Am  25. Jänner 1921 beschloss der österreichische Nationalrat das  „Bundesverfassungsgesetz über die Stellung des Burgenlandes als  selbständiges und gleichberechtigtes Land im Bund und über seine  vorläufige Einrichtung“. Damit war Österreich um ein Bundesland, 285.000  Einwohner, einen Sumpfsee, einige Hektar Weinanbaugebiet, einen neuen  geographischen Tiefpunkt (114m ü.d.A. bei Apetlon) ein paar Krowoten und  etliche Störche reicher. Die Ungarn hatten ein paar Quadratkilometer  Steppe, den Großteil ihres zweiten Sumpfsees und ein paar tausend  Alkoholiker verloren. Da sie aber von alldem noch immer reichlich haben,  war die Abtrennung des Burgenlandes zumindest kulturell kein allzu  schmerzlicher Verlust. Wie so viele österreichische Gesetze zuvor und  danach, sollte aber auch das Burgenlandgesetz nur zum Teil umgesetzt  werden, denn das Schicksal des ehemaligen Westungarn war noch keineswegs  besiegelt und die Tinte auf den neu gezeichneten Landkarten noch nicht  trocken. Schon der erste Paragraph sollte nie wirklich Wirksamkeit  erlangen:
„Landeshauptstadt des Burgenlandes ist die Stadt Ödenburg.“
Die  Ungarn stemmten sich vehement gegen die in Art. 27 des Vertrages von   Trianon festgelegte Grenze zu Österreich. Es war dies einer der wenigen  Vertragspunkte, der zur Zeit der Unterzeichnung noch nicht umgesetzt  war. Während sich also die anderen ungarischen Anrainerstaaten bereits  ihren Teil vom magyarischen Kuchen gesichert hatten, war das Gebiet des  späteren Burgenlandes noch immer unter ungarischer Kontrolle. Da es aber  mehrheitlich von deutschsprachiger Bevölkerung bewohnt war, sollte es  Österreich angeschlossen werden. Als die Bundesgendarmerie nun  einrückte, leisteten ungarische Freischärler bewaffneten Widerstand,  woraufhin sich die österreichische Exekutive zurückzog. Man erreichte  einen Kompromiss, demzufolge die Mehrheit des auch als  Deutsch-Westungarn bezeichneten Territoriums an Österreich fallen, im  Raum Ödenburg jedoch eine Volksabstimmung stattfinden sollte. Die  Überwachung des Plebiszits übernahmen die Italiener, womit sein Ausgang  mehr oder weniger bereits besiegelt war. Die Ungarn fälschten die  Abstimmung nach allen Regeln der Kunst: Tote standen dabei ebenso auf  den Wählerlisten wie Nichtansässige, die zur wundersamen  Stimmenvermehrung führten. Im Ergebnis blieb Ödenburg als Sopron, nebst  einigen benachbarten Dörfern, bei Ungarn und erhielt für das offizielle  Endergebnis von über 65% den Titel einer „Civitas Fidelissima“.
Auch  wenn sich die genaue Festlegung der Grenze noch bis 1924 zog, war das  Burgenland somit im Grundsatz konstituiert. Für ein vollständiges  Bundesland fehlten jedoch noch einige Dinge. Zumindest hatte sich der  Name Burgenland bereits gegen Hoanzenland und Vierburgenland  durchgesetzt. Hoanzen ist ein teilweise abfällig gemeinter Begriff für  die Burgenländer und ihren Dialekt, der Name Burgenland stammt hingegen  von den drei ehemaligen ungarischen Komitaten, aus deren Westteilen das  Land gebildet wurde: Eisenburg, Wieselburg und Ödenburg, während das  ursprünglich ebenfalls beanspruchte Pressburg an die Tschechoslowakei fiel.  Was noch fehlte war jedoch vor allem eine Landeshauptstadt. Mit dem  Verbleib von Ödenburg bei Ungarn, war das Gebiet seines natürlichen  Zentrums beraubt, man machte sich also auf die Suche nach einer neuen  Kapitale. Weil das nordwestburgenländische Tausend-Seelen-Kaff  Sauerbrunn - heute Bad Sauerbrunn -, in dem die Landesregierung seit  1921 tagte, nicht unbedingt als repräsentativ angesehen wurde, wählte  man schließlich 1925 Eisenstadt als neuen Sitz der Landesinstitutionen.  Das südburgenländische Mattersdorf, das sich durch die Namensänderung in Mattersburg mehr Attraktivität im Kampf um den Titel „Hauptstadt des Burgenlandes“ sichern wollte, ging damit leer aus.
Man braucht aber nicht zu glauben, dass es sich bei Eisenstadt (Ung.: Kismarton, Kro.: Željezno)  um eine Metropole handelt. Mit nicht einmal 13.000 Einwohnern steht es  in der Liste der bevölkerungsreichsten österreichischen Gemeinden auf  Platz 47. Wer am Bahnhof von Bahnsteig zwei auf eins wechseln möchte,  nimmt nicht die Unterführung oder einen Übergang, sondern quert die  bekiesten Gleise. Es musste halt ein Verwaltungszentrum her, Eisenstadt  war die Verlegenheitslösung. Unter den österreichischen  Landeshauptstädten bleibt jene des Burgenlandes aber ein Makel an  Provinzialität und Rückständigkeit, darin höchstens übertroffen durch  die städtebauliche Unsäglichkeit namens St. Pölten.
Trotzdem wurde in der Folge weiter fleißig nation building  betrieben. Eine Landesflagge wurde entworfen - rot-gold - und ein  Wappen - roter Adler in goldenem Schild auf schwarzem Fels - kreiert. Als  Vorlagen dienten die Insignien historischer Adelsgeschlechter, die  Produkte waren aber letztlich heraldische und vexiollogische  Neuschöpfungen. Am Ende gab's sogar noch eine recht opulente Landeshymne  oben drauf. Als am 15. Jänner 1926 die bisherige provisorische  Landesordnung durch die Verfassung des Burgenlandes ersetzt wurde, war  das neue Bundesland fertig modelliert. In der Länge 166 km und an seiner  schmalsten Stelle geraden einmal 4,5 km breit trat es mit 3.961,8 km²  als flächenmäßig drittkleinstes Land nun endgültig in den Bundesstaat  ein. Auch wenn es in der Landeshymne
„An Kraft und Treue allen gleich, Du jüngstes Kind von Österreich.“
heißt,  so ist das nur die halbe Wahrheit. Zwar ist das Burgenland das neueste  Gebiet, das seit der Aufnahme Salzburgs 1805 dem österreichischen  Gesamtstaat inkorporiert wurde, das jüngste Bundesland ist es aber  nicht. Mit dem sogenannten Trennungsgesetz wurden Wien und  Niederösterreich am 1. Jänner 1922 politisch geschieden und die  Bundeshauptstadt damit ein eigenständiges Land. Das Burgenlandgesetz war  da schon fast ein Jahr alt.
Nach  der politischen ging die wirtschaftliche Integration des neu erworbenen  österreichischen Gazastreifens nur schleppend voran. Österreich hatte  den Krieg verloren und damit 90% seines Territoriums, das Burgenland war  zwar als kleine territoriale Entschädigung, aber auch als  volkswirtschaftliche Belastung dazugekommen. Daher machte es zunächst  nichts als Scherereien. Die jahrhundertealte wirtschaftliche Anbindung  an Ungarn war mit dem Anschluss an Österreich abgebrochen und stürzte  das ohnehin unterentwickelte Gebiet in weitere ökonomische  Schwierigkeiten. Die infrastrukturelle Anbindung an den restlichen  Bundesstaat war schlecht. Das Schul- und das Rechtswesen sowie die  Verwaltung waren nach ungarischen Maßstäben aufgebaut. Viele Schulen  waren konfessionell, höhere Bildungsanstalten fehlten gänzlich.  Sämtliche Bundesgesetze mussten für das Burgenland erst in Geltung  gesetzt werden. Das Adelsaufhebungsgesetz etwa erstreckt seinen  Geltungsbereich formalrechtlich erst seit 2008 auch  auf das östlichste  Bundesland.
Zumindest  in Sachen politische Aufheizung stand das neue Bundesland dem  restlichen Österreich um nichts nach: Es waren die tödlichen Schüsse,  die die Heimwehr in Schattendorf auf einen Kriegsinvaliden und ein Kind  abfeuerte, sowie der darauffolgende Prozess mit Freispruch, die 1927 zu  gewalttätigen Ausschreitungen im fernen Wien führten, den Justizpalast in  Flammen aufgehen ließen und 89 weiteren Menschen das Leben kosteten.  Das Burgenland war politisch in der ersten Republik angekommen,  wirtschaftlich noch lange nicht. 
Schon  1938 kam der nächste Anschluss, diesmal an das Deutsche Reich. Der  nationale Tingeltangeltanz fand Eingang in die Vitae des gebeutelten  Landesvolkes. Ein Ruster Winzer erklärte mir einmal, sein Großvater sei  in Ungarn geboren worden, in Österreich aufgewachsen und für Deutschland  in den Krieg gezogen. Die Wirrnisse der Geschichte sind der Grund,  warum das Wort „dazwischen“ das Burgenland im Speziellen noch besser  beschreibt als Österreich im Allgemeinen. Die Nazis jedenfalls  liquidierten zunächst das Burgenland selbst und dann einen Gutteil  seiner Bevölkerung. Im ehemaligen Randgebiet des Königreiches Ungarn,  hatten sich etliche Gruppierungen angesiedelt, denen die freie  Religionsausübung und Vereinsbildung im Kaisertum Österreich untersagt  waren: Juden, Protestanten, Freimaurer. Zwei davon standen auf der  Abschussliste der Nazis ganz oben und wurden zum Ziel ihrer Repressions-  und Vernichtungspolitik.
Das  Burgenland selbst wurde aufgeteilt. Der Norden ging an den Gau  Niederdonau, das vormalige Niederösterreich, der Süden an die  Steiermark. Die Rechtsnachfolge wurde der Gauleitung in Krems  angetragen. Damit war das Burgenland zusammen mit Vorarlberg als  politische Entität abgeschafft worden. Aber wer wollte schon unter den Nazis  eine politische Entität sein?
Als  die Rote Armee im Frühjahr 1945 bei Klostermarienberg erstmals  burgenländischen und österreichischen Boden betrat, stellte der unter  Zwangsarbeit errichtete „Südostwall“ - Josef Ratzinger hat mitgebaut -  für sie kein wesentliches Hindernis dar. Nach der Befreiung war die  Wiedererrichtung des Landes noch keineswegs besiegelt. Karl Renner war  ein Befürworter der Beibehaltung der bisherigen Gaueinteilung, was die  Aufteilung des Burgenlandes betraf. Von vielen wurde es immer noch als  ein künstliches Konstrukt aufgefasst. Letztlich ging die Sache sehr  Österreichisch aus. Die inneren und äußeren Grenzen wurden mit Stand 12.  März 1938 wiederhergestellt, die inneren Uhren auf null ausgerichtet.  Man drückte den historischen Reset-Knopf und die Massaker von Rechnitz  und Deutsch Schützen, denen noch kurz vor Kriegsende hunderte Juden zum  Opfer gefallen waren, waren vergessen.
Die  Verösterreicherung des Burgenlandes schritt in der Folge unaufhaltsam  fort. Das Land stritt sich mit der Familie Esterházy, der ein Sechstel  der burgenländischen Gesamtfläche gehörten, bis diese ein Viertel  abtrat. Der Konflikt schwelt jedoch bis heute. Auch in Sachen Skandalen  und Skandälchen stand das östlichste Bundesland in den folgenden  Jahrzehnten dem Rest der Republik um nichts nach. Landeshauptmann Kery -  übrigens angeblich entfernt verwandt mit dem US-Senator fast gleichen  Namens - musste sich am SPÖ-Parteitag drei unangenehme Fragen vom  damaligen Jungrevoluzzer Josef Cap stellen lassen:
„Stimmt es, dass du mehr verdienst als der Bundeskanzler? Stimmt es, dass du als Aufsichtsratsvorsitzender verbilligten Strom der BEWAG beziehst? Ist es wahr, dass du in deiner Freizeit mit Maschinenpistolen schießt?“
Die Indiskretion der Ottilie  Matysek im Zuge der Waldheimaffäre beförderte den burgenländischen  SPÖ-Parteivorstand samt Bundeskanzler Sinowatz vor den Richter. Der  Kanzler hatte angekündigt, man werde Waldheims braune Vergangenheit im  Präsidentschaftswahlkampf einsetzen, spätere Beteuerungen, dem sei nicht  so gewesen, führten schließlich zur Verurteilung des  Landesparteivorstandes - natürlich mit Ausnahme der lecken Stelle  Matysek.
Ansonsten  blieb das Burgenland ein ruhiger und dank des Eisernen Vorhanges auch  ein höchst unterentwickelter Fleck. Es schien, als sei es nur da, um  einen Puffer zwischen Ungarn und den zivilisierten Bundesländern zu  bilden. Die Burgenlandkroaten, einst im 16. Jahrhundert als Wehrbauern  im durch die Türkenkriege entvölkerten Westungarn angesiedelt, hatten  zusammen mit ihren deutsch- und ungarischsprachigen Landsleuten ihre  Frontstellung zurückgewonnen. Der wirtschaftlichen und geographischen  Randlage folgte eine demographische Ausdünnung. Auch wenn die  Einwohnerzahl in den letzten Jahrzehnten wieder anstieg, heute leben  immer noch über 8.000 Menschen weniger im Burgenland als 1923. Große Auswanderungswellen führten nicht nur nach Wien, sondern vor allem auch nach Chicago. Zwar hat  sich mittlerweile - auch dank großzügiger EU-Subventionen - die  wirtschaftliche Lage gebessert, dennoch hatte das Burgenland 2008 3,4%  Anteil an der österreichischen Gesamtbevölkerung, aber nur 2,2% am BIP. Das Burgenland hat aufgeholt, aber noch nicht  eingeholt. Es hat das ach so saubere Vorarlberg als letzte Bundesland  ohne Universität hinter sich gelassen und verfügt mit Güssing über eine  Energie-Musterstadt. Jedes Kaff hat mittlerweile seine eigenen Festspiele, man denke nur etwa an die Gelsenreitschule in Mörbisch, und natürlich ist es das Bundesland mit den meisten Sonnenstunden. Trotzdem bleibt es weiter strukturschwach und kann  die vier Millionen Euro, die es im Gedenken an seinen Beitritt zu  Österreich vor 90 Jahren vom Nationalrat erhält, gut gebrauchen.
Man  kann über die Burgenländer sonst nicht viel Schlechteres sagen, als  über die restlichen Österreicher auch. Sie saufen viel und gern. Aber  wer tut das nicht? Im Burgenland werden die Dinge traditionell nicht so eng gesehen,  wie sie sind. Dieses Überbleibsel ungarischer Lethargie wird durch den  Genuss des selbst angebauten und daher reichlich vorhandenen  Traubensafts noch zusätzlich verschärft. Auf meine Frage, ob der  Alkoholmissbrauch im Weinbaugewerbe nicht eine gewisse Gefahr darstelle,  gab oben erwähnter Winzer zu Protokoll:
„Alkoholismus ist ein Frage der Einstellung.“
Nun,  es wäre eine ungeheure Infamie zu behaupten die Burgenländer wären  versoffen und faul, oder dass ihnen der aus unveredelten Trauben  hergestellte Uhudler noch den letzten Verstand aus den Schädeln gebrannt  hat. Solcherlei Anfeindungen sind nichts als billige Stereotype, auch  wenn mir in einer südburgenländischen Kleinstadt einmal der Schulwart -  in Personalunion auch Dorfalkoholiker - beim Kauf eines Dopplers im  örtlichen Spar erklärte:
„Wounst dou wounst muasst saufn sounst wiast deppat.“
Nein,  das sind sicherlich nur bedauerliche Einzelfälle und stehen in keinem  Verhältnis zur freundlichen Gemütlichkeit, die den Burgenländern sonst  aneignet. Der Durchschnittsburgenländer ist nämlich kein versoffener  Alkoholiker, sondern eine beleibt-betagte Großmutter, die im  Tapetenmusterblumenkittel mit Lockenwicklern und Stützstrümpfen auf der  Bank vor ihrem Straßendorf-Bungalow sitzt und drauf wartet, dass die  Nachbarin zum tratschen vorbeikommt.
Letztlich  muss ich Ihnen ein Geständnis machen: Ich mag das Burgenland. Trotz der  schlechten Straßen und den NKD- und KIK-Filialen in den Innenstädten,  trotz der Myriaden von Gelsen, die abends die Straßenlaternen schwarz  und morgens den Körper rot färben, auch trotz oder gerade wegen des  übermäßigen Weinkonsums. Das Burgenland ist ein Stück Fremde im eigenen  Land, eine Art exotische Vertrautheit. Ein Ort, an dem unter der Woche  die Pendlerdörfer ausgestorben sind und an dem es keinen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr gibt, aber auch ein Land in  dem man sich wegen zwei oder gar dreisprachigen Ortstafeln nicht die  Schädel einschlägt. Das jüngste Kind von Österreich wandert vom Rand langsam in die Mitte. Es sollte auf dem Weg dorthin aber besser ein paar Doppler einpacken, denn der könnte noch lang werden.
„Gold ist der Zukunft Sonnenlicht, das strahlend auf Dich niederbricht!“ - Eine, vielleicht zu Recht, sehr optimistische burgenländische Landeshymne
 

 
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen