Ein österreichisches Lieblingsstreitthema ist der Föderalismus. "Wer braucht neun Länder?" fragt die Wirtschaft. "Wer braucht neun Landtage?" fragen die Populisten. Nachfolgend daher das kleine Einmaleins der österreichischen Bundesstaatlichkeit:
1 ...
Fallbeispiel zu Beginn. Die Schulverwaltung, was wird nicht über sie gestritten. Die Irrationalität der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern spiegelt sich hier meines Erachtens besonders gut wieder:
Die Pflichtschullehrer sind Landesbedienstete, werden aber nicht von den Ländern bezahlt, sondern vom Bund, wodurch es etwa ein Bundesgesetz gibt, das „Landesvertragslehrergesetz 1966“ heißt. Die Tatsache, dass die Bezahlung der Landeslehrer durch den Bund erfolgt, die Länder diesem aber keinen Nachweis über tatsächliche Beschäftigungsverhältnisse erbringen müssen, hat etwa dazu geführt, dass ein gewisses Bundesland - nennen wir es einmal Kärnten - den Bund über Jahre um Millionen Euro für Lehrerstellen beschissen hat, die nie wirklich existiert haben. Die Lehrplanerstellung ist im gesamten Schulbereich ausschließlich Bundessache. Die Schulerhaltung im Pflichtschulwesen wird vom Bund im Pflichtschulerhaltungs-Grundsatzgesetz und den Ländern in einzelnen Ausführungsgesetzen geregelt. Für die Erhaltung der Schulgebäude sind meist die Gemeinden zuständig, die Bundesschulen werden vom Bund, baulich etwa durch die Bundesimmobiliengesellschaft, betreut. Die Schulaufsicht ist wiederum in weiten Teilen eine Angelegenheit des Landesschulrates, einer Behörde des Bundes unter Leitung des Landeshauptmannes, zum Teil aber auch Aufgabe der Landesverwaltung. Auf Bezirksebene sind dann zusätzlich noch Bezirksschulräte - als Untergliederung des Landesschulrates - eingerichtet.
Eine Volksschule ist also eine Landesschule, die von der Gemeinde erhalten werden muss. Die Putzfrau wird vom Land bezahlt, die Lehrer werden zwar vom Land angestellt aber vom Bund entlohnt. Kontrolliert werden sie wiederum vom Unterrichtsministerium über eine Bundesbehörde, die aus Vertretern der Landespolitik besteht. Das ist Österreich...
100 ...
Abgeordnete hat der Wiener Landtag. Damit ist er das größte Landesparlament in Österreich. Im Verhältnis zum Schweizer Kanton Zürich steht er aber immer noch schlank da: Stattliche 180 Abgeordnete hat der Zürcher Kantonsrat, obgleich Zürich weniger Einwohner hat als Oberösterreich. Das deutsche Nordrhein-Westfalen kommt mit nur einem Abgeordneten mehr aus, bei fast 18 Millionen Einwohnern. Da wirkt dann sogar der österreichische Nationalrat mit 183 Mandataren leicht überdimensioniert. Niederösterreich, Oberösterreich und die Steiermark haben Landtage mit jeweils 56 die anderen Länder mit 36 Landtagsabgeordneten. Das macht insgesamt also 448 Landesparlamentarier in Österreich. Rechnet man dann noch die Mitglieder des Bundesrates und die Nationalratsabgeordneten dazu, kommt man auf die Summe 693 Gesetzgebungsmitwirkenden in Österreich.
189 ...
Paragraphen hat die Wiener Stadtverfassung, womit sie die umfangreichste der neun Landesverfassungen ist. Wer sowas zählt? Ich. Salzburg schneidet im Verhältnis dazu mit 60 Artikeln geradezu sparsam ab, wobei natürlich zu bedenken ist, dass die Wiener Stadtverfassung nur zur Hälfte tatsächlich ein Verfassungsgesetz ist und der andere Teil ein einfaches Landesgesetz mit dem Statut für Wien als... aber ich schweife ab.
2608 ...
Kantonsparlamentarier hat die Schweiz. Ein Land mit knapp weniger Einwohnern als Österreich, aber 26 Kantonen statt neun Ländern, die allesamt wesentlich mehr Kompetenzen (Schulwesen, Hochschulwesen, Polizei, Justiz etc.) haben. Trotzdem etwas viel. Das auch nicht gerade wenig föderalistische Deutschland kommt auf 1861, Österreich eben auf die erwähnten 448 Parlamentarier in den Landesparlamenten. Umgerechnet macht das auf 100.000 Einwohner gerechnet 5,3 Landtagsabgeordnete in Österreich, in Deutschland 2,3 und in der Schweiz 33,5 Mandatare von Kantonsparlamenten. Die Schweizer sind also gut vertreten, auch wenn sie eh am liebsten selber alles abstimmen. Wer sowas zählt? Hören Sie auf so blöd zu fragen! Als Verteidigung kann ich anführen, dass ich nicht aus Jux und Laune in meiner Freizeit Parlamentssitze abhake. Den Schmarren hab ich in meiner Diplomarbeit verwertet.
4618 ...
Euro verdient nach dem Gehaltsschema von 2008 ein Landtagsabgeordneter brutto. Da kann's dann noch Ab- und Zuschläge geben (Nebentätigkeiten, Klubobmann etc.). Macht man mit dieser Rohzahl eine Milchmädchenrechnung kommt man auf etwa 2 Millionen Euro Gehalt pro Monat für alle 448. Wenn man aber noch an so Sachen wie...
8976 ...
Euro brutto für den Landtagspräsidenten denkt, bleibt das wie gesagt nur eine Milchmädchenrechnung. Besser verdient mit...
16.320 ...
Euro brutto natürlich noch der Landeshauptmann. Einfache Regierungsmitglieder erhalten 14.688 Euro. Eine - wie ich meine - typisch österreichische Lösung will es übrigens, dass die Gehälter der Landeshauptleute vom Bund bezahlt werden.
180.000 ...
Landesbeamte gab es etwa 2004. Neuere Zahlen sind komischer Weise schwer zu finden. Gerechnet werden natürlich nicht Menschen, sondern Stellen - sogenannte Vollzeitäquivalente -, was etwa möglich macht, dass irgendeine Abteilung 27,5 Mitarbeiter hat. Und genau genommen sind auch nur ein Bruchteil dieser Beamten wirklich Beamte. Die meisten sind "öffentlich Bedienstete", also billiger und leichter loszuwerden. Die Länder beschäftigen gemeinsam mit den Gemeinden - so sagt es zumindest die OECD - etwa 69% des gesamten Staatspersonals in Österreich. Für einen Bundesstaat ist das ziemlich wenig. Das Gros der Bundesbeamten machen dabei Soldaten und Polizisten aus. In den letzten Jahren wurde aber fleißig umgeschult und frühpensioniert, was zwar nicht unbedingt den Steuerzahler entlastet, aber für schöne Statistiken sorgt.
Euro Schulden hat ein gewisses Bundesland - nennen wir auch dieses der Einfachheit halber Kärnten - bisher circa angehäuft. Bis in drei Jahren sollen es 3,7 Milliarden sein. Pro Kopf macht das 2.200 Euro (Slowenen zählen nicht doppelt). Nach Kärnten steht Niederösterreich am schlechtesten da. Andere Länder - wie das praktisch schuldenlose Oberösterreich - können die Budgetdisziplin hingegen einhalten.
Nun zur Antwort auf die beiden eingangs gestellten Fragen: Wir.
Wir brauchen neun Länder und wir brauchen neun Landtage. Ein Staat ist keine Privatfirma und kann daher auch nicht wie eine geführt werden. Wer darauf wartet, dass ein Parlament Profit abwirft, sollte sich besser viel Zeit nehmen. Für die Abschaffung der Landtage spricht kein Kostenargument. Wer glaubt, dass ein paar Milliönchen den Staatshaushalt retten ist naiv und sollte sich nicht allzu sehr auf den stracheschen Populismus verlassen. Das österreichische Pensionssystem deckt sich seit langen nicht mehr selbst der sogenannte Bundeszuschuss, also Geld aus Steuereinnahmen, der aufgewendet werden muss um die Pensionen auszahlen zu können beträgt heuer 4,5 Milliarden Euro. Politikergehälter und Erhaltungskosten für Parlamentsgebäude sind im Vergleich dazu Peanuts. Es ist wahr: Die Landtage treffen sich meist einmal alle zwei Wochen um über so wichtige Dinge wie Bauordnungen, Campingplatzgesetze und Anträge zu entscheiden, mit denen die Landesregierungen aufgefordert werden, sich an die Bundesregierung zu wenden, damit diese bei der Europäischen Kommission vorstellig werde. Ja, sowas gibt's wirklich. Man kann sich in etwa vorstellen, welche Chancen ein Gesuch des Eisenstädter Landtages in Brüssel hat. Trotzdem: Landtage sind demokratisch gewählte Körperschaften. Ein Staat in dem Gemeinderat, Bürgermeister, Landtag, Nationalrat und Bundespräsident gewählt werden, ist ungleich demokratischer, als einer in dem lediglich ein Staatspräsident und ein Zentralparlament zu bestimmen sind. Länder abzuschaffen oder zusammen zu legen ist noch abartiger: Man stelle sich vor das ominöse "Kärnten" und die Steiermark würden gemeinsam regiert oder Vorarlberg und Tirol. "Das gäbe Mord und Totschlag" meinte Ludwig Adamovich völlig zu Recht. Auch sagte er, dass "außer dem Blasmusik- und dem Volkstanzwesen" schlechterdings keine Materie nicht verbundlicht - also dem Bund als Kompetenz übertragen - werden könne. Mit demselben Argument kann ich auch eine Europäisierung aller österreichischen Gesetzgebungskompetenzen verlangen, oder gleich eine Weltregierung. Was dieses Land braucht ist ein zeitgemäßer Föderalismus, in dem die Länder ihren Platz haben und Kompetenzgrauslichkeiten wie die Schulverwaltung der Vergangenheit angehören.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen