Samstag, 1. Dezember 2012

Adventkalender 2012

Moesanthrops Adventkalender - 2012

Liebe Leser, wie jedes Jahr wird auch heuer in der Vorweihnachtszeit ein täglicher Blogeintrag das Warten auf die Konsumorgie des Jahres verkürzen. Sollten Sie solange nicht warten wollen, können Sie selbstverständlich parallel auch auf die Adventkalender der vergangenen beiden Jahre zurückgreifen (2010, 2011). Das diesjährige Generalthema beschäftigt sich, nach Skandinavien (2010) und Skandalen (2011), mit politischen Verrücktheiten beziehungsweise beschränkten, verrückten und retardierten Persönlichkeiten und Begebenheiten aus Gegenwart und Geschichte. Wiederum fühle ich mich bemüßigt darauf hinzuweisen, dass dieser Adventkalender nicht in Potsdam verlegt wird und daher ohne Fugen-s auskommt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen eine besinnliche Vorweihnachtszeit!
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24. Dezember - Heiligabend
Gaddafis Weihnachtsgrüße
© Österreichisches Staatsarchiv
Bundespräsident Rudolf Kirchschläger dürfte nicht schlecht gestaunt haben, als er zu Weihnachten 1978 den Brief des libyschen Revolutionsführers Muammar Al-Gaddafi bekam. Anstatt des üblichen Diplomatensprechs „Frohe Weihnachten blabla, gutes neues Jahr blabla“, wies der nordafrikanische Despot das österreichische Staatsoberhaupt an, sich zum Hochfest gefälligst nicht zu besaufen, sondern in der Heiligen Schrift zu lesen. Kirchschläger ließ konsterniert bei der österreichischen Vertretung in Tripolis nachfragen, was es mit dem seltsamen Weihnachtsglückwunsch auf sich habe. Die Botschaft beruhigte den Bundespräsidenten, dass Gaddafi ihn nicht allein als Alkoholiker verdächtigte, sondern vielmehr gleichlautende Schreiben an mehrere Staatsoberhäupter ergangen seien. Kirchschläger verzichtete dennoch auf eine Antwort. Ob andere sich mehr gefreut haben, ist nicht überliefert.

Tagesthema 2011: Weihnachtsskandale, Tagesthema 2010: Skandinavische Weihnachten
Wussten Sie schon?
Als die Queen 1957 ihre erste Weihnachtsansprache im Fernsehen hielt, sorgten ungewöhnliche Sonnenaktivitäten dafür, dass kurzzeitig statt ihrer Stimme ein Officer über den US-amerikanischen Polizeifunk zu hören war, der sagte: „Joe, I'm gonna grab a quick coffee.“


1. Dezember                        
Kaiser Gütinand der Fertige
Der eigentlich nicht ganz so gute Kaiser Franz war neben Napoleon mit einem weiteren schweren Los geschlagen: Seine Söhne waren Idioten, der Thronfolger davon leider der größte. Vielleicht war der Grund, dass Franz und seine Frau zweifach Cousin und Cousine waren, wer weiß. Der älteste Spross Ferdinand litt jedenfalls unter Epilepsie und einem Wasserkopf, war schwerfällig und brauchte Wochen und Monate um die einfachsten Dinge wie Stiegensteigen oder das einschenken von Wasser zu lernen. Entsprechend war nach dem Tod des Vaters seine Regierungszeit eher kurios denn glorios. Hinter Ferdinand stand in wirklichkeit ein Kronrat mit Fürst Metternich an der Spitze. Der Kaiser selbst war praktisch regierungsunfähig. Sein Beiname „der Gütige“ kam nicht von ungefähr. Ferdinand war fast grenzenlos gutmütig und bereit jedem alles zu gewähren. Nur manchmal ging mit ihm das Temperament durch. Legendär ist der von ihm überlieferte Spruch:
„I bin der Kaiser und i will Knödel!“ 
Während der Revolution von 1848 erwiesen sich seine beschränkten geistigen Fähigkeiten als fatal. Auf den Ausbruch einer Revolte in einer der östlichsten Bezirke soll er mit dem Ausspruch „I hob goa ned gwusst, dass des mir g'hört“ reagiert haben. Seine Bemerkung zur Revolution der Bürger insgesammt war angeblich: „Ja dürfen's denn des?“ Um die Stimmung auszuloten, schickten ihn seine Verwandten mit der Kutsche auf die revolutionäre Straße. Ferdinand fürchtete sich so, dass er sich davor die Kommunion spenden ließ. Das Volk jubelte ihm unerwarteter Weise zu, der Kaiser versprach den Leuten dafür alles Mögliche. Der im Volksmund als Gütinand der Fertige bezeichnete Monarch machte schließlich für seinen erst 18jährigen Neffen Franz Joseph mit den Worten „Gott segne dich, sei brav, es ist gern geschehen.“ Platz. Ganz so verrückt wie oft dargestellt dürfte Ferdinand aber doch nicht gewesen sein. Immerhin erwirtschaftete er in seiner „Pension“ mit der Landwirtschaft ein kleines Vermögen. Und zumindest ein geistreicher Ausspruch ist auch von ihm überliefert. Als sein Nachfolger 1866 den Krieg gegen die Preußen verlor, soll er nur gemeint haben:
„Des hätt i a no zammbrocht.“
Tagesthema 2011: Die Kirche und das liebe Geld, Tagesthema 2010: Dänischer Humor 
Wussten Sie schon?
In Srinagar in Kaschmir wird von Hindus, Budhisten und Muslimen das angebliche Grab Jesu verehrt, der die Kreuzigung überlebt haben und auf den indischen Subkontinent ausgewandert sein soll.


2. Dezember - 1. Adventsonntag                              
Christina Kirchners durchgeknallter Staatssekretär

Guillermo Moreno ist Handelsstaatssekretär und einer der mächtigsten Männer im Kabinett von Argentiniens Staatspräsidentin Cristina Fernandéz de Kirchner. Wer in Argentinien wirtschaftlich Fuß fassen will, kommt an ihm nicht vorbei. Er hat festgelegt, dass jedes Unternehmen so viel exportieren wie importieren muss. Daraus ergeben sich mitunter nicht nur wirtschaftliche Schwierigkeiten, sondern auch merkwürdige Lösungen:
„Das Unternehmen Juki, das Kawasaki-Motorräder importiert und verkauft, muss jetzt zum Ausgleich Wein und Traubensaftkonzentrat in Länder wie die Ukraine ausführen. Eine Firma, die Musikinstrumente importiert, verschifft jetzt auch Kichererbsen in den Nahen Osten.“ The Wall Street Journal
Sein persönliches Verhalten ist dabei ebenso unorthodox, wie seine politischen Methoden. Als die Regierung Kirchner versuchte missliebige Zeitungen abzudrehen, in dem sie deren Papierproduzenten unter Zwangsverwaltung stellte, tauchte Moreno zur Aufsichtsratssitzung mit Boxhandschuhen auf. Gegen einen Anwalt soll er sogar handgreiflich geworden sein. Mittlerweile trägt er den Beinamen „el loco“, der Verrückte. Er ließ die Telefone interner Kritiker anzapfen und schmiss den Chef des nationale Statistikamtes aus seinem Büro, weil er mit ihm nicht einer Meinung war, was die Infaltionsrate betraf. Vor ausländischen Unternehmern zückt er in seinem Büro schon mal einen Revolver, um seine Position zu unterstreichen. Einem legte er sogar nahe, er solle beim nächsten Treffen seine Frau mitbringen, weil es ihm sonst fad werde immer nur ihn zu... So ein Mann ist Guillermo Moreno.

Tagesthema 2011: Peers, Commons und der Sex, Tagesthema 2010: Norwegens Küste
Wussten Sie schon?
Am 29. April 1990 lehnte es die Landsgemeinde des Schweizer Kantons Appenzell Innerrhoden im Verhältnis 6:4 ab, den Frauen das Stimmrecht zuzuerkennen. Es musste in diesem Kanton schließlich gerichtlich erkämpft werden.


3. Dezember                                                            
Der Kärntner Amwehrkampf gegen das Münzwesen
2 Cent Slowenien Es ist eine Binsenweisheit und hinlänglich bekannt, dass in Kärnten manches anders ist. Das treibt erfahrungsgemäß mitunter recht seltsame Blüten. So scheint es die Kärntner Landepolitik insbesondere auch auf das numismatische Gewerbe abgesehen zu haben. Als Slowenien mit 1. Jänner 2007 den Euro einführte, war die Aufregung in Österreichs südlichstem Bundesland groß, hatten es die von der anderen Karawankenseite doch gewagt, ein demoliertes Kapitel einer römischen Säule auf ihre 2-Cent-Münzen zu prägen. Überall sonst in der Welt wäre man diesem Umstand wohl mit Gleichmut entgegengetreten, nicht so in Kärnten. Immerhin handelt es sich dabei nicht um ein beliebiges Stück Sandstein, sondern um den Kärntner Fürstenstein. Auf ihm wurden die karanthanischen Herzöge inthronisiert. Dass sich früher schon slawische Fürsten draufgesetzt hatten, tut nichts zur Sache. Der heimtückische Kulturgüterklau der Slowenen erregte die Kärntner Gemüter nachhaltig. Das BZÖ nannte die Münzgestaltung  „eine ungeheuerliche Anmaßung Sloweniens“. Der Nachbar nehme damit „eine weitere Verschärfung in der ohnehin sensiblen Kärntner Minderheitenfrage bewusst in Kauf“. Der slowenische Staatspräsident fuhr zur Gemütsberuhigung nach Klagenfurt. Man habe keine Ansprüche gegen Kärntner Gebiet und auch keine großslowenischen Ambitionen. Kurt Scheuch stellte daraufhin öffentlich die Frage, ob der Präsident  „Salz im Kopf“ habe. Für die damals noch orangen Freiheitlichen war klar, „dass Kärntner Symbole den Kärntnern gehören und es in der Ortstafelfrage zu keiner Entscheidung über die Köpfe der Bevölkerung kommen“ dürfe. Landeshauptmann Haider ließ den Fürstenstein schließlich aus dem Landesmuseum holen und im Landhaus aufstellen, um politisch sein Revier zu markieren. Zusätzlich findet sich das römische Relikt seitdem auf dem Briefpapier des Landes Kärnten.
© Münze Österreich AG

Die 2-Cent-Geschichte kühlte mit der Zeit ab und in Kärnten hätte zumindest numismatischer Frieden einziehen können, hätte die Münze Österreich nicht 2011 eine Bundesländerserie mit 10-Euro-Silbermünzen aufgelegt. Eine Seite darf jeweils ein Schüler aus dem Bundesland entwerfen. Die Ergebnisse sind ganz nett, die Umsetzung akkurat. Alle hatten ihre Freude, bis Kärnten an der Reihe war. Der Siegesentwurf stammte von einem Zehnjährigen aus einer zweisprachigen Schule. Auf dem Revers der Münze stand „Kärnten“ und „Koroška“. Landesrat Dobernig lacierte eine APA-Meldung:
„Laut einem Bericht der Kronen Zeitung gibt die Münzprägstätte der Republik Österreich morgen, Mittwoch, eine 10-Euro-Münze heraus, auf welcher Kärnten zu 'Koroska' wird. Für Dobernig ist das eine ungeheuerliche Vorgehensweise.“
Es werde dadurch der Eindruck erweckt, dass ganz Kärnten zweisprachig sei. Das wolle aber die überwiegende Mehrheit der Kärntner nicht. So eine Vorgehensweise sei man von Slowenien gewohnt, aber nicht von österreichischer Seite. Die Nationalbank müsse bei ihrer Tochterfirma hart durchgreifen. Dobernig verlangte ernstlich, dass „die Münze Österreich AG die 10-Euro-Münze nicht in Verkehr bringen und in Zukunft derartige Vorfälle durch strengere interne Kontrollen vermeiden“ müsse. Weil der Entwurf aus einer Schule kam, sei außerdem die Rolle der Unterrichtsministerin zu hinterfragen. Die ÖVP warf Dobernig vor, damit „politisches Kleingeld“ machen zu wollen. Auch in der Sache kalmierten sich später die Gemüter. Die Münze ist nach wie vor legales Zahlungsmittel. Gott sei Dank sind die Steirer und die Wiener nicht so empfindlich, immerhin sind auf der slowenischen 20-Cent-Münze Lipizzaner abgebildet.

Tagesthema 2011: Immer Ärger mit dem Reisepass, Tagesthema 2010: Karl XIV. Johann
Wussten Sie schon?
An den jährlichen sogenannten „Scheißtagen“ mussten Knechte früher die beim Abortbesuch verplämperte Dienstzeit unentgeltlich wieder einarbeiten.


4. Dezember                    
Johanna die Wahnsinnige
Johanna von Kastilien war in mehrerlei Hinsicht kein Regelmaß für ihre Zeit. Zunächst verdankte sie ihre Königswürde der damals typisch hohen Sterberate. Ihr thronfolgeberechtigter Bruder segnete das Zeitliche, dessen schwangere Frau erlitt eine Totgeburt. Die nächste Schwester auf der Liste starb bei der Geburt, der ebenda geborene Neffe wurde nur acht Jahre alt. Damit war Johanna an der Reihe, wurde Thronfolgerin von Kastilien und überlebte. Wahnsinnig wurde sie allerdings nicht durch die Politik, sondern - wie so viele - durch die Ehe. Sie liebte ihren Mann Philipp den Schönen abgöttisch, wiederum außergewöhnlich genug für die Epoche der Heiratspolitik. Ihre sechs Kinder waren außerdem gesund und erreichten überdies alle das Erwachsenenalter. Die Ehe hätte also eigentlich überaus glücklich verlaufen können, wäre Philipp nicht ein Fan des damals so populären Federballspiels gewesen. Angeblich soll er nach einem Match erhitzt ein Glas kaltes Wasser hinuntergestürzt und kurz darauf Fieber bekommen haben, dem er bald erlag. Anderen Quellen zufolge starb er an Typhus. Sicher ist nur: Philipp war tot und seine Frau kam nicht darüber hinweg. Sie soll den Sarg des Verschiedenen längere Zeit umlagert und nicht herausgegeben haben, weil sie seinen Tod nicht akzeptieren konnte. Schließlich steckte man Johanna in ein Kloster, einerseits um eine Geisteskranke loszuwerden - nach moderner Vermutung litt sie unter Depressionen, möglicherweise gepaart mit Schizophrenie - andererseits um sich ihre Herrschaftsrechte als Königin von Kastilien, León und Aragon unter den Nagel reißen zu können.

Die Kinder Philipps des Schönen und Johannas der Wahnsinnigen waren weder wahnsinnig schön, noch schön wahnsinnig, dafür aber relativ erfolgreich. Ihre ältesten Söhne Karl V. und Ferdinand I. waren beide römische Kaiser, im Reich des ersteren ging die Sonne bekanntlich nie unter. Johanna selbst blieb zwar bis zum Ende ihres Lebens geistig umnachtet, wurde aber immerhin 75 Jahre alt. Auch dahingehend eine Ausnahme für die damalige Zeit.

Tagesthema 2011: Hochprozentige Politik, Tagesthema 2010: Das schwedische Exil
Wussten Sie schon?
Laut Hausgesetz kann jedes Mitglied der Familie Liechtenstein gegen die Eheschließung eines anderen Einspruch erheben. Über die Zulässigkeit entscheidet der Fürst.


5. Dezember                                 
Kommissarische Reichsverblödung
Eigentlich war das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ja selber schuld. Hätte es nicht so altklug alle Staatstheorien von Jellinek aufwärts in ein Urteil gepackt, wären Deutschland vielleicht ein paar Spinner mehr erspart geblieben. Das Gericht aber verkündete 1973:
„Das Deutsche Reich existiert fort ..., besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig.“
Das BVG philosophierte zwar weiter, dass die BRD mit dem Deutschen Reich als Staat identisch sei, aber das Malheur war schon geschehen. Der ehemalige Bahnbedienstete Wolfgang  Ebel deutete die Sache anders. Er hatte seinen Job verloren und brauchte eine neue Beschäftigung: Warum nicht Reichskanzler? Das Deutsche Reich sei nicht untergegangen, so dieser und viele Spinner nach ihm. Folgerichtig habe er, Ebel, Reichsbahnbediensteter i. R., das Recht das Reich zu vertreten. Er gründete also eine sogenannte „Kommissarische Reichsregierung“, viele andere sollten folgen. Sie geben „Reichsführerscheine“ und „Reichsbaubewilligungen“ heraus, damit lässt sich etwas Geld in die leeren Amtskassen spülen. Um das Ganze durchzustehen, bedarf es nicht nur eines mangelhaften Realitätssinns, sondern auch einer ordentlichen Portion Querulantismus. Wer die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennt, muss natürlich weder Steuern, noch Parkgebühren bezahlen. Wolfgang Ebl jedenfalls sagte dem Spiegel, er müsse täglich „gegen die Behörden, die immer noch in dem krankhaften Wahn leben, die Bundesrepublik sei ein souveräner Staat“ kämpfen. Dass die Idee früher oder später von der rechten Szene gekapert werden würde, war klar. Mehrere „Sachwalter des Deutschen Reiches“ standen in der Folge wegen Volksverhetzung vor deutschen Gerichten. Andere spinnen ihre Regierungsfantasien weiter. Als man von „Reichskanzler“ Ebel zuletzt hörte, freute der sich jedenfalls über die amtliche Adressierung seines, von der Bundesanwaltschaft ausgestellten, Leumundszeugnisses:
„Deutsches Reich, komm. Regierung, Der Reichskanzler, provisorischer Amtssitz, 14163 Berlin-Zehlendorf“
Tagesthema 2011: Der Staatsbesucht, ein Fettnapffluch, Tagesthema 2010: Das Kreuz des Nordens
Wussten Sie schon?
Sowohl der Iran, als auch Griechenland entlassen ihre Staatsangehörigen niemals aus der Staatsbürgerschaft, womit sie also auch auf Wunsch des Betroffenen nicht zurückgelegt werden kann.


6. Dezember - Nikolaustag                                                              
Norton I. Kaiser der Vereinigten Staaten und Protektor von Mexiko
Joshua Norton war arm und schuld waren der Hunger in China und nicht zuletzt der Peruanische Reis. Hätten die Chinesen nicht die Ausfuhr des Getreides wege der Mangelernährung der eigenen Bevölkerung verboten und hätte sich Mr. Norton aus San Francisco nicht entschlossen die expoldierenden Reispreise mit einer Investition in eine peruanische Lieferung auszunutzen und wäre der Preis dann nicht wieder eingebrochen, dann hätten die USA vielleicht niemals einen Kaiser bekommen. Ob aus purer Not oder persönlicher Exzentizität: Der havarierte Reishändler proklamierte sich daher 1859 zum Kaiser der Vereinigten Staaten, später auch noch zum Protektor Mexikos.

In der Folge befahl der Kaiser von seiner Residenz in San Francisco aus dem Kongress sich aufzulösen. Als dieser nicht hören wollte, befahl er der Armee, das Parlament in Washington auseinanderzutreiben. Doch auch die Streitkräfte dessertierten. Um die maroden Staatsfinanzen, bzw. die eigene Apanage aufzubessern, gab Norton I. sogar Geldscheine aus, die auf heutigen Auktionen gute Preise erzielen. Überhaupt entwickelte sich der Möchtegernmonarch bal zu einer beliebten Figur im öffentlichen Leben der Westküstenmetropole. Die Zeitungen berichteten ausführlich über siene „kaiserlichen Erlässe“ und einen Streit mit Frederick Coombs, der sich für die Reinkarnation George Washingtons hielt. Nachdem man den Kaiser sogar kurzfristig verhaftet hatte, um ihn in eine Anstalt einzuweisen, protestierte die Öffentlichkeit so vehement, dass man ihn kurz darauf wieder auf freien Fuß setzte. Der Herrscher starb schließlich 1880 und wurde unter der Anteilnahme tausender Bürger bestattet. Auf dem Grabstein steht:
„Norton I, Emperor of the United States and Protector of Mexico“

Tagesthema 2011: Einführung in den Wahlbetrug, Tagesthema 2010: Norwegen und der Walfang
Wussten Sie schon?
Neben jenen der katholischen und koptischen Kirchen, gibt es derzeit mindestens acht Gegenpäpste schismatischer katholischer Sekten, darunter David Bawden, der sich von seinen Eltern, sich selbst und drei weiteren Personen zu Papst Michael I. wählen ließ.


7. Dezember   
Stalins Allüren
Was kaum jemand über Stalin weiß: Er schrieb Gedichte und arbeitete bei den Rothschilds. Was die meisten wissen: Er war unfassbar paranoid. Das mag aus der Zeit stammen, in der er für den revolutionären Untergrund vermeintliche oder tatsächliche Agenten der Ochrana umlegte, neuere Forschungen vermuten aber zum Teil auch medizinische Indikationen. Stalin litt an Arteriosklerose, was - so meinen manche - seine Paranoia noch verstärkt haben könnte. Jedenfalls litten nicht nur die Millionen Menschen, die seine Herrschaft das Leben kostete, sondern auch die Leute in seiner unmittelbaren Umgebung unter ihm und seinen mörderischen Allüren. Ob er seine recht kritische Frau liquidieren ließ, ist bis heute nicht ganz klar. Selbst seiner Tochter drohte er einmal an, sie beseitigen zu lassen. Als sein Sohn einen Selbstmordversuch verübte, soll sein Kommentar „Er kann nicht einmal richtig schießen.“ gewesen sein. Nur vor seiner Mutter hatte der Despot irgendwie Spuntes. Einmal soll er sie gefragt haben, warum sie ihn in seiner Kindert so oft geschlagen habe, sie meinte angeblich nur, das sei der Grund, warum er so gut geraten sei. Stalin war den schönen Künsten in besonderer Weise zugetan. Er mochte Mozart und Jazz. Einmal hörte er ein Mozart-Stück im Radio, hatte aber den Anfang verpasst. Er ordnete daher an, man solle ihm die Aufnahme am nächsten Tag in den Kreml bringen. Leider Gottes war das Stück live eingespielt worden, eine Aufnahme gab es nicht. Daher wurden in der Nacht nochmals alle Musiker des Orchesters versammelt, die nun erneut für das Band spielen mussten, das Stalin am nächsten Morgen zu hören bekam.

Der Generalissimus war außerdem ein Fan des Kinos. Während seiner Herrschaftszeit kommissionierte er praktisch jeden Film, der in der Sowjetunion entstand. Hin und wieder ließ er einen Regisseur erschießen. Ein Drehbuchautor wurde eingesperrt, weil sich Stalins Tochter in ihn verliebt hatte. Stalin mochte die Filme mit John Wayne, der aber war Antikommunist. Der Sowjet-Führer ordnete deshalb seine Eliminierung an. Tatsächlich machten sich KGB-Agenten nach Kalifornien auf. Waynes Glück war es, dass Stalin starb und Chruschtschow die Mordanweisung zurückzog. Als einmal ein Film über ihn selbst gedreht werden sollte, hatte Stalin den Schauspieler, dem seine Rolle zugedacht war, zum Essen eingeladen. „Wie werden Sie Stalin spielen?“ fragte der Diktator den Darsteller. „So wie alle ihn sehen.“ antwortete dieser. „Die richtige Antwort“ sagte Stalin.
„Man kann nicht zugleich Mörder und Genius sein. Einerlei, welche Motive Stalin leiteten, die Hinrichtung Tausender war ein fürchterliches Verbrechen.“ Nikita Chruschtschow
Tagesthema 2011: Vom Verrat und den Verrätern
Tagesthema 2010: Norwegen und das Öl
Wussten Sie schon?
Adolf Lu Hitler Marak wurde von seinen Eltern aufgrund dessen Berühmtheit nach dem NS-Diktator benannt und ist Kongressabgeordneter im indischen Bundesstaat Meghalaya.


8. Dezember                                          
Das strafrechtliche Nachleben toter Päpste
Stephan VI. wollte unbedingt Papst bleiben. Sein Problem war, dass er zuvor Bischof von Porto gewesen war, die allermeisten Päpste zuvor aus dem römischen Klerus gestammt hatten und der Wechsel eines Bischofs in ein anderes Bistum nur unter bestimmten Umständen zulässig war. Da Stephan aber nun Bischof von Rom, aka Papst, zu sein pflegte, gab es Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Pontifikats. Seine Strategie war einfach: Zum Bischof von Porto hatte ihn sein Vorvorgänger auf dem Stuhle Petri, Papst Formosus, ernannt. Wenn man diesen quasi rückwirkend beseitigen könnte, wäre er nie rechtmäßig Bischof von Porto gewesen und könnte so problemlos Bischof von Rom geworden sein. Die gefinkelte Rechtsansicht hatte eben nur den Haken, dass Formosus tot war, was  Stephan aber nicht weiter zu stören schien. Er ließ den Leichnam des Pontifex exhumieren, auf einen Thron setzen und den Prozess machen. Man klagte ihn wegen allerhand Vorgänge an, unter anderem wegen angeblichen Eidbruchs, sprach ihn schuldig, hackte ihm den Schwurfinger ab, verscharrte ihn auf einem Armenfriedhof, grub ihn dann doch wieder aus und warf ihn in den Tiber. Der Prozess dürfte keine allzu angenehme Angelegenheit gewesen sein, zumal Formosus zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens erst neun Monate tot war.

Das dürfte auch der Grund sein, warum Philipp IV. von Frankreich 1310 beim Totenprozess gegen seinen verschiedenen Erzrivalen Papst Bonifatius VIII. nicht auf dessen körperliche Anwesenheit bestand. Die Anklage lautete mehr oder minder auf Häresie. Bonifatius habe unter anderem behauptet das Christentum haben genauso seine Fehler wie andere Religionen und auch in diesen stecke Wahrheit. Außerdem sei er der Meinung gewesen Sex aus Lust sei so wenig verwerflich wie Händewaschen und es gebe weder Himmel noch Hölle im Jenseits. So sympathisch diese Aussagen heute auf manche wirken mögen, damals waren sie Ausdruck schlimmsten Ketzertums. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass Bonifatius - auch wenn er Hedonist gewesen sein mag - die ihm vorgeworfenen Äußerungen nie getätigt hat. Der Prozess verlief schließlich auch im Sande. Für allfällige weitere Verfahren gegen tote Päpste spricht immerhin ein tatsächlich überliefertes Zitat des Pontifex:
 „Wer schweigt, scheint zuzustimmen.“
Tagesthema 2011: Wasser und Wein, Tagesthema 2010: Der Krieg der Hüte
Wussten Sie schon?
Die ersten drei Bundespräsidenten der II. Republik Renner, Körner und Schärf wurden nicht auf dem Gebiet des heutigen Österreich sondern in Mähren oder Ungarn geboren.


9. Dezember - 2. Adventsonntag 
Der Wahnsinn mit der Bombe
Wie sehr ultimative Macht auch ultimative Gefahr mit sich bringen kann, zeigt das Beispiel der Atombombe. Nach ihrer fatalen Erprobung in Japan meinte einige US-Militärs die Bombe zur konventionellen Waffe machen zu können. General Douglas MacArthur drängte Präsident Truman im Koreakrieg dermaßen auf den Einsatz der Massenvernichtungswaffe und auf eine Ausdehnung des Konflikts gegen China, dass der Oberbefehlshaber ihn entließ. Die öffentliche Stimmung in den USA war daraufhin dermaßen für den General und gegen den Präsidenten eingenommen, dass manche politische Beobachter eine ernsthafte Putschgefahr sahen.

Doch damit nicht genug: Die Amerikaner planten nach dem Schock über den Start des Sputnik-Satelliten - ebenso wie später die Sowjets - Atomwaffen auf dem Mond zur Explosion zu bringen. Das Projekt „A119“ hatte das simple Ziel die öffentliche Moral zu heben. Man verzichtete schließlich, weil die Detonation aufgrund der mangelnden Atmosphäre zu gering ausgefallen wäre. Die Atomwaffe lockte natürlich so manchen Nachahmungstäter. Dass aber auch die Schweiz eine Zeitlang den Bau von Nuklearwaffen anpeilte, ist relativ unbekannt. Man gab über 600 Millionen Franken aus, kaufte Uran in Kanada, baute einen Schwerwasserreaktor, erwarb Atomwaffenfähige Kampfbomber mit Moskau-Reichweite und ließ die Möglichkeit für Atomwaffentests unter den Alpen ausloten. Allein, die Sache wurde aufgrund politischer Widerstände letztendlich nicht realisiert. Die Schweiz beendete ihre Bomben-Pläne jedoch erst 1988 endgültig. Einen Ex-Angestellten des Zürcher Patentamtes hätt's sicherlich gefreut:
 „Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“ Albert Einstein
Tagesthema 2011: Es bleibt in der Familie, Tagesthema 2010: Die Wikinger
Wussten Sie schon?
Der weißrussische Autokrat Alexander Lukaschenko reagierte auf Vorwürfe des deutschen Außenministers Guido Westerwelle mit der Aussage: „Ich sage mir, besser Diktator sein als schwul.“


10. Dezember                                      
Carl Schmitt und der Naturrechtswahn
Carl Schmitt war ein antipositivistisches Ekel. Zugegeben, für seine Geisteskrankheit, die ihn gegen Lebensende befiel, ist er weniger bekannt, als für seine Rechts„wissenschaftlichen“ Theoreme, aber auch die sind keinen Deut weniger verrückt. In den 20er- und 30erjahren des letzten Jahrhunderts lieferte sich der Deutsche zahlreiche Debatten mit Hans Kelsen, zum Beispiel über die Frage, wer der Hüter der Verfassung sein solle. Während dieser die Rolle bei einem Verfassungsgericht angesiedelt sah, erblickte Schmitt ihn in einem starken Staatsoberhaupt. Trotz aller Differenzen setzte sich Kelsen schließlich für Schmitts Berufung nach Köln ein, wo er selbst eine Zeit lang lehrte.

Als die Nazis Kelsen, der jüdische Eltern hatte, aus dem Lehramt entfernten, protestierten alle Rechtsprofessoren der Universität, mit einer Ausnahme: Schmitt. Der machte, angespornt von seinem metaphysischen Naturrechtsverständnis, in der NS-Zeit munter Karriere. Im Ermächtigungsgesetz sah er die Quelle einer neuen Legitimität, die Nürnberger Rassegesetze nannte er „Verfassung der Freiheit“, zusätzlich veröffentlichte er Artikel wie  „Der Führer schützt das Recht.“ Nach dem Krieg behauptete er, er sei nie Anhänger des Nationalsozialismus, sondern vielmehr ein  „Aufhalter des Antichristen“ gewesen. Er lehnte seine Entnazifizierung ab, zog sich in eine weinerliche Verteidigungshaltung zurück und blieb geächtet. Im Alter wurde Schmitt, der bereits früher Anzeichen von Paranoia gezeigt hatte, völlig geisteskrank. Er fürchtete sich vor Wellen und elektronischen Wanzen und mischte dies alles in sein ohnehin schon ausreichend skurriles Rechtsverständnis. Zuletzt meinte er, Souverän sei, wer über die Wellen des Raumes verfüge.
„Zur Demokratie gehört als notwendig erstens Homogenität und zweitens - nötigenfalls - die Ausscheidung und Vernichtung des Heterogenen.“ Carl Schmitt
Wussten Sie schon?
Der in Lübeck geborene Herbert Frahm wählte seinen Decknamen während des Zweiten Weltkrieges vermutlich nach der Schiffsausrüsterfirma „William Brandt Wwe“ und ließ sich 1949 offiziell als Willy Brandt registrieren.


11. Dezember                                   
Aufstieg und Fall des Ronald Schill
Ronald Barnabas Schill, besser bekannt unter dem Titel „Richter Gnadenlos“ hatte in seiner Amtszeit in Hamburg mit strengen Urteilen auf sich aufmerksam gemacht, kam in die „Bildzeitung“, forderte strengere Gesetze und gründete schließlich eine politische Partei. So fangen viele Quereinsteigergeschichten an und viele enden fast ebenso zerrüttet und realitätsentfremdet wie jene von Richter Schill und seiner  „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“. Zunächst gelang 2001 der Einzug in die Hamburger Bürgerschaft, dem Landtag der Hansestadt. Schill kam auf Anhieb auf fast 20% und ging mit CDU und FDP eine Koalition ein. Eine Anklage wegen Rechtsbeugung im Richteramt und die Folgen einer schrillen bis jenseitigen Wutrede im Deutschen Bundestag überstand er unbeschadet, seiner Popularität tat dies keinen Abbruch. Als Innensenator machte er sich beliebt, indem er hunderte neuer Polizisten einstellte. Schill war auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt.

Von nun an ging's bergab.  Das NDR Fernsehmagazin „Panorama“ veröffentlichte 2002 einen Bericht, in dem Schill unter Berufung auf einen Zeugen als Kokainkonsument geoutet wurde, wogegen Schill mit gerichtlichen Verfügungen und Strafandrohungen vorging. Die „Bild“ stellte sich zunächst hinter ihn, kaufte aber später selbst ein Video, in dem der Innensenator nicht nur Kokain konsumierte, sondern dies auch zugab. Als auch noch einem Schill-Mitarbeiter verbotene Nebentätigkeiten vorgeworfen wurden, stellte ihn der Erste Bürgermeister Ole von Beust zur Rede. Schill, dessen Lebensgefährtin selbst in seiner Parlamentsfraktion saß, drehte völlig durch und drohte von Beust damit, nicht nur dessen Homosexualität öffentlich zu machen, sondern auch zu behaupten, er habe eine Affäre mit dem gleichfalls schwulen Justizsenator und diesen nur deshalb berufen. Von Beust entließ Schill umgehend. Dieser wurde aus seiner eigenen Partei ausgeschlossen, gründete eine Splittergruppe und schaffte die 5%-Hürde bei der nächsten Wahl nicht mehr. Der Ex-Richter wanderte schließlich  nach Brasilien aus, wo er eine Zeit lang unauffindbar war. Einer Anhörung vor einem hamburgischen Untersuchungsausschuss stellte er sich 2007 erst nach der Androhung, man werde ihm sonst seine Pension kürzen. 2012 machte er noch einmal kurz Schlagzeilen, als ihm vorgeworfen wurde, in einem Swingerklub - wie „Die Welt“ berichtete - Frau „Doro aus Niedersachsen, im Beisein ihres Mannes Tom angefasst“ zu haben. Zu hoffen steht, dass er in Hinkunft zumindest die Finger von der Politik lässt.

Tagesthema 2011: Peinliche Briefe, Tagesthema 2010: Der König in Nybergsund
Wussten Sie schon?
Bei den Habsburgern war es üblich, die künftigen Herrscher in einem Beruf auszubilden. Joseph II. war Tischler, Franz II./I. und Ferdinand I. Gärtner und Kaiser Franz Joseph war gelernter Buchdrucker.


12. Dezember         
Mad King George III.
König George III. hatte Porphyrinurie, eine Stoffwechselkrankheit, aber das wusste niemand. Als der König daher zunächst kürzere, dann längere geistige Aussetzer bekam, waren seine Ärzte ratlos. Von neurologischen Folgen von Stoffwechselstörungen hatte noch nie jemand etwas gehört, der König musste also geisteskrank sein. Immerhin sprach er mit Toten oder nicht anwesenden Personen, schwankte von einem Delirium ins nächste und redete solange, dass er Schaum vor dem Mund bekam und heiser wurde. Im Volk verbreitete sich das Gerücht, der Herrscher habe einen Baum für den König von Preußen gehalten und versucht ihm den Ast zu schütteln. Die Sache dauerte an, der Prince of Wales musste als Regent eingesetzte werden. Wider Erwarten genas George nach einiger Zeit jedoch scheinbar völlig und nahm seine Amtsgeschäfte wieder auf. Der König erfreute sich seiner ursprünglichen Beliebtheit. Auch wenn er die amrikanischen Kolonien verloren hatte, so galt er doch als bescheiden und treu. Seine Frau gebar ihm 15 Kinder, angeblich nannten sich die beiden „Mr. und Mrs. King“. Milde durch seine eigene Schwäche, begnadigte George III. in den folgenden Jahren gleich drei Geisteskranke, die Attentate auf ihn verübt hatten. Margaret Nicholson hielt sich für die wahre Königin und wollte den Monarchen mit einem Dessertmesser erstechen, John Frith glaubte er sei der Apostel Paulus und schmiss einen Stein nach der königlichen Kutsche und James Hadfield wollte George erschießen, um die Wiederkehr Christi zu ermöglichen. Als er im Theater auf seine Majestät feuerte, sprach er ihn auch noch fälschlich mit „königliche Hoheit“ an und schrie „I like you very well, you are a good fellow.“ Der König war sowohl vom Attentatsversuch, als auch von der Vorstellung nur mittelmäßig beeindruckt und schlief während der Pause des Stücks ein.

Gegen Ende seines Lebens kehrten die Anfälle Georges III. wieder. Erneut wurde die Regentschaft beschlossen, der König redete einmal 58 Stunden ununterbrochen und starb wenige Tage später im Alter von 81 Jahren. Seine vermeintliche Geisteskrankheit hatte den positiven Nebeneffekt, dass sich die Versorgung psychisch Kranker im Vereinigten Königreich erheblich verbesserte. Die Porphyrinurie wiederum zieht im europäischen Hochadel weiterhin ihre Kreise, verursacht aber ob ihrer Behandelbarkeit hauptsächlich nur noch Hautausschläge und Sonnenunverträglichkeiten. In Abgeschwächter Form hat George III. sie auch an seine Ururururenkelin Elizabeth II. vererbt.

Tagesthema 2011: Außer Spesen..., Tagesthema 2010: Gott schütze die royale Lunge
Wussten Sie schon?
Der Jesuitenorden war in der Schweiz bis 1973 verboten.


13. Dezember 
L. Ron Hubbard
Man kennt Lafayette Ronald Hubbard als Science-Fiction-Autor und als den Gründer von Scientology und man kennt Scientology als Sekte mit einem außergewöhnlich großen Anwaltsteam. Schon alleine deshalb möchte ich eingangs darauf hinweisen, dass bereits das US-Militär bei Hubbard einen „Verdacht auf Geistesgestörtheit“ feststellte und diese Darlegung keines falls nur von meiner verklagbaren Wenigkeit geteilt wird. Allein die Tatsache, dass er eine Psychosekte gegründet hat - wobei Scientology bekanntlich seit Jahrzehnten einen regelrechten Krieg gegen die Psychologie führt und den Begriff daher wenig schätzen dürfte - reicht allerdings für das Prädikat  „geistig gestört“ noch nicht aus. Er könnte ja wie Bhagwan einfach nur ein bisschen gaga und ordentlich größenwahnsinnig gewesen sein. Auch die Aussage, man könne Menschen nur kontrollieren wenn man sie belüge, deutet eher auf einen charismatischen Ausbeuter, denn auf einen Wahnsinnigen hin.

Aber Hubbard, den ein Richter einmal einen pathologischen Lügner und gierigen Egoisten nannte, erforschte mit Hilfe des von ihm erfundenen Wunderwerkzeugs E-Meter unter anderem auch das Schmerzempfinden von Tomaten. Der Versuch endete mit der Feststellung, dass Paradeiser schreien, wenn man sie in Scheiben schneidet. Dass Hubbard daraufhin Frutarier geworden wäre, ist nicht bekannt. Außerdem war er in späteren Lebensjahren von einer gewissen Paranoia befallen, Scientology sei von Feinden infiltriert worden. Mitglieder wurden deshalb Befragungen unterzogen, in denen sie nicht nur beantworten mussten ob sie jemals negative Gedanken über den Sektengründer gehabt hätten, sondern auch, ob sie in früheren Leben Kulturen vernichtet oder mit schlechten Absichten auf die Erde gekommen waren. Man ging sogar so weit in der „Operation Schneewittchen“ mehrere US-Behörden zu unterwandern, zu verwanzen und Dokumente zu stehlen. Der Plan dazu stammte von Hubbard, dass er in die Tat umgesetzt wurde, war angeblich nie seine Absicht. Immerhin war er ausreichend bei Verstand um rechtzeitig seinen Brotberuf zu wechseln.
„You don't get rich writing science fiction. If you want to get rich, you start a religion.“ L. Ron Hubbard
Tagesthema 2011: Politik und Presse, Tagesthema 2010: St. Lucia
Wussten Sie schon?
Die Spanische Verfassung wurde am 27. Dezember 1978 vom König unterzeichnet, trat jedoch erst zwei Tage später in Kraft, weil der 28. Dezember, als spanische Äquivalent zum 1. April, ein Scherztag ist.


14. Dezember                               
Die Strauße des geliebten Führers
Der geliebte Führer, das Genie des 21. Jahrhunderts, ist nicht mehr. Der Stern Koreas ist verblasst, aber sein Vermächtnis leuchtet weiter in unseren Herzen. War bei Kim Jong Ils Geburt über dem Berg Paektusan noch ein Regenbogen erschienen, so weite um sein Dahinscheiden ein Kranich. Die Welt trauert mit ihm auch um den größten Seifenkistenrennfahrer und besten Golfspieler aller Zeiten, der bei seinem ersten Spiel gleich elf hole in ones hintereinander erzielte. Doch die von ihm komponierten Opern und gedrehten Filme („Meer des Blutes“ und „Der unsterbliche Soldat“) werden uns die freundlichen Erinnerungen an ihn bewahren. Dankbar sind sein Volk und die Menschheit auch dafür, dass er den negativen Einfluss der Mona Lisa erkannte und uns so vor dem unheimlichen Blick dieses monströsen Gemäldes warnte. Trauernd vermissen wir auch seine Fähigkeit, mit seinem Gemütszustand das Wetter zu kontrollieren. Sein Genius, der ihn schon im Alter von drei Wochen befähigte zu laufen und ihn mit acht Wochen sprechen ließ, rechtfertigte es auch, dass jedes Reiskorn, das man ihm servierte, zuvor auf seine Perfektion hin überprüft wurde. Einer der letzten genialischen Einfälle des (1,65 m) großen Kim Jong Il war es, nachdem die Zucht von ostdeutschen Riesenkaninchen leider gescheitert war, Nordkorea zu einem führenden Straußenland zu machen. Weil die klimatischen Gegebenheiten diesen Plan nicht begünstigten, ließ der Generalissimus die Strauße vorausschauend mit Pullovern ausstatten. Allein dafür bleibt er unvergessen.

Tagesthema 2011: Skandalöse Suizide, Tagesthema 2010: Die Dänen sind schuld
Wussten Sie schon?
Der amerikanische Ingenieur Thomas Midgley, der Erfinder des verbleiten Benzins, entwickelte später auch das Kühlmittel FCKW.


15. Dezember                                                               
Der wahnsinnige Karl und ein flammender Polterabend
Karl VI. von Frankreich war ein armer Tropf. Sein Vater starb bevor er volljährig war, der von seinen Onkeln gebildete Regentschaftsrat plünderte das Land hemmungslos aus. Als der König dann selbst die Macht übernahm, zeigten sich Ansätze einer Geisteskrankheit. Während eines Feldzuges 1392 drehte er durch, sah sich von Feinden umgeben und erschlug zumindest einen vielleicht auch mehrere seiner Gefolgsleute. Ein Jahr später erlitt er einen Rückfall, erkannte seine Frau nicht und hatte seinen eigenen Namen und die Tatsache, dass er König war vergessen. Als im selben Jahr die Hochzeit einer Hofdame der Königin anstand, wollten sich Karl und fünf seiner Freunde beim Polterabend als „wilde Männer“ verkleiden und so die Hofgesellschaft erschrecken. Sie schmierten sich Teer auf Gesicht und Körper, bedeckten diesen mit Federn und ketteten sich aneinander. Als ein neugieriger Gast mit einer Fackel nachsehen wollte, wer die Scherzbolde seien, entzündeten sich deren Kostüme. Die Herzogin von Berry, die Tante des Königs, reagierte sofort und warf sich mit Rock und Unterkleid auf ihren Neffen, womit sie die Flammen erstickte und ihm so das Leben rettete. Ein Weiterer der Kostümierten konnte sich von der Kette, die sie alle verband, befreien und in ein Weinfass springen. Die vier anderen verbrannten grausam bei lebendigem Leib. Der Vorfall ging als  „Bal des Ardents“ („Ball der Verbrannten“) in die Geschichte ein.
Die Katastrophe löste Empörung unter der Pariser Bevölkerung aus, die den Onkeln des Königs die Schuld daran gab, den Herrscher einer solchen Gefahr ausgesetzt zu haben. Darüber hinaus hatte die Kirche die Abhaltung von Polterabenden verboten. Der Brandunfall galt daher auch als Ausdruck eines Sittenverfalls bei Hofe. Karl selbst verfiel danach immer mehr in seinen zuvor bereits angeschlagenen Geisteszustand. Obwohl er lucida intervalla hatte, in denen er bei klarem Verstand war, besserte sich seine psychische Konstitution bis zu seinem Lebensende nicht mehr. Er rannte durch die Residenz, und erkannte jeden Diener aber seine eigene Familie nicht. 1405 weigerte er sich fünf Monate lang sich zu waschen oder die Kleider zu wechseln. Zeitweise glaubte der König sogar, er sei aus Glas und versuchte sich zu schützen, um nicht zu zerbrechen. Seine Unfähigkeit zu regieren stürzte Frankreich schließlich in eine Periode von Aufständen und Bürgerkriegen.

Tagesthema 2011: Kinder der Liebe, Tagesthema 2010: ABBA
Wussten Sie schon?
Englisch wurde 1362 anstelle von Französisch die offizielle Amtssprache in England.


16. Dezember - 3. Adventsonntag 
Verrückte Benennungen
Calvin Coolidge war der Amtsvorgänger von Herbert Hoover als Präsident der Vereinigten Staaten und zählt sicherlich nicht zu den bekanntesten Vertretern dieser Gattung. Er übernahm das Amt als Vizepräsident, nachdem sein Vorgänger Warren G. Harding verstorben war, und wurde von seinem eigenen Vater, einem Friedensrichter, im Urlaub angelobt. Nach Coolidge wurden ein Damm, ein Kreuzfahrtschiff und eine Kleinstadt in Arizona benannt, womit er sich ebenso wenig von seinen Vorgängern abhob, wie durch seine Amtsführung. Aber immerhin ist er der einzige US-Präsident nach dem ein sexualwissenschaftliches Theorem benannt wurde. Angeblich sollen der Präsident und seine Frau einmal eine Hühnerfarm besucht haben und Mrs. Coolidge zeigte sich erstaunt über die Tatsache, dass es nur einen Hahn gebe, worauf man ihr erklärt habe, dieser begatte seine Hennen mehrmals täglich. Die Antwort der Präsidentengattin sei „Erzählen Sie das mal meinem Mann.“ gewesen. Dieser wiederum habe gefragt, ob der Hahn immer dieselbe Henne besteige, als dies verneint wurde war die angebliche Antwort Coolidges: „Erzählen Sie das mal meiner Frau.“ Der sogenannte Coolifge-Effekt beschreibt daher den wachsenden Widerwillen eines Männchens, immer nur mit demselben Weibchen zu verkehren.

Mehr als dieser Effekt leidet ein augenloser Laufkäfer aus Slowenien unter seinem Namen. Er heißt „Anophthalmus hitleri“, wurde von einem deutschen Käfersammler mit politisch einschlägiger Gesinnung nach dem damaligen Reichskanzler benannt und ist mittlerweile bedroht, weil er - allein aufgrund seines Namens - in ebenfalls sehr einschlägigen Kreisen als begehrtes Sammlerobjekt gilt. Besser hat es da ein Vetter aus Costa Rica, der wegen seiner stämmigen Vorderläufe „Agra schwarzeneggeri“ heißt. Ob die Seeschnecke „Bursina borisbeckeri“ ebenfalls eine markante Eigenschaft mit ihrem Namensgeber teilt ist nicht bekannt. Zumindest ist nicht überliefert, dass Schnecken besonders treue Tiere wären. Die Ameisenart „Pheidole harrisonfordi“ wurde hingegen aufgrund dessen Verdienste um den Artenschutz nach dem Schauspieler benannt. Alle bislang Genannten haben es aber um einiges besser getroffen, als Johanna Baade, die Ehefrau des Astronomen Walter Baade. Ihr Mann benannte einen Asteroiden nach ihrem Kosenamen „(966) Muschi“.

Tagesthema 2011: Beleidigungsaffären, Tagesthema 2010: Skandinavien und die Sprache
Wussten Sie schon?
Belgien hat zwei zwischen Wallonie und Flandern getrennte Hitparaden.
 

17. Dezember                                 
Idi Amin - Herr über alle Kreaturen
Wenn sich jemand zeitweise Exzellenz, Präsident auf Lebenszeit, Feldmarschall und „Lord of All the Beasts of the Earth and Fishes of the Seas and Conqueror of the British Empire in Africa in General and Uganda in Particular and Professor for Geography“ nennt, braucht man keinen Rohrschachtest mehr, um ihm Größenwahn zu attestieren. Wenn jemand Viehdiebe zum Reden bringt, indem er acht von ihnen die Genitalien abhackt, bis der Neunte auspackt, bleiben keine Zweifel mehr an seiner Brutalität und Skrupellosigkeit. Der Mann, der sich so nannte und der dies tat war Idi Amin. In der Geschichte Afrikas ist dieser Mensch der Inbegriff des brutalen Despoten, dem höchstens noch Bokassa gleichrangig ist, der sich in der Zentralafrikanischen Republik zum Kaiser ausrufen und Menschen aus dem Flugzeug werfen lässt. Amin selbst macht zunächst Karriere in den Truppen seiner Majestät. Er ist einer von zwei Schwarzen, die in der britischen Kolonie Uganda zu Offizieren ernannt werden.

Nach der Unabhängigkeit bringt er es bis zum Oberst und führt schließlich einen erfolgreichen Putsch an. Binnen weniger Tage eliminiert er praktisch die gesamte Intelligenzija des Staates. Den ehemaligen Außenminister findet man zerstückelt an den Ufern des Victoriasees. Dörfer, die die bisherigen Machthaber unterstützt haben, werden ausgelöscht. Der Erzbischof von Uganda protestiert, Amin lässt in liquidieren. Doch damit beginnt die Terrorherrschaft erst. Idi Amins Weg wird von vielen Leichen gepflastert, am Ende werden es über 300.000 sein. Zeitweise lässt er so viele Menschen den Krokodilen vorwerfen, dass der Kraftwerksbetreiber an einem Stausee Leute abstellen muss, um die Leichen zu entfernen, sie würden sonst die Turbinen verstopfen. In den Gefängnissen müssen sich die Häftlinge mit Vorschlaghammern gegenseitig töten, die Überlebenden essen die Besiegten. Währenddessen hat Amin zwei Flugzeuge abgestellt, die mehrmals wöchentlich nach London pendeln um dort Luxusgüter zu laden. Als ihm die Israelis die Lieferung von Kampfflugzeugen verweigern, will der Diktator eine Hitler-Statue aufstellen lassen. Die Sowjets überzeugen ihn, dass das keine gute Idee sei. Später hilft er den Palästinensern ein Flugzeug voller Israelis nach Uganda zu entführen. Jerusalem schickt Spezialkräfte, die die Entführten befreien und den Gutteil der ugandischen Luftwaffe eliminieren. Ist Amin unzufrieden, muss jemand dran glauben. Seine zweite Frau wird zerstückelt. Man näht ihr die Körperteile verkehrt herum wieder an. Der Despot zeigt die Tote so seinen Kindern. Erst nachdem er versucht hatte Tansania zu erobern, wurde Amin 1979 endlich abgesetzt, floh über Libyen und den Irak nach Saudi-Arabien lebte dort in Wohlstand und starb 2003. Gerechtigkeit ist so relativ.
„Man kann nicht schneller als eine Kugel rennen.“ Idi Amin Dada
Tagesthema 2011: Der Rassismusfettnapf, Tagesthema 2010: Das hymnische Skandinavien
Wussten Sie schon?
Der österreichische Finanzminister Joseph Graf von Wallis beglich 1811 noch schnell seine eigenen Schulden in Papiergeld, bevor dessen Abwertung bekanntgegeben wurde.


18. Dezember    
George Tupou V.
Der König von Tonga war nicht wirklich verrückt, nur etwas exzentrisch. Bevor er den Thron bestieg galt der damalige Kronprinz als Playboy. Kurz erregte er Aufsehen, als er das Erbgut seiner Untertanen an eine australische Biotechfirma verkaufen wollte. Geheiratet hat er - was ihm aufgrund der für den tongaischen Adel üblichen Inzestehen nicht verübelt werden kann - bis zu seinem Tod 2012 nie. Nachdem sein Vater George Tupou IV. 2006 gestorben war, ließ sich der neue König, der in Oxford studiert hatte, 2008 in einer opulenten Zeremonie inthronisieren. Tonga ist neben Großbritannien das einzige souveräne Königreich der Welt, in dem noch Krönungen stattfinden. Um den König auf seinem zweieinhalb Meter hohen goldenen Thron zu salben, musste der Erzbischof von Polynesien anreisen, denn Tongaern ist es verboten den Monarchen zu berühren.

Die Krönung verschlang Unsummen. Es waren 5.000 Gäste in den 105.000 Einwohner zählenden Inselstaat gekommen. Die Feierlichkeiten dauerten mehrere Tage an. Tonga lebt hauptsächlich von Überweisungen seiner im Ausland lebenden Staatsbürger. 70% des BIP entfallen auf diese Transfers. Der König herrschte bis 2010 nahezu absolut, gab dann aber große Teile seiner Macht an das Parlament ab, was auch die Beliebtheit des zuvor als Exzentriker verschrienen George Tupou V. erhöhte. Dieser trug nicht nur gerne Tropenhelme und schillernde Uniformen, sondern ließ sich auch in einem Londoner Taxi durch die Straßen seiner Hauptstadt kutschieren. Für diese Notwendigkeit hatte er auch eine bestimmte Begründung parat:
„An English taxi is extremely easy to get in and out of wearing a sword, a spiked helmet or spurs. I realise these are not primary considerations for buying a car for most people but it is for me.“
Tagesthema 2011: Militäraffären, Tagesthema 2010: Skandinavisches „Essen“
Wussten Sie schon?
In der britischen Gebärdensprache wird das Wort „Deutsch“ mit einer Faust an der Stirn und nach oben gerichtetem Zeigefinger dargestellt, was eine Pickelhaube symbolisiert.


19. Dezember                      
Herostratos und seine Erben
Im Jahre 356 v. Chr. hatte es sich der Hirte Herostratos in den Kopf gesetzt berühmt zu werden. Weil er aber weder intelligent, noch fleißig genug war, zündete er den berühmten Tempel der Artemis in Ephesos an. Stolz prahlte er mit seiner Tat, sein Name sollte so unsterblich werden. Die Epheser massakrierten ihn und verhängten die „damnatio memoriae“ über seine Person. Die Nennung seines Namens wurde unter Strafe gestellt. Dennoch schrieben später Plutarch, Cicero, Hugo, Satre und Tschechow über ihn, Herostratos hatte sein Ziel erreicht. In der deutschen Sprache ist sein Name zum Synonym für ruhmsüchtige Gewalttäter geworden. Eines der prominentesten Beispiele ist wohl Mark David Chapman, der John Lennon ermordete um berühmt zu werden und sich schließlich vor Gericht schuldig bekannte, weil Gott es so gewollt habe. Im Verdacht des Herostratentums steht auch der mutmaßliche Brandstifter des deutschen Reichstages Marinus van der Lubbe, dessen Tat zum Anlass für die Erlassung der Ermächtigungsgesetze wurde. Eine eher merkwürdige Verbindung zum Thema hat auch der bis heute nicht völlig geklärte Tod des politisch unter Druck geratenen ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel. Auf dem Bett in jenem Hotelzimmer, in dem er umkam, lag ein Buch mit den gesammelten Erzählungen Satres, das just auf der Seite mit der Geschichte „Herostrat“ aufgeschlagen war.

Tagesthema 2011: Umweltskandale, Tagesthema 2010: Ein neu-norwegisches Weihnachtslied
Wussten Sie schon?
Politische Skandale nennt man in der Schweiz, aufgrund deren Häufigkeit in diesem Kanton, auch  „Genfereien“.


20. Dezember             
Die spinnen die Römer
Caligula war in Rom nur mäßig beliebt. Er ließ unliebsame Senatoren verbannen, foltern oder liquidieren, plante angeblich ein Pferd zum Konsul zu machen und ließ Leute öffentlich zersägen. Weil er justament darauf bestehen wollte im Tempel in Jerusalem eine Statue seiner selbst aufstellen zu lassen, kam es während seiner nur vierjährigen Herrschaft im Reich zu Pogromen. Sein Vorgänger Tiberius soll angeblich Männern die Harnröhre abschnüren und dann massenweise Wein zu trinken gegeben haben. Als Inbegriff römischer Herrscherdekadenz gilt jedoch Nero, den Theodor Mommsen den „nichtwürdigsten Kaiser“ nannte, was schon etwas heißen wolle. Auch wenn ihm posthum viele Grausamkeiten angedichtet wurde, eines ist klar: Der Herrscher ließ seine Mutter Agrippina beseitigen. Sie hatte ihn an die Macht gebracht, aber sie war es auch, die ihn bevormundete und Einfluss auf die Regierungsgeschäft nahm. Zunächst wollte Nero die Geschichte wie einen Unfall aussehen lassen. Also ließ der antike Udo Proksch ein Schiff bauen, das - mit seiner Mutter an Bord - bei der Überfahrt auseinanderbrach. Agrippina überlebte die Havarie, weshalb sich ihr Sohn auf klassischere Methoden verlegte und sie einfach abstechen ließ.

Neros Weg war daraufhin von seltsamen Unfällen und Selbstmorden gepflastert. Die Gattin, der Stiefbruder und Lehrer Seneca mussten alle das Zeitliche segnen. Der Kaiser gab sich indes den schönen Künsten hin, spielte Leier und Theater. Wer im Publikum gegen sein Talent raunte, wurde prompt von Spitzeln ausgeliefert. Dass er auch die Brandstiftung Roms angeordnet haben soll, ist umstritten. Zumindest erließ er danach eine neue Bauordnung, um zukünftigen Desastern vorzubeugen. Am Ende half alles nichts, Nero hatte die Politik zulange vernachlässigt um den großen Künstler zu spielen. Die Prätorianer rebellierten, der Kaiser beging Suizid.
„Qualis artifex pereo!“ Nero, letzte Worte
Tagesthema 2011: Falsche Freunde, Tagesthema 2010: Christian X. und die Deutschen
Wussten Sie schon?
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat über die Geschichte des Zionismus promiviert.


21. Dezember  
Heinrich VI.
Der spätere Heinrich VI. wurde im Dezember 1421 geboren, ein halbes Jahr später starb sein Vater Heinrich V., womit er selbst König wurde. Man krönte das Kind mit nicht einmal acht Jahren. Seine Mutter bekam der Bub kaum zu Gesicht. Sie war Französin und Franzosen erfreuen sich nicht nur heute in England mäßiger Beliebtheit, auch wenn Heinrich selbst auch König von Frankreich war. Als Minderjähriger stand er zunächst unter der Vormundschaft seiner Onkel bis er mit 16 Jahren selbst die Regentschaft übernahm. Politisch ging es damit bergab. England verlor sukzessive Boden in Frankreich, woran auch die Hinrichtung von Jeanne d’Arc nichts änderte, während am Hof selbst immer wieder Intrigen ausbrachen. Der König war seit jeher von schwacher geistiger Konstitution und erlitt, nachdem er vom Verlust Bordeaux erfahren hatte, einen endgültigen Nervenzusammenbruch, was wenig verwundert, wenn man in Rechnung stellt, dass er der Enkel von Karl VI. von Frankreich war. Er erkannte niemanden und sprach kaum. Kurz darauf wurde sein einziges Kind Edward geboren. Als der König in einem lichten Moment erkannte, dass er einen Sohn habe, soll er sehr schockiert gewesen sein. Zusätzlich wurde nun sein Recht und das Recht des Hauses Lancaster auf den englischen Thron infrage gestellt. Unter seiner Herrschaft brachen daher schließlich die Rosenkriege mit dem Haus York aus, das schließlich die Überhand gewann und seinen Prätendenten Eduard zum König krönen ließ. Als die Lancasters kurzzeitig wieder die Macht an sich reißen konnte, wurde Heinrich wieder eingesetzt, blieb aber eine Marionette bis Eduard von York in gefangen setzte und im Tower von London liquidieren ließ. Damit war das Haus Lancaster ausgelöscht und von Heinrichs Herrschaftszeit blieb nicht viel über. Immerhin hat Shakespeare ein Stück über ihn geschrieben.

Tagesthema 2011: Der Nazivergleich, Tagesthema 2010: Die Schwedenhilfe
Wussten Sie schon?
Die einzige Simpsons-Figur, die an jeder Hand fünf Finger hat, ist Gott.


22. Dezember                                      
Die Wöd steht auf kan Foi mehr long...
William Miller hatte den Weltuntergang mit dem zweiten Kommen Christi für das Jahr 1844 vorhergesagt. Tausende Anhänger verkauften ihr Hab und Gut und hofften auf die Apokalypse. Irgendjemand errechnete den 22. Oktober als das genaue Datum, alle warteten gespannt, die Welt war noch da, Jesus aber nicht. Die „Milleriten“ zerstoben in alle Richtungen, das leider-nein-Armageddon ging als „Great Disappointment“ in die Geschichte ein.
Praktischer sind da die Vorstellungen der Zeugen Jehovas, nach denen Jesus bereits 1914, natürlich unsichtbar, auf die Erde zurückgekommen sei und danach die Herrschaft im Himmel angetreten habe. Blöderweise sagten sie dann aber die - vermutlich sehr sichtbare - Schlacht von Harmageddon für das Jahr 1975 voraus. Man empfahl jungen Angehörigen Ende der 60er keine langwierigen Ausbildungen zu beginnen, immerhin sei das Ende nah. Gott verzichtete auch diesmal auf sein persönliches Erscheinen und schickte auch nicht seinen Sohn vorbei. Seine Zeugen verloren dadurch etliche Mitglieder.
Wer nun nach dem neuerlich verpatzen Weltuntergang von gestern hofft, mit dem esoterischen Hokuspokus sei nun endgültig Schluss, muss leider enttäuscht werden. Die New-Age-Prophetin Alice Bailey hat den Weltuntergang für 2025 vorausgesagt. Jesus wird zusammen mit seinem Vollstrecker St. Germain - kein gutes Vorzeichen für Österreicher - auf die Erde kommen und - nonaned - richten. „Intelligent“-Design-Experte Frank J. Tipler meint, das Ende komme spätestens bis 2057. Dann ist es mir persönlich eigentlich auch schon wurscht.
„I waited all Tuesday and dear Jesus did not come.“ ein Millerit 1844
Tagesthema 2011: Abhörskandale, Tagesthema 2010: Der Posterkönig von Schweden
Wussten Sie schon?
Herbert Felix, der Produzent des gleichnamigen Ketchups war ein Cousin Bruno Kreiskys.


23. Dezember - 4. Adventsonntag
Verrückte Erfindungen
Der ägyptische Gelehrte Alhazen war seiner Zeit weit voraus. Im ersten Jahrtausend n. Chr. schlug er dem örtlichen Kalifen vor, man könnte doch am oberen Nillauf einen Damm errichten, um die Wasserzufuhr im Delta regulieren zu können. Dem Herrscher erschien die Sache grandios, Alhazer mühte sich ab, kam aber zu dem Schluss, dass sein Vorschlag mit damaligen Mitteln nicht durchzuführen war. Weil er die Rache des Kalifen fürchtete, gab er beinahe 20 Jahre lang bis zu dessen Tod vor, plötzlich geisteskrank geworden zu sein. Danach genas er völlig und forschte weiter.
Nachdem man fast neunhundert Jahre später das Radio erfunden worden war, wurde für den Erstkontakt mit Außerirdischen ein Preisgeld von 100.000 französischen Francs ausgesetzt. Die Geschichte hatte aber den Haken, dass ein Kontakt mit Marsbewohnern nicht galt, da deren Existenz als zu sicher angesehen wurde.

Thomas Alva Edison ist als der wohl bekannteste Erfinder der Neuzeit in die Geschichtsbücher eingegangen, aber auch er hat innovative Flops fabriziert Dazu kann vor allem die von Edison entwickelte Nähmaschine gezählt werden, die mit Schall angetrieben wurde. Nur die wenigsten Hausfrauen des 19. Jahrhunderts dürften Gefallen daran gefunden haben, beim Nähen ständig in einen Trichter schreien zu müssen.

Tagesthema 2011: Sexismus und andere Zoten, Tagesthema 2010: Die spinnen die Finnen
Wussten Sie schon?
Der Sohn von Albert Speer, Albert Speer Junior, ist ebenfalls Architekt und Stadtplaner der maßgeblich für eine Diktatur baut, nämlich China.

Mittwoch, 21. November 2012

Auf dem Weg zur Mitte-Rechts-Regierung? oder: Eine Frage der Wahrscheinlichkeit

Österreich ist ein konservatives Land, war es schon immer. Da musste schon einer wie Kreisky kommen um das zu ändern, aber auch ihm gelang es nicht nachhaltig. Spätestens seit das Team Stronach mit eigenem Klub in den Nationalrat eingezogen ist, befindet sich Österreich auf dem Weg in Richtung Schweizer Zustände. Wo es mehr konservative Parteien gibt, als ein Hund Flöhe hat, fällt es linken und liberalen Gruppierungen schwer Mehrheiten zu erlangen. Eine rot-grüne Regierung ist für Österreich 2013 nach heutigem Stand praktisch ausgeschlossen. Paradoxer Weise könnte die vergrößerte Anzahl von Mitte-Rechts-Parteien aber auch die Wahrscheinlichkeit einer Mitte-Rechts-Regierung verringern.

In manchen Umfragen erhalten SPÖ und ÖVP momentan nicht einmal mehr gemeinsam eine Mehrheit der Stimmen. Auch die neueste Hajek-Statistik (27.09.2012) deutet das an. Nach derzeitiger Arithmetik kämen die beiden Ex-Großparteien dennoch knapp auf eine Mehrheit im Nationalrat. Je mehr Stimmen an Parteien gehen, die letzlich nicht über die 4%-Hürde kommen oder ein Grundmandat erreichen, desto mehr Mandate teilen sich die anderen bei den drei Ermittlungsverfahren auf. Berechnet man die Sitzverteilung anhand der Umfrageergebnisse proportional - allerdings ohne Rücksicht auf Wahlkreise, Haare oder D'Hondt - kämen SPÖ (27%) und ÖVP (22%) gemeinsam gerade noch auf eine hauchdünne Mandatsmehrheit von 93 Sitzen. Zum Regieren wird eine Mehrheit der 183 Abgeordneten, also 92, benötigt. Das für den Fall, dass das BZÖ noch in das Parlament kommt. Fliegt es allerdings heraus, vergrößert sich die potenzielle Regierungsmehrheit nach dieser Umfrage auf 97 Mandate.

Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, dass das BZÖ an der 4%-Hürde scheitern wird, relativ hoch. Sowohl Karmasin (17. November 2012), als auch Gallup (28.10.2012) wie IMAS (27.10.2012) sehen die Orangen nicht mehr im nächsten Nationalrat vertreten. Nach Karmasin läge die Mehrheit von SPÖ (27%) und ÖVP (24%) bei 51% der Stimmen und damit bei 98 Sitzen. Ansonsten wären ausschließlich eine unwahrscheinliche SPÖ-FPÖ-Regierung oder Dreierkoalitionen möglich. Laut Gallup kämen SPÖ (25%) und ÖVP (22%) aber auch nach Sitzen auf keine Mehrheit mehr. Das hieße, dass entweder eine Minderheitsregierung berufen würde, oder drei Parteien eine Koalition bilden müssten. Der Ruf nach einem Mehrheitswahlrecht würde nach einem solchen Ergebnis vermutlich auch nicht leiser werden.

Damit ist dieses Szenario auch der wahrscheinlichste Fall für die Gründung einer Mitte-Rechts-Regierung. Solange die ÖVP mit der SPÖ eine große Koalition bilden kann, wird sie das Experiment einer Dreierkoalition mit so unzuverlässigen Partnern wie Stronach und Strache vermutlich scheuen. Ist die rot-schwarze Mehrheit weg, steht die ÖVP jedoch vor der Wahl eine Minderheitsregierung zu bilden oder zu unterstützen, eine Regierung mit Blauen und Stronach oder mit SPÖ und Grünen zu bilden. In diesem Fall könnte sich die Volkspartei schon aus rein ideologischen Gründen für die Variante Schwarz-Blau-Stronach entscheiden. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass ein solches Dreiergespann keine fünf Jahre halten würde, könnten die Schwarzen mit ihm dennoch mehr konservative Politik durchsetzen, als mit zwei tendenziell eher linken Parteien. Liegen SPÖ und ÖVP gemeinsam unter 50% ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Regierungskonstellation relativ hoch.

Nach Wahlumfragenarithmetik, Stabilität und politischer Weltanschauung steht die große Koalition nach wie vor an erster Stelle der wahrscheinlichen Regierungskonstellationen nach den Nationalratswahlen 2013. Am zweitwahrscheinlichsten ist wohl ein rechts-konservativer Dreibund ÖVP-FPÖ-Stronach, danach erst kommt die, nicht nur für die ÖVP ungünstige, rot-schwarz-grüne Variante. Dass Stronach vor der Wahl eine Regierungsbeteiligung ausgeschlossen hat, wenn er nicht allein herrschen kann, ist jedoch weniger tragisch. Bekanntlich hat weder eine ähnliche Ansage, noch der dritte Platz Wolfgang Schüssel 2000 davon abgehalten Bundeskanzler zu werden.

Montag, 5. November 2012

Personeller Sachaufwand, oder: Wie die Republik freie Dienstnehmer ausbeutet

Jeder U-Ausschuss würde auch ohne Einstellungsbeschluss versanden, Bürger erhielten keine Informationen und so manches Ministerium würde das Ende seiner Kapazitäten erreichen, wenn es sie nicht gäbe, die freien Dienstnehmer der Republik Österreich. Vom Sekretariatsbediensteten über Hilfskräfte bis hin zum Akademiker leisten sie dasselbe wie Beamte und Vertragsbedienstete, werden vom Staat aber in gesetzeswidrigen Arbeitsverhältnissen beschäftigt.

Wenn vom Nationalrat ein Untersuchungsausschuss angesetzt wird, fragen sich die Wenigsten, wer die papierenen Dokumente, die dem Parlament von den Ministerien und Behörden für die Ausschussarbeit angeliefert werden, einscannt, durch ein Texterkennungsprogramm jagt und dann hundertfach auf CDs brennt. Auch wird es kaum jemanden kümmern, wer eigentlich die vielen Bürgeranfragen beantwortet, die täglich per E-Mail, telefonisch oder postalisch beim Bundeskanzleramt einlangen. Sie werden von bürokratischen Geistern erledigt. Meist sind es Studenten, die sich mit der Arbeit beim Bund ein Zubrot verdienen. Die Allermeisten gehen ihrer Tätigkeit regelmäßig nach, manche sogar Vollzeit. Dennoch scheinen sie in keinem Stellenplan auf, denn sie haben keinen Planposten, ja nicht einmal ein aufrechtes Dienstverhältnis zur Republik Österreich, sie sind freie Dienstnehmer.

Freie Dienstverträge sind in vielen Fällen nichts anderes als arbeitsrechtliche Missbrauchsinstrumente. Wer einen solchen abschließt, arbeitet quasi als Ich-AG für eine fremde Firma. Dabei fehlen ihm die meisten Sicherheiten, die ein normales Arbeitsverhältnis mit sich bringt, dafür ist er aber - zumindest in der Theorie - freier in der Einteilung seiner Arbeit. Ein freier Dienstnehmer muss sich nicht an Bürozeiten halten, er kann von zuhause aus arbeiten, ist nicht in die Organisation eingebunden, kann seine eigene Infrastruktur nutzen, sich von anderen vertreten lassen und muss keine Erfolgsgarantie übernehmen. Immer wieder wurde, vor allem von sozialdemokratischen Politikern, kritisiert, dass dieses Rechtkonstrukt oft zur Ausnutzung von Arbeitnehmern missbraucht wird. So wurde es als großer Erfolg gefeiert, als man für diese Arbeitnehmergruppe endlich die Sozialversicherungspflicht durchgesetzt hatte. Was die Öffentlichkeit nicht weiß ist, dass unter den Ausbeuterbetrieben die Republik Österreich, namentlich der Bund, eine führende Rolle einnimmt. Gerade bei freien Dienstverträgen, die mit der öffentlichen Hand geschlossen werden, treffen deren vorhin genannten Eigenschaften meistens nicht zu. Der Verfassungsgerichtshof hat in einem Erkenntnis festgehalten:
Der freie Dienstnehmer kann im Regelfall selbst die Lage seiner Arbeitszeit und seinen Arbeitsort bestimmen, er unterliegt keinen Weisungen seines Dienstgebers wie, wann und in welcher Reihenfolge er seine Arbeiten zu verrichten hat.“
Die freien Dienstnehmer der Republik sitzen aber immer im Büro, erhalten Anweisungen ihrer Chefs und können ihre Arbeit nur persönlich erledigen. Dass die Sache eigentlich illegal ist, weiß der Staat dabei selbst. Die Parlamentsdirektion achtet penibel darauf, dass ihre freien Dienstnehmer kein Türschild und keine Telefonnummer erhalten. Das könnte, so die Befürchtung, bei arbeitsgerichtlichen Prozessen als Indiz für einen Scheinarbeitsvertrag gesehen werden. Das Bundeskanzleramt hat sein Bürgerservice samt Europatelefon gleich in kleine pseudoselbständige Teams ausgelagert, deren Selbständigkeit sogar das zuständige Finanzamt bezweifelte. In anderen Ministerien geht es noch schlimmer zu. Nicht nur seit aufgrund des Sparpakets für fast alle Dienststellen ein Aufnahmestopp verhängt wurde, werden vermehrt freie Dienstnehmer für klassische Beamtenposten eingestellt. Für die Ministerien bringt das mehrere Vorteile: Freie Dienstnehmer werden wie Druckerpatronen und Papier als Sachaufwand abgerechnet und man kann sie jederzeit elegant loswerden. Weil das Bundeskanzleramt als Herr über die Bundesstellenpläne bei jeder Schaffung eines neuen Postens ein Wörtchen mitzureden hat, können auch Unannehmlichkeiten mit dem BKA so umgangen werden.

Die Verwendungszwecke für die Billigkräfte sind dabei praktisch grenzenlos. Freie Dienstnehmer legen Akten an, befördern, verwalten und beschließen Amtsgeschäfte, haben Türschilder, Telefonnummern, E-Mail-Adressen und Visitenkarten, vertreten ihr Haus bei interministeriellen Sitzungen und fahren sogar auf Dienstreise ins Ausland, um dort den Staat international zu vertreten, bei dem sie formal nicht einmal angestellt sind. Manche arbeiten mit klassifizierten Dokumenten, eine Vertretungsmöglichkeit durch Dritte, wie sie der freie Dienstvertrag vorsieht, könnte dann sogar strafrechtlich relevant sein. Selbst der Pressespiegel, den Werner Faymann täglich erhält, wird von freien Dienstnehmern erstellt. Manche Sekretariatskräfte verdienen bei Vollzeitbeschäftigung dabei lediglich um die 1000 € netto. Diese Nicht-Angestellten tragen auch das volle soziale Risiko ihrer Beschäftigung:
  • Sie haben keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub. Manche Vorgesetzte überprüfen die Arbeitszeiten quasi mit der Stoppuhr. Jeder Tag den man auf Urlaub geht, muss man vorher hereinarbeiten, oder er bleibt unbezahlt.
  • Sie sind nur eingeschränkt Sozialversichert. Wer krank wird, bekommt die ersten drei Krankentage nicht bezahlt. Ab dem vierten erhält er Krankengeld von der Sozialversicherung. Wer zweimal in einem Monat drei Tage krank ist, kann so schon fast ein Drittel seines Gehalts verlieren.
  • Sie erhalten keine Zusatzvergütungen. Wenn das Ministerium etwa Essensbons für seine Mitarbeiter ausgibt, schauen die freien Dienstnehmer durch die Finger. Auch Verwendungszulagen oder Ähnliches gibt es nicht.
  • Es gibt keine Dienstkreditkarte und keine Reisekostenvorschüsse. Wer für die Republik dienstlich unterwegs ist, muss die Kosten selber vorstrecken und erhält sie erst später rückvergütet.
  • Sie können sich nicht intern für Bundesjobs bewerben. Neue Stellen im Bundesdienst werden  zunächst meist intern ausgeschrieben und so auch häufig vergeben. Freie Dienstnehmer können für solche Ausschreibungen keine Bewerbungen abgeben, da sie über kein aufrechtes Dienstverhältnis zum Bund verfügen. Soll ein freier Dienstnehmer zB auf eine Karenzstelle übernommen werden, muss diese erst intern ausgeschrieben werden. Bewirbt sich ein anderer, hat der „Freie“ Pech gehabt.
Zusätzlich treten die Betroffenen beruflich auf der Stelle. Sie bekommen grundsätzlich keine Gehaltserhöhungen. Da sie nicht beim Bund beschäftigt sind, können sie auch nicht in die Beamtengrundausbildung eintreten. Die Jahre als freie Dienstnehmer werden nicht als Dienstjahre angerechnet. Einen 13. und 14. Monatsgehalt gibt es nur in seltenen Fällen aliquot pro Monat. Gleichzeitig  erhalten sie ihr Einkommen nach Abzug der Sozialabgaben brutto, das heißt die gesamte Einkommenssteuer muss angespart und am Jahresende an das Finanzamt überwiesen werden.

Da solche freien Dienstverhältnisse, heikel und grundsätzlich einklagbar sind, bedienen sich manche öffentlichen Institutionen einfacherer Methoden um billiges Personal zu requirieren. Zum einen gibt es den, dem freien Dienstvertrag sehr ähnlichen, Werkvertrag, bei dem - wie der Name schon sagt - auf die Schaffung eines Werkes geschuldet wird. Er wird nicht pro Stunde sondern pro Werkseinheit ausbezahlt. Das wird auch dadurch umgangen, dass viele Werkvertragler zufällig jede Stunde die gleiche Anzahl an Seiten bearbeiten und dadurch auf einen - vorher informell ausgemachten - gleichmäßigen Stundenlohn kommen. Aber auch diese Variante bleibt letztendlich in den meisten Fällen Illegal. Auf die Gewerkschaft hofft man indes meist vergeblich. Freie Dienstnehmer sind nur anwesend, gehören aber nicht zum Personal - sind also auch nicht wahlberechtigt bei Personalvertretungswahlen. In Ministerien, in denen die Personalvertreter in der Personalabteilung, die die schwindligen Dienstverträge ausstellt, arbeiten, käme eine Reklamation ohnehin einer Kündigung gleich.

Die rechtlich sicherste Variante um an billige Arbeitskräfte zu kommen ist für den Staat aber das sogenannte Verwaltungspraktikum. Es ist eigens gesetzlich geregelt und daher arbeitsrechtlich bombensicher. Bund, Länder und Gemeinden können so zB junge Akademiker für etwas mehr als 970 Euro netto im Monat 40 Stunden die Woche beschäftigen. An vorderster Spitzer der Praktikantennutzer steht dabei das Außenministerium. Lange Zeit wurden dort auch unbezahlte Praktikanten en Masse beschäftigt, bis die Sache aufflog und abgestellt werden musste. Formal werden die Verwaltungspraktikanten vom Staat „ausgebildet“ und erhalten daher nur das halbe Normalgehalt. In Wirklichkeit geht es oft darum pensionierte und nicht nachbesetzte Stellen billig am Laufen zu halten. Der Praktikant kommt, man zeigt im Schreibtisch, Drucker und gibt ihm eine EDV-Einschulung, damit ist die Ausbildung in den meisten Fällen beendet. Übrig bleibt das vernichtend kleine Salär und die Tatsache, dass Verwaltungspraktikanten nur ein Jahr lang beschäftigt werden dürfen, was in manchen Ministerien zu einer regen Personalfluktuation führt. Wenn der Praktikant „Glück“ hat, wird er nach Ablauf des Jahres als freier Dienstnehmer übernommen. Damit beginnt der Prekariatskreislauf von vorne.