Dienstag, 10. Januar 2012

Die Würde des Wulff, oder: schlechte Aussichten im Bellevue

Zugegeben ich war auch für Gauck. Das heißt, wenn man als Österreicher überhaupt für jemanden zu sein hat, der das Amt des deutschen Bundespräsidenten übernehmen soll. Der Alte Opa mit seinem ehrlichen Gesicht wirkte ja auch so viel sympathischer als der geschniegelte Christian Wulff, ein Schwiegermutterschwarm für greise Katholikinnen. Dieser Gauck hatte irgendwo etwas seltsam Vertrauenswürdiges, eine für einen Politiker pervers aufrichtige Ausstrahlung. Gewählt wurde aber dann doch die politische und nicht die moralische Variante, eine Entscheidung Angela Merkels, die sich nun bitter rächt.

Christian Wulff hat sich viele Feinde gemacht und dafür muss er nun bezahlen. Er merke sich Beleidigungen von Journalisten für immer und spreche sie auch noch 20 Jahre später darauf an, sagte er einmal vor Kindern. Machten die Medien Wulff Ärger, bekamen sie Ärger mit Wulff. Doch jetzt darf er als deutscher Bundespräsident nicht mehr zurückschlagen. Er ist kein Regierungschef mehr, er ist nun Staatsoberhaupt. Und in diesem Amt verhält man sich würdevoll. Würde ist auch die einzige wesentliche Kompetenz die das deutsche Grundgesetz dem Bundespräsidenten einräumt. Er hat die Machtfülle eines konstitutionellen Monarchen, nämlich gar keine. Die Würde des Amtes ist es auch, auf die der Spiegel in seinem aktuellen Titel (2/2012) verweist. In den letzten Tagen und Wochen war die Zeitschrift nicht müde geworden an Wulffs Stuhl zu sägen. Und noch immer finden sich täglich ein halbes Dutzend Berichte, Videos, Interviews und Retrospektiven zum Thema auf spiegel.online. Nachdem man vor der Wahl in der Bundesversammlung Gauck als den richtigen Präsidenten angepriesen hatte, kam vor zwei Wochen die gegenteilige Aussage über Wulff. Diese Woche präsentierte ihn die Zeitschrift als "In Amt und Würden". Man wird das Gefühl nicht los, dass der Spiegel Wulff loswerden will und zwar mit allen Mitteln. Aber warum? Schließlich hat Wulff die Bildzeitung angerufen und bedroht, er werde jede Kooperation beenden, sollten seine Privatissima veröffentlicht werden. Da scheint im Umgang mit den Medien grundsätzlich etwas falsch gemacht worden zu sein vom neuen Herrn im Schloss Belvue. Da muss es Friktionen - wohl noch aus Wulffs Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident - geben, die bis heute wirken und die einen Skandal zum publizistischen Supergau werden ließen.

Sicherlich: Man kann es durchaus kritisch sehen, wenn sich ein Politiker von einem Unternehmer privat Geld borgt. Andererseits: Die beiden sind befreundet. Wulff lebte in Scheidung und brauchte Geld für ein neues Haus für sich und seine schwangere neue Frau. Von jener zweiten Seite liest man wenig in den Medien dieser Tage. Wer von uns würde nicht einen reichen Freund um Hilfe bitten, wenn er Probleme hat und nicht weiß wohin? Für Politiker aber gelten strengere Regeln, besonders für solche wie Wulff. Er war in der Vergangenheit nicht müde geworden die moralische Führungsfunktion seines Berufszweiges zu betonen. Hat er daher die vorgeschriebene Meldung des Privatdarlehens an den niedersächsischen Landtag einfach vergessen? Wohl kaum. Was gemeldet wird kommt leichter an die Öffentlichkeit und ein Kredit von einem Unternehmer mit eigenen Interessen macht sich nicht gut.

Dennoch: Einem Menschen, auch wenn er ein anders gesinnter Politiker mit persönlichen Verfehlungen ist, steht eine ausgewogene Berichterstattung zu. Was wir im Falle Wulffs sehen ist aber eine mediale Hinrichtung. In Österreich würden solche Geschichten vielleicht auf Seite zwölf links unten firmieren, außer der betroffene Politiker lässt im jeweiligen Blatt fleißig Anzeigen schalten, dann gar nicht. Hierzulande würde auch niemals jemand zurücktreten, weil er sich einen windigen Kredit an Land gezogen hat. Man würde von Verleumdungsaktion und Schmutzkübelkampagne sprechen und die Geschichte würde einschlafen, wie die Vorstrafen von Peter Westenthaler oder die paramilitärische Ausbildung des Herrn Strache. Wulff hat das nicht getan, er hat sich gestellt, weil er es musste. In Deutschland gelten andere politische Werte und die erlauben es keinem Politiker und einem Staatsoberhaupt schon gar nicht, Transparenzgesetze zu verletzen und das dann totzuschweigen. Schließlich trat der hohe Büßer zerknirscht im ARD-Interview auf. Er hat es nicht gern getan und wirkte auch nicht überzeugend. Vielmehr gewann man den Eindruck der TV-Auftritt des deutschen Staatsoberhauptes werde von diesem als notwendiges Übel zum Amtserhalt betrachtet.

Die Medien haben das erkannt, aber sie hatten wohl auch zusätzlich noch Rechnungen zu begleichen. Die Welt am Sonntag, ein weiteres Springer-Blatt, berichtete über Wulffs Versuch vor einiger Zeit die Berichterstattung über sein nicht vorhandenes Verhältnis zu einer Halbschwester zu verhindern. Was soll das für ein Skandal sein, in dem ein Politiker seine Privatsphäre bewahren möchte? Warum hat die Welt am Sonntag nicht schon früher davon berichtet? Solange Politiker eine Glaubwürdigkeitsbasis haben, ist ihr Zusammenleben mit den Medien eine Frage von Geben und Nehmen. Eine Zeitung bringt eine Geschichte nicht, dafür bekommt sie ein Exklusivinterview. Außerdem überlegen es sich Medien auch zweimal einem beliebten Politiker irgendwelche Kleinigkeiten vorzuwerfen. Wulff dürfte dieses Spiel nicht gespielt haben und ihm fehl nun die nötige Glaubwürdigkeit solche Berichte abzuwehren, weil er seine Verfehlungen nur immer soweit zugegeben hat, wie sie ihm bewiesen werden konnten. Es war die Waldheim-Strategie und die funktioniert nicht. Selbst Medienstrategen raten einem von Skandalen bedrohten Politiker immer alles sofort zuzugeben. Früher oder später kommt es sowieso raus. Zu sagen, man habe sich falsch verhalten bei der Kreditvergabe, aber die zornigen Anrufe beim Chefredakteur der Bild verschweigen? Zugeben, dass man falsch zitiert hat und ein 80%iges Plagiat kleinreden? Solche Vorgehensweisen sind oft der Todesstoß für ohnehin angeschlagene Politiker. Man kann aus solchen Situationen nur herauskommen, wenn man sie erkennt und schonungslose offene Reue zeigt. Politiker machen oft den Fehler heikle Stimmungen falsch einzuschätzen. Ein Eingeständnis, das zu spät kommt, hat keine Wirkung mehr. Außerdem muss man den Unwert der Handlung erkennen oder die Leute zumindest glauben lassen können, man hätte ihn erkannt. Wer Kriege zum Schutz von Handelswegen für gerechtfertigt hält und sich dann aufführt wie ein schmollendes Kind, kann sein Amt nicht erfolgreich verteidigen. Wulffs Vorgänger hat diese Lektion bitter gelernt.

Auch Christian Wulff ist angeschlagen und wird sich nur mit Mühe im Amt halten können. Wenn es nun zu einer weiteren Enthüllung kommt, muss er wohl gehen. Diese Situation hat er sich selbst zuzuschreiben. Sie ist aber auch die Konsequenz eines Feldzuges einzelner Medien, bedauerlicherweise auch solcher, die sich bisher immer mit dem Prädikat „Qualität“ versehen haben. Beim Spiegel-Titel dieser Woche fühlt man sich automatisch an den so pathetischen ersten Artikel des deutschen Grundgesetzes erinnert „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Interessant, dass der Spiegel dies dem deutschen Staatsoberhaupt nun nicht mehr zugestehen will.

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