Sonntag, 21. September 2014

Vorarlberg wählt, oder: Wer gibt es billiger?

Vorarlberg hat gewählt und Österreich interessiert sich dafür, zumindest oberflächlich. In Wien regiert eine große Koalition, die sich durch Personalwechsel wieder einmal den Anstrich des Neuen zu geben versucht. Diese Regierung, so vermittelt es zumindest der mediale Mainstream, hungert ob ihres völlig neuen Kurses nach Bestätigung desselben und kann diese auf die Schnelle nur in Vorarlberg finden. 

Das ist in etwa so abwegig, als würde Kommissionspräsident in spe Jean-Claude Juncker seinen politischen Kurs von den Parlamentswahlen in Malta abhängig machen. In Vorarlberg leben gerade einmal 4,4% der österreichischen Bevölkerung, auch die Bundesregierung wird sich von der Landtagswahl im äußersten Westen daher wenig beeindrucken lassen. Dazu waren die Ergebnisse bereits zu absehbar und letztlich aus gesamtösterreichischer Sicht zu unbedeutend: Die ÖVP hat ihre Absolute verloren, wenn auch durch zuletzt schwächelnde NEOS und eine in Antizipation ihres Regierungseintritts handzahme FPÖ etwas weniger deutlich als angenommen, und die SPÖ stagniert in ihrer alemannischen Bedeutungslosigkeit weiter. Auch der Zuwachs bei den Grünen ist lediglich die Fortsetzung eines bundesweiten Aufwärtstrends.

Ein allzu großes Engagement der Koalitionsparteien hat sich im Landeswahlkampf auch aus anderen Gründen nicht eingestellt. Die ÖVP fährt seit Jahrzehnten einen Kurs der Pseudoabgrenzung indem sie in Vorarlberg mit Selbstbestimmungsparolen in Wahlkämpfe zieht und gleichzeitig als Regierungspartei in Wien den westlich des Arlbergpasses zum Dogma verklärten Föderalismus in den gewohnten Zweigleisigkeiten vor sich hin dümpeln lässt. Zum Image der autochthonen Minderheitenpartei passt es nicht, das die Parteifreunde aus dem Osten Schützenhilfe in irgendeiner Form leisten. Ein paar Höflichkeitsauftritte maximal, aber ansonsten hatte der Wahlkampf der Vorarlberger ÖVP unter Landeshauptmann Markus Wallner vor allem eines zu sein: vorarlbergerisch.

Die Sozialdemokratie im Bund hatte noch weniger Grund sich im äußersten Westen zu engagieren. Zum Einen ist sie dort seit ihrem Ausscheiden aus der Landesregierung in den 70ern in die Bedeutungslosigkeit versunken und musste sich mit NEOS um den vierten Platz schlagen. Jeder Parteiobmann kann die Ländleroten daher nur als Stein am Bein empfinden, der einen höchstens noch weiter runterzieht. Zum Anderen hat sich der Vorarlberger Parteiobmann Michael Ritsch in Wien nicht gerade Freunde geschaffen. Unverhohlen forderte er kürzlich den Rücktritt von Bundeskanzler Faymann, sollte eine Steuerreform für nächstes Jahr nicht umgesetzt werden. Ritsch war auch der Erste, der noch vor den Abstimmungen in den Gremien Doris Bures als Nachfolgerin von Barbara Prammer bestätigte und sie im gleichen Atemzug als Bundespräsidentschaftkandidatin verheizte. Ritsch, der mit einem selbst für sozialdemokratische Verhältnisse unsteten Privatleben aufwartet, gilt grundsätzlich als das Gegenteil dessen, was man gemeinhin Personalreserve nennt. Dass die Vorarlberger SPÖ trotzdem keine Alternative zu einem Spitzenkandidaten hat, der sie von einer Wahlniederlage zur nächsten führt, ist auch der Grund, warum sie allgemein als nicht regierungsfähig gilt: Die brauchbare Personaldecke ist in etwa so dünn wie bei der FPÖ auf Bundesebene.

Ein ähnliches Schicksal trifft NEOS, das bei vorangegangenen Wahlen im Heimatland von Parteichef Strolz Traumergebnisse verzeichnen konnte. Dank interner Machtkämpfe und der mehr als unbedarften Spitzenkandidatin Sabine Scheffknecht sind die Liberalen aber weniger erdrutschartig in den Landtag eingezogen, als zuvor erhofft. Immerhin schaffte es die NEOS-Frontfrau bei einer Diskussion der Spitzenkandidaten vor mehreren hundert Schülern von 15,7% potentiellen Jungwählern vor der Debatte auf 3,7% danach abzurutschen. Die verlangte Privatisierung der landeseigenen Elektrizitätswerke und Aussagen zur Wohnbausteuer, ob deren Unqualifiziertheit sich sogar Grünen-Chef Johannes Rauch gezwungen sah, dem Landeshauptmann in seiner Entrüstung beizuspringen, ließen die Anfangs ausgezeichneten Chancen der Pinken zum Ende hin etwas zusammenschmelzen. Auch wenn die neue Bewegung mit knapp 7% ins Landesparlament eingezogen ist, an eine Regierungsbeteiligung mit den inhaltlich wie personell indifferenten NEOS wird die ÖVP kaum denken, zumal ein solches Bündnis nach den Hochrechnungen nicht einmal eine Mehrheit hätte.

Letztendlich wird sie die Koalitionsfrage zwischen FPÖ und Grünen entscheiden. Während die Blauen unter Dieter Egger einen für freiheitliche Verhältnisse ungewöhnlich braven Wahlkampf geführt haben, biedern sich die Grünen in schon fast genanter Weise als Koalitionspartner an die Volkspartei an. Egger, der nach der letzten Wahl wegen eines antisemitischen Ostküstensagers gegenüber dem Direktor des jüdischen Museums in Hohenems aus der Koalition geschmissen wurde, treibt vor allem sein Ehrgeiz zurück in die Regierung. Sein Wohlfühlwahlkampf ohne rechte Ausrutscher hat ihn sogar Stimmen gekostet. Ihm geht es aber vor allem um seine persönliche Macht. Interne Gegenspieler wie Fritz Amann aus dem Wirtschaftsring wurden für dieses Ziel bereits geopfert. Genau wie einst Hubert Gorbach liegt Egger viel daran Statthalter, also Landehauptmannstellvertreter zu werden. Gorbach, dem mittlerweile die Welt in Vorarlberg bekanntermaßen zu klein geworden ist, lehnte das Angebot eines zweiten Landesrates einst ab, nur um selbst zur Nummer zwei in der Regierung aufzusteigen. Egger will es ihm gleichtun, vielleicht auch wegen der langfristigen Perspektive auf das Verkehrsressort im Bund, für dessen Leitung er im Falle einer erneuten blauen Regierungsbeteiligung immer wieder gehandelt wird.

Die Grünen wiederum bemühen sich, das Feld von hinten aufzurollen, indem sie in die Landesregierungen drängen, um sich - so das Kalkül - letztlich im Bund unverzichtbar zu machen. Für die ÖVP könnte diese Variante im Hinblick auf die sogenannte Westachse mit Tirol und Salzburg, in denen ebenfalls die Grünen mitregieren, reizvoll sein. So würde sie einerseits das Manko einer Verliererkoalition vermeiden, andererseits hätten es drei schwarz-grüne Regierungen leichter, sich als innovative Alternative zum drögen rot-schwarzen Dauerdesaster in Wien zu präsentieren. Die bisherigen Präferenzen der Vorarlberger Landes-ÖVP gingen jedoch immer in Richtung schwarz-blau. Die Entgleisungen Eggers könnten mittlerweile als verjährt angesehen werden, außerde haben sich die Freiheitlichen der Volkspartei bislang immer zu sehr günstigen Konditionen angedient. Schließlich verfügt die FPÖ über leidlich wenige Positionen, die sich auf Landesebene umsetzen ließen und ihr Parteichef ist mit einem Posten zufriedenzustellen. Die ÖVP findet sich jedenfalls, trotz des Verlustes der Absoluten,  in der angenehmen Position wieder, zwischen mehreren gleichermaßen auf Zusammenarbeit erpichten potentiellen Partnern auswählen zu können. Im Ergebnis wird daher immer noch sie es sein, die den Ton angibt, Wahl hin oder her.

Mittwoch, 20. August 2014

Doris Bures, oder: Eine Frage der Ergebenheit

Doris Bures ist ein Musterbeispiel sozialdemokratischer Tugendhaftigkeit: Sie ist loyal. Lange ist es her, dass die Mutter ihr das Licht im Kinderzimmer abdrehte, weil sie gegen die Atomstrompolitik der Kreisky-Regierung rebellierte. Mittlerweile ist sie angekommen in der Partei, die sich wie keine andere in Solidarität übt, nach Außen, aber vor allem nach Innen. Jetzt soll sie, so die niemals dissenten Parteigremien zustimmen, als Präsidentin des Nationalrates das protokollarisch zweithöchste Amt im Staat bekleiden. An ihrer Eignung darf jedoch gezweifelt werden.

Bures ist das Kind einer alleinerziehenden Mutter aus Wien-Liesing. Ein Studium wäre, trotz der Reformen der damaligen SPÖ-Alleinregierung, für sie nie zur Diskussion gestanden. Die junge Doris sollte Zahnarztassistentin werden, ein Plan von dem sie letztlich nur ihr politisches Engagement abhielt. Die Leute, die sie bei der roten Bezirksorganisation kennenlernte, teils gescheite Burschen vom Gymnasium, nahmen sie mit auf ihrer Reise durch die Institutionen. Die Lehre blieb da schnell auf den Strecke. Werner Faymann, einer der Parteifreunde aus Jugendtagen, zog sie mit zur Mietervereinigung. Dann folgte sie ihm durch Partei- und Staatsfunktionen, bis sie, als er schließlich Kanzler wurde, seine Nachfolge im Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie antrat.

Faymann weiß, was er an ihr hat: Bures ist zäh und hat Biss. Als SPÖ-Bundesgeschäftsführerin hat sie sich mit ihrer machtbewussten Arbeitsweise in der Partei wenig Freunde gemacht, die Führungsspitze aber konnte sich jederzeit auf sie verlassen. Auch als Ministerin folgt sie den Richtlinien des Bundeskanzlers und Parteivorsitzenden, ohne dabei Abstriche zu machen. Im Amt hat sie dafür wenig Eigendynamik entwickelt. Eine Ausnahme bildet die Frauenpolitik, eines der wenigen Politikfelder, bei denen die ehemalige Frauenministerin auch innerparteilich anzuecken bereit ist. Reformen im BMVIT schienen vor allem darauf abzuzielen, Frauen an die Spitze der Verwaltung zu hieven. Dass sie für ihre fragwürdige bis nachweislich unrechtmäßige Frauenbevorzugung im Ressort mehrfach Rüffel, sowohl von der Gleichbehandlungskommission, als auch vom Verwaltungsgerichtshof bezog, hat ihr scheinbar nicht geschadet.

Dass Frauen auch ohne formale Qualifikation bevorzugt werden können, zeigt Bures eigene Biographie. Eine Bilderbuchkarriere an sich ist nicht alles: Imerhin gilt Sozialminister Rudolf Hundstorfer, gelernter Bürokaufmann und wie Bures kein Akademiker, als einer der Leistungsträger im sozialdemokratischen Regierunsgteam. Von der Verkehrsministerin lässt sich das allerdings nicht behaupten. Was fachliche Fragen betrifft, gilt sie als wenig interessiert, wenn nicht gar unfähig. Texte, die länger sind als eine Seite, sind in ihrem Kabinett nicht willkommen. Manche Sachverhalte heißt es, trauen sich ihr die Mitarbeiter aus Verständnisgründen gar nicht im Detail vorzulegen. Auch inpunkto Rechtssicherheit hinkt Bures Ressort immer wieder hinterher. Mit einer peinlichen Regelmäßigigkeit scheitern ihre Tunnelbaubescheide vor dem Verwaltungsgerichtshof. Auch BMVIT-Verordnungen werden immer wieder von den Höchstrichtern kassiert. Selbst Verfahren vor dem EuGH sind keine Seltenheit. Die Ministerin selbst fährt nur ungern nach Brüssel. Praktisch nur zu Verkehrsministerräten ist sie dort anzutreffen, ansonsten lässt sie sich von Beamten vertreten. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf den ÖBB und der ASFINAG, sie ist eine Bundes- und Autobahnministerin. Die Zuständigkeitsbereiche Innovation und Technologie interessieren nur, wenn sie öffentlichkeitswirksam vermarktet werden können. Wenn das ESA-Engagement Österreichs es zulässt, stellt die Ministerin eine Ariane-Attrappe vor dem Parlament auf oder sie schaltet eine großformatige Anzeige in Boulevardmedien, die verkündet, dass sie dank einer eher peinlichen Bundesministeriengesetznovelle nun auch Weltraumministerin ist.
Mit den Medien steht sich Doris Bures dennoch gut. Die Achse Faymann-Kronenzeitung und die Freundschaft des Bundeskanzlers mit Österreich-Herausgeber Fellner, sichern auch ihr eine gewogene Berichterstattung. Tatsächlich ist die Verkehrsministerin laut Umfragen eines der beliebtesten Regierungsmitglieder. Dass Wolfgang Jansky, ihr ehemaliger Lebensgefährte und Vater ihrer Tochter, Geschäftsführer der Gratiszeitung Heute ist, passt durchaus in dieses Bild. 

Nun soll Doris Bures Präsidentin des Nationalrates werden, die erste Nichtakademikerin in dieser Funktion seit 1990, dem Jahr als sie selbst erstmals in die Abgeordnetenkammer einzog. Ihre parlamentarische Karriere beschränkt sich bislang vor allem auf die Obfrauschaft im Bauten- und den stellvertretenden Vorsitz im Familienausschuss. Doch Bures größtes Problem wird nicht die Erfahrung, sondern ihre Glaubwürdigkeit. Jeder bisherige Nationalratspräsident, der einen gewissen öffentlichen Eindruck hinterlassen wollte, musste sich erst als unparteiischer Schiedsrichter positionieren. Heinz Fischer galt zuletzt als tagespolitisches Neutrum und war ein Meister der Geschäftsordnung, die verstorbene Barbara Prammer legte einen Schwerpunkt auf die Demokratievermittlung und machte Druck bei der Reform der Untersuchungsausschüsse. Doris Bures wird es schwer fallen im neuen Amt Fuß zu fassen. Rechtsphilosophische Höhenflüge oder mutige Vorstöße für eine Stärkung der parlamentarischen Kontrollrechte sind von ihr nicht zu erwarten. Ohnehin scheint fraglich, wie lange sie überhaupt am Karl-Renner-Ring bleiben will. Von vielen Seiten wird  bereits die Erwartung oder Furcht geäußert, Bures wolle schon vor der geplanten Umbauphase des Hohen Hauses in die benachbarte Hofburg ziehen. Dass sie der, nicht nur mit politischen Instinkten mehr als sparsam gesegnete, Vorarlberger SPÖ-Chef Michael Ritsch bereits jetzt als Kandidatin für das höchste Staatsamt in Stellung bringen möchte, tut Bures allfälligen präsidialen Bestrebungen jedenfalls keinen Gefallen. Zu frühes Vorpreschen schmälert die Chancen. Die ihr regelmäßig unterstellten Ambitionen auf das Wiener Bürgermeisteramt sind mit der neuerlichen Kandidatur Michael Häupels jedenfalls vorerst gescheitert. Die Frage, ob man Bures solche Ämter überhaupt intellektuell wie persönlich zutrauen kann, scheint ihren Jugendfreund Werner Faymann und die restlichen Parteigranden jedenfalls nicht zu quälen. Die Möglichkeit, das Vorschlagsrecht für das Nationalratspräsidium dem Parlamentsklub zu überlassen, wurden offenbar nicht einmal erwogen. In der Sozialdemokratie gilt nach wie vor ein sehr straffes Führungsregiment. Welche Eigenschaften Kandidaten für höhere Weihen nach Ansicht des Kanzlers mitbringen müssen, wurde indes bereits bei seiner Stellungnahme zum Tod Barbara Prammers klar. Er würdigte ihre Verdienste um Demokratie und Frauenrechte, mehrfach unterstrich er aber vor allem eine ihrer Eigenschaften: Loyalität.

Dienstag, 12. August 2014

Matthias Strolz im Sommergespräch, oder: die Unbeholfenen und die Naiven.

Matthias Strolz ist ein quirliger Typ, man kennt ihn so. Seine Mama hat ihn vor der Sendung angerufen, das ist nett. Wer telefoniert nicht gern mit seiner Mutter? Der ORF hat diesmal den Peter Resetarits eingeladen, um die Sommergespräche zu moderieren, der macht sonst die Gerichtssendungen. Und tatsächlich läuft das ganze ein bisserl justiziarisch ab: Es werden Zeugen geladen, Beschuldigte befragt, das Urteil überlässt man am Ende dem Publikum.

Zuallererst das Wasser: ein leidiges Thema. Angelika Mlinar hat es NEOS eingebrockt. Man hat sie quasi als strukturelle Altlast vom Liberalen Forum übernommen, den EU-Wahlkampf hat sie der neuen Bewegung ruiniert. Was zuerst das größte Kapital der Rosaroten war, ist da zur Hypothek verkommen. Strolz wirkt trotz oder gerade wegen seiner zur Schau gestellten politischen Naivität noch immer dynamisch und ehrlich, Mlinar erschien am Ende nur noch unbedarft.

Beim Thema Wasser ist sie für NEOS jedenfalls zur Brunnenvergifterin geworden, als sie salopp dessen Privatisierung forderte. In Österreich kann man genauso gut für Atomkraftwerke eintreten. Seitdem tourt Strolz durch das Land, um mit dem Missverständnis aufzuräumen, bzw. es zu konkretisieren. Wien, so der Parteichef, verdiene z.B. mit der Wasserversorgung viel zu viel - in Vorarlberg gibt es 96 Gemeinden erfahren wir nebenbei - und man will die Infrastruktur natürlich nicht privatisieren, das sei sinnlos. Für Resetarits ist das schon genug, er will weiter zum nächsten Thema. Strolz verzettelt sich zwischendurch in seinen ausladenden Erklärungsmustern. Die Zuschauer haben wohl nicht wirklich verstanden, was er will, die, die was vom Thema verstehen am wenigsten. Der Chef der Liberalen, so scheint es, will die Netze – sei es Strom, Wasser oder Schiene – in Einheitshand behalten und für verschiedene Dienstleister öffnen. Allein das ist in der kurzen Zeit kommunikationstechnisch nicht wirklich durchgekommen. Aber was nützt das z.B. im Fall von Wien? Welche Quellen ließen sich von Privaten am Schneeberg noch fassen, um eine Millionenstadt durch ein kapazitätsmäßig limitiertes öffentliches Netz konkurrenzfähig mit Wasser zu versorgen? Wo soll das Wasser möglicher Privatanbieter herkommen? Was beim Strom gut und bei der Bahn bedingt funktionieren kann, stößt beim Wasser schnell an umweltverträglichkeitszuprüfende Grenzen. Aber für solche Debatten ist keine Zeit im engen Regieplan von ORF 2.

Ein Mann, seit längerem Arbeitslos, schildert nun im Interview seine Situation: Er ist 53 und findet keinen Job. Das AMS steckt ihn in Kurse, die nicht nur am Bundeshaushalt, sondern auch an seiner Menschenwürde nagen. Strolz soll eine Antwort auf seine Lebenskrise geben. Man hält dem Klubobmann vor, dass er die Selbständigkeit allzu hoch hält. Natürlich kann nicht jeder selbständig werden, sagt Strolz, das löse die Arbeitslosigkeitsproblematik nicht. Dass er in der Selbständigkeit ein sinnstiftendes Element wirtschaftlicher Unabhängigkeit, ja persönlicher Freiheit sieht, kommt nicht so herüber, für den Bereich, in dem er und seine Partei die größte Glaubwürdigkeit zeigen, ist keine Zeit. Ein Mensch und sein Schicksal sollen in eineinhalb Minuten einer befriedigenden Lösung zugeführt, wenn möglich soll die Beschäftigungspolitik als Ganzes mitrevolutioniert werden. Der betroffene Herr sitzt auch im Publikum, er hat Kellner gelernt sagt Resetarits, danach hat er auch studiert und ist Betriebswirt geworden, sagt der Mann. Das geht irgendwie unter. Er kenne die Situation des Betroffenen nicht, so Strolz, gerade in der Gastronomie würden gerade Leute gesucht. Es klingt, als wäre der Mann selber schuld, auch wenn es so nicht klingen soll. Die Geschichte eines Menschen der sich von der Servierkraft zum Akademiker hochgearbeitet hat und nun trotzdem ohne Beschäftigung dasteht, geht unter. Die Erklärungen dauern zu lange, man muss weiter zum nächsten Thema.

Fernsehstaatsanwalt Resetarits möchte den Klubobmann der kleinsten Parlamentspartei auf Reichensteuern festnageln, doch es gelingt ihm nicht. Die Kurzdebatte hinterlässt von beiden Protagonisten eine negative Impression: Der Interviewer wirkt, als wolle er einen Delinquenten nach allen Regeln der Strafprozessordnung zum Geständnis zwingen, der Beschuldigte wiederum macht den Eindruck, als wäre er schon so weit ins Politgewerbe abgesackt, dass er tatsächlich auf eine Ja-nein-Frage nicht mehr mit ja oder nein antworten kann. Strolz will zuerst reformieren und dann über die Steuern reden. In diesem Augenblick wirkt er, als wäre er der Generalsekretär der ÖVP und nicht ihr schärfster Konkurrent. Seine Partei habe als erste kritisiert, dass es Pensionsmillionäre gebe, so nennt er Rentner mit hoher Altersversorgung. Diese Ruhestandsbezüge habe man schließlich gekürzt, sagt er. Dass seine Bewegung hier einer Einkommenskürzung, so gerechtfertigt sie sein mag, zugestimmt hat, aber die Einführung von Vermögenssteuern an Bedingungen knüpft, bleibt, wie so vieles, auf der argumentativen Strecke.

Als nächstes steht der Wohnungsmarkt auf dem Programm: Eine Vermittlerin aus der Tiroler Landeshauptstadt erzählt von der Miesere ihrer Klienten: Kaum jemand findet eine bezahlbare Bleibe, sozialer Wohnbau ist im jahrzehntelang von der ÖVP und ihren Ablegern regierten Innsbruck praktisch inexistent. Ein Problem seien auch Anlagewohnungen, meint sie. Strolz stellt eine Divergenz zwischen Angebot und Nachfrage fest, der Staat müsse eben den Bau forcieren, dazu könne man auch Bestandssozialwohnungen verkaufen. Vom Sozialbau en gros hält er nichts und verweist auf die Pariser Vorstädte, es ist sein argumentativ schwächster Punkt des Abends. Dass ein erhöhtes Angebot von Privatseite noch lange keine niedrigeren Mieten bedeutet, zeigen diverse Immobilienblasen, nicht zuletzt die aktuelle in China, bei der zehntausende Wohnungen, die als Anlage gekauft wurden, leer stehen, weil potentielle Mieter den erwarteten Zins nicht zahlen können. Mit dem Verkauf von Gemeindewohnungen, oft vor Jahrzehnten angeschafft und mittlerweile in bester Lage, könnte zwar der Neubau angekurbelt werden, aber dieser fände zwangsläufig am Stadtrand statt, wo auch die von Strolz kritisierten Banlieues stehen. Ein Sozialneubau auf Bestandskosten würde so zu einer Prekariatsverdichtung in den Vorstädten führen.

Dass die Befreiung vom staatlichen Tugendterror mitunter in einer neuen Knechtschaft enden könnte, passt nicht in das libertäre Weltbild von Matthias Strolz und NEOS. Der Mensch soll eigenverantwortlich sein Bestes geben, die zwei bis drei anderen, die nach dem Einreißen aller Bildungsbarrieren maximal überbleiben dürften, kann man mit einem Sozialstaat light mitschleifen. In der Welt von Matthias Strolz nützt die Wirtschaft eine Aliquotierung des 13. und 14. Monatsgehaltes nicht für weitere Lohnkürzungen durch die Hintertür. In dieser Welt ist es auch nur eine Nebensache, dass diese Zusatzgehälter gar nicht gesetzlich, sondern kollektivvertraglich geregelt sind und eine zwangsmäßige Umverteilung einen Eingriff in die, auch von der Wirtschaft sehr geschätzte, Kollektivvertragsfreiheit bedeuten würde. Hier findet auch ein 53jähriger einen Job, wenn er nur fest an sich selber glaubt und muss nicht den vom Arbeitgeber angebotenen Strohhalm Hacklerpension annehmen. Von Zuverdienstgrenzen befreite Pensionisten können außerdem halbtags nebenher in Gasthäusern aushelfen. Dadurch werden ganz bestimmt nicht weitere Ganztagsstellen in Halbtagsposten umgewandelt und weitere Arbeitsplätze für jene vernichtet, die auf 40-Stungen-Jobs angewiesen wären. Für Strolz und die NEOS regeln sich die Dinge schon, wenn man sie ein bisschen dereguliert. Man glaubt an die Selbstmanagementqualitäten jedes Einzelnen und die Vernunft des freien Kollektivs, komme was wolle.

Viele Menchen in Österreich sind aber auf den Staat angewiesen. Manche die an seinen Rockschößen hängen, da hat Strolz recht, könnten es vielleicht alleine schaffen. Aber der Staat bewertet nur selten Einzelschicksale, er entwirft und schmiedet große Pläne, die auf alle oder zumindest sehr viele zutreffen. Schwache schauen da leicht durch die Finger, wenn das Netz zu weit gewebt ist. Manch einer, der könnte, aber nicht will, wird dafür gehätschelt. Das ist der ungerechte Preis für eine soziale Gesellschaft. Gerade dort wo die Republik dem Anspruch, große Zusammenhänge einheitlich zu bewerten, nicht nachkommt, herrscht jedoch das Chaos. Das Mietrecht ist hierfür nur ein Beispiel: Ein vom Errichtungszeitpunkt des Mietobjekts abhängiger und durch Richterrecht zerfleischter Komplex, in dem sich nur wenige Experten auskennen. Dass die JUNOS, die NEOS-Jugendorganisation, ein jederzeitiges Kündigungsrecht für Vermieter verlangt, dürfte da nur wenig Besserung versprechen.

Gerade für die Schwächsten wären solche Rücknahmen staatlicher Eingriffsmöglichkeiten ein Schlag ins Gesicht. Keine Motivationskampagne kann Obdachlosigkeit weglächeln. Die Menschen sind eben nicht alle gleich, nur gleichwertig. Auch die Verlesung des ersten Artikels der Menschenrechtskonvention im ORF-Studio ändert daran nichts. Nicht alle, die in einer Sozialwohnung leben, können es sich leisten diese zu kaufen. Man darf sich auch die Frage stellen, warum sie in einer solchen lebten, wenn sie es sich leisten könnten. Und manch ein Langzeitarbeitsloser sieht für sich keine andere Möglichkeit, als in die Frühpension zu flüchten, die ihm die Sozialdemokraten aus falsch verstandener Solidarität offen gehalten haben. Viele Menschen brauchen, nicht nur aus Bequemlichkeit die Hand des Staates, die sich ihnen helfend hinstreckt. Die für Strolz und seine Bewegung grundlegende Annahme, dass die tief verwurzelte Lebensunbeholfenheit und Hilfsbedürftigkeit aus unverschuldeten Gründen in weiten Teilen der Bevölkerung durch ein bisschen NLP und Personalmanagementmethoden kuriert werden könnten, macht NEOS zwar irgendwie sympathisch, bleibt aber am Ende vor allem eines: naiv.

Freitag, 6. Juni 2014

Mittwoch - Schottentor, oder: Die Polizei muss schuld sein

Ich bin kein Demonstrationsgänger, die Leute die da so auftauchen sind mir manchmal fast genau so unangenehm wie die, gegen die demonstriert wird. Ich habe eine grundsätzliche Verachtung für Faschisten, Deutschnationale und Nationalsozialisten, aber ich beschränke mich darauf sie zu zeigen, wenn sie mir über den Weg laufen. Das Risiko, dass bei einer Demo plötzlich neben mir jemand seine private Weltrevolution ausrufen möchte und ich ihn augenscheinlich mit meiner Anwesenheit unterstütze, ist mir einfach zu groß und den schwarzen Block mag ich auch nicht so.

Am Mittwoch bin ich also nur ganz zufällig in den Tumult geraten. Eigentlich wollte ich vom Schottentor mit der Straßenbahn weiter, aber der Ring war von den Demonstranten noch blockiert, also doch U-Bahn. An mir geht eine Gruppe mit roten und türkischen Nationalfahnen vorbei zur U 2. Alles ist ruhig, bis von oben ein Trupp Polizisten gerannt kommt. Als ich sie einige Sekunden später auf der Rolltreppe einhole, ist auf dem Bahnsteig schon die Hölle los. Ein Mann, der offenbar verhaftet werden soll, wehrt sich dagegen mit Händen und Füßen. Er windet sich und schlägt umher. Zu seiner ursprünglichen Gruppe stoßen schnell weitere Demonstranten dazu, ich bin mir nicht sicher, ob sie sich überhaupt kennen. Jedenfalls beginnen sofort die Sprechchöre: „Lasst ihn frei! Lasst ihn frei!“ Es klirrt und scheppert, Fahnenstangen fallen auf den Boden. Plötzlich tauchen von irgendwo her einige Jugendliche auf. Sie sehen nicht wie Demonstranten aus und scheinen auch nicht zur Gruppe zu gehören. Einer beschimpft die Polizisten, während ein Mädchen versucht ihn zurückzuhalten. Sie redet auf Türkisch auf ihn ein, er schreit auf Deutsch weiter. Sie versucht ihn in die eben einfahrende U-Bahn Richtung Seestadt zu schieben, er widersetzt sich. Jetzt skandieren die Demonstranten „Wiener Polizisten beschützen die Faschisten!“ Rechte Gegendemonstranten sind bislang nicht aufgetaucht. Die Polizei versucht den Festgenommenen mit dem Lift nach oben zu bringen, was scheitert. Daher ziehen sich die Beamten in Richtung des Ausgangs Hohenstaufengasse zurück. Auf dem Perron wird es langsam eng. Eine Demonstrantin stellt eine Gösserdose direkt auf der Bahnsteigkante ab, ein us-amerikanischer Tourist erkundigt sich, was eigentlich los sei. Einige Leute suchen bereits das Weite. Irgendwo schreit jemand „Tötet die Faschisten!“

Endlich fährt die U-Bahn ein, mir ist die ganze Geschichte schon unangenehm. Momentan kann man noch nichts herauslesen: Warum hat die Polizei die eigentlich friedliche Gruppe aufgehalten? Wer hat zuerst zugeschlagen? Wissen eigentlich alle die da schreien, worum es geht? Jetzt will ich nur noch weg, aber die U-Bahn fährt nicht. Der Schaffner bittet die Türen frei zu machen, nichts rührt sich. Hinten, Richtung Hohenstaufengasse, spielt es sich ab. Man hört Schreie und empörte Rufe. Plötzlich laufen die Jugendlichen von vorhin durch den Zug, dicht gefolgt von einem Polizisten. Den Letzten von ihnen erwischt er und zieht ihn hinaus. Sofort scharen sich Demonstranten um ihn. Eine schreit „Er hat nichts gemacht!“ Vom Ausgang Universitätsring kommt Verstärkung für die Polizei, die jetzt den ersten Verhafteten über die Mitteltreppe nach oben abführt. Von hinten ruft eine „Hurenpolizisten!“ Ein blonder junger Mann schlägt wütend gegen die Scheibe der Treppe, zeigt seinen Mittelfinger und ruft „Fuck you!“ Eine junge Frau vergisst sich scheinbar völlig. Ohne sie zu sehen, höre ich sie aus der U-Bahn. Hysterisch schreit sie um sich „Ihr Schweine!“ Endlich fährt die Garnitur an, mich und mein mulmiges Bauchgefühl nimmt sie mit.

In der ZiB 2 sieht man am Abend den Mann, der zuerst verhaftet wurde, mit blutigem Gesicht. Die Verhaftung habe nichts mit der Demonstration zu tun gehabt, heißt es. Hat ihn die Polizei so zugerichtet? Aber die ganze Situation wurde gefilmt, von Anfang an. Als ich auf den Bahnsteig gekommen bin, war der ORF schon dort und ein halbes Duzend Demonstranten hielt die Handys in die Höhe. Wie hätte da einer unbemerkt so zuschlagen können? Am nächsten Tag höre ich, dass ein Polizist den Mann erkannt hat. Er soll bei einer früheren Demonstration eine Beamtin schwer verletzt haben. Sie musste am Arm geschient werden. In der U-Bahnstation verweigerte der Verdächtige die Aufnahme seiner Daten. Bei der Amtshandlung verletzt er sich. Jemand hält dem ORF sein Handy hin. Auf dem Video sieht man, wie der Mann auf einen Polizisten eintritt, der umgefallen ist und am Boden liegt. Mit Antifaschismus hat das wenig zu tun. Ich frage mich, wie wohl die Umstehenden reagiert hätten, wenn der Mann irgendeine Frau, keine Polizistin, verletzt hätte und deshalb verhaftet worden wäre. Dann wäre er wohl nur ein brutaler Schläger. Vielleicht würden manche es so aber „Widerstand gegen die staatlichen Suppressionsbehörden“ nennen. Andere würden vielleicht vorher nachfragen, für wen sie da eigentlich Parolen skandieren. Ein Demonstrant sagt dem ORF, das ganze Geschehen habe Frauen mit Kindern in die Flucht getrieben, der Vorwurf richtet sich wohl an die Exekutive. Offenbar muss sie irgendwie schuld sein, die Polizei. Ich weiß wieder, warum ich nicht auf Demos gehe: Blinde Solidarität ist nicht das Meine.

Donnerstag, 29. Mai 2014

Der Streit um Juncker, oder: Der Kampf der Institutionen

Nach der Europawahl bahnt sich zwischen Parlament und Europäischem Rat ein Machtkampf um die Person des Kommissionspräsidenten an. Der Ausgang des Kräftemessens hängt maßgeblich von den Überlegungen des konservativen Spitzenkandidaten Jean Claude Juncker ab und wird entscheidend für die demokratische Glaubwürdigkeit der Union sein.

Margret Thatchers Position war klar: Das Europäische Parlament als Abgeordnetenkammer, den Rat als Senat und die Kommission als Regierung zu sehen, wäre völlig inakzeptabel. „No, no, no!“ verkündete sie am 30. Oktober 1990 vor den Commons im Londoner Unterhaus. Anders als Labour wolle sie auch nichts von einer gemeinsamen Währung wissen.
24 Jahre und etliche Vertragsänderungen später hat der britische Skeptizismus gegen Brüssel unter Thatchers Erben David Cameron kaum abgenommen. Durch den Erfolg der United Kingdom Independence Party (UKIP) bei der Europawahl steht der ohnehin nicht gerade proeuropäische Premier noch zusätzlich unter dem Druck, Souveränitätsrechte zurück nach Westminster zu holen. Eine Zuspitzung des britischen Eurokritizismus hin zur Blockadepolitik scheint absehbar. Das erste Opfer dieser Entwicklung könnte nun der Spitzenkandidat der bei der vergangenen Wahl siegreichen Europäischen Volkspartei (EVP), Jean Claude Juncker werden. Cameron lehnt seine Nominierung als Präsident der Kommission ab. Dabei dürfte es nicht nur um die Person des ehemaligen luxemburgischen Premiers, der als ausgesprochener Proeuropäer gilt, gehen. Die Vorstellung, dass der Kommissionsvorsitzende aus einer europaweiten Wahl hervorgehen könnte, stößt vielen Europaskeptikern, von denen etliche jahrelang selbst das Demokratiedefizit der Union gebetsmühlenartig beklagt haben, sauer auf.

Die institutionellen Bruchlinien im EU-Vertragswerk komplizieren die Bildung einer neuen Kommission unter diesen Umständen zusätzlich. Durch den Vertrag von Lissabon hat sich die EU weiter vom Präsidentialismus hin zum Parlamentarismus entwickelt. Der mit einem kollektiven Staatsoberhaupt vergleichbare Europäische Rat schlägt dem Parlament den Kommissionspräsidenten zur Wahl vor und hat dabei das Ergebnis der vorangegangenen Europawahl zu berücksichtigen. Art. 17 EUV sieht dafür zwar nur eine qualifizierte Mehrheit vor, einstimmige Entscheidungen haben im Gremium der Staats- und Regierungschefs jedoch eine lange Tradition. Zudem ist der britische Premier nicht der einzige, der Juncker skeptisch gegenüber steht. Auch der ungarische Ministerpräsident Orban lehnt den als Europaföderalisten verschrienen Luxemburger ab. Camerons Versuch, eine Sperrminorität im Europäischen Rat zustande zu bringen, dürfte bislang zwar gescheitert sein, dennoch zögern die übrigen Staats- und Regierungschefs einen Kommissionspräsidenten per Kampfabstimmung ins Amt zu bringen. Zu groß könnte das Zerwürfnis zwischen diesem und den Regierungen sein, die ihn ablehnen. Zudem könnte im Vereinigten Königreich die Bestellung einer Kommission Juncker den EU-Austrittskräften zusätzlichen Aufwind verleihen.

Auf der anderen Seite steht mit dem Europäischen Parlament ein mit den Jahren immer selbstbewusster gewordener Machtfaktor. Selbst die Sozialdemokraten, die mit Martin Schulz einen eigenen Kandidaten aufgestellt hatten, wollen einen Alleingang der Staats- und Regierungschefs in Sachen Kommissionspräsident nicht akzeptieren. Die scheidenden Fraktionschefs haben Juncker daher mit der Sondierung einer Mehrheit im Parlament beauftragt. Dieser Regierungsbildungsauftrag ist in den Verträgen nirgendwo vorgesehen und zeigt den Willen der Europaabgeordneten ihren Kandidaten unter allen Umständen durchzubringen. Das Scheitern eines Gegenvorschlages an ihrem Veto scheint gegenwärtig gewiss, was die Gefahr mit sich bringt, dass Europäischer Rat und Parlament sich bei der Ernennung der Kommission auf Dauer gegenseitig obstruieren.

In dieser Situation hängt vieles von den Entscheidungen Jean Claude Junckers selbst ab. Stützt er sich auf die breite Unterstützung im Parlament und besteht auf seiner Nominierung durch den Rat, riskiert er entweder die gegenseitige Blockade der EU-Institutionen oder eine Amtszeit mit vorprogrammierter Fundamentalopposition einiger Mitgliedsstaaten. Als Ausweg böte sich die Nominierung Junckers als nächster Ratspräsident an, die im November erfolgen könnte. Dadurch würde er einerseits sein Gesicht wahren und gleichzeitig den Weg für einen Kompromisskandidaten öffnen. Der große Nachteil einer solchen Lösung wäre allerdings offenkundig: Die Kür der Spitzenkandidaten für die Europawahl verkäme nachträglich zur Farce und der demokratiepolitischen Glaubwürdigkeit der EU-Institutionen würde ein kaum gutzumachender Schaden zugefügt.

Donnerstag, 8. Mai 2014

Das Ende der Bürgerlichkeit, oder: wie die ÖVP aus der Zeit fällt

Dass in einer Partei wie der ÖVP sogar jemand wie Karas Oberwasser hat, ist kein Zufall. Die ehemals Christlichsozialen stecken in einer schweren Krise: Ihre Wähler sind so hoffnungslos überaltert wie ihre Werte, der Wirtschaftsbund hat es satt, dass die konservativen Parteieliten seine Bildungspläne torpedieren, aus der Tiroler AK lässt man Parteichef Spindelegger ausrichten eine Steuerreform werde dringender benötig als er und der liberale Flügel hat sich längst den NEOS zugewandt. Die Volkspartei zerbröselt unter den Händen ihrer derzeitigen Führung.

Othmar Karas blickt mit einem wenig überzeugenden Lächeln von den Plakaten, er spricht ernste Themen an, ist nie populistisch. Man könnte sagen Karas ist seriös, in der österreichischen Politik ist das ein Synonym für sterbensfad. Jedenfalls ist der Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Schwiegersohn von Kurt Waldheim kein Charismatiker. Trotzdem hat ihn die ÖVP nötig, und wie. Beim letzten Wahlkampf von ihr noch als Spitzenkandidat abgesägt ist er jetzt wieder der Mann der Stunde. Einerseits hat er mit seinem Vorzugsstimmenwahlkampf 2009 dafür gesorgt, dass die Partei den ersten Platz belegen konnte, andererseits könnte sogar die graueste Maus in Brüssel im Vergleich mit Ex-Kollegen aus der ÖVP-Delegation wie Strasser  und Ranner als leuchtendes Gegenbeispiel auftreten. Trotzdem: Der EU-Wahlkampf ist ein politischer Nebenschauplatz, Karas einer aus der dritten Reihe. Warum lässt es ihm die Partei also durchgehen, dass er unter seinem Konterfei ihr Logo nicht sehen will? Stattdessen sind dort bunte Striche zu sehen, daneben steht OK. Die wenigsten Wähler dürften wissen, dass das die Initialen des Mannes sind, dessen Gesicht darüber zu sehen ist. Dennoch ist der Volkspartei nichts anderes übrig geblieben, als Karas Distanzierung zu ertragen. Er hat ihr verhohlen gedroht alleine anzutreten, wenn sie seine Bedingungen nicht akzeptiert. 2016 möchte er in die Hofburg raunen sogar einige.

Während er mit bunten Farben Wahlkampf macht, bleibt das Weltbild der ÖVP eher grau. Das Gymnasium ist für sie immer noch eine Elitenveranstaltung, homosexuelle Paare müssen sich gegen Erwin Prölls Statthalterin im Innenministerium vor dem Verfassungsgerichtshof Bindestriche im Namen erkämpfen und Vermögenssteuern sind für die Volkspartei so tabu wie Adoptionsrechte für Schwule. Aber selbst das schwarze Herz Österreichs, der politische Katholizismus, mit dem sich die ÖVP jahrzehntelang identifiziert hat, ist nicht mehr unumkämpft. Am rechten Rand fischt Ewald Stadler um ultramontanistische Stimmen und schätzt das christlich-konservative Wählersegment bei etwa 6% ein. Das entspräche jenem der Deutschnationalen und ist vermutlich immer noch übertrieben. Links der Volkspartei lauern nun nicht mehr nur die Grünen, die schon bisher die bürgerlichen städtischen Eliten abgegrast haben, sonder auch die NEOS.

Die rosaroten Liberalen haben sich mittlerweile zum Sukkubus der ÖVP entwickelt. Deren anfängliche Nervosität hat sich zu einer veritablen Panik entwickelt. Schwarze Funktionäre im CV wollen den NEOS die Mitgliedschaft in Cartellverbandsverbindungen untersagen, Familien die mit rosaroten Ballons zu Maibaumfeiern kommen werden des Platzes verwiesen und auf Interviewaussagen wird mit Gräuelpropaganda reagiert. Aus einer langfristigen Europaperspektive für die Russische Föderation wird so die Behauptung, die NEOS wollten Putin in der EU haben. Außerdem, so die Volkspartei, sei die liberale Konkurrenz für ein Recht auf Abtreibung bis zum letzten Schwangerschaftstag und wolle Doping legalisieren.

Die peinlichen Ausfälle mit denen man sich gegen die jung und modern wirkende Konkurrenz zu wehren versucht beweist dabei nur eines: Die ÖVP ist hoffnungslos aus der Zeit gefallen. Ihr Wertekonservativismus ist schon lange nicht mehr Wahlkampftauglich, eine Abschaffung der Fristenlösung etwa würde man nie zu fordern wagen. Nur in Niederösterreich werden noch Beamte strafversetzt, wenn sie die Trennung von Staat und Kirche zu scharf exekutieren. Der Weg in die Mitte, der der Volkspartei so lange offenstand, ist indes mit einem rosaroten Riegel versperrt. Auch insgesamt hat keine Partei mittlerweile so starke inhaltliche Konkurrenz. Die FPÖ und mitunter auch die REKOS nagen am rechten, Grüne und NEOS am linken Rand. In der Mitte bleiben der Volkspartei nur noch die Bauern und die Reiffeisenbank als Kernwählerschicht über. Sie hat schliechtweg keine Angebote mehr zu machen, die andernorts nicht schärfer, besser und moderner formuliert würden, außer Parolen zu Vermögensschutz und Agrarsubventionen. Die ÖVP hat nun noch zwei große Hoffnungen: schwere Fehler der politischen Gegner und Sebastian Kurz. Aber selbst der beliebte junge Außenminister wird den Niedergang der Schwarzen womöglich nicht mehr aufhalten können, wenn man ihm die Konkursmasse der Partei zu spät überantwortet. Ein Zeitpunkt hierfür könnte nach der Europawahl kommen. Auch wenn es wie immer heftig dementiert wird, steht die ÖVP dann vermutlich einem alten Freund gegenüber: der Obmanndebatte.

Freitag, 28. Februar 2014

Krieg um die Krim, oder: Ein Konflikt mit recht sicherem Ausgang

Russland steht kurz davor auf der Krim ein stabiles de-facto-Regime einzurichten oder die ukrainische Halbinsel gar seinem eigenen Territorium einzuverleiben. Milizionäre sichern die Verkehrswege, russische Soldaten sind angeblich bereits einmarschiert. Steht Europa nun ein Krieg bevor und wer wird ihn gewinnen?

Russland besetzt unter dem Vorwand der Friedenssicherung ein Gebiet, dessen Mehrheitsbevölkerung ihm positiv gestimmt ist, und schafft so politische Tatsachen. Dieses Schema hat bereits in Abchasien und Südossetien funktioniert. Nach ähnlichem Muster stehen nach wie vor russische Soldaten in der abtrünnigen moldawischen Provinz Transnistrien. Die lokale Bevölkerung wolle das so, man schütze den Frieden vor einem instabilen Regime, Erklärung abgeschlossen. Russland will ein weiteres Näherrücken von NATO und EU in seinen Einflussbereich nicht zulassen. Georgien will in die NATO? Georgien verliert Gebiete. Moldawien will in die EU? Russland schürt die Minderheitenkonflikte im Land. Der Ukraine steht nun Ähnliches bevor. Fraglich ist nur, ob das Land sich gegen die Verletzung seiner territorialen Integrität durch den militärisch zigfach überlegenen Nachbarn auch mit Waffengewalt wehren wird.

Die mittlerweile in Kiew regierende ehemalige Opposition hat Präsident Viktor Janukowitsch abgesetzt und zwar zweifelsohne verfassungswidrig. Wenn führende Politiker der Bewegung nun die Auflösung des Verfassungsgerichtes fordern, ist das kein weltfremdes Verhalten, wie etwa der ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz in Kiew vermutete, sondern zielt darauf ab, die juristische Überprüfung von Janukowitschs Sturz zu verhindert. Das Gericht hatte bereits die oppositionsfreundliche Verfassungsänderung von 2004 gekippt. Eigentlich hätte die Rada, das Parlament, für die Absetzung des Staatspräsidenten ein Untersuchungsgremium einsetzen und dann nach Anhörung des Verfassungsgerichts mit 3/4-Mehrheit die Amtsenthebung beschließen müssen. Nichts davon ist geschehen, sogar auf das erforderliche Quorum fehlten letztendlich zehn Stimmen. Auf Basis der derzeitigen Verfassung war Janukowitschs Absetzung, so brutal und korrupt er auch gewesen sein mag, illegal. Die derzeitige Rechtslage in der Ukraine ist also revolutionär, was Russland die Gelegenheit gibt, sich mit dem abgesetzten aber legalen Regime zu solidarisieren. Ziel ist allerdings nicht die Wiederherstellung verfassungsrechtlich geordneter Verhältnisse im Nachbarland, sondern die Wahrung des russischen Einflusses vor der eigenen Haustür. In Georgien störte sich Moskau jedenfalls nicht daran zwei abtrünnige Provinzen im Alleingang als selbständige Staaten anzuerkennen, ein Vorgehen, das es im Fall des Kosovo bis heute vehement kritisiert. In all diesen Fällen gilt: Recht ist, was Moskau recht ist.

Ob Kiew sich gegen die - mittlerweile offenbar militärische - Offensive des großen Nachbarn zur Wehr setzten kann und will ist allerdings fraglich. Selbst wenn die neue Regierung fest genug im Sattel sitzt, um die Kontrolle über alle Teile der Streitkräfte auszuüben, darf deren Einsatzfähigkeit bezweifelt werden. Während die russische Schwarzmeerflotte von ihrem exterritorialen Stützpunkt auf der Krim aus regelmäßig Ausflüge unternimmt, liegt ihre ukrainische Schwester meist nur vor Anker und wird gewartet. Der Ukraine fehlt das Geld für den Schiffsdiesel, um ihre Schiffe auslaufen zu lassen. Um die anderen Teilstreitkräfte dürfte es kaum besser bestellt sein. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, gegen die russische Militärmaschinerie bliebe der ukrainischen Armee und Luftwaffe letztlich nicht der Hauch einer Chance. Auf europäische Unterstützung kann das Land ebenfalls kaum setzen. Weder die NATO noch die EU kann Truppen in einen militärischen Konflikt mit Russland schicken. Selbst die Lieferung von Material könnte zu Konsequenzen führen, die angesichts des nuklearen Potentials der Streitparteien in West und Ost nicht einmal angedacht werden sollten.

Was auch immer Russland mit der Krim vor hat und wie auch immer die Ukraine darauf reagiert, das Ergebnis dürfte bereits feststehen: Russland gewinnt.

Freitag, 7. Februar 2014

Brauchen die Länder mehr Steuerhoheit? oder: Gibt man ihnen den kleinen Finger?

Erst kürzlich haben mehrere Landeshauptmänner, wie einzelne von ihnen bereits zuvor, doch diesmal in seltener Einigkeit, die Steuerhoheit für die Länder gefordert. Die Vorschläge dazu sind schon lange ausgearbeitet, aber bislang schubladisert. Der Finanzminister scheint mit der Länderposition durchaus zu sympathisieren, zumal er hoffen dürfte, dass er damit seinen Allerwertesten aus dem Fleischwolf der ÖVP-Westachse retten kann. Selbst der Wiener Bürgermeister findet die Idee nicht grundsätzlich schlecht. Aber kann man den Ländern soviel finanzielle Macht einfach in die Hand drücken?

Was die Wenigsten wissen dürften: die Länder besitzen in Österreich bereits eine gewisse Steuerhoheit. Tatsächlich kommt ihnen nach dem geltenden Finanz-Verfassungsgesetz 1948 (F-VG), oder besser nach der Auslegung desselbigen durch den Verfassungsgerichtshof, ein Steuererfindungsrecht zu. Dieses ist theoretisch sogar sehr weitreichend: In seinem Erkenntnis VfSlg 3742/1960 hielt der VfGH fest, dass die Länder grundsätzlich über Steuerhoheit verfügten und diese nur durch entgegenstehende Bundesgesetze beschnitten werden könne. Nur in Österreich ist das mit der Grundsätzlichkeit so eine Sache. Grundsätzlich sind die Länder laut Verfassung ja auch für die gesamte Gesetzgebung zuständig, außer sie ist dem Bund übertragen. Und wie in der Kompetenzverteilung des Bundes-Verfassungsgesetzes, hölen auch in Sachen Steuerhoheit die Ausnahmen die Grundregel aus. Die Länder verfügen in etwa über so viel Steuerfreiheit wie die palästinenstische Autonomiebehörde. Das Ganze gestaltete sich schon früher so armselig aus, dass der VfGH sogar feststellen musste, dass es dem Land Niederösterreich auf Grundlage seines Getränke- und Speiseeissteuergesetzes 1973 gestattet sei Abgaben auf den Verpackungskostenanteil von Getränken einzuheben. Aber selbst die eigentliche Getränkesteuer wurde mittlerweile vom EuGH dahingefegt. Außer der Vergnügungssteuer blieb den Ländern nicht viel über. Ihr Steuererfindungsrecht war seitdem höchstens noch für politischen Druck - etwa als der niederösterreichische Landtag die Besteuerung von Handymasten beschloss und so deren Dezimierung erreichte - oder als humoristisches Element - wie damals als Harald Dobernig in Kärnten legale wie illegale Prostitution besteuern wollte - zu gebrauchen. Entsprechend schmal sind die Einnahmen aus diesen Direktquellen. Das Land Vorarlberg etwa lukrierte 2012 gerade einmal 9,8 Millionen Euro aus eigenen Steuern, bei einem Gesamtertrag von mehr als 1,3 Milliarden Euro.

Die Länder müssen aber trotzdem nicht Not leiden, denn der Bund versorgt sie über den Finanzausgleich wie eine nährende Mutter, die ihre Kinder auch im 94. Lebensjahr noch nicht aus dem Haus geworfen hat. Über den Finanzausgleich erhalten sie, in der Regel alle vier Jahre angepasst, was sie zum Leben brauchen. Auch hier offenbart sich wieder die Vielschichtigkeit des politischen Systems in Österreich: Eigentlich handelt es sich beim Finanzausgleich um ein Bundesgesetz. Gemäß § 3 Abs. 1 F-VG regelt die „Bundesgesetzgebung ... die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge zwischen dem Bund und den Ländern (Gemeinden) und kann außerdem diesen Gebietskörperschaften aus allgemeinen Bundesmitteln Finanzzuweisungen für ihren Verwaltungsaufwand überhaupt und Zuschüsse für bestimmte Zwecke gewähren“. In Wirklichkeit marschieren die Vertreter der Länder, des Städte- und des Gemeindebundes alle Jahre wieder nach Wien um dem Finanzminister ihre Forderungen zu unterbreiten. In den Medien heißt es dann, der Finanzausgleich werde „neu verhandelt“, auch wenn eine solche Verhandlung nirgends vorgesehen ist. Tatsächlich könnte die Regierungsmehrheit im Nationalrat das Gesetz ohne irgend ein föderalistisches Zutun durchbringen, in Wirklich lässt sie sich jedoch mit Regelmäßigkeit von den Parteikollegen in den Ländern erpressen. Der Beschluss eines Finanzausgleichs ohne informellen Sanktus der Landeshäuptlinge käme einem politischen Erdbeben gleich. Längst hat sich das Konstrukt zu einer Art informeller 15a-Vereinbarung, einem Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern, entwickelt.

Das System des umfassenden Finanzausgleiches, bei dem der Bund das absolute Gros des Steueraufkommens einnimmt und an die anderen Gebietskörperschaften verteilt, gebiert in seiner Detailliertheit dabei so manches Kuriosum. So überweist der Bund dem Land Vorarlberg 39,97 Millionen Euro in acht Halbjahresraten, weil er gemäß § 9 Abs. 7 Z 5 lit. a sublit. ae Finanzausgleichsgesetz die Umfahrung Feldkirch-Süd mit Mitteln aus der Umsatzsteuer kofinanzieren muss. Auch sonst kennt die Genauigkeit des Finanzausgleiches kaum Grenzen: Das Burgenland erhält 3,156 % aus der Feuerschutzsteuer (§ 18 Abs. 2 FAG), damit ihr Haushalt im Gleichgewicht bleibt, bekam unter anderem die Steiermark 2010 1.590.523 Euro extra und Innsbruck bekommt zusätzlich 8,7% von dem was nach der Verteilung von 16,5 Millionen Euro Nahverkehrsförderung jährlich (und 0,034 % des Nettoaufkommens an den Abgaben mit einheitlichem Schlüssel) auf die anderen Gemeinden übrigbleibt für den Betrieb seiner Straßenbahn- und Omnibuslinien (§ 20 Abs. 2 Z 2).

Durch die derzeitige Situation sind die Länder kaum benachteiligt. Die Tatsache, dass seit 1945 immer eine Partei in der Regierung vertreten war, die zumindest drei Landeshauptleute stellte, macht den Bund erpressbar. Den Ländern und Gemeinden tat deshalb etwa die Abschaffung der Getränkesteuer nur halb weh. Der Bund ließ sich überzeugen ihnen den Verlust zu ersetzen. Das Wort Getränkesteuerausgleich kommt im Finanzausgleichsgesetz 2008 gleich acht mal vor. Gleichzeitig treten die Länder den Bürgern gegenüber nicht als diejenigen auf, die ihnen das Geld wegnehmen, sondern, als diejenigen, die es verteilen. Ein Landeshauptmann, der persönlich Geld an Bedürftige austeilt, ist auch ungleich sympathischer als einer, der eine Steuererhörung zu verkünden hat. Die Länder schwimmen finanziell wie Öl auf der Suppe. Das Konjunkturrisiko tragen sie nur mit, wo ihnen laut Finanzausgleich fixe Prozentanteile an Bundessteuern zustehen.

Warum wollen die Landeshauptmänner nun die Steuerhoheit? Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zum Einen wird immer wieder die Sinnhaftigkeit der derzeitigen Form des Blutegelföderalismus infrage gestellt, bei dem der Bund als Wirt herhalten muss, zum Anderen stehen die Länder existenziell mit dem Rücken zur Wand. Sie sind gesetzgeberisch gerade noch für Volkstanzwesen, Campingplätze und Jugendschutz zuständig, ihre Hauptaufgabe liegt in der leihweisen Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben, die eigentlich der Bund selbst erledigen könnte (mittelbare Bundesverwaltung). Als Ertrinkender klammert man sich an jedes Stück Holz, das vorübertreibt. Für die Länder ist die Steuerhoheit ein solches. Wer sich selbst versorgen kann, muss sich von anderen nicht anhören, das Geld des Bundes zu verschleudern.

Den Ländern die Steuerhoheit zu geben kann durchaus zweckmäßig sein. Vor allem könnten die Finanzämter in den Aufgabenbereich der Landesverwaltungen übertragen werden. Es ist kaum verständlich, warum der Bund sich hier eine derart umfangreiche Behördenstruktur leistet ohne sie wie sonst üblich an die Länder auszulagern. Wird diesen mit der Steuerhoheit dann nur das Recht gegeben selbst Steuern einzuheben, handelt es sich um eine bloße Übertragung von Verwaltungskompetenzen. Wenn die Länder dann nur tun, was der Bund schon bisher gemacht hat, bleibt der Neuerungsfaktor begrenzt. Je nach dem wie stark die Steuergewichtung auf die Länderebene verlagert wird, könnte sich höchstens der Finanzausgleich umdrehen. Wenn der Bund auf die Finanzierung durch die Länder angewiesen wäre, verschöbe sich entsprechend auch das Machtgewicht weiter. Schon allein deshalb ist anzunehmen, dass der Gesamtstaat den Gliedstaaten nur Steuerkompetenzen geben wird, mit denen sie ihren eigenen Finanzaufwand teilweise bedecken können. Den Rest wird er ihnen wohl nach dem Motto „divide et impera“ nach wie vor über einen wie auch immer gearteten Ausgleichsschlüssel zukommen lassen. Für eine sinnvolle Steuerautonomie müssten die Länder jedoch ein umfassenderes Steuererfindungsrecht erhalten, das auch eine gewisse Steuerkonkurrenz mit sich brächte. In wie weit das gut oder schlecht ist, lässt sich am Beispiel der Schweiz ablesen, wo sich die Kantone einen stärkeren Steuerwettbewerb liefern, als er unter EU-Staaten zulässig wäre. Wenn einige Länder es sich leisten können Steuern zu senken, um Betriebe aus Nachbarländern anzulocken, deren angespannte Budgetsituation dies nicht zulässt, könnte sich der wirtschaftliche Gegensatz in Österreich verschärfen. Andererseits sind Konkurrenzsituationen auch immer Versuchslabore aus denen Best-Practice-Beispiele hervorgehen können.

Realpolitisch hängt nun alles von der Frage ab, ob die SPÖ bei diesem mehrheitlich schwarzen Projekt mit ins Boot kommt und ob die Regierung sich dann eine Zweidrittelmehrheit im Parlament arrangieren kann. Zumindest Michael Spindelegger scheint den innerparteilichen Erfolg ziemlich nötig zu haben. Immerhin muss er schon betonen, dass er auch noch da ist, wenn er meint, die ÖVP-Position zur Steuerhoheit sei „ein gemeinsamer Vorschlag mir mir“.