Matthias Strolz ist ein quirliger Typ, man kennt ihn
so. Seine Mama hat ihn vor der Sendung angerufen, das ist nett. Wer
telefoniert nicht gern mit seiner Mutter? Der ORF hat diesmal den
Peter Resetarits eingeladen, um die Sommergespräche zu moderieren,
der macht sonst die Gerichtssendungen. Und tatsächlich läuft das
ganze ein bisserl justiziarisch ab: Es werden Zeugen geladen,
Beschuldigte befragt, das Urteil überlässt man am Ende dem
Publikum.
Zuallererst das Wasser: ein leidiges Thema. Angelika
Mlinar hat es NEOS eingebrockt. Man hat sie quasi als strukturelle
Altlast vom Liberalen Forum übernommen, den EU-Wahlkampf hat sie der
neuen Bewegung ruiniert. Was zuerst das größte Kapital der
Rosaroten war, ist da zur Hypothek verkommen. Strolz wirkt trotz oder
gerade wegen seiner zur Schau gestellten politischen Naivität noch
immer dynamisch und ehrlich, Mlinar erschien am Ende nur noch
unbedarft.
Beim Thema Wasser ist sie für NEOS jedenfalls zur
Brunnenvergifterin geworden, als sie salopp dessen Privatisierung
forderte. In Österreich kann man genauso gut für Atomkraftwerke eintreten. Seitdem tourt Strolz durch das Land, um mit dem
Missverständnis aufzuräumen, bzw. es zu konkretisieren. Wien, so
der Parteichef, verdiene z.B. mit der Wasserversorgung viel zu viel - in
Vorarlberg gibt es 96 Gemeinden erfahren wir nebenbei - und man will
die Infrastruktur natürlich nicht privatisieren, das sei sinnlos.
Für Resetarits ist das schon genug, er will weiter zum nächsten
Thema. Strolz verzettelt sich zwischendurch in seinen ausladenden
Erklärungsmustern. Die Zuschauer haben wohl nicht wirklich
verstanden, was er will, die, die was vom Thema verstehen am
wenigsten. Der Chef der Liberalen, so scheint es, will die Netze –
sei es Strom, Wasser oder Schiene – in Einheitshand behalten und
für verschiedene Dienstleister öffnen. Allein das ist in der kurzen
Zeit kommunikationstechnisch nicht wirklich durchgekommen. Aber was
nützt das z.B. im Fall von Wien? Welche Quellen ließen sich von
Privaten am Schneeberg noch fassen, um eine Millionenstadt durch ein
kapazitätsmäßig limitiertes öffentliches Netz konkurrenzfähig
mit Wasser zu versorgen? Wo soll das Wasser möglicher Privatanbieter
herkommen? Was beim Strom gut und bei der Bahn bedingt funktionieren kann, stößt beim
Wasser schnell an umweltverträglichkeitszuprüfende Grenzen. Aber
für solche Debatten ist keine Zeit im engen Regieplan von ORF 2.
Ein Mann, seit längerem Arbeitslos, schildert nun
im Interview seine Situation: Er ist 53 und findet keinen Job. Das
AMS steckt ihn in Kurse, die nicht nur am Bundeshaushalt, sondern
auch an seiner Menschenwürde nagen. Strolz soll eine Antwort auf
seine Lebenskrise geben. Man hält dem Klubobmann vor, dass er die
Selbständigkeit allzu hoch hält. Natürlich kann nicht jeder
selbständig werden, sagt Strolz, das löse die
Arbeitslosigkeitsproblematik nicht. Dass er in der Selbständigkeit
ein sinnstiftendes Element wirtschaftlicher Unabhängigkeit, ja
persönlicher Freiheit sieht, kommt nicht so herüber, für den
Bereich, in dem er und seine Partei die größte Glaubwürdigkeit
zeigen, ist keine Zeit. Ein Mensch und sein Schicksal sollen in
eineinhalb Minuten einer befriedigenden Lösung zugeführt, wenn
möglich soll die Beschäftigungspolitik als Ganzes mitrevolutioniert
werden. Der betroffene Herr sitzt auch im Publikum, er hat Kellner
gelernt sagt Resetarits, danach hat er auch studiert und ist
Betriebswirt geworden, sagt der Mann. Das geht irgendwie unter. Er
kenne die Situation des Betroffenen nicht, so Strolz, gerade in der
Gastronomie würden gerade Leute gesucht. Es klingt, als wäre der
Mann selber schuld, auch wenn es so nicht klingen soll. Die
Geschichte eines Menschen der sich von der Servierkraft zum
Akademiker hochgearbeitet hat und nun trotzdem ohne Beschäftigung
dasteht, geht unter. Die Erklärungen dauern zu lange, man muss
weiter zum nächsten Thema.
Fernsehstaatsanwalt Resetarits möchte den
Klubobmann der kleinsten Parlamentspartei auf Reichensteuern
festnageln, doch es gelingt ihm nicht. Die Kurzdebatte hinterlässt von beiden Protagonisten eine negative Impression: Der Interviewer wirkt, als wolle er einen
Delinquenten nach allen Regeln der Strafprozessordnung zum Geständnis zwingen, der
Beschuldigte wiederum macht den Eindruck, als wäre er schon so weit
ins Politgewerbe abgesackt, dass er tatsächlich auf eine
Ja-nein-Frage nicht mehr mit ja oder nein antworten kann. Strolz will
zuerst reformieren und dann über die Steuern reden. In diesem
Augenblick wirkt er, als wäre er der Generalsekretär der ÖVP und
nicht ihr schärfster Konkurrent. Seine Partei habe als erste
kritisiert, dass es Pensionsmillionäre gebe, so nennt er Rentner mit
hoher Altersversorgung. Diese Ruhestandsbezüge habe man schließlich
gekürzt, sagt er. Dass seine Bewegung hier einer Einkommenskürzung,
so gerechtfertigt sie sein mag, zugestimmt hat, aber die Einführung von Vermögenssteuern
an Bedingungen knüpft, bleibt, wie so vieles, auf der argumentativen
Strecke.
Als nächstes steht der Wohnungsmarkt auf dem
Programm: Eine Vermittlerin aus der Tiroler Landeshauptstadt erzählt
von der Miesere ihrer Klienten: Kaum jemand findet eine bezahlbare
Bleibe, sozialer Wohnbau ist im jahrzehntelang von der ÖVP und ihren
Ablegern regierten Innsbruck praktisch inexistent. Ein Problem seien
auch Anlagewohnungen, meint sie. Strolz stellt eine Divergenz
zwischen Angebot und Nachfrage fest, der Staat müsse eben den Bau
forcieren, dazu könne man auch Bestandssozialwohnungen verkaufen.
Vom Sozialbau en gros hält er nichts und verweist auf die Pariser
Vorstädte, es ist sein argumentativ schwächster Punkt des Abends.
Dass ein erhöhtes Angebot von Privatseite noch lange keine
niedrigeren Mieten bedeutet, zeigen diverse Immobilienblasen, nicht
zuletzt die aktuelle in China, bei der zehntausende Wohnungen, die als
Anlage gekauft wurden, leer stehen, weil potentielle Mieter den
erwarteten Zins nicht zahlen können. Mit dem Verkauf von
Gemeindewohnungen, oft vor Jahrzehnten angeschafft und mittlerweile
in bester Lage, könnte zwar der Neubau angekurbelt werden, aber
dieser fände zwangsläufig am Stadtrand statt, wo auch die von
Strolz kritisierten Banlieues stehen. Ein Sozialneubau auf
Bestandskosten würde so zu einer Prekariatsverdichtung in den
Vorstädten führen.
Dass die Befreiung vom staatlichen Tugendterror
mitunter in einer neuen Knechtschaft enden könnte, passt nicht in
das libertäre Weltbild von Matthias Strolz und NEOS. Der Mensch soll
eigenverantwortlich sein Bestes geben, die zwei bis drei anderen, die
nach dem Einreißen aller Bildungsbarrieren maximal überbleiben
dürften, kann man mit einem Sozialstaat light mitschleifen. In der
Welt von Matthias Strolz nützt die Wirtschaft eine Aliquotierung des
13. und 14. Monatsgehaltes nicht für weitere Lohnkürzungen durch
die Hintertür. In dieser Welt ist es auch nur eine Nebensache, dass
diese Zusatzgehälter gar nicht gesetzlich, sondern
kollektivvertraglich geregelt sind und eine zwangsmäßige
Umverteilung einen Eingriff in die, auch von der Wirtschaft sehr
geschätzte, Kollektivvertragsfreiheit bedeuten würde. Hier findet
auch ein 53jähriger einen Job, wenn er nur fest an sich selber
glaubt und muss nicht den vom Arbeitgeber angebotenen Strohhalm
Hacklerpension annehmen. Von Zuverdienstgrenzen befreite Pensionisten
können außerdem halbtags nebenher in Gasthäusern aushelfen.
Dadurch werden ganz bestimmt nicht weitere Ganztagsstellen in
Halbtagsposten umgewandelt und weitere Arbeitsplätze für jene
vernichtet, die auf 40-Stungen-Jobs angewiesen wären. Für Strolz
und die NEOS regeln sich die Dinge schon, wenn man sie ein bisschen
dereguliert. Man glaubt an die Selbstmanagementqualitäten jedes
Einzelnen und die Vernunft des freien Kollektivs, komme was wolle.
Viele Menchen in Österreich sind aber auf den Staat
angewiesen. Manche die an seinen Rockschößen hängen, da hat Strolz recht, könnten es vielleicht
alleine schaffen. Aber der Staat bewertet nur selten
Einzelschicksale, er entwirft und schmiedet große Pläne, die auf
alle oder zumindest sehr viele zutreffen. Schwache schauen da leicht
durch die Finger, wenn das Netz zu weit gewebt ist. Manch einer, der
könnte, aber nicht will, wird dafür gehätschelt. Das ist der
ungerechte Preis für eine soziale Gesellschaft. Gerade dort wo die
Republik dem Anspruch, große Zusammenhänge einheitlich zu bewerten,
nicht nachkommt, herrscht jedoch das Chaos. Das Mietrecht ist hierfür
nur ein Beispiel: Ein vom Errichtungszeitpunkt des Mietobjekts
abhängiger und durch Richterrecht zerfleischter Komplex, in dem sich
nur wenige Experten auskennen. Dass die JUNOS, die NEOS-Jugendorganisation, ein
jederzeitiges Kündigungsrecht für Vermieter verlangt, dürfte da
nur wenig Besserung versprechen.
Gerade für die Schwächsten wären solche Rücknahmen staatlicher Eingriffsmöglichkeiten ein Schlag
ins Gesicht. Keine Motivationskampagne kann Obdachlosigkeit
weglächeln. Die Menschen sind eben nicht alle gleich, nur
gleichwertig. Auch die Verlesung des ersten Artikels der
Menschenrechtskonvention im ORF-Studio ändert daran nichts. Nicht
alle, die in einer Sozialwohnung leben, können es sich leisten diese
zu kaufen. Man darf sich auch die Frage stellen, warum sie in einer
solchen lebten, wenn sie es sich leisten könnten. Und manch ein
Langzeitarbeitsloser sieht für sich keine andere Möglichkeit, als in
die Frühpension zu flüchten, die ihm die Sozialdemokraten aus
falsch verstandener Solidarität offen gehalten haben. Viele Menschen
brauchen, nicht nur aus Bequemlichkeit die Hand des Staates, die sich
ihnen helfend hinstreckt. Die für Strolz und seine Bewegung
grundlegende Annahme, dass die tief verwurzelte Lebensunbeholfenheit
und Hilfsbedürftigkeit aus unverschuldeten Gründen in weiten Teilen der Bevölkerung durch ein bisschen NLP und
Personalmanagementmethoden kuriert werden könnten, macht NEOS zwar
irgendwie sympathisch, bleibt aber am Ende vor allem eines: naiv.
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