aufheizung stand das neue Bundesland dem restlichen Österreich um nichts nach: Es waren die tödlichen Schüsse, die die Heimwehr in Schattendorf auf einen Kriegsinvaliden und ein Kind abfeuerte, sowie der darauffolgende Prozess mit Freispruch, die 1927 zu gewalttätigen Ausschreitungen im fernen Wien führten, den Justizpalast in Flammen aufgehen ließen und 89 weiteren Menschen das Leben kosteten. Das Burgenland war politisch in der ersten Republik angekommen, wirtschaftlich noch lange nicht. 

Schon 1938 kam der nächste Anschluss, diesmal an das Deutsche Reich. Der nationale Tingeltangeltanz fand Eingang in die Vitae des gebeutelten Landesvolkes. Ein Ruster Winzer erklärte mir einmal, sein Großvater sei in Ungarn geboren worden, in Österreich aufgewachsen und für Deutschland in den Krieg gezogen. Die Wirrnisse der Geschichte sind der Grund, warum das Wort „dazwischen“ das Burgenland im Speziellen noch besser beschreibt als Österreich im Allgemeinen. Die Nazis jedenfalls liquidierten zunächst das Burgenland selbst und dann einen Gutteil seiner Bevölkerung. Im ehemaligen Randgebiet des Königreiches Ungarn, hatten sich etliche Gruppierungen angesiedelt, denen die freie Religionsausübung und Vereinsbildung im Kaisertum Österreich untersagt waren: Juden, Protestanten, Freimaurer. Zwei davon standen auf der Abschussliste der Nazis ganz oben und wurden zum Ziel ihrer Repressions- und Vernichtungspolitik.
Das Burgenland selbst wurde aufgeteilt. Der Norden ging an den Gau Niederdonau, das vormalige Niederösterreich, der Süden an die Steiermark. Die Rechtsnachfolge wurde der Gauleitung in Krems angetragen. Damit war das Burgenland zusammen mit Vorarlberg als politische Entität abgeschafft worden. Aber wer wollte schon unter den Nazis eine politische Entität sein?

Als die Rote Armee im Frühjahr 1945 bei Klostermarienberg erstmals burgenländischen und österreichischen Boden betrat, stellte der unter Zwangsarbeit errichtete „Südostwall“ - Josef Ratzinger hat mitgebaut - für sie kein wesentliches Hindernis dar. Nach der Befreiung war die Wiedererrichtung des Landes noch keineswegs besiegelt. Karl Renner war ein Befürworter der Beibehaltung der bisherigen Gaueinteilung, was die Aufteilung des Burgenlandes betraf. Von vielen wurde es immer noch als ein künstliches Konstrukt aufgefasst. Letztlich ging die Sache sehr Österreichisch aus. Die inneren und äußeren Grenzen wurden mit Stand 12. März 1938 wiederhergestellt, die inneren Uhren auf null ausgerichtet. Man drückte den historischen Reset-Knopf und die Massaker von Rechnitz und Deutsch Schützen, denen noch kurz vor Kriegsende hunderte Juden zum Opfer gefallen waren, waren vergessen.
Die Verösterreicherung des Burgenlandes schritt in der Folge unaufhaltsam fort. Das Land stritt sich mit der Familie Esterházy, der ein Sechstel der burgenländischen Gesamtfläche gehörten, bis diese ein Viertel abtrat. Der Konflikt schwelt jedoch bis heute. Auch in Sachen Skandalen und Skandälchen stand das östlichste Bundesland in den folgenden Jahrzehnten dem Rest der Republik um nichts nach. Landeshauptmann Kery - übrigens angeblich entfernt verwandt mit dem US-Senator fast gleichen Namens - musste sich am SPÖ-Parteitag drei unangenehme Fragen vom damaligen Jungrevoluzzer Josef Cap stellen lassen:
„Stimmt es, dass du mehr verdienst als der Bundeskanzler? Stimmt es, dass du als Aufsichtsratsvorsitzender verbilligten Strom der BEWAG beziehst? Ist es wahr, dass du in deiner Freizeit mit Maschinenpistolen schießt?“
Die Indiskretion der Ottilie Matysek im Zuge der Waldheimaffäre beförderte den burgenländischen SPÖ-Parteivorstand samt Bundeskanzler Sinowatz vor den Richter. Der Kanzler hatte angekündigt, man werde Waldheims braune Vergangenheit im Präsidentschaftswahlkampf einsetzen, spätere Beteuerungen, dem sei nicht so gewesen, führten schließlich zur Verurteilung des Landesparteivorstandes - natürlich mit Ausnahme der lecken Stelle Matysek.

Ansonsten blieb das Burgenland ein ruhiger und dank des Eisernen Vorhanges auch ein höchst unterentwickelter Fleck. Es schien, als sei es nur da, um einen Puffer zwischen Ungarn und den zivilisierten Bundesländern zu bilden. Die Burgenlandkroaten, einst im 16. Jahrhundert als Wehrbauern im durch die Türkenkriege entvölkerten Westungarn angesiedelt, hatten zusammen mit ihren deutsch- und ungarischsprachigen Landsleuten ihre Frontstellung zurückgewonnen. Der wirtschaftlichen und geographischen Randlage folgte eine demographische Ausdünnung. Auch wenn die Einwohnerzahl in den letzten Jahrzehnten wieder anstieg, heute leben immer noch über 8.000 Menschen weniger im Burgenland als 1923. Große Auswanderungswellen führten nicht nur nach Wien, sondern vor allem auch nach Chicago. Zwar hat sich mittlerweile - auch dank großzügiger EU-Subventionen - die wirtschaftliche Lage gebessert, dennoch hatte das Burgenland 2008 3,4% Anteil an der österreichischen Gesamtbevölkerung, aber nur 2,2% am BIP. Das Burgenland hat aufgeholt, aber noch nicht eingeholt. Es hat das ach so saubere Vorarlberg als letzte Bundesland ohne Universität hinter sich gelassen und verfügt mit Güssing über eine Energie-Musterstadt. Jedes Kaff hat mittlerweile seine eigenen Festspiele, man denke nur etwa an die Gelsenreitschule in Mörbisch, und natürlich ist es das Bundesland mit den meisten Sonnenstunden. Trotzdem bleibt es weiter strukturschwach und kann die vier Millionen Euro, die es im Gedenken an seinen Beitritt zu Österreich vor 90 Jahren vom Nationalrat erhält, gut gebrauchen.

Man kann über die Burgenländer sonst nicht viel Schlechteres sagen, als über die restlichen Österreicher auch. Sie saufen viel und gern. Aber wer tut das nicht? Im Burgenland werden die Dinge traditionell nicht so eng gesehen, wie sie sind. Dieses Überbleibsel ungarischer Lethargie wird durch den Genuss des selbst angebauten und daher reichlich vorhandenen Traubensafts noch zusätzlich verschärft. Auf meine Frage, ob der Alkoholmissbrauch im Weinbaugewerbe nicht eine gewisse Gefahr darstelle, gab oben erwähnter Winzer zu Protokoll:
„Alkoholismus ist ein Frage der Einstellung.“
Nun, es wäre eine ungeheure Infamie zu behaupten die Burgenländer wären versoffen und faul, oder dass ihnen der aus unveredelten Trauben hergestellte Uhudler noch den letzten Verstand aus den Schädeln gebrannt hat. Solcherlei Anfeindungen sind nichts als billige Stereotype, auch wenn mir in einer südburgenländischen Kleinstadt einmal der Schulwart - in Personalunion auch Dorfalkoholiker - beim Kauf eines Dopplers im örtlichen Spar erklärte:
„Wounst dou wounst muasst saufn sounst wiast deppat.“
Nein, das sind sicherlich nur bedauerliche Einzelfälle und stehen in keinem Verhältnis zur freundlichen Gemütlichkeit, die den Burgenländern sonst aneignet. Der Durchschnittsburgenländer ist nämlich kein versoffener Alkoholiker, sondern eine beleibt-betagte Großmutter, die im Tapetenmusterblumenkittel mit Lockenwicklern und Stützstrümpfen auf der Bank vor ihrem Straßendorf-Bungalow sitzt und drauf wartet, dass die Nachbarin zum tratschen vorbeikommt.
Letztlich muss ich Ihnen ein Geständnis machen: Ich mag das Burgenland. Trotz der schlechten Straßen und den NKD- und KIK-Filialen in den Innenstädten, trotz der Myriaden von Gelsen, die abends die Straßenlaternen schwarz und morgens den Körper rot färben, auch trotz oder gerade wegen des übermäßigen Weinkonsums. Das Burgenland ist ein Stück Fremde im eigenen Land, eine Art exotische Vertrautheit. Ein Ort, an dem unter der Woche die Pendlerdörfer ausgestorben sind und an dem es keinen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr gibt, aber auch ein Land in dem man sich wegen zwei oder gar dreisprachigen Ortstafeln nicht die Schädel einschlägt. Das jüngste Kind von Österreich wandert vom Rand langsam in die Mitte. Es sollte auf dem Weg dorthin aber besser ein paar Doppler einpacken, denn der könnte noch lang werden.

„Gold ist der Zukunft Sonnenlicht, das strahlend auf Dich niederbricht!“ - Eine, vielleicht zu Recht, sehr optimistische burgenländische Landeshymne