Mittwoch, 21. September 2011

Die Anständigen, oder: Was blieb von Schwarz-Blau?

Es ist fast ein bisschen wie in Agatha Christies Roman „Mord im Orientexpress“. Wolfgang Schüssel und seine schwarz-blaue Entourage starteten 2000 so hoffnungsfroh in ihre Reise, am Ende stellte sich heraus, dass fast jeder irgendwo zugelangt hatte. Um dieses kollektive Verbrechen aufzuklären musste nicht einmal Hercule Poirot auftauchen, es genügte maßloser Dilettantismus gepaart mit ein paar Indiskretionen.
Was bleibt nach dem endgültigen Rückzug von Exkanzler Schüssel eigentlich von Schwarz-Blau außer Korruption, Umfärbungsaktionen und Machtmissbrauch? Vier Verkehrsminister und vorübergehend 160 Km/h auf der Autobahn? Die Erinnerung an Intelligenzbestie Elisabeth Sickl - Ministerin vom 2. Feber bis 24. Oktober 2001 -, die angeblich ihre Beamten den Generationenvertrag suchen schickte? Oder die an den 25-Tage Justizminister Michael Krüger, der hauptsächlich für ein offenes Interview bekannt wurde:
Krüger: „Waßt no, die Miss Vienna?“ Chmelar: „Mein Gott, was haben wir geschnackselt. Die Miss Vienna haben wir uns geteilt. Zuerst ich im Schlafzimmer, dann du im Wohnzimmer.“ Falter
Vielleicht denken viele doch eher an Reinhart Gaugg, dem zum Wort Nazi  „Neu, attraktiv, zielstrebig ideenreich“ einfiel und der nach einer gescheiterten Kandidatur zum Vizepräsidenten der Pensionsversicherungsanstalt und einer nächtlichen Autofahrt unter Alkoholeinfluss aus dem Verkehr gezogen wurde... Aber bevor wir uns zu sehr verstricken, machen wir doch lieber eine kurze Aufstellung der Personalhighlights aus der Schüssel-Ära:

Elisabeth Gehrer hat zwölf Jahre lang erfolgreich das österreichische Bildungssystem bankrottiert, führte Studiengebühren ohne ein ausreichendes Stipendiensystem ein und färbte sowohl die ÖH, als auch die UNI-Führungen durch ihre politischen Reformen um. Größter Erfolg: Umbenennung des Unterrichtsfachs „Leibesübungen“ in „Bewegung und Sport“.

Michael Schmid - Amtszeit Feber bis November 2000 - telefonierte während eines ORF-Interviews ohne Freisprecheinrichtung am Steuer. Größter Erfolg: Ließ im Streit mit dem niederösterreichischen Landeshauptmann per Bescheid vorübergehend die Bauarbeiten am Semmeringtunnel unterbrechen.

Monika Forstinger - die Sickl des BMVIT und Ministerin bis Feber 2002 - beauftragte ein Meinungsforschungsinstitut für 75.000 Schilling die Wirkung des neuen Ministeriumslogos zu evaluieren, hinterließ schließlich einen politischen Scherbenhaufen und trat zurück. Größter Erfolg: Verbot ihren Mitarbeiterinnen das Tragen von Miniröcken und Stöckelschuhen

Ähnlich lang wie seine Vorgänger amtierte auch Mathias Reichhold als Verkehrsminister. Der agile Bio-Bauer aus Kärnten und Träger des Großkreuzes des Verdienstordens der Italienischen Republik war bis Feber 2003 Minister, dann 40 Tage lang FPÖ-Spitzenkandidat bekam dann angeblich Herzprobleme und verschwand in der Versenkung. Im Wahlkampf hatte er noch mit dem Slogan „Sein Handschlag zählt“ geworben, wie jüngst aufgetauchte Papiere zur Telekomaffäre nahelegen hat er die Hand aber eher nur aufgehalten. Größter Erfolg: Nach seinem Ministerium war er Weltraumberater für Magna.

Hubert Gorbach hielt es schließlich am Längsten aus, wollte ein Blaulicht auf seinem Dienstwagen und auf der Autobahn sehr schnell fahren, war schließlich sogar Vizekanzler und ließ sich nach dem Ende seiner Amtszeit 2007 von der Telekom eine Sekretärin bezahlen. Größter Erfolg: Erkannte die geringe Größe der Welt in Vorarlberg und ist jetzt Berater für Beschneiungstechnik an der Schneiakademie.
„Es gibt die Aussage von Willibald Berner, dem Ex-Kabinettschef des FP-Infrastrukturministers Michael Schmid, dass bei einem Arbeitsfrühstück mit dem Lobbyisten Peter Hochegger ein „Masterplan“ entworfen worden sei, auf welche Weise die blauen Minister bei der Privatisierung mitverdienen können. Ich hege wenig Zweifel, dass es so war.“  Peter Lingens - Profil
Martin Bartenstein, rechts (standard.at
Martin Bartenstein, Pharmamulti mit Sinn für Sparsamkeit, drehte in einem Schuhgeschäft auf, weil er keinen Rabatt bekam, gehört selbst dem nichtadligen Teil der Familie an, nimmt's aber bei der Anrede nicht immer so genau. Größter Erfolg: Kauf des ehemaligen Mauthausen-Außenlagers Schloss Lannach als Residenz.

Dieter Böhmdorfer, Nachfolger vom Schnacksl-Krüger, bezeichnete die Bestrafung von Abgeordneten, die die Regierung kritisieren als überlegenswert und wurde daraufhin im Bericht der drei Weisen über Österreich für seinen Angriff auf die Freiheit der Kritik kritisiert. Größter Erfolg: Ist nie der FPÖ beigetreten.

Günther Platter Tiroler Verteidigungsminister - später Innenminister - für die Tiroler ÖVP mit gewissem Tiroler Hang zu tirolerischen Entscheidungen, ließ sich gern von den Luftstreitkräften im Saab 105 OE von Innsbruck nach Wien fliegen, protegierte nach bestem Vermögen die Tiroler Militärmusik und verfolgte als Innenminister eine Politik der eisernen Faust. Größter Erfolg: Ist wieder in Tirol.

Ursula Haubner, Hauptkompetenz Schwester, war Sozialministerin mit Herz aus Stein, ließ legal residierenden und steuerzahlenden Ausländern das Kindergeld streichen und der blau/orangen-Jugend ordentlich Geld aus Fördertöpfen ihres Hauses zukommen. Größter Erfolg: Namensänderung durch Heirat.

Herbert Scheibner, galt lange Zeit als einer der Besonneneren im dritten Lager, befürwortete den Eurofighterkauf und erhielt - ohne jeglichen Zusammenhang - nach seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung eine Zeit lang monatlich 5.000€ vom EADS-Konzern, die er - sicher nur aus Veranlagungsgründen - nach Zypern und auf die Caymans verschob. Größter Erfolg: Begriff, nach Erläuterung der Befehlskette durch seine Offiziere, warum er als Verteidigungsminister nicht auch Milizsoldat sein kann.

Maria Rauch-Kallath, die dem lieben Gott für das Wahlergebnis von 2002 dankte und der österreichischen Jugend - Zitat - „megaaffengeile“ Gesundheitspässe zukommen ließ, bestellte acht Millionen Grippemasken, die nicht vor Grippe schützen, und ließ sie um viel Geld zwischenlagern. Ehemann Mensdorff-Pouilly jagt privat Wild - beruflich Beraterverträge - und kennt mittlerweile wohl jeden Korruptionsstaatsanwalt zwischen Wien und London persönlich. Größter Erfolg: Sorgte mit ihrer zweiten Hochzeit für eine Änderung des österreichischen Namensrechts.

Im Rahmen dieser Aufstellung auch noch auf Karl-Heinz Grasser und Ernst Strasser eingehen zu müssen, würde einfach den Rahmen sprengen. Der Umfang an vermutlicher Unschuld ist schlichtweg so gigantisch, dass man schon ein Staatsanwalt sein müsste um ihn zu übersehen.

Wolfgang Schüssel ist jetzt zurückgetreten. Der Exlotse hat das längst gesunkene Schiff verlassen. Er habe nichts gewusst sagt er. Aber sogar wenn wir so wohlwollend sind seinem katholischen Gewissen zu glauben: Schwere Fahrlässigkeit bleibt mindestens über, wenn nicht Eventualvorsatz. Unter seiner Kanzlerschaft haben sich Mitglieder seiner Regierung parasitär vom Vermögen der Republik ernährt, haben Privatisierungen als Start ins neue Jahrtausend verkauft und dabei nur selber profitiert. Manche haben ganze Systeme aufgezogen, um das Gemeinwesen zu schröpfen.
„Es ist gut, dass es in dieser Welt noch anständige Menschen gibt, die einen Charakter haben, die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind.“ Jörg Haider
Das Ausmaß der Korruption unter den Regierungen Schüssel I und II ist insgesamt unfassbar. Als dieses Land noch von Volksparteien regiert wurde und nicht von Umfragen und dem Boulevard, da haben hin und wieder auch schwarze und rote Politiker in die Honigtöpfe der Republik gegriffen. Die Bundeskanzler von Figl bis Klima haben ein derartiges Verhalten jedoch nicht mit aktivem Wegschauen unterstützt. Das Versagen von Schwarz-Blau ist vor allem ein Versagen Wolfgang Schüssels. Das ist so offensichtlich, dass man sich jetzt sogar auf die fehlende Richtlinienkompetenz rausredet. Der Bundeskanzler kann seinen Kabinettskollegen ja nichts anschaffen. Er hat sie aber allesamt dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagen. Aus lauter Geilheit auf den Kanzlerposten, hat er nicht nur sein erpresserisches Wahlversprechen gebrochen - „wenn wir Dritte werden, gehen wir in Opposition“ -, sondern auch mit dem personellen Bodensatz einer halbfaschistischen Hinterwäldlerpartei eine Selbstbedienungsregierung gebildet. Wolfgang Schüssel wollte damals wirklich, wirklich Bundeskanzler werden. Er unterschrieb die vom Bundespräsidenten eingeforderte Regierungserklärung, tolerierte es, dass jeder blaue Kleinfunktionär von Seibersdorf bis zum Patentamt seinen Posten bekam und ließ Jörg Haider von Kärnten aus über seine geheimhomophilen Stellvertreter in Wien mitregieren. Dass Schüssel nach alldem 2002 42% der Wählerstimmen erhielt, ist ein Wahnsinn, den zu erklären mir unmöglich ist. Im Ganzen hat seine Entourage damit sechs Jahre lang die Republik geplündert wie Pippi Langstumpf den Weihnachtsbaum. Wolfgang Schüssel hat sich vom öffentlichen Regieren immer mehr zurückgezogen, hat im Hintergrund delegiert und durch Nichteinmischung die restliche Regierungskamarilla gewähren lassen.

Klar, natürlich auch rote Minister vergeben Beraterverträge und ÖBB-Inserate und da gab es ja die zwei, drei Dinge die als schwarz-blaue Erfolge gelten: Die Zwangsarbeiterentschädigung zum Beispiel. Aber vielleicht hat es auch dafür erst ein paar Beraterverträge regnen müssen. Außerdem war sie politisch opportun, sie fand als Entlastungsmoment Aufnahme in den Bericht der Weisen und trug zur Beendigung der Sanktionen gegen Österreich bei. Dass es der FPÖ ein Herzensanliegen war die Opfer des Nationalsozialismus zu entschädigen, mag angesichts früherer Zitate Haiders bezweifelt werden.
„Wenn sie so wollen, dann war es halt Massenmord.“ Jörg Haider
Doch daran wird niemand denken, wenn er sich an die Schüssel-Regierungen erinnert. Man wird sich an die Homepageaffäre erinnern, an den Polizeifunk, die Blaulichtaffäre, die Sanktionen der EU-14, den besoffenen Gaugg, gänzlich ungeeignete Minister, an Karl-Heinz Grassers Grinsen und seine supersaubere Weste.

Leider war eben kein Hercule Poirot mit von der Partie, um das Verbrechen aufzudecken. Deshalb haben am Ende alle Verbrecher und die die nur zugeschaut haben den Zug verlassen. Drinnen liegen blieb der österreichische Rechtsstaat, mit einem guten Dutzend Messer im Rücken.

„Ich habe allen in unserer Regierung immer gesagt: 'Wenn ich einen erwische, der hier Linke macht, dann spielt´s Granada!'“ Wolfgang Schüssel

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