Montag, 30. Januar 2012

Die Burschenschaften, oder: Ob, schwarz, ob braun...

Als die kaiserlichen Truppen am 31. Oktober 1848 das von Revolutionären besetzte Wien stürmten, waren die letzten, die noch auf den Barrikaden standen die Arbeiter und die Studenten. Das liberale Bürgertum hatte sich aus dem Aufstand schon mehrheitlich zurückgezogen und sich lieber mit der Staatsmacht arrangiert, als mit dem Pöbel gemeinsame Sache zu machen. Zurück blieben die entrechteten Taglöhner und die idealistischen Akademiker. Das Revolutionsjahr '48 markiert die viel beschworene Schicksalsstunde des rechten Lagers im Allgemeinen sowie der Burschenschaften im Speziellen und bildet bis heute ihren ideologischen Kristallisationspunkt:
„Ich bin aus tiefer Überzeugung der FPÖ beigetreten und seit meiner Schülerzeit fasziniert mich die Bewegung, die aus der Revolution von 1848 entstanden ist.“ - Martin Graf
Zentrale Motive des farbentragenden und schlagenden Studententums waren von da an Liberalismus, Antiklerikalismus, Deutschnationalismus und auch Antisemitismus. Jüdische Studenten mussten ihre eigenen Verbindungen gründen. Die Innsbrucker Burschenschaft „Suevia“ stellte noch 1960 fest:
„daß es für die Deutsche Burschenschaft in Österreich unmöglich ist, Nichtdeutsche aufzunehmen. Wir (...) stehen auf dem allein burschenschaftlichen Standpunkt, daß somit auch der Jude in der Burschenschaft keinen Platz hat.“ - Suevia
Die katholisch-habsburgtreuen Studenten organisierten sich im Cartellverband. Der Organisationsgrad der Burschenschaften war zunächst hoch und beinahe jeder Student gehörte einer an. In vielen Verbindungen wurde und wird ein bizarres Männerbild kultiviert, das massiven Alkoholkonsum und die rituelle Verstümmelung namens Mensur miteinschließt. Burschenschaften, die heute noch diese Form des Fechtens ausüben, sind durchwegs als politisch rechtsstehend zu betrachten. Wie seltsam ihre Vorstellung von Männlichkeit ist, zeigt nicht nur die Tatsache, dass sie sich als Zeichen der freundschaftlichen Anerkennung Stoffbänder - kurz „Zipfel“ genannt - schenken und ihre Uniformierung „Wichs“ genannt wird, nein auch in ihren Äußerungen und Publikationen stellt sich ihr Geschlechter- bzw. ihr Menschenbild sehr klar dar: 
„Bist du häßlich, fett, krank oder fremd im Lande, bist Du von Sorgenfalten, Weltschmerz oder linksliberaler Gesinnung gepeinigt, trägst Du alternative oder Schicky-Kleidung oder gar ein Flinserl im Ohr, studierst du Psychologie, Politologie oder Theologie oder gar nicht, hast du den Wehrdienst verweigert oder eine Freundin mit, die weder schön noch still ist, kurz: bist Du auf irgendeine Weise abnormal oder unfröhlich, dann bleib lieber zu Hause.“ - Flugblatt der Burschenschaft Olympia
Die Bedeutung der Buschenschaften schwand mit der Öffnung der Universitäten für die breite Masse. Konnte der Ring Freiheitlicher Studenten bei Hochschülerschaftswahlen 1953 noch 32% der Stimmen erreichen, bekam er bei den Wahlen 2011 an der Universität Wien nur noch 2,6%. Mit dieser Reduktion ging aber auch eine zusätzliche Radikalisierung einher. Die „Katharsis“ der Rechten hat sie nur noch rechter werden lassen. Insgesamt sind 16 österreichische Verbindungen Mitglieder der „Deutschen Burschenschaft“, unter ihnen Vereine wie die „Teutonia“, die Freunde des wegen Widerbetätigung mehrfach vorbestraften Neonazis Gottfried Küssel auf ihrer Bude hausen ließ oder die bereits genannte „Olympia“, mit dem dritten Nationalratspräsidenten als prominentestem Mitglied, die wegen Verstrickungen in den Südtirol-Terror 1961 behördlich aufgelöst und später wiedergegründet wurde. Ebendiese forderte 1990 auf dem sogenannten „Burschentag“:
„Die Unterwanderung des deutschen Volkes durch Angehörige von fremden Völkern bedroht die biologische und kulturelle Substanz des deutschen Volkes (...) Das deutsche Volk ist vor Unterwanderung seines Volkskörpers durch Ausländer wirksam zu schützen.“ - Olympia
Die deutschnationalen Burschenschaften mögen zwar in der Breite verloren haben, die Tiefe ihrer Organisation hat jedoch kaum nachgelassen. Von den 34 Abgeordneten der FPÖ, die 2008 in den Nationalrat einzogen, sind zwölf Mitglieder von rechten Verbindungen, darunter Leute wie der Olympe Harald Stefan, der sogar Jörg Haider zu extrem war und von diesem als Justizminister verhindert wurde. Heinz-Christian Strache, selbst Mitglied der Mittelschulverbindung „Vandalia“, sieht darin freilich kein Problem:
„Das ist, wie wenn man sagt, der ÖAMTC ist eine tragende Säule der FPÖ, weil die meisten von uns da Mitglied sind.“ - Heinz-Christian Strache
Trotz ihrer Präsenz im FPÖ-Klub halten sich die Burschenschafter lieber bedeckt. Auch Martin Graf gefällt sich besser als graue Eminenz der Partei. Der „Alte Herr“ der „Olympia“ stammt selbst nicht aus dem „Akademikeradel“, aus dem sich deutschnationale Burschenschaften meist zusammensetzen. Diesen Herkunftsmangel hat Graf mittlerweile durch seine politische Karriere ausgeglichen. Nun ist er derjenige, an den sich Kameraden wenden, wenn sie für ihre Sprösslinge einen Posten als parlamentarische Mitarbeiter suchen. Er ist es auch, der zur öffentlichen Verteidigung, beziehungsweise zum Kleinreden auftritt, wenn seine Verbindung oder eines ihrer Mitglieder wieder einmal aus der Rolle gefallen ist. Das oben zitierte Flugblatt der Olympia rechtfertigte er folgendermaßen:
„Dieses Flugblatt stammt aus den 80er-Jahren, war eher als witziger Gag gemeint, der in der Öffentlichkeit gründlich danebengegangen ist. Aus heutiger Sicht müssen wir zur Kenntnis nehmen, das die Political Correctness keinen Spaß versteht.“ - Martin Graf
Es ist die Strategie des Martin Graf und der rechtsextremen Verbindungen insgesamt ihre weltanschaulichen Aktivitäten möglichst hinter verschlossenen Türen zu halten und diese zu verharmlosen, sobald etwas über sie an die Öffentlichkeit dringt. Der Tatsache, dass nicht jeder deutsche Recke seinen Mund so zu halten vermag, wie die Burschenehre es ihm gebietet, verdanken wir die seltenen Einblicke in die Gedankenwelt und Struktur ihrer Vereine. So schilderte ein Mitglied einer rechtsradikalen Burschenschaft in Wien 1991 der Zeitschrift „Stern“:
„Der Teutonia gehören Juristen, Biologen, Chemiker, Wirtschaftswissenschafter an – die künftige Elite Österreichs. Fast alle sind nationalsozialistisch eingestellt, würden aber nichts tun oder sagen, was ihre Karriere gefährden könnte.“ - ein Teutone
Die Teutonia war es auch, die einer Schmiererei auf der Hauswand des „Roten Hofes“, dem Sitz ihrer Verbindung, mit entlarvendem „Humor“ begegnete. Nachdem Vandalen dort den Spruch „Nie wieder Deutschland“ hinterlassen hatten, schritten die Teutonen zwar mit Deckfarbe und Pinsel ans Werk, entfernten aber nur das Wort „Nie“.
Die selbstverschriebene Verschwiegenheit wird aber auch immer wieder durch Aussagen gebrochen, die der öffentlichen Selbstbestätigung und Abgrenzung dienen. So ist es auch zu verstehen, wenn Martin Graf öffentlich meint, dass die heutigen Staatsgrenzen willkürlich gezogen seien und sich das „deutsche Volkstum“ in Europa frei entfalten können müsse.

Der einschlägige Ruf der schlagenden Burschenschaften macht auch den Mitgliedern des Österreichischen Cartellverbandes zu schaffen, die sich immer wieder von Aussagen der Deutschnationalen distanzieren. Ihr Kredo ist das katholische Österreichertum und auch sie verfügen über Macht und Einfluss. Nicht nur ist ÖVP-Chef Michael Spindelegger „Alter Herr“ der „Norica“, der CV gilt auch traditionell als Beziehungskitt innerhalb der Volkspartei und ihrer christlichsozialen Vorfeldkorganisationen wie Wirtschaftskammer oder Raiffeisen. Bis auf Sebastian Kurz gehören alle männlichen ÖVP-Regierungsmitglieder einer Verbindung im CV an. Das Weltbild seiner Mitglieder ist zwar nicht vom antisemitischen Pangermanismus zerfressen, aber mitunter ebenfalls gewöhnungsbedürftig. Im Eingangsbereich einer CV-Verbindung im 8. Bezirk hängt ein gigantisches Kreuz mit einer Plakette, die an die Opfer des Faschismus von 1934-1945 erinnert. Mit den Toten der Phase '34 bis '38 sind aber weniger die hingerichteten Sozialdemokraten gemeint, die vom austrofaschistischen Ständestaat ermordet wurden, sondern vielmehr ihr Henker Engelbert Dollfuß selbst. Sein Portrait ziert neben dem ÖVP-Parlamentsklub auch die ehrwürdige Bude seiner Burschenschaft „Franco-Bavaria“. Dollfuß war auch ein Mitgrund für die Abspaltung des Österreichischen CV vom deutschen Mutterverband. Dieser hatte unter dem Einfluss des NS-Regimes den Ausschluss Dollfuß' gefordert. Heute ist der ÖVC nach wie vor eine reine Männerveranstaltung. Die Aufnahme weiblicher Verbindungen wurde abgelehnt und zu Themen wie Abtreibung oder Homoehe vertritt man mitunter kontroverse Meinungen. Aber auch vom Deutschtum hat sich nicht jede CV-Verbindung schon völlig gelöst. So führt die katholische Verbindung „Sängerschaft Waltharia“ den Wahlspruch „Deutsch in Lied und Art“. Der CV-Präsident versucht dies zu rechtfertigen:
„Das sind in erster Linie Verbindungen, die zu ihrer Vergangenheit stehen, wo man sich um die Jahrhundertwende im Vielvölkerstaat als Deutscher gefühlt hat. Diese Verbindungen singen diese Lieder selbstbewusst, weil sie ganz genau wissen, dass sie keine Deutschtümelei betreiben, sondern sich mit ihren Vorfahren verbunden fühlen.“ - CV-Präsident Metzler
Der deutsche CV selbst hatte mit seinem nationalen Pendant dem Dachgemeinschaft der „Deutschen Burschenschaft“ zusammengearbeitet, bis dieser 2011 einen Ariernachweis für seine Mitglieder einführen wollte. Hierauf distanzierte sich der Cartellverband deutlich. Doch wusste man wirklich erst ab diesem Zeitpunkt von der ideologischen Ausrichtung der rechten Burschenschaften?

Der CV ist in seiner Breite sicherlich eine Organisation, die innerhalb des Verfassungsbogens steht. Die Behauptung seines Präsidenten, man führe mit den deutschnationalen Burschenschaften eine „Parallelexistenz ohne Berührungspunkte“ ist aber leider nur Wunschdenken. CV und „Deutsche Burschenschaft“ sind die Antipoden eines geschlossenen Systems, in dem zwar katholische und national-säkulare Weltanschauung erbittert konkurrieren, das jedoch auf gemeinsamen Parametern beruht. Dazu gehören neben einem antiquierten Ideal von Männlichkeit - um das feministische Kampfvokabel „Androzentrismus“ nicht zu verwenden - auch die ideologische Abkapselung als Folge des Exklusivitätsanspruchs sowie der rituelle Alkoholgenuss. Dass der CV allein frei von Sünde sei, widerlegt auch ein Zitat des Psychologen Wilfried Daim, selbst Mitglied der „Rudolfina“ zu Wien, von 1968:
„Und so haben wir bis heute mit Antisemitismus in unseren Reihen zu kämpfen, mit einem schleichenden Deutschnationalismus, der immer noch die Deutschen für etwas besseres hält als den Rest der Welt und von der österreichischen Nation nichts wissen will. Wir haben noch einen in die Illegalität gedrängten Rassismus, nachdem mancher sich eher vorstellen kann, einen Westdeutschen aufzunehmen als einen österreichischen Mulatten.“ - Wilfried Daim zit. in “Wir werden ganze Arbeit leisten“ – Der austrofaschistische Staatsstreich 1934“ (S. 69 f.)
Wenn der ehemalige österreichische Außenminister und CV-Mitglied Alois Mock den Biernamen „Bimbo“ trägt, darf das vielleicht noch als Geschmacklosigkeit abgetan werden. Die Annahme, dass eine völlige Distanzierung des ÖCV zu den im Zitat beschriebenen Inhalten nur schleppend stattfindet, wird aber definitiv durch die Tatsache gestützt, dass etwa auf der Homepage der CV-Verbindung „Kürnberg“ von „berechtigte[m] Antisemitismus“ die Rede ist.

Der Cartellverband mag braune Flecken haben, die schlagenden Burschenschaften aber sind ein brauner Sumpf. Antisemitismus, Rassismus und Deutschnationalismus sind dort keine Ausreißer, sie sind Programm. Diese Leute führen ihr Leben weniger als Individuen, denn als Organismus. Sie sehen sich als Teil eines Volkes, einer politischen Ideologie, einer Verbindung. In dieser Form lässt es sich lange warten. Und sie warten. Sie warten auf die Stunde ihrer Machtergreifung, in der sie das Land wieder nach ihrem Gutdünken ausrichten können. Diese Menschen bewegen sich gezielt unterhalb des Radars von Öffentlichkeit und Verfassungsschutz. Sie sitzen nicht nur im Nationalrat, sondern auch in den Ministerien, den Rechtsanwaltskanzleien, im Bundesheer und bei der Polizei. Wir wissen nicht, was sie genau tun werden, wenn ihre Stunde schlägt, aber wenn ihre Taten auf ihrem Denken basieren, kann man nur das Schlimmste befürchten.

„Wir sind normal geblieben unter dem Schutt der Zeit. An uns sind Umerziehung, Trauerarbeit und Betroffenheit, doch auch Konsum, soziale Dünkel und Moderne fast spurlos vorübergegangen.“ - Burschenschaft Olympia

Donnerstag, 19. Januar 2012

Der Aufnahmestopp, oder: Wie werde ich noch schnell Beamter?

Kurz bevor aller Wahrscheinlichkeit nach ein Aufnahmestopp bei den Beamten verhängt wird, haben Sie noch die Möglichkeit sich in den öffentlichen Dienst zu quetschen. Um Ihnen dafür [Beamtisch: hiefür] das nötige Rüstzeug mit auf den Weg zu geben und damit Sie [ho.] im Ministerium [do.] die besten Einstiegschancen haben, habe ich [das Wort ist dem Beamten fremd] Ihnen ein paar notwendige Grundeigenschaften zusammengestellt, über die Sie als öffentlich Bedienstete von Welt unbedingt verfügen sollten:

- Sie haben ein Parteibuch und zwar hoffentlich das richtige!
Weil Regierungen oft schneller wechseln, als es einem lieb sein kann, ist es wichtig sich zur richtigen Zeit politisch richtig zu positionieren. Die einen würden es Opportunismus nennen, für Beamte heißt es „optimierte Möglichkeitsverwertung“. Haben sie sich dergestalt politische Rückendeckung geholt, ist es auch egal, wenn sie einmal mit HC-Strache paintballspielen waren: Sind Sie erst definitivgestellt, brauchen Sie sich um Regierungswechsel nicht mehr zu kümmern. Schlimmstenfalls schiebt man Sie bei vollen Bezügen in irgendeine Stabsstelle mit eingeschränktem Aufgabengebiet ab.

- Sie vergöttern den ELAK.
Der elektronische Akt ist der Datenverarbeitungsgötze des Beamtentums und verdient daher ihre ungeteilte Verehrung. Hätte es ihn damals schon gegeben, Gott hätte ihn zur Organisation der Schöpfung verwendet und für jeden Tag ein neues Eingangsstück zum Hauptakt hinzuprotokolliert. Sollten sie bürokratophil sein: Hier werden Ihre schmutzigsten Fantasien wahr! Zeichnen Sie ab, suspendieren Sie und legen Sie auf Frist was das Zeug hält. Mit dem ELAK auf dem Rechner fühlen Sie sich jeder denkmöglichen Verwaltungssituation gewachsen.

- Sie lesen gerne E-Mails und zwar massenweise!
Auch, wenn Sie 90% davon nicht interessieren und Sie immer wieder staunen, welche Gruppen, Formationen und Entitäten Sitzungsberichte verschicken, müssen diese Mails immerhin noch als gelesen markiert, archiviert und schlimmstenfalls auch dokumentiert [verELAKt] werden. Neben dem Dienstspam müssen Sie außerdem noch Freundlichkeiten Ihrer Kollegen („das geht Sie gar nichts an“) und diverse Massenmails (aus einem Sitzungszimmer wurde Teegebäck gestohlen, vergammelte Lebensmittel bitte aus den Kühlschränken entfernen, Karten für Semino Rossi abzugeben etc.) ertragen. Grundsätzlich gilt: Es gibt nichts, was nicht per E-Mail [e-postalisch] erledigt werden könnte und diese Kommunikationsform ist dem Telefonat [fernmündlichem Gespräch] jederzeit vorzuziehen.

- Sie schreiben gerne E-Mails und zwar wunderschöne!
In Ihren Mails kommen die Worte „ich“ und „wir“ nicht vor. Sie verwenden massenweise Abkürzungen die Normalsterbliche nicht verstehen wie ho. (hiehorts), do. (daorts) oder zgK (zur gefälligen Kenntnisnahme). Sie sagen nicht zuständig sondern federführend und Feber statt Februar, kennen Worte wie demarchieren, Evidenz, skartieren oder Aviso und würden in der Anrede niemals den Titel vergessen. Außerdem verzichten Sie im Kontakt mit den Bürgern [Einschreitern] auf übermäßige Freundlichkeiten, wünschen niemals viel Glück und bieten auch niemandem an sich ggf. vertrauensvoll an Sie zu wenden. Es könnte ja jemand darauf zurückkommen.

- Sie leiden unter einer schweren Deformation der spina dorsalis (aka Rückgrat).
Das erste was Sie in einem Ministerium ablegen sollten ist die Freundlichkeit, das zweite der freie Wille. Da weder ersteres, noch letzteres im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz [AVG] vorgesehen ist, besteht auch kein Grund für die Anwendung derselbigen. Die oberste Regel lautet daher: Tun Sie was Ihnen gesagt wird und übernehmen Sie die Verantwortung, wenn's schief läuft. Unterstehen Sie sich auf die Bremse zu steigen, wenn sie mit ihrem Chef in einem Auto sitzen, das auf eine Wand zufährt. Ihr Vorgesetzter weiß sehr wohl was er tut und wenn nicht, sterben Sie wie ein Beamter: Mit dreifach gefertigtem Totenschein in der Tasche und ohne einen Widerspruch auf den Lippen.

- Sie sind um eine Ausflucht nie verlegen.
Wenn nicht gerade ihr Computersystem abgestürzt ist oder Ihre Mailbox überläuft, haben Sie jederzeit beamtische Merksätze parat, die ihre Zuständigkeit massiv in Zweifel ziehen ( z.B.: „Wia kumm i denn do dazua?“ oder „Do sans bei mia owa on da foischn Adress.“). Als letzte Fluchtmöglichkeit bleibt Ihnen immer noch der Krankenstand samt Kuraufenthalt, der sie für geraume Zeit den Widrigkeiten österreichischer Kanzleiordnungen entreißt.

- Sie halten sich auf dem Laufenden.
Um den täglichen Anforderungen Ihres Berufes gerecht zu werden, lesen sie laufend die neu erscheinende Fachliteratur. Sei es die „Zeitschrift für die Unabhängigen Verwaltungssenate“ oder den „Austrian Space Law Newsletter“: Sie kennen sich aus und wissen, welcher Fall in Bälde zur Verhandlung beim VwGH vorliegen wird und warum die „Space Review“ das österreichische Weltraumgesetz so positiv bewertet hat. Sollte derartige Literatur nicht zur Verfügung stehen, saugen Sie noch das letzte bisschen Fachwissen aus dem Heute-Magazin und der Kronen Zeitung.

- Sie lieben die Intrige.
Sollte Ihnen wider Erwarten fad werden - denn ein Beamter findet immer Arbeit und bestünde sie im Abstauben seiner Aktenordner - vertreiben Sie sich die Zeit mit Geätze über die Kollegenschaft. Hervorragend hierfür [hiefür] geeignet sind die Zeiten vor, während und nach diversen internen und interministeriellen Sitzungen sowie Weihnachts- und andere Feiern. Themen dieser Diffamierungsaktionen können sowohl beruflicher (z.B.: Unfähigkeit, Aufmüpfigkeit, mangelnde Unterwürfigkeit etc.) als auch privater (z.B.: starker Körpergeruch, bevorstehende Scheidung, Behinderung, Inkontinenz) Natur sein. Sie brauchen sich dabei keinesfalls zu schämen, denn Sie wissen: Die anderen reden mindestens so schlecht über Sie!

- Sie sind ein Pessimist.
Was noch nicht ruiniert ist geht bald kaputt. Wer noch nicht tot ist wird bald sterben. Ihre Abteilung ist permanent unterbesetzt und obwohl sie um zwölf ins Büro kommen und um zwei wieder gehen, stehen sie aufgrund von Überarbeitung kurz vor dem Burnout. Außerdem unterstützen sie bereitwillig jeden Gewerkschaftsvorschlag - sei es nach 50%iger Gehaltserhöhung, Streik oder goldenen Klomuscheln - und haben pflichtgemäß ein Bild von Fritz Neugebauer im Büro [Bureau, Kanzlei, Amtszimmer] hängen. Jeder Bonus ist Ihnen zu gering, jede Pauschale nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Mit Unverständnis nehmen Sie es zur Kenntnis, dass ihnen trotz ihres wackligen Bürokastens und einer losen Steckdose keine Gefahrenzulage gewährt wird.

- Sie haben einen grünen Daumen.
Aufgrund des permanenten Stresses züchten und kultivieren Sie einen Bürodschungel dem sie all jene Zeit widmen, die nach zehrender Arbeit und gepflegtem Geläster noch übrig bleibt. Sorgsam umhegen sie Ihren Ficus und verhätscheln Sie die geliebte Yuccapalme, an deren Wachstumsringen Sie bereits die Jahre bis zur vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand abzählen. Tod und Teufel fluchen Sie aber auf die Kollegen, die während ihrer wohlverdienten krankheits-, kur-, urlaubs- oder zeitausgleichbedingten Abwesenheit darauf vergessen haben, Ihre grüne Pracht ausreichend zu hydrieren. Aus Rache werden Sie deren Post-it-Reserve plündern, die Büroklammern verbiegen und mittels permanenter Stellvertretung Unordnung am feindlichen ELAK-Arbeitsplatz stiften. Seit der barbarischen Abschaffung der Stempelmarke sind Sie leider der Option beraubt mit diesen das Amtszimmer der Pflanzenmörder zu tapezieren.

- Sie verfügen über Sendungsbewusstsein.
Damit ist freilich nicht jene Art von messianischem Eifer gemeint, der in strukturierter Arbeitsweise und einem positiven Büroklima mündet. Nein, Sie besitzen ein Bewusstsein für die heilige Unvergänglichkeit des Beamtentums und strahlen daher die Selbstsicherheit eines Erleuchteten aus. Ihnen kann keiner was! Kaiser, Nazis, Verwaltungsreform? Kein Gräuel, das die Beamten nicht schon erfolgreich überlebt hätten. So ist es Ihnen auch möglich die Europäische Union als vorübergehende Erscheinung des Zeitgeistes wahrzunehmen und ihr Vorhandensein weitgehend zu ignorieren. Sollte sich die politische Landschaft nachhaltig ändern, kratzt Sie das ebenso wenig. Sie ändern Ihr Parteibuch mit und zeigen sich loyal zur neuen Führung. Schließlich will auch die schlimmste Diktatur noch verwaltet werden und so blüht den Beamten - dem sicherlich zweitältesten Gewerbe der Menschheit - noch eine goldene Zukunft voller Akten, Anträge und Sichtvermerke.

Sollten Sie also all diese Eigenschaften in sich vereinen, so möchte ich dem Bund vorschlagen gemeinsam mit den Ländern mittels 15a-Vereinbarung ein Beamtenzuchtprogramm mit Ihnen und anderen geeigneten Personen aufzulegen, um das Weiterbestehen des Beamtenstaates Österreich zu ermöglichen.

Dient zur Kenntnis – nichts weiter zu veranlassen.

E i n l e g e n.

Dienstag, 10. Januar 2012

Die Würde des Wulff, oder: schlechte Aussichten im Bellevue

Zugegeben ich war auch für Gauck. Das heißt, wenn man als Österreicher überhaupt für jemanden zu sein hat, der das Amt des deutschen Bundespräsidenten übernehmen soll. Der Alte Opa mit seinem ehrlichen Gesicht wirkte ja auch so viel sympathischer als der geschniegelte Christian Wulff, ein Schwiegermutterschwarm für greise Katholikinnen. Dieser Gauck hatte irgendwo etwas seltsam Vertrauenswürdiges, eine für einen Politiker pervers aufrichtige Ausstrahlung. Gewählt wurde aber dann doch die politische und nicht die moralische Variante, eine Entscheidung Angela Merkels, die sich nun bitter rächt.

Christian Wulff hat sich viele Feinde gemacht und dafür muss er nun bezahlen. Er merke sich Beleidigungen von Journalisten für immer und spreche sie auch noch 20 Jahre später darauf an, sagte er einmal vor Kindern. Machten die Medien Wulff Ärger, bekamen sie Ärger mit Wulff. Doch jetzt darf er als deutscher Bundespräsident nicht mehr zurückschlagen. Er ist kein Regierungschef mehr, er ist nun Staatsoberhaupt. Und in diesem Amt verhält man sich würdevoll. Würde ist auch die einzige wesentliche Kompetenz die das deutsche Grundgesetz dem Bundespräsidenten einräumt. Er hat die Machtfülle eines konstitutionellen Monarchen, nämlich gar keine. Die Würde des Amtes ist es auch, auf die der Spiegel in seinem aktuellen Titel (2/2012) verweist. In den letzten Tagen und Wochen war die Zeitschrift nicht müde geworden an Wulffs Stuhl zu sägen. Und noch immer finden sich täglich ein halbes Dutzend Berichte, Videos, Interviews und Retrospektiven zum Thema auf spiegel.online. Nachdem man vor der Wahl in der Bundesversammlung Gauck als den richtigen Präsidenten angepriesen hatte, kam vor zwei Wochen die gegenteilige Aussage über Wulff. Diese Woche präsentierte ihn die Zeitschrift als "In Amt und Würden". Man wird das Gefühl nicht los, dass der Spiegel Wulff loswerden will und zwar mit allen Mitteln. Aber warum? Schließlich hat Wulff die Bildzeitung angerufen und bedroht, er werde jede Kooperation beenden, sollten seine Privatissima veröffentlicht werden. Da scheint im Umgang mit den Medien grundsätzlich etwas falsch gemacht worden zu sein vom neuen Herrn im Schloss Belvue. Da muss es Friktionen - wohl noch aus Wulffs Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident - geben, die bis heute wirken und die einen Skandal zum publizistischen Supergau werden ließen.

Sicherlich: Man kann es durchaus kritisch sehen, wenn sich ein Politiker von einem Unternehmer privat Geld borgt. Andererseits: Die beiden sind befreundet. Wulff lebte in Scheidung und brauchte Geld für ein neues Haus für sich und seine schwangere neue Frau. Von jener zweiten Seite liest man wenig in den Medien dieser Tage. Wer von uns würde nicht einen reichen Freund um Hilfe bitten, wenn er Probleme hat und nicht weiß wohin? Für Politiker aber gelten strengere Regeln, besonders für solche wie Wulff. Er war in der Vergangenheit nicht müde geworden die moralische Führungsfunktion seines Berufszweiges zu betonen. Hat er daher die vorgeschriebene Meldung des Privatdarlehens an den niedersächsischen Landtag einfach vergessen? Wohl kaum. Was gemeldet wird kommt leichter an die Öffentlichkeit und ein Kredit von einem Unternehmer mit eigenen Interessen macht sich nicht gut.

Dennoch: Einem Menschen, auch wenn er ein anders gesinnter Politiker mit persönlichen Verfehlungen ist, steht eine ausgewogene Berichterstattung zu. Was wir im Falle Wulffs sehen ist aber eine mediale Hinrichtung. In Österreich würden solche Geschichten vielleicht auf Seite zwölf links unten firmieren, außer der betroffene Politiker lässt im jeweiligen Blatt fleißig Anzeigen schalten, dann gar nicht. Hierzulande würde auch niemals jemand zurücktreten, weil er sich einen windigen Kredit an Land gezogen hat. Man würde von Verleumdungsaktion und Schmutzkübelkampagne sprechen und die Geschichte würde einschlafen, wie die Vorstrafen von Peter Westenthaler oder die paramilitärische Ausbildung des Herrn Strache. Wulff hat das nicht getan, er hat sich gestellt, weil er es musste. In Deutschland gelten andere politische Werte und die erlauben es keinem Politiker und einem Staatsoberhaupt schon gar nicht, Transparenzgesetze zu verletzen und das dann totzuschweigen. Schließlich trat der hohe Büßer zerknirscht im ARD-Interview auf. Er hat es nicht gern getan und wirkte auch nicht überzeugend. Vielmehr gewann man den Eindruck der TV-Auftritt des deutschen Staatsoberhauptes werde von diesem als notwendiges Übel zum Amtserhalt betrachtet.

Die Medien haben das erkannt, aber sie hatten wohl auch zusätzlich noch Rechnungen zu begleichen. Die Welt am Sonntag, ein weiteres Springer-Blatt, berichtete über Wulffs Versuch vor einiger Zeit die Berichterstattung über sein nicht vorhandenes Verhältnis zu einer Halbschwester zu verhindern. Was soll das für ein Skandal sein, in dem ein Politiker seine Privatsphäre bewahren möchte? Warum hat die Welt am Sonntag nicht schon früher davon berichtet? Solange Politiker eine Glaubwürdigkeitsbasis haben, ist ihr Zusammenleben mit den Medien eine Frage von Geben und Nehmen. Eine Zeitung bringt eine Geschichte nicht, dafür bekommt sie ein Exklusivinterview. Außerdem überlegen es sich Medien auch zweimal einem beliebten Politiker irgendwelche Kleinigkeiten vorzuwerfen. Wulff dürfte dieses Spiel nicht gespielt haben und ihm fehl nun die nötige Glaubwürdigkeit solche Berichte abzuwehren, weil er seine Verfehlungen nur immer soweit zugegeben hat, wie sie ihm bewiesen werden konnten. Es war die Waldheim-Strategie und die funktioniert nicht. Selbst Medienstrategen raten einem von Skandalen bedrohten Politiker immer alles sofort zuzugeben. Früher oder später kommt es sowieso raus. Zu sagen, man habe sich falsch verhalten bei der Kreditvergabe, aber die zornigen Anrufe beim Chefredakteur der Bild verschweigen? Zugeben, dass man falsch zitiert hat und ein 80%iges Plagiat kleinreden? Solche Vorgehensweisen sind oft der Todesstoß für ohnehin angeschlagene Politiker. Man kann aus solchen Situationen nur herauskommen, wenn man sie erkennt und schonungslose offene Reue zeigt. Politiker machen oft den Fehler heikle Stimmungen falsch einzuschätzen. Ein Eingeständnis, das zu spät kommt, hat keine Wirkung mehr. Außerdem muss man den Unwert der Handlung erkennen oder die Leute zumindest glauben lassen können, man hätte ihn erkannt. Wer Kriege zum Schutz von Handelswegen für gerechtfertigt hält und sich dann aufführt wie ein schmollendes Kind, kann sein Amt nicht erfolgreich verteidigen. Wulffs Vorgänger hat diese Lektion bitter gelernt.

Auch Christian Wulff ist angeschlagen und wird sich nur mit Mühe im Amt halten können. Wenn es nun zu einer weiteren Enthüllung kommt, muss er wohl gehen. Diese Situation hat er sich selbst zuzuschreiben. Sie ist aber auch die Konsequenz eines Feldzuges einzelner Medien, bedauerlicherweise auch solcher, die sich bisher immer mit dem Prädikat „Qualität“ versehen haben. Beim Spiegel-Titel dieser Woche fühlt man sich automatisch an den so pathetischen ersten Artikel des deutschen Grundgesetzes erinnert „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Interessant, dass der Spiegel dies dem deutschen Staatsoberhaupt nun nicht mehr zugestehen will.