Freitag, 25. Juni 2010

Wer brauch neun Bundesländer? oder: Das kleine Einmaleins des Föderalismus.

Ein österreichisches Lieblingsstreitthema ist der Föderalismus. "Wer braucht neun Länder?" fragt die Wirtschaft. "Wer braucht neun Landtage?" fragen die Populisten. Nachfolgend daher das kleine Einmaleins der österreichischen Bundesstaatlichkeit:

1 ...
Fallbeispiel zu Beginn. Die Schulverwaltung, was wird nicht über sie gestritten. Die Irrationalität der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern spiegelt sich hier meines Erachtens besonders gut wieder:
Die Pflichtschullehrer sind Landesbedienstete, werden aber nicht von den Ländern bezahlt, sondern vom Bund, wodurch es etwa ein Bundesgesetz gibt, das „Landesvertragslehrergesetz 1966“ heißt. Die Tatsache, dass die Bezahlung der Landeslehrer durch den Bund erfolgt, die Länder diesem aber keinen Nachweis über tatsächliche Beschäftigungsverhältnisse erbringen müssen, hat etwa dazu geführt, dass ein gewisses Bundesland - nennen wir es einmal Kärnten - den Bund über Jahre um Millionen Euro für Lehrerstellen beschissen hat, die nie wirklich existiert haben. Die Lehrplanerstellung ist im gesamten Schulbereich ausschließlich Bundessache. Die Schulerhaltung im Pflichtschulwesen wird vom Bund im Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz und den Ländern in einzelnen Ausführungsgesetzen geregelt. Für die Erhaltung der Schulgebäude sind meist die Gemeinden zuständig, die Bundesschulen werden vom Bund, baulich etwa durch die Bundesimmobiliengesellschaft, betreut. Die Schulaufsicht ist wiederum in weiten Teilen eine Angelegenheit des Landesschulrates, einer Behörde des Bundes unter Leitung des Landeshauptmannes, zum Teil aber auch Aufgabe der Landesverwaltung. Auf Bezirksebene sind dann zusätzlich noch Bezirksschulräte - als Untergliederung des Landesschulrates - eingerichtet.
Eine Volksschule ist also eine Landesschule, die von der Gemeinde erhalten werden muss. Die Putzfrau wird vom Land bezahlt, die Lehrer werden zwar vom Land angestellt aber vom Bund entlohnt. Kontrolliert werden sie wiederum vom Unterrichtsministerium über eine Bundesbehörde, die aus Vertretern der Landespolitik besteht. Das ist Österreich...

100 ...
Abgeordnete hat der Wiener Landtag. Damit ist er das größte Landesparlament in Österreich. Im Verhältnis zum Schweizer Kanton Zürich steht er aber immer noch schlank da: Stattliche 180 Abgeordnete hat der Zürcher Kantonsrat, obgleich Zürich weniger Einwohner hat als Oberösterreich. Das deutsche Nordrhein-Westfalen kommt mit nur einem Abgeordneten mehr aus, bei fast 18 Millionen Einwohnern. Da wirkt dann sogar der österreichische Nationalrat mit 183 Mandataren leicht überdimensioniert. Niederösterreich, Oberösterreich und die Steiermark haben Landtage mit jeweils 56 die anderen Länder mit 36 Landtagsabgeordneten. Das macht insgesamt also 448 Landesparlamentarier in Österreich. Rechnet man dann noch die Mitglieder des Bundesrates und die Nationalratsabgeordneten dazu, kommt man auf die Summe 693 Gesetzgebungsmitwirkenden in Österreich.

189 ...
Paragraphen hat die Wiener Stadtverfassung, womit sie die umfangreichste der neun Landesverfassungen ist. Wer sowas zählt? Ich. Salzburg schneidet im Verhältnis dazu mit 60 Artikeln geradezu sparsam ab, wobei natürlich zu bedenken ist, dass die Wiener Stadtverfassung nur zur Hälfte tatsächlich ein Verfassungsgesetz ist und der andere Teil ein einfaches Landesgesetz mit dem Statut für Wien als... aber ich schweife ab.

2608 ...
Kantonsparlamentarier hat die Schweiz. Ein Land mit knapp weniger Einwohnern als Österreich, aber 26 Kantonen statt neun Ländern, die allesamt wesentlich mehr Kompetenzen (Schulwesen, Hochschulwesen, Polizei, Justiz etc.) haben. Trotzdem etwas viel. Das auch nicht gerade wenig föderalistische Deutschland kommt auf 1861, Österreich eben auf die erwähnten 448 Parlamentarier in den Landesparlamenten. Umgerechnet macht das auf 100.000 Einwohner gerechnet 5,3 Landtagsabgeordnete in Österreich, in Deutschland 2,3 und in der Schweiz 33,5 Mandatare von Kantonsparlamenten. Die Schweizer sind also gut vertreten, auch wenn sie eh am liebsten selber alles abstimmen. Wer sowas zählt? Hören Sie auf so blöd zu fragen! Als Verteidigung kann ich anführen, dass ich nicht aus Jux und Laune in meiner Freizeit Parlamentssitze abhake. Den Schmarren hab ich in meiner Diplomarbeit verwertet.

4618 ...
Euro verdient nach dem Gehaltsschema von 2008 ein Landtagsabgeordneter brutto. Da kann's dann noch Ab- und Zuschläge geben (Nebentätigkeiten, Klubobmann etc.). Macht man mit dieser Rohzahl eine Milchmädchenrechnung kommt man auf etwa 2 Millionen Euro Gehalt pro Monat für alle 448. Wenn man aber noch an so Sachen wie...

8976 ...
Euro brutto für den Landtagspräsidenten denkt, bleibt das wie gesagt nur eine Milchmädchenrechnung. Besser verdient mit...

16.320 ...
Euro brutto natürlich noch der Landeshauptmann. Einfache Regierungsmitglieder erhalten 14.688 Euro. Eine - wie ich meine - typisch österreichische Lösung will es übrigens, dass die Gehälter der Landeshauptleute vom Bund bezahlt werden.

180.000 ...
Landesbeamte gab es etwa 2004. Neuere Zahlen sind komischer Weise schwer zu finden. Gerechnet werden natürlich nicht Menschen, sondern Stellen - sogenannte Vollzeitäquivalente -, was etwa möglich macht, dass irgendeine Abteilung 27,5 Mitarbeiter hat. Und genau genommen sind auch nur ein Bruchteil dieser Beamten wirklich  Beamte. Die meisten sind "öffentlich Bedienstete", also billiger und leichter loszuwerden. Die Länder beschäftigen gemeinsam mit den Gemeinden - so sagt es zumindest die OECD - etwa 69% des gesamten Staatspersonals in Österreich. Für einen Bundesstaat ist das ziemlich wenig. Das Gros der Bundesbeamten machen dabei Soldaten und Polizisten aus. In den letzten Jahren wurde aber fleißig umgeschult und frühpensioniert, was zwar nicht unbedingt den Steuerzahler entlastet, aber für schöne Statistiken sorgt.

2.500.000.000 ...
Euro Schulden hat ein gewisses Bundesland - nennen wir auch dieses der Einfachheit halber Kärnten - bisher circa angehäuft. Bis in drei Jahren sollen es 3,7 Milliarden sein. Pro Kopf macht das 2.200 Euro (Slowenen zählen nicht doppelt). Nach Kärnten steht Niederösterreich am schlechtesten da. Andere Länder - wie das praktisch schuldenlose Oberösterreich - können die Budgetdisziplin hingegen einhalten.


Nun zur Antwort auf die beiden eingangs gestellten Fragen: Wir.
Wir brauchen neun Länder und wir brauchen neun Landtage. Ein Staat ist keine Privatfirma und kann daher auch nicht wie eine geführt werden. Wer darauf wartet, dass ein Parlament Profit abwirft, sollte sich besser viel Zeit nehmen. Für die Abschaffung der Landtage spricht kein Kostenargument. Wer glaubt, dass ein paar Milliönchen den Staatshaushalt retten ist naiv und sollte sich nicht allzu sehr auf den stracheschen Populismus verlassen. Das österreichische Pensionssystem deckt sich seit langen nicht mehr selbst der sogenannte Bundeszuschuss, also Geld aus Steuereinnahmen, der aufgewendet werden muss um die Pensionen auszahlen zu können beträgt heuer 4,5 Milliarden Euro. Politikergehälter und Erhaltungskosten für Parlamentsgebäude sind im Vergleich dazu Peanuts. Es ist wahr: Die Landtage treffen sich meist einmal alle zwei Wochen um über so wichtige Dinge wie Bauordnungen, Campingplatzgesetze und Anträge zu entscheiden, mit denen die Landesregierungen aufgefordert werden, sich an die Bundesregierung zu wenden, damit diese bei der Europäischen Kommission vorstellig werde. Ja, sowas gibt's wirklich. Man kann sich in etwa vorstellen, welche Chancen ein Gesuch des Eisenstädter Landtages in Brüssel hat. Trotzdem: Landtage sind demokratisch gewählte Körperschaften. Ein Staat in dem Gemeinderat, Bürgermeister, Landtag, Nationalrat und Bundespräsident gewählt werden, ist ungleich demokratischer, als einer in dem lediglich ein Staatspräsident und ein Zentralparlament zu bestimmen sind. Länder abzuschaffen oder zusammen zu legen ist noch abartiger: Man stelle sich vor das ominöse "Kärnten" und die Steiermark würden gemeinsam regiert oder Vorarlberg und Tirol. "Das gäbe Mord und Totschlag" meinte Ludwig Adamovich völlig zu Recht. Auch sagte er, dass "außer dem Blasmusik- und dem Volkstanzwesen" schlechterdings keine Materie nicht verbundlicht - also dem Bund als Kompetenz übertragen - werden könne. Mit demselben Argument kann ich auch eine Europäisierung aller österreichischen Gesetzgebungskompetenzen verlangen, oder gleich eine Weltregierung. Was dieses Land braucht ist ein zeitgemäßer Föderalismus, in dem die Länder ihren Platz haben und Kompetenzgrauslichkeiten wie die Schulverwaltung der Vergangenheit angehören.

Samstag, 19. Juni 2010

Der König ist tot, es lebe die Krone?

Nur wenige wissen wahrscheinlich, woher die Kronen Zeitung ihren Namen hat: Ein Abonnement des Blattes war in der Monarchie ausgesprochen günstig. Es kostete eine Krone pro Monat (etwa 3 Euro) und um es zu bewerben, nahm man den Preis gleich in den Namen auf. Die Krone trug auf ihrem Titelblatt das Bild der namensgebenden Münze, dann das von Karl Renner entworfene provisorische Wappen der Republik und schließlich ein Hakenkreuz. Als im Krieg aus Papiermangel die meisten Zeitungen eingestellt werden mussten, wurden 1944 auch bei der gleichgeschalteten Krone die Rotationspressen stillgelegt.

Die Geschichte der Krone die wir heute kennen, begann 1959 mit dem Kauf der Namensrechte durch einen Mann, dessen Name auch nach seinem Tod in Österreich noch lange ein Begriff bleiben wird: Hans Dichand.
Schon am Beginn des Blattes, jetzt Neue Kronen Zeitung, stand ein Skandal: Dichand hatte die Hälfte der Mittel zur Zeitungsgründung vom damaligen Innenminister Olah mit Bürgschaften über das Vermögen des ÖGB erhalten. Die andere Hälfte kam formal von einem deutschen Investor, tatsächlich aber auch vom ÖGB. Natürlich lief alles unter der Hand und ohne Wissen weiter Teile der Gewerkschaftsführung ab. Die SPÖ, der der machtbewusste Olah unheimlich geworden war, nützte die Gelegenheit um selbigen abzusägen. Als der ÖGB sein Geld wiederhaben wollte, begann Dichand etwas, was ihn und seine Zeitung in der Folge auszeichnen sollte: Eine Kampagne.
Er patzte vor allem die SPÖ und den ÖGB an, war aber schließlich bereit letzteren mit elf Millionen Schilling abzufinden. Die zweite Hälfte der Zeitung wurde von Dichands Mitherausgeber Kurt Falk übernommen. Doch der autoritäre Dichand, vor der Gründung der Krone hatte er sich schon in anderen Redaktionen nicht integrieren können, verstritt sich bald mit Falk. Dieser schied aus und gründete Täglich Alles, eine Zeitung um zunächst drei Schilling, die die Krone im Boulevardsektor zu unterbieten suchte, indem sie etwa behauptete Thomas Klestil leide an AIDS. Auch mit der deutschen WAZ-Gruppe, die Falks Anteile gekauft hatte, überwarf sich Dichand schließlich. In der Krone wollte er der Alleinherrscher sein, Nebenspieler konnte er nicht ertragen.

Falks Experiment ging schließlich pleite, die Krone hetzte munter weiter. Die Zeitung startete eine Kampagne gegen das Kraftwerk in der Hainburger Au, Dichand hatte in der Nähe ein Jagdgebiet. Er hätte, so sagte er später, für die Rettung der Au einen Bürgerkrieg riskiert. Ein erklärter Patriot opfert den Frieden für seine Form von jagendem Umweltschutz. In der Folge engagierte sich sein Blatt für die Wahl Waldheims zum Bundespräsidenten und den Aufstieg Haiders. Die Krone war für den EU-Beitritt, dann aber gegen die Mitgliedschaft. Ihre Niederösterreich-Ausgabe schrieb gegen, die steirische für den Semmeringtunnel. Verlogene Dialektik prägte die Blattpolitik durch und durch.

Es gab Politiker die sich der Anziehungskraft der Zeitung widersetzten und es mit ihrer Karriere bezahlten, wie Erhard Busek. Es gab aber auch solche die mit Dichand Gugelhupf aßen, wie Thomas Klestil. Die Politik zitterte vor der Macht der Krone, obwohl sie sich bei weitem nicht immer durchsetzte. Schüssel wurde gegen den Widerstand Dichands Kanzler, eine Volksabstimmung über den Lissabonvertrag fand genauso wenig statt wie die Blockade des tschechischen Beitritts wegen Temelin. Grasser wurde nicht Vizekanzler und Rosenkranz nicht Bundespräsidentin, dennoch fielen manche vor Dichands Füße wie das Volk Mose vor das goldene Kalb. Zuletzt tauschten Gusenbauer und Faymann ihr Rückgrat gegen die Unterstützung der Kronen Zeitung.

Seit einem Verleumdungsprozess, den die Krone gegen den Standard anstrengte, darf sie als antisemitisches Hetzblatt bezeichnet werden. Sie forderte „Die Grenzen dicht!“ weil sie „Überfremdung“ befürchtete. Ihr Hausdichter Wolf Martin gab am 20. April Epen auf jenen Adolf heraus „der einst in unserm schönen Land an allererster Stelle stand“, mit dem Argument es handle sich beim Angebeteten um den ehemaligen Bundespräsidenten Adolf Schärf, der am selben Tag Geburtstag hatte wie Hitler. Hans Dichand selbst schrieb zuletzt unter seinem Pseudonym Cato, er sei gewiss, dass Barbara Rosenkranz Österreich eine gute Bundespräsidentin sein werde.
Jetzt ist der Verleger tot. Soll man nach guter österreichischer Manier auch noch über den letzten selbstgerechten und machtversessenen Oligarchen einen tränenreichen Nachruf schreiben? Man soll sich mit Kritik an Leuten zurückhalten, die sich nicht mehr wehren können. Eine Ausnahme bilden für mich solche, die zu Lebzeiten selbst keine Rücksicht auf die Wehrlosen nahmen. Dichand liebte die Macht, auch wenn er es nicht zugeben wollte. Er behauptete für seine Leser zu schreiben und zu wissen, was diese dächten. Für ihn waren Widerstandskämpfer im Dritten Reich im Endeffekt nichts anderes als Hochverräter. Sein Verhältnis zum Judentum kann bestenfalls als distanziert bezeichnet werden. Sein Patriotismusbegriff ist über 1945 nie hinausgekommen. Die Ausländer waren ihm zu viele, die die hier waren sollten sich nicht integrieren, sondern assimilieren. Die Tiere waren ihm immer näher als die Menschen. Er selbst sei der Nachfahre von Böhmen gewesen antwortete er stets auf Fragen nach seiner Xenophobie. Das ist Heinz-Christian Strache auch.

Hans Dichand war erfolgreich keine Frage, aber womit? Er war selbstgerecht bis ins Letzte, Widerspruch wurde nicht geduldet, seine Redaktion folgte ihm mit vorauseilendem Gehorsam. Er deckte faschistoide Ekelpakete wie Staberl, Schanee oder Wolf Martin. Auf seine Anti-EU-Demos ließ sich auch die einschlägige Neonaziszene um Gottfried Küssel gerne blicken. Dichand paktierte mit allen, die seine momentane Linie mittrugen. Mit den Grünen für Hainburg und die armen Viecherl, mit der FPÖ gegen die Ausländer, dem BZÖ gegen die Ortstafeln, der ÖVP gegen moderne Moralvorstellungen und der SPÖ für zukünftige EU-Volksabstimmungen.
Drei Millionen Österreicher lesen täglich seine Zeitung, auf die Bevölkerung gerechnet gehört sie damit zu den größten der Welt. Niemand kann behaupten sie verstoße mit ihrer Blattlinie gegen die generelle Einstellung der Abonnenten. Aber die Krone hat geholfen die österreichische Mentalität des wir sind wir und die sind anders und müssen weg nicht nur über die Zeiten zu retten, sondern auch bei jeder Gelegenheit zu pflegen und zum Hass zu verschärfen. Das ist der größte Vorwurf, den man Hans Dichand machen kann: Er spielte den Biedermann für die Brandstifter und hat den Nazismus in Österreich sehenden Auges unterstützt, um seine persönlichen Ansichten zu befördern.
Sein Blatt wird wohl auch ohne ihn überleben, vielleicht wird man ein paar Altlasten über Bord werfen, vielleicht ein paar neue Hetzer einstellen. Die meisten Probleme wird jedenfalls die Leserbriefnabteilung haben. Wer schreibt jetzt die ganzen Pamphlete?

Dichand hat einmal gesagt, der Erfolg der Krone sei ihm mehr oder weniger allein zuzuschreiben. Das mag stimmen, es sagt aber auch viel über den Menschen aus, der nichts und niemanden so bedingungslos geliebt hat wie die Macht und sich selbst.


Nachsatz zum letzten Blog:
Ich bin ja so einiges gewohnt. Ich wurde von einem FPÖ-Abgeordneten als ahnungslos und von einem Nazi als „schwarzer Jude“ bezeichnet, jetzt hat eben mal „die andere Seite“ zugeschlagen. Wer die Kommentare zum letzten Blogeintrag liest wird feststellen, dass ich nicht nur ein „Vollidiot“, sondern auch ein „antisemitisches Schwein mit Mundgeruch“ bin. Den Vollidioten hätte ich mir - als alter Anhänger des Sokrates - ja noch gefallen lassen. Ich versichere aber an dieser Stelle, dass ich mir immer fleißig die Zähne putze und daher keinen Mundgeruch habe. Was den Antisemitismus betrifft: Besagter Anonymus hätte sich zumindest die Mühe machen können einige einschlägige Posts von mir zu lesen (z.B. zu den Themen Verbotsgesetz oder Rosenkranz). Sei's drum. Ich bin weder Antisemit, noch Antijudaist oder Antizionist. Ich sympathisiere weder mit Leuten die den Holocaust leugnen, noch mit jenen die mit Selbstmordattentaten Politik machen und den Staat Israel von der Landkarte tilgen möchten. Ich bin aber auch kein Freund von Regierungen die das Völkerrecht mit Füßen treten. Wer gegen jeden, der die Politik des Staates Israel kritisiert, die Antisemitismuskeule schwingt, macht sich sowieso nur lächerlich. Genauso gut könnte man Gegnern von Silvio Berlusconi Antikatholizismus vorwerfen. Sollte besagter Anonymus den Mut haben mir seine Meinung ins Gesicht zu sagen, möge er sich melden. Ich werde ihn gerne anhauchen...

Sonntag, 13. Juni 2010

Palästisrael, oder: Jedes Problem hat eine Ursache, aber nicht unbedingt eine Lösung.

Große Probleme erklärt man am besten mit kleinen Bildern. Dabei gehen zwar viele Details verloren, aber man erkennt den Kern dafür leichter:
Stellen Sie sich einen Scheidungskrieg vor. Die Ehe war arrangiert, hat nie sonderlich gut funktioniert und war eigentlich schon in der Verlobungszeit hoffnungslos zerrüttet. Sowas wird schnell schmutzig. Man beschuldigt die jeweils andere Seite an allem Möglichen schuld zu sein. Am Ende verläuft die Suche nach neuen Argumenten häufig jenseits der Wahrheit. In solchen Fällen ist es wohl am besten, man trennt sich auf nimmer wiedersehen. Nun stellen Sie sich aber einmal vor, dass diese Exeheleute aus irgendeinem Grund im selben Haus wohnen müssen. Der Konflikt verschärft sich bis hin zum offenen Hass. Michael Köhlmeier hat einmal gesagt, der unverstellte Hass sei jener, bei dem man ohne Rücksicht auf eigene Verluste dem anderen Schaden zufügt. Im Haus der Geschiedenen wird scharf geschossen, auch wenn dabei die eigenen Fenster, Möbel und Türen kaputt gehen. Es sind ja auch die Fenster, Möbel und Türen des anderen. Jetzt stellen sie sich vor, dass dieser Scheidungskrieg nicht zwei, sondern über elfeinhalb Millionen Menschen betrifft und dass dabei nicht ein Haus, sondern eine ganze Region in Trümmer geht.
Der palästinensisch-israelische oder israelisch-palästinensische Konflikt ist alt und wie dieser Scheidungskrieg in keiner Weise zu lösen, die für beide Seiten auch nur annähernd akzeptabel wäre. Es ist wie mit der Division durch null: Es geht einfach nicht.

Israel und die arabische Welt haben seit der Gründung des jüdischen Staates 1948 sieben Kriege gegen einander geführt, die beiden palästinensischen Intifadas nicht mitgerechnet. Tausende sind gestorben, hunderttausende sind heimatlos geworden.In der Folge eine kurze Darstellung der Abläufe ohne Anspruch auf umfassende Komplettheit:

Vor, während und nach der Judenverfolgung durch die Nazis in Europa setzte ein jüdischer Flüchtlingsstrom in das damals britische Protektoratsgebiet Palästina ein. Die ansässigen Araber sahen sich von Minorisierung und Entrechtung bedroht. Um die Siedler wieder los zu werden paktierten Sie - allen voran der Großmufti von Jerusalem - auch mit den Nazis. Die britische Besatzung versuchte den Zustrom zu verhindern und schickte sogar volle Flüchtlingsschiffe nach Deutschland zurück. Die ganze Sache war schon von Beginn an eine Tragödie. Nach Kriegsende taten die Briten schließlich das was sie in diesen Jahren am besten konnten: Sie zogen sich zurück ohne eine funktionierende postkoloniale Ordnung zu hinterlassen. Die junge UNO legte einen Teilungsplan vor. Es sollte einen jüdischen und einen arabischen Staat geben. Teile der jüdischen Bevölkerung waren vorsichtig positiv gestimmt, die Araber dachten nicht einmal im Traum daran die Teilung umzusetzen. Nach der israelischen Staatsgründung versuchten die Nachbarn des jungen Staates daher kurzen Prozess zu machen. Ägypten, Syrien, Jordanien, der Libanon und der Irak marschierten ein. Briten und Amerikaner wahrten Neutralität. Es ist wohl keine Übertreibung wenn hier gesagt wird, dass ein Sieg der Araber wahrscheinlich in einem zweiten Holocaust geendet hätte. Trotz der Aussichtslosigkeit der israelischen Lage drehte sich das Blatt schließlich. Die Sowjets und ihre Verbündeten belieferten den jüdischen Staat mit Waffen. Gewehre, Munition und Bausätze für Flugzeuge kamen aus der Tschechoslowakei. Die Araber wurden zurückgeschlagen und besiegt. Nun schufen die Israelis Fakten, warfen den UNO-Plan über den Haufen und besetzten auch Teile jenes Gebietes, das für die Gründung eines arabischen Staates vorgesehen gewesen war.
Es folgte die Suezkrise, in der Israel auf Seiten Großbritanniens und Frankreichs gegen Ägypten zu Felde zog. Dieses fühlte sich - wie seine arabischen Verbündeten - zutiefst gedemütigt und plante Vergeltung. Der ägyptische Präsident Nasser sperrte die Straße von Tiran für die israelische Schifffahrt, erzwang den Abzug der UNO vom Sinai und ließ tausende Panzer sowie um die 100.000 Soldaten an der israelischen Grenze auffahren.
Der Sechs-Tage-Krieg begann mit einem Präventivschlag Israels, durch den praktisch die gesamte ägyptische Luftwaffe schon am Boden zerstört wurde. Auch der Irak, Jordanien und Syrien waren wieder mit von der Partie. Die anderen arabischen Staaten leisteten logistische Unterstützung. Doch wieder siegte Israel, das den gesamten Sinai, den Gazastreifen und die Westbank besetzte. Es folgte der sogenannte Abnützungs- oder Ermüdungskrieg (1968-1970) mit dem Ägypten die Israelische Besatzung zu beendigen suchte. Vergeblich. Dabei hatten die Ägypter diesmal sowjetische Unterstützung erhalten, auch weil sie sich geschickt zwischen den Machtblöcken hielten und dadurch Geld von Amis und Russen einstecken konnten. 
Etwa zur selben Zeit begann die PLO (Palestine Liberation Organisation) mit Terroranschlägen gegen israelische und jüdische Einrichtungen weltweit, wie dem Attentat auf das israelische Olympiateam in München, das vorn der PLO-Splittergruppe Schwarzer September verübt wurde. Es bestanden  auch Verbindungen zur RAF und anderen Terrororganisationen.
Einmal noch versuchten die geschlagenen Araber Israel dem Erdboden gleich zu machen, nämlich im Jom-Kippur-Krieg 1973, benannt nach dem hohen jüdischen Feiertag, an dem Israels Gegner den Angriff begannen. Jordanien hatte genug und eingesehen, dass Israel militärisch auf absehbare Zeit nicht beizukommen war, weshalb nur noch Ägypten, Syrien und der Irak als Verbündete übrig blieben. Auch diesmal siegten die Israelis, behielten den Sinai und besetzten den Golan.

Nach Jahrzehnten des Krieges, nach etwa 800.000 vertriebenen Juden, circa über eine Million vertriebener Palästinenser, nach abertausenden Toten auf beiden Seite sah man dann irgendwie ein, dass es so auf die Dauer nicht weitergehen konnte. Schließlich einigten sich Ägypter und Israelis unter Vermittlung der Amerikaner in Camp David auf Bedingungen für einen Friedensvertrag, der 1979 zustande kam. Die Israelis räumten den Sinai, gewährten den Palästinensern Autonomie und erhielten dafür freie Fahrt durch den Suezkanal und einen Feind weniger an seinen Grenzen.

Es wäre aber viel zu schön gewesen, wenn es so weiter gegangen wäre. Der libanesische Bürgerkrieg 1982 brachte wieder eine Verschärfung der Situation. Aus dem Libanon operierten terroristische Gruppen gegen Israel, welches mit der bewährten Einmarschmethode reagierte. Folge war eine militärische Schwächung der auch aus dem Libanon tätigen PLO. Die Israelis umstellten ihre Flüchtlingslager und sahen mit an, wie christlich-libanesische Milizen zwischen 2.000 und 3.300 Palästinenser niedermetzelten und ihre Frauen vergewaltigten. Die israelische Regierung wusste davon, das israelische Militär sah untätig zu. Eine unmittelbare Folge war die Erste Intifada, der Aufstand der Palästinenser in der Westbank und im Gaza-Streifen.

1993 schloss Israel Frieden mit Jordanien, das dafür von den USA finanziell großzügig entlohnt wurde. Im gleichen Jahr wurde mit den Palästinensern das Osloer-Abkommen geschlossen, die Endgültige Umsetzung des Friedensprozesses scheiterte an der Ermordung Itzak Rabins durch einen radikalen Israeli.
Der Konflikt ging also weiter. Die Israelis hatten während all der Jahre schwer subventionierte Siedlungen im gesamten Westjordanland errichtet und gedachten diese nicht aufzugeben. Die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung war unter 15 Jahre alt, 70% unter 30, was zur Entspannung der Lage nicht unbedingt beitrug.  Junge Leute sind tendenzitell gewaltbereiter. Die PLO hatte den Terrorpfad schon in den 70ern - auch unter Vermittlung eines gewissen Bruno Kreisky - verlassen und gab sich jetzt Staatstragend. Jassir Arafat war vom Terrorpaten zum Präsidenten aufgestiegen.
Um das Jahr 2000 verschärfte sich die Situation wieder einmal. Der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon hatte den Tempelberg besucht auf dem einst der jüdische Tempel gestanden hatte und der jetzt die Al-Aksa-Moschee beherbergt. Das war eine Provokation sondergleichen, die von den Palästinensern - mittlerweile auch vertreten durch die 1986 gegründete und über Kontakte zum Iran und zur Hisbollah verfügende Hamas - mit einer Intensivierung ihrer Anschlagstätigkeit goutiert wurde. Scharon räumte schließlich aus strategischen Gründen die Siedlungen im Gaza-Streifen, gegen die Anschläge wurde das Westjordanland mit einer Mauer umstellt, die sich als besonders Wirksam erwies, auch um palästinensisches Gebiet de facto zu annektieren.
Arafat starb, Scharon fiel ins Koma und die Hamas gewann die palästinensische Parlamentswahl, was zur Aufteilung der Machtsphären von Fatah (politischer Arm der PLO) und Hamas führte. Erstere bekam die Westbank, letztere den Gazastreifen.
Dann machten die Israelis in einer geheimen Kommandoaktion eine syrische Atomanlage platt. Ein Friedensvertrag mit Syrien besteht bis heute nicht. Dieses musste 2005 aus dem Libanon abziehen, weil es verdächtigt wurde den libanesischen Ministerpräsidenten Hariri auf dem Gewissen zu haben. Das Machtvakuum ermöglichte den Zweiten Libanesischen Bürgerkrieg, in dem die Hisbollah auch wieder vermehrt Raketen gegen Israel abfeuerte, dieses marschierte nach alter Sitte in den Libanon ein, bombardierte die Hisbollah und ein paar UNO-Stellungen, um sich schließlich wieder zurückzuziehen.

Wer jetzt das eine oder andere Scharmützel und diesen oder jenen Vertrag vermisst, sei darauf hingewiesen, dass obige Darstellung wie gesagt nur einen kurzen Abriss liefern sollte. Tata! Da stehen wir heute:
Die Hamas fordert das Alleinvertretungsrecht über die Palästinenser und die Vernichtung Israels. Die Fatah ist korrupt und in Erosion begriffen. Israel lehnt Verhandlungen mit der Hamas ab, baut die völkerrechtswidrigen Siedlungen im Westjordanland weiter aus und stürmt jedes Schiff das sich dem Gazastreifen nähert.

Die Situation ist nicht verzwickt, sie ist hoffnungslos. Die Leute dort hassen sich abgrundtief. Praktisch jeder hat Angehörige und Freunde durch Kriege, Luftangriffe, Kassamraketen oder Selbstmordanschläge verloren. Die Hamas sendet im Gaza-Streifen Kindersendungen in denen Kuscheltiere zum heiligen Krieg aufrufen, sich in die Luft sprengen oder von Israelis ermordet werden (siehe Youtube) und feuert weiter ihre Raketen auf israelische Städte. Israel sperrt palästinensische Bauern von ihren Feldern ab, verfolgt eine sinnlose Abriegelungspolitik gegen Gaza - die Waffen kommen immer durch - und lässt sich von der Welt mit militärischem Material beschenken. Die USA sponsern angeblich etwa ein Fünftel des israelischen Militärhaushaltes. Von den Deutschen bekommt Israel aus historischen Gründen fast alles, was es sich wünscht, darunter U-Boote die Atomraketen abschießen können. Währenddessen baut der Iran seine eigene Bombe und finanziert die Hisbollah sowie die Hamas.

Der kürzliche Zwischenfall mit der sogenannten Friedensflotte war nur ein Kieselstein auf dem Schutthaufen des Nahostkonflikts. Israel hat sich damit nur merklich mehr isoliert als bisher. Die Türkei - über die Israel praktisch seinen gesamten Energieimport abwickeln und die einer der wenigen Staaten in der Region ist, mit der es annähernd freundschaftliche Beziehungen pflegte - hat es sich nun auch zum Gegner gemacht. Die spanische EU-Ratspräsidentschaft will den Druck auf Israel erhöhen die Gaza-Blockade zu beenden und - historisch etwas pikant - in Deutschland werden durch die Bundesanwaltschaft Ermittlungen gegen Israel wegen Kriegsverbrechen geführt.

Immerhin ein „positives“ Zeichen der israelisch-arabischen Entspannung gibt es: Da sowohl Araber als auch Israelis den Iran nicht ausstehen können und sein Atomprogramm kritisch beäugen, soll Saudi-Arabien - man höre und staune - im Norden seines Hoheitsgebietes die Einrichtung einer geheimen Flugzone für die israelische Luftwaffe vorbereiten, um im Anlassfall eine Bombardierung der iranischen Atomanlagen zu ermöglichen.

Der Nahostkonflikt selbst ist aber de facto unlösbar. Eine dritte Macht, die es nicht gibt, müsste beide Seiten zum Frieden zwingen. Ein Szenario das nur noch mehr Tote fordern würde. Die Aufgabe der Gaza-Blockade, die Räumung israelischer Siedlungen, die Anerkennung des Existenzrechtes Israels durch die Hamas, das einreißen der Grenzmauer zum Westjordanland und die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge aus dem Libanon werden von jeweils einer der beiden Seiten strikt abgelehnt. Auch die - gerüchteweise bevorstehende - Ausrufung eines souveränen Palästinenserstaates wird an der Grundproblematik nichts ändern.

Irgendwie stumpft die Dauer und Brutalität des Konflikts ab. Man muss sich jedes Mitleid  mit den Streitparteien mühsam abringen. Die ganze Region ist voll von Tätern und Opfern, meist in Personalunion. So richtig leid tun einem fast nur noch die Kinder.

Donnerstag, 3. Juni 2010

Heimat bist du vieler Titel, oder: Gschamster Diener Herr Hofrat.

Österreich ist das Land der Titel. Jeder der nach Stereotypen fahndet weiß das. Etwa 900 Berufs-, Amts- und Ehrentitel zählt die einschlägige Fachliteratur auf. 92 Jahre nach dem Ende der Monarchie ist zwar der Adel abgeschafft, den Hofrat gibt es aber immer noch und zwar deshalb, weil 1918 die tatsächliche Macht im Staate das Ruder übernahm: die Beamtenschaft.

Wer es als Staatsbediensteter zu gewissen Weihen und - viel wichtiger - zu einer bestimmten Anzahl an Dienstjahren gebracht hat, wird von der Republik kostengünstig geehrt. Oft geschieht das kurz vor der Pensionierung - wobei Beamte ja formal nur in Ruhe versetzt werden, der Beamtenstatus also aufrecht bleibt - wodurch der eher unschmeichelhafte Ausdruck "Grabsteinhofrat" geprägt wurde. Meistens darf sich der Betreffende - vielleicht ein greiser Ministerialrat - aussuchen, ob er lieber ein silbernes Verdienstzeichen oder einen Hofrat möchte. Eines vorweg: Der Hofrat ist billiger und macht sich besser. Das Verdienstzeichen muss man selber bezahlen, wäre ja noch schöner, wenn die Republik auch noch die Kosten für ihre Großzügigkeit tragen müsste. Außerdem kann man nicht einmal in Österreich permanent mit einem Orden herumrennen ohne als geltungssüchtig abgestempelt zu werden. Und weil Beamte nicht nur sparsam sind, sondern auch lieber selber abstempeln, erfreut sich der Hofrat nachwievor allgemeiner Beliebtheit. Auch der Staat kann zufrieden sein. So ein Titel kostet nichts außer das Papier der Verleihungsurkunde und macht daher beide Seiten glücklich. Auf dem schönen Fetzen den der Geehrte gratis bekommt steht dann soviel wie: „Der Bundespräsident der Republik Österreich beurkundet hiermit, dass er in Ausübung der ihm verfassungsmäßig zustehenden Befugnisse mit Entschließung vom Soundsovielten Herrn Titel, Titel Sowieso XY verliehen/ zum XY ernannt hat.“
Einen Kaiser hamma nimmer, dafür aber einen Bundespräsidenten. Geadelt wird man heute auch nicht mehr, dafür gibt's aber Titel die man sich - wieder eine österreichische Spezialität - in den Pass eintragen lassen kann.

Im Laufe einer Beamten- und Akademikerkarriere kann sich daher so einiges an Titulatur ansammeln. Der hochverehrte Herr Verfassungsgerichtshofspräsident a.D. Hofrat o. Univ.-Prof. Hon.-Prof. Dr. h.c. Dr. Ludwig Adamovich bildet dabei nur ein kleines Beispiel für die opulente Schönheit österreichischer Anreden.

Seit sich die Bundesregierung erdreistet hat den „Wirklichen Hofrat“ - das waren ursprünglich solche mit aus dem Titel resultierender Befehlsgewalt - abzuschaffen, hat es lange Zeit keine Anschläge mehr auf diese gute österreichische Sitte gegeben. Erst der Bolognaprozess bringt wieder Verwirrung in den so schön geordneten Titelwald. Was ist bitte ein Betscheler und seit wann ist der Master nicht mehr derjenige, der dem Lehrbuben eine reinhaut? Sogar den schönen Doktor hat man uns in einen Pie-eitsch-die verhunzt... Sodom und Gomorrha! Das gute alte Österreich wendet sich angewidert ab. Ein Universitätsprofessor gab mit vernichtendem Tonfall zu Protokoll: Ein Bakkalaureus liege für ihn unterhalb der akademischen Wahrnehmungsschwelle. Dabei ist es noch ein Glück, dass man uns zumindest noch den Hofrat, die Obersonderkindergärtnerin und den Fachoberinspektor gelassen hat. Wie schon die gute alte Tante Jolesch sagte: „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist!“

Dabei ist unser Titelsystem so schön durchdacht. Sogar für die Aufzählung gibt es ein wunderbares System: An erster Stelle stehen die Berufsbezeichnungen (z.B. OGH-Richter), danach kommt der Amtstitel oder die Verwendungsbezeichnung (z.B. Hofrat), dann Berufstitel (z.B. Universitätsprofessor), akademische Ehrentitel (z.B. Dr. h.c.), Standesbezeichnungen (z.B. Ingenieur), sonstige Ausbildungsbezeichnungen (z.B. Diplomkrankenschwester), die akademischen Grade der Prä-Bologna-Ära (z.B. Mag.), dann der Name und danach die Bologna-konformen Titel (z.B. Bac.). Wer sich also über ein überfrachtetes und unübersichtliches Titelsystem lustig macht, soll sich zuerst einmal informieren.

Irgendwie wird man wohl auch einen Weg finden die geschätzten Magistri et Magistrae über Bologna hinweg zu retten. Man sollte niemals das Beharrungspotential österreichischer Traditionen unterschätzen. Obwohl der Bund die „Wirklichen Hofräte“ längst stillgelegt hat, verleihen manche Bundesländer diese Ehrenbezeichnung weiterhin. In Niederösterreich gibt es gar noch den „Vortragenden Hofrat“. Der Titel war einst jenen vorbehalten, die das Recht besaßen beim Kaiser persönlich vorstellig zu werden. Vielleicht empfängt sie jetzt ja Erwin Pröll…

Solange im Marchfeld noch Bohrmeister und Oberbohrmeister nach Erdöl suchen, Bergräte die heimischen Alpen im Blick behalten, solange noch Oberoffiziale, Oberrevidenten und Amtssekretäre die österreichischen Behörden im Griff haben, Revier-, Gruppen-, Bezirks-, Abteilungs-, Kontroll-, und Chefinspektoren der Polizei auf Streife gehen, der Parlamentsdirektor nebst dem Parlamentsvizedirektor dem Nationalratspräsidenten und der Präsidialdirektor dem Bundespräsidenten zur Seite stehen, solange noch Diplompädagogen und Fachoberlehrer das Erziehungswesen lenken und ein Generalprokurator am Obersten Gerichtshof sitzt, solange ist noch alles in Ordnung.
Bis dato hat uns die EU ja all die braven Inspektoren, Kommissäre und Räte noch nicht wegvereinheitlicht. Österreich bleibt bis dahin die wahrscheinlich einzige konservative Räterepublik der Geschichte.