Montag, 25. April 2011

Straches Kanzlerschaft, oder: Das Schweigen des Heifi.

Ja, was für eine Nachricht: Heinz Fischer - seines Zeichens österreichischer Bundepräsident - hat festgestellt, dass die Ernennung Heinz-Christian Straches im Falle einer für diesen erfolgreichen Nationalratswahl kein „muss“ sei. Zwar hat Fischer das schon zuvor geäußert, aber weil sich die Medien nicht ständig mit dem ÖVP-Nachwuchs beschäftigen wollen, wurde die Meldung etwas prominenter platziert, als das wohl sonst geschehen wäre und es geschah zusätzlich etwas, das dem Bundespräsidenten sicher nicht recht war: Man hat etwas hineininterpretiert. 

Da wurde etwa spekuliert, Fischer werde Strache nicht ernennen. Wie das wohl die Koalitionsverhandlungen (anno 2013) beeinflussen könnte und ob der Bundespräsident das überhaupt darf... Fragen über Fragen. Mit der Rolle des Staatsoberhauptes im österreichischen Verfassungsgefüge habe ich mich an dieser Stelle bereits beschäftigt (Der Bundespräsident, oder: Wer braucht den alten Mann in der Hofburg?). Nur soviel: Ja, der ernennt den Bundeskanzler wirklich und nein, er braucht das Parlament nicht dazu. Sollten Sie das nicht gewusst haben, brauchen Sie sich nicht zu schämen. Dieses Wissen ist selbst unter Politikwissenschaftern - zumindest denen aus Wien - nicht allzu verbreitet.
Heinz Fischer könnte also auch jetzt schon sagen: „Ich werde Strache nie zum Bundeskanzler ernennen.“ Niemand könnte ihn dazu zwingen, es sei denn der Verfassungsgeber (das Wort schreibt man eigentlich ohne Binde-s, aber das klingt einfach ...) änderte seine Befugnisse. Doch dann wäre der Bundespräsident, was noch nie ein Amtsinhaber sein wollte: ein politischer Akteur. Das österreichische Staatsoberhaupt hat in der Theorie beinahe soviele Kompetenzen wie der französische Staatspräsident, allein: Österreich hat kein Mehrheitswahlrecht, im Parlament sind daher Koalitionsregierungen vorherrschend und ein Präsidentschaftskandidat einer Partei wird kaum mit deren alleiniger Mehrheit regieren können. Außerdem widerspricht eine präsidiale Verfassungsauslegung der österreichischen Staatstradition. Der Bundespräsident ist in den meisten Fällen gut beraten Hände zu schütteln und den Mund zu halten. Dementsprechend spricht man auch von „Angelobung“, wenn neue Regierungsmitglieder zur Inauguration in die Hofburg trotten. Dabei geht dieser noch die Ernennung voraus. 
„Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt.“ (Art. 69 Abs. 1 B-VG) 
 Trotzdem präsentiert der ÖVP-Chef sein neues Team den Medien, noch bevor er es dem Staatsoberhaupt formell vorgestellt hat. Die Ernennung ist realiter nämlich meist nur ein Formalakt. In der Geschichte der Zweiten Republik sind nur drei Fälle bekannt geworden, in denen ein Bundespräsident Ministrablen die Ernennung versagt hat. Einmal weigerte sich Karl Renner einen unter Korruptionsverdacht stehenden Minister erneut zu ernennen, zwei Kandidaten der FPÖ wurden von Thomas Klestil abgelehnt. In Deutschland darf der Bundespräsident nicht einmal das. Obwohl Art. 64 Abs. 1 des deutschen Grundgesetztes eindeutig feststellt: „Die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen.“ Die Präsidenten Heuss und Lübke verlangten auch prompt die Vorlage einer Kabinettsliste, scheiterten damit aber an der normativen Macht des Faktischen, sprich: Konrad Adenauer. Man sieht: Rechtsanwendung ist Interpretation ist Rechtsausgestaltung.

Nun aber zurück zum eigentlichen Thema: HC Strache als Bundeskanzler. Nun, die FPÖ könnte stärkste Partei werden, aber solange sie nicht die absolute Mehrheit im Nationalrat erringt, hat der Bundespräsident noch politischen Spielraum. Als Thomas Klestil 2000 vor ähnlichen Problemen stand, entschied er sich jedoch den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Warum? 
Klestil hatte erneut eine große Koalition angestrebt, die ÖVP hatte jedoch die SPÖ gezielt auflaufen lassen. Trotz des Versprechens ihres Vorsitzenden Wolfgang Schüssel, als Drittplatzierter in Opposition zu gehen, strebte er nun das Amt des Bundeskanzlers an. Ein Wortbruch, an den sich selbst Natascha Kampusch nach ihrer Flucht im ORF-Interview erinnerte. Die FPÖ war zwar zweitstärkste Kraft, es war aber klar, dass man bei Klestil keinen blauen Bundeskanzler, und schon gar nicht Jörg Haider, durchbringen würde. In Geheimverhandlungen ohne Mandat des Staatsoberhauptes schmiedeten ÖVP und FPÖ daher einen Koalitionspakt, mit dem sie den Bundespräsidenten schließlich vor vollendete Tatsachen stellten.
An und für sich war das ein Affront ungeheuerlichen Ausmaßes. Klestil stand nun vor zwei Möglichkeiten: Er konnte die neue Regierung ernennen und damit resignieren, oder er konnte die Ernennung verweigern. Dass er sich letztendlich für die erste Version entschied, mag mehrere Gründe gehabt haben: Eine Verweigerung der Ernennung hätte die Bildung einer neuen Koalitionsregierung unwahrscheinlich gemacht. Die ÖVP hätte sich mit der SPÖ sicherlich nicht arrangiert, die SPÖ wäre wiederum mit der FPÖ nie eine Regierung eingegangen. Für eine Koalition mit den Grünen fehlte allen die Mehrheit. Klestil hätte also eine Minderheitsregierung ernennen müssen. Dabei wären wieder zwei Varianten offen gestanden: Ernennung einer Regierung aus den Mitgliedern einer Partei, was das Staatsoberhaupt als Vermittler zwischen den politischen Lagern endgültig ramponiert hätte oder die Ernennung einer Bürokratenregierung. Schüssel hatte für diesen Fall bereits Umfragen gestartet und hohe Beamte aus mehreren Parteien gefragt, ob sie im Fall der Fälle bereit wären ihr Ministerium zu führen. Solch eine Regierung hätte jedoch stets die Parlamentsmehrheit gegen sich gehabt, konstruktives Regieren wäre unmöglich gewesen, jede Nationalratssitzung zur Zitterpartie geworden. Schließlich kann das Parlament der Regierung jederzeit das Vertrauen entziehen, was deren Sturz zur Folge hat. Die Konseuenz der zweiten Variante wären also früher oder später Neuwahlen gewesen und aus diesen wäre wohl erneut die FPÖ als Siegerin hervorgegangen, so zumindest die Befürchtung. 
Klestil ernannte also die schwarz-blaue Koalition, mit eisiger Miene, aber doch. Gegenüber dem Altkanzler Franz Vranitzky meinte er, die FPÖ sei gewählt, also auch regierungfähig. Vranitzky widersprach dieser Ansicht, meiner Meinung nach zu Recht. Die präsidiale Komponente ist ein Korrektiv der österreichischen Verfassung, sie anzuwenden ist völlig legal. Wenn man also der Ansicht ist, dass sich die FPÖ außerhalb des Verfassungsbogens bewegt (besten Dank an Andreas Khol für diesen Begriff), muss man auch die Ansicht vertreten, dass sie nicht in eine Regierung gehört. 
„An das steinerne Gesicht des Bundespräsidenten bei der Angelobung werde ich mich lange erinnern.“ Wolfgang Schüssel
Dabei dreht sich die ganze Sache nicht einmal so sehr um Herrn Strache selbst. Traurig aber wahr: Er ist einer der liberaleren Exponenten der FPÖ. Von 34 blauen Nationalratsabgeordneten gehören 12 dem korporierten Burschenschaftswesen an. Das sind keine rechten Träumer, das sind Deutschnationale mit besten Verbindungen zur Neonaziszene. Schon während der letzten Regierungsbeteiligung der FPÖ verbreitete der nunmehrige Dritte Nationalratspräsident Martin Graf mit seinen vernarbten Spezis von der Burschenschaft Olympia Angst und Schrecken im Atom-Forschungslabor Seibersdorf, wohin er seine Compadres ohne Rücksicht auf persönliche Eignung beförderte. Kann man es wirklich verantworten solche Leute erneut in höchste Verwaltungsämter zu lassen?
„Er hat sich wie ein Lump benommen.“ Hilmar Kabas (über Klestils Verhalten bei der Angelobung)
Heinz Fischer ist - wie damals übrigens auch Klestil - in seiner zweiten Amtszeit. Eine anschließende Wiederwahl ist durch die Verfassung ausgeschlossen. Er hat also nichts zu verlieren, außer seine Popularität. Dass er es bisher gescheut hat auf die Frage nach einer Regierungsbeteiligung der FPÖ klare Aussagen zu treffen, hat gute Gründe. Würde er eine Ernennung Straches zum jetzigen Zeitpunkt bereits ausschließen, gäbe er diesem Gelegenheit sich zum Opfer der Staatsmacht zu stilisieren und könnte seiner Karriere als Möchtegernvolkstribun damit weiter Auftrieb verleihen. Würde er die Regierungsfähigkeit der FPÖ jedoch bejahen, hätte diese damit einen Freibrief fürs weitere politische Wüten am untersten Rand in der Hand. Mit seiner Strategie, immer wieder mal zu sagen, dass nicht alles in Stein gemeißelt ist, hält Fischer die FPÖ in Wahrheit an einem - zugegeben sehr dünnen - Gängelband. Mit seiner ausweichenden Haltung mag aber auch die Hoffnung verknüpft sein, und das entspricht Fischers Charakter voll und ganz, diese heikle Entscheidung vielleicht niemals treffen zu müssen.
Strache, der derzeit innerparteilich gegen einen Rechtsruck (sic!) kämpft und versucht die inhaltliche Kontrolle über das neue Parteiprogramm zu gewinnen, hat somit jedoch ein Argument seine Partei weiterhin am rechten Rand zu halten, sie aber nicht davon runterfallen zu lassen. Dass er den Bundespräsidenten ob seiner Äußerung daher noch nicht angegriffen hat, kann auch aus diesem Grund verständlich wirken. Außerdem würde ein Frontalangriff Fischer wohl kaum davon überzeugen, dass Strache zur Kanzlerschaft geeignet wäre.

Was wird Fischer aber tun, wenn die befürchtete Stunde schlägt? Sollte die FPÖ bei der nächsten Wahl stimmenstärkste Partei werden, und momentan deuten die Umfragen darauf hin, wird es für den Präsidenten sehr schwierig diese bei der Regierungsbildung zu übergehen. Vom Staatsoberhaupt ausgelöste Neuwahlen - sei es nun durch Selbst- oder Präsidialauflösung des Parlamentes - würden der FPÖ wohl eher nutzen als schaden. Ernennt Fischer aber eine Regierung unter blauer Beteiligung, kann er zumindest personelle und teilinhaltliche Kontrolle ausüben. Die Nichtzulassung von Rechtsextremen zu Ministerposten und die Bindung an ein vom Bundespräsidenten oktroyiertes Agreement, wie schon 2000, sind dabei die äußersten Mittel, über die er realpolitisch verfügt. Wird die FPÖ zweitstärkste Kraft, so ist ihre Umgehung bei der Regierungsbildung schon einfacher, aber immer noch schwierig. Im Endeffekt kommt aber alles auf die Leidensfähigkeit der ÖVP an. Verliert sie massiv, werden die innerparteilichen Stimmen lauter, die zu einem Verlassen der großen Koalition aufrufen. Auch wenn eine Regierungsbildung mit der FPÖ unter dem neuen Vorsitzenden Spindelegger unwahrscheinlicher geworden ist, so steht doch zu vermuten, dass er einen -aus heutiger Sicht eigentlich kaum vermeidbaren - dritten Platz bei den Wahlen 2013 politisch nicht überleben wird. Ein Rechtsruck der ÖVP und eine erneute Koalition mit den Freiheitlichen mag die Folge sein, vielleicht verbunden mit der leisen Hoffnung der Schwarzen bei der nächsten Wahl wiederum von deren zu erwartenden Selbstzerfleischung profitieren zu können. Immerhin stieg das Ergebnis der ÖVP nach dem Debakel 1999 (26,9%) auf 42,3% bei den Wahlen 2002, denen der freiheitliche Politsuizid in Knittelfeld vorhergegangen war. 

Die Entscheidung, ob die FPÖ in die Regierung kommt oder nicht, liegt also in einem eher geringen Maße beim Bundespräsidenten, außer er schmeißt das bisherige Rollenverständnis seines Amtes völlig um. Eine totale Verweigerung FPÖ-Minister zu ernennen, könnte dann jedoch in einer veritablen Verfassungskrise münden, vor allem dann, wenn der Wähler die FPÖ in erneuten Neuwahlen stärkt. Ein Bundespräsident der keine mehrheitfähige Regierung ernennen will und ein Nationalrat der keine Regierung wählen kann: Auf solche Probleme ist die österreichische Verfassungsordnung nicht ausgelegt. Mögen sie also niemals eintreten!

„Ich hoffe nur, dass die nächste Bundesregierung wieder oberirdisch zu mir zur Angelobung in die Hofburg kommt.“ Thomas Klestil (Die erste schwarz-blaue Kolaition kam unterridisch, weil sie sich vor Eierwerfern fürchtete)

Dienstag, 19. April 2011

Die ÖH-Wahl, oder: politischer Wahnsinn auf höchster Stufe.

So es ist jetzt genug mit den ÖVP-Themen. Ich könnte mich jetzt über die fachliche und persönliche Eignung der neuen Regierungsmitglieder auslassen, aber ich verzichte. Man kann sich nicht ständig mit der ÖVP beschäftigen. Es ist schon schlimm genug, wenn sie das selber macht.
Aber ich bleibe natürlich dem politischen Alltagswahnsinn treu. Und was gibt es wahnsinnigeres als die Unipolitik? Alleine die Vorstellung, dass die Leute, die sich da so engagieren eines Tages in unserer Gesellschaft führende Positionen übernehmen oder sogar Integrationsstaatsekretäre werden könnten, lässt einem die Haare zu Berge stehen.
Die Bandbreite erstreckt sich von Kommunisten bis Faschisten und das ist sogar für Österreich recht extrem. Versuchen Sie sich nicht bei jedem hier widergegebenen Zitat an den Kopf zu schlagen, sie könnten sonst in Kürze ihren Schädelknochen massieren. Wenn man das ganze universitätspolitische Brimborium als ein Satirestück nestroy'schen Ausmaßes begreift, fällt es einem vielleicht leichter zu lachen. Generell muss man bei der Uni-Politik folgende Formel beachten:

[(Bundespolitik - Altersmilde) Schwachsinn  + √ (Verfassungstreue * Weltherrschaftsphantasien)] Realitätsverweigerung 

In der Politikwissenschaft rühmt man sich ja gerne den „impact“ diverser „policies“ messen zu können. In der Realität stellt sich das meist als schwierig dar. Außer natürlich, es handelt sich um Aktionen wie den „transnationalen Migrant_innenstreik“, zu dem der „Kommunistische Student_innenverband - linke Liste“ - nicht zu verwechseln mit dem „Kommunistischen StudentInnenverband“ - am 1. März aufgerufen hatte. Das Wort Streik wird heutzutage ja gern inflationär gebraucht, aber ein Migrantenstreik hat genau genommen soviel Erpressungspotential wie ein Pensionisten-, ein Studenten- oder ein Selbstmordattentäterstreik. Kein Mensch interessiert sich dafür, wenn Senioren sich weigern weiterhin im Park die Tauben zu füttern oder wenn Studenten noch mehr saufen und gar nichts mehr lernen. Was wollen Migranten bestreiken? Die Einwanderung? Bis Lampedusa hat sich die KSV-lili Aktion jedenfalls noch nicht durchgesprochen. Von mir gemutmaßter policy-impact: null.
Was man bei dieser Kommunistenliste schon beim Namen bemerkt ist, dass sie noch viel kritischer ist, als der staubige alte KSV. Der ist die Hörigenorganisation der KPÖ, nicht so superdekonstruktivistisch wie die lilis und schon gar nicht so international (Werbeslogan „Vota Communista“). Die verwenden nämlich nicht das abgehalfterte alte Binnen-I für geschlechtsneutrale Formulierungen, sondern das viel passender _innen. Warum? Ja wussten Sie denn nicht, dass ihnen Ihr patriachalischer Vater/ Ihre unterdrückte Mutter Ihnen Ihren Penis/ Ihre Vagina nur anerzogen hat?
„Wir sind Frauen, besser gesagt als Frauen sozialisiert, Feministinnen und Aktivistinnen im KSV-Lili (Kommunistischer Student_innenverband – Linke Liste). Obwohl wir das Konzept ,Frau´ für uns verwenden verstehen wir Geschlecht und Geschlechterrollen als sozial konstruiert und wollen eine komplette Auflösung der Geschlechterdichotomie und der damit einhergehenden Geschlechterhierarchien.“
Ja, Männer sollen auch endlich ihren Eisprung kriegen! Dagegen lesen sich die guten alten Propagandafloskeln des KSV wie 70erjahre-Schlagzeilen aus der Prawda:
„Die Teilnahme an Aktionen und Diskussionen der kapitalismuskritischen Bewegung ist zentraler Bestandteil unseres tagespolitischen Kampfes für die Bewusstmachung der Widersprüche der kapitalistischen Ordnung und für die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung.“
Was wird aus dem Klassenkampf, wenn man permanent damit beschäftigt ist sich seine Mumu oder seinen Schniedel wegzudiskutieren? Am Ende wird der Kapitalismus diese geschlechterlose Gesellschaft noch auffressen!
Da sei der VSSTÖ vor! Denn gottseidank gibt es auch noch ein paar Sozialist_innen, die sich nebenher auch noch um den Sturz der politischen Weltordnung kümmern. Natürlich spielt die Frau_enpolitik aber auch dort eine große Rolle: Ganze acht Damen demonstrieren für die Förderung von jungen Wissenschafterinnen, weil ihr Anteil im Doktoratsstudium nur 40% beträgt. Natürlich hat die Zahl der Studienanfängerinnen insgesamt nun 58% erreicht, aber komischerweise denkt niemand an eine Wissenschafterförderung. Männer sind ja zum marginalisieren da. Wenigstens wird heuer nicht mehr eine höhere Studienbeihilfe für Studentinnen verlangt, um die gehaltsmäßige Benachteiligung bei Studentenjobs auszugleichen.
Die Forderung ist nunmehr ein Grundstipendium von 250 € für alle. Laut Unidata studieren derzeit ca. 265.000 Personen an Österreichs Universitäten und etwa 38.000 an den Fachhochschulen. Das VSSTÖ-Projekt kostet also über den Daumen gepeilt 77,5 Mio. Euro - pro Monat. Die Republik Österreich hat derzeit 209,2 Mrd. Euro Schulden, wir haben also noch Platz für ein paar Milliönchen weniger am Konto. Auf den Plakaten der Sozialisten und _innen ist dann noch eine Blondine mit kokettem Hüftschwung zu sehen, die eine Sprechblase mit der Aufschrift „ohne Kompromisse“ in der Hand hält. Man möchte meinen, dass jemand, der Kompromisslosigkeit propagiert, das Grundprinzip von Demokratie nicht verstanden hat.

Natürlich sind auch die grünen Studierenden (GRAS) gewohnt revolutionär unterwegs und wie der VSSTÖ immer noch dafür, dass Genderstudies zum Pflichtfach in allen Studienrichtungen von Ägyptologie (Die Pharaonin im politischen System der dritten Dynastie) über Numismatik (Wie weiblich sieht Maria Theresia auf ihrem Taler aus?) bis zur Zoologie (Transgenderpinguine und ihre Unterdrückung im modernen Zoobetrieb) eingeführt wird. Insgesamt macht die GRAS heuer aber trotzdem eher einen auf Wohlfühlwahlkampf. Nix mehr mit „Nimm ein Flaggerl für dein Gaggerl - wer Österreich liebt muss scheiße sein“-Affichierungen. Plakate in kuschelgrün und softierosa vermitteln jetzt Behaglichkeit und grün-moderate Forderungen: Da soll der Staat jedem Studenten genug Geld und Zeit „zum Hinterfragen“ und „zum Leben“ geben, auch die „Gleichstellung aller in Österreich Lebender!“ wird gefordert. Manchmal bringt gender mainstreaming schon gewisse Formulierungsprobleme mit sich. Wie wär's mit „aller derzeit auf dem Gebiet der Republik Österreich physisch ansässigen natürlichen Personen jederlei Geschlechts“ gewesen? Aber „Lebenden“ hätt's auch schon getan... Solange aber die Mensen, wie von der GRAS gefordert, bald „leistbares Bio-Essen“ anbieten, hat sich mein Bedürfnis nach politischer Vertretung durch die grüne Studentenschaft schon völlig erschöpft.

Wenden wir uns nun dem anderen politische Spektrum zu, wenn wir es so nennen wollen. Denn bei der „Aktionsgemeinschaft“ (AG) von Politik zu sprechen fällt einem schon recht schwer. Alles was sie plakatiert und vertritt erinnert einen verdammt an den „Österreich - hier geht's uns gut“-Wahlkampf von Wolfgang Schüssel. „Bunt - mutig - studentig“ heißt es etwa auf den AG-Wahlständern, passender wäre wohl „schwarz - angepasst - inhaltsleer“. Das „Wort“ „studentig“ allein ist schon der Gipfel der politischen Anspruchslosigkeit und in etwa so aussagekräftig wie „für mehr Arbeitsplätze“ oder „sein Handschlag zählt“. Die AG gibt sich gern unabhängig, ist in Wirklichkeit aber eine de facto Vorfeldorganisation der ÖVP. Wie sich die Fraktion finanziert, ist bis dato unklar. Im Gespräch stehen immer wieder Spenden der Industriellenvereinigung, die bekanntlich immer dann zahlt, wenn die Wirtschaftskammer aus rechtlichen Gründen nicht kann. Was bei den einen an Gesellschaftskritik zu viel ist, ist bei der AG zu wenig. Sie hat diesbezüglich keinerlei Ansprüche, wie ihr Spitzenkandidat Krall präzisiert:
„Die AG diskutiert in der ÖH nicht über Gesellschaftspolitik, besetzt keine Unis, vertritt keine Ideologien, sondern kümmert sich ausschließlich um die Studierenden.“
Interessenvertretung sein heißt immer Gesellschaftspolitik betreiben und ideologiefreie Politik gibt es schon gar nicht. Die AG würde sich gerne als warmer Eislutscher oder eierlegende Wollmilchsau präsentieren. Dabei tritt sie sehr wohl für etwas ein:
„Überfüllte Hörsäle und endlose Wartelisten müssen ein Ende haben: Mit einem fairen Zugangsmanagement in Massenstudien wird ein besseres Betreuungsverhältnis und damit mehr Qualität im Studium gewährleistet.“
Zugangsbeschränkungen sind ein hochideologisches Thema und haben auch gesellschaftspolitische Auswirkungen. Dass die AG das nicht wahrhaben will, ist klar, denn sie  gibt sich ja als der zurechnungsfähige Gegenpol zu den überideologisierten Geisteskranken aus der linken Reichshälfte. Und in der Tat ist das Befinden der bolivianischen Kokabauern für die österreichische Hochschulpolitik so wichtig wie Silvio Berlusconis Haarausfall für das internationale Walfangmoratorium, sich aber als politische Gruppierung unpolitisch zu geben ist Etikettenschwindel auf höchster Stufe und mindestens genauso verlogen wie das pseudoproserbische Wahlkampfgesülze eines Heinz-Christian Strache.

Apropos: Dieser Herr hat natürlich auch seine Gefolgschaft an den österreichischen Hochschulen, auch wenn diese seit den 70ern von über 30 auf unter 5% zusammengeschmolzen ist. Bevor mit der „Abschaffung“ der Studiengebühren das betreiben eines Zweitstudiums über Mindeststudienzeit teuer geworden ist, war es gute Tradition des „Rings Freiheitlicher Studenten“ (RFS), dass sich ihre Sympathisanten und Funktionäre in möglichst vielen Studienrichtungen eintragen und dann am Wahltag mit einem Bus von Wahllokal zu Wahllokal gefahren werden, weil man ja auf jedem Institut und jeder Fakultät auf der man inskribiert ist, ein Kreuzerl machen darf. Der RFS-Vorsitzende heißt übrigens Chlodwig Mölzer. Sowohl Vor-, als auch Nachname sprechen Bände. Sein Team lässt sich gerne mit weißen T-Hemden und Sonnenbrillen fotografieren, vielleicht, damit das Blitzlichtgewitter der Verfassungsschutz-Kameras nicht immer so blendet.
In der Zeitschrift des RFS „Der Ring“ wirbt der Kärntner Landesrat Uwe Scheuch für das Land - also auf Staatskosten - für eine Helminitiative für Mopedfahrer. Dann wird noch nachgefragt, ob „die Deutschen“ schuld an der österreichischen Bildungsmisere sind, was selbstverständlich verneint wird, weil die pangermanische Solidarität im RFS doch noch sehr ausgeprägt ist. Nach ihrer Sicht dürfte wohl der Großteil der Studenten an österreichischen Hochschulen Deutsche sein, auch ohne Staatsbürgerschaft. Dementsprechend spricht man weniger von Deutschland und mehr von BRD, einem Kürzel, das sich nach der Wende vor allem in Neonazikreisen gehalten hat. Der RFS ist diesbezüglich ohnehin kein Lamperlverein. Er hält engste Verbindungen zum korporierten Burschenschafterwesen und deren bekanntesten Exponenten Martin Graf. Früher war der Ring ein Sammelbecken für die Südtirol-Bomber und unterstützte Gedenkveranstaltungen für den NS-Flieger Nowotny. Natürlich tritt er aus Gründen der „Meinungsfreiheit“ nach wie vor für die Abschaffung des Verbotsgesetzes ein. Dass gegen seine Mitglieder regelmäßig aufgrund dieses Gesetzes ermittelt wird, ist dabei natürlich kein Motiv. Aber bei RFS-Funktionären kann man ja schon froh sein, wenn sie nicht ihre Freundinnen ermorden und zerstückeln...

Nun hat man also die Wahl zwischen Weltrevolution, diskursiver Kastration, absolutem Politvakuum oder den „boys from Brazil“. Das schönste an dieser Wahl wäre, nicht wahlberechtigt zu sein.

Mittwoch, 13. April 2011

Der neue ÖVP-Vorsitz, oder: Der schwarze Infarkt.

Josef Pröll ist zurückgetreten, nach zwei Thrombosen und einem damit einhergehenden beidseitigen Lungeninfarkt eine verständliche Entscheidung. Sie fällt aber in eine Zeit der konservativen Krise. Etliche ÖVP-Funktionäre sind nach Skandalen zurückgetreten. Das Vertrauen in die Politik im Allgemeinen und die Christlichsozialen im Speziellen ist mittlerweile auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt. Die ÖVP sucht in dieser bewegten Phase nun einen Vizekanzler, Finanzminister und Parteiobmann bzw. eine Vizekanzlerin, Finanzministerin und Parteiobfrau. Möglicherweise werden die Funktionen auch getrennt. Wer könnte sie übernehmen?

Dr. Maria Theresia Fekter hat bereits während Prölls Krankheit die Führung in der Partei und der Regierung übernommen. Sie gilt allgemein als Hardlinern und Vertreterin des konservativen Flügels innerhalb des Wirtschaftsbundes. Fekter wäre als Zugpferd in Wahlkämpfen vor allem gegen die FPÖ wirksam, aber kaum gegen die SPÖ. Fraglich ist jedoch, ob sie den Parteivorsitz wirklich anstrebt. Man kann der Innenministerin viel nachsagen, aber eine Eigenschaft, die in der ÖVP zurzeit schwer gefragt sein dürfte, brächte Sie sicherlich mit: sie ist nicht korrupt. Allein der Vorwurf, sie hielte sich nicht ans Gesetz soll sie hinter den Kulissen zu Wutanfällen bringen. Die Fekter Mitzi, wie sie nach eigenen Angaben niemand nennt - ist gegen die Homoehe und mag keine Staatsoberhäupter mit nicht getauften Kindern, aber sie ist innerhalb dieses katholisch-konservativen Weltbildes zumindest eine konsistente Politikerin. Nachdem sie gegen Michael Spindelegger in einer Kampfabstimmung um den Sitz des Zweiten Nationalratspräsidenten unterlag, soll sie ihm mit den Worten der Bessere habe gesiegt gratuliert haben. Man ist versucht das als Anstand zu werten.

Ob Spindelegger es auch sein wird, der ihr diesmal das Wasser abgräbt ist noch nicht entschieden. Angeblich wollte Pröll schon bei seinem Rücktritt seinen Nachfolger präsentieren, wurde aber offensichtlich darin zurückgehalten. Der, den er laut Mediengerüchten vorstellen wollte, ist besagter Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Dr. Michael Spindelegger, seines Zeichens ÖAAB-Vertreter und - wenn es denn so etwas geben sollte - wohl eher dem liberalen Flügel der ÖVP zurechenbar. Von ihm dürfte man sich wohl tatsächlich eine etwas aufgeschlossenere Politik erwarten. Vielleicht wären ideologische Entscheidungen wie jene über die Gesamtschule, die Väterkarenz und die Frauenquote, dann nicht mehr ganz so kontrovers und würden vielleicht auch zu einem gediegenen Abschluss kommen. Offen gesagt ist Spindelegger derjenige, dem ich zutraue die ÖVP am besten zu positionieren, ob das der Wähler goutieren wird, ist eine andere Frage. Denn in der Volkspartei haben bisher nicht unbedingt nur liberale, weltoffene und aufgeschlossene Zeitgenossen ihre politische Heimat gesehen.

Ein Kompromisskandidat könnte daher Wirtschaftsminister Dr. Reinhold Mitterlehner sein. Er gilt als einer der beliebtesten ÖVP-Politiker, weil er es versteht in den Medien besonnen aufzutreten. Hinter den Kulissen soll er sich freilich weniger freundlich und weit weniger sympathisch geben. Ihm werden Arroganz und Cholerikertum nachgesagt. Nichtsdestotrotz steht er möglicherweise da, wo die ÖVP ihren neuen Vorsitzenden sucht. Er ist liberaler als Fekter, aber nicht so liberal wie Spindelegger, kommt vom Wirtschaftsbund und aus Oberösterreich, einem Bundesland, das sich innerhalb der ÖVP - trotz Maria Fekter als Innenministerin - zuletzt als nicht genügen berücksichtigt empfunden hat.

Wahrscheinlich ist, dass es zu einer größeren Personalrochade kommen wird. Vermutlich übernimmt einer aus der ÖVP-Ministerriege das Amt des Vizekanzlers und Parteivorsitzenden. Vielleicht wechselt der aber nicht ins Finanzministerium, sondern bleibt auf seinem Sessel sitzen. Ein Minister wird aber jedenfalls nachzubesetzen sein. Wenn Spindelegger das Rennen macht, wechselt Mitterlehner womöglich ins Finanzressort. Nachfolger als Wirtschaftsminister könnte der bisherige Klubobmann und in dieser Funktion umstrittene Karlheinz Kopf (ohne akademischen Titel) werden, womit dann auch dessen Posten nachbesetzt werden müsste. Ob Justizministerin Dr. Claudia Bandion-Ortner diese Regierungsumbildung überleben wird, ist ebenfalls fraglich. Sie gilt auf ÖVP-Seite als erste Abschusskandidatin, so wie auf SPÖ-Seite Gesundheitsminister Alois Stöger.

Für ernsthafte Prognosen fehlen derzeit noch die verlässlichen Daten. Wer Nachfolger wird, entscheidet sich spätestens morgen Donnerstag. Ob nun Fekter überhaupt Ambitionen hat, sich der Wirtschaftsbund (Fekter, Mitterlehner) wieder einmal gegen den Arbeitnehmerbund (Spindelegger) durchsetzt und wie die Regierungskonstellation am Ende aussieht, ist jetzt einfach noch nicht absehbar.
Klar ist aber, dass der neue Obmann und Vizekanzler einiges zu erledigen hat. Er muss den Kehraus in der Volkspartei weiterführen. Korrupte Elemente sind nach wie vor vorhanden und müssen entfernt werden. Innerhalb der ÖVP tobt außerdem immer noch ein Richtungskampf um die Parteilinie. Der neue Vorsitzende wird alle Bünde und Flügel zufriedenstellen, die Ländervertreter ruhig halten und sich gegen den Koalitionspartner durchsetzen müssen. Traditionell ist die Position des schwarzen Parteichefs auch noch ein Schleudersitz. Eigentlich ein Wunder, dass sich so viele um den Posten bewerben...

Montag, 4. April 2011

Die ÖVP, oder das konservative Problem.

Die Österreichische Volkspartei hat es zurzeit schwer. Ihre Mandatare fangen plötzlich an mit Behindertenausweisen von verstorbenen Verwandten zu parken, sich an falsche Lobbyisten zu verkaufen oder mit Spesengeldern private Schulden zu tilgen. Sowas gibt schlechte Presse und schlechte Presse ist im politischen Geschäft meist tödlich.

Dabei startete die Zweite Republik so verheißungsvoll für die Konservativen. Die Schrecken des NS-Regimes ließen die Leute den von den Christlichsozialen losgetretenen Bürgerkrieg des Jahres 1934 schon fast vergessen. Man gab sich einen neuen Namen und behielt das alte Personal, nannte sich jetzt aber antifaschistisch und demokratisch. Wie aus der „United Fruit Company“ plötzlich „Chiquita“ wurde,  entstand so aus den Trümmern der austrofaschistischen „Vaterländischen Front“ die ÖVP. Der gelang es in den darauf folgenden ersten freien Wahlen von 1945 auch prompt die absolute Mehrheit zu erlangen. Weil die Zeichen aber nach wie vor auf Krise standen und man auch noch immer die Russen im Land hatte, hielt man es für besser die Konzentrationsregierung mit der SPÖ und der KPÖ aufrechtzuerhalten. Der folgten dann große Koalitionen und eine mäßig erfolgreiche ÖVP-Alleinregierung die letztendlich weniger an der Bigotterie ihres Kanzlers Josef Klaus oder dem antisemitischen Wahlkampf der ÖVP - gegen den aus jüdischem Hause stammenden Bruno Kreisky wurden Klaus-Plakate mit dem Schriftzug „Ein echter Österreicher“ affichiert - sondern vielmehr an ihrer Steuerpolitik scheiterte. Zumindest war es die erste Regierung, in der mit Grete Rehor eine Frau vertreten war. Weil der Österreicher es aber nicht mag, wenn sein Bier teurer wird, konnte Kreisky nach der Niederlage der ÖVP zunächst eine Minderheits- und dann folgend drei Alleinregierungen bilden.
Der medienaffine Kreisky machte es den ÖVP-Obmännern nach Klaus schwer sich in Szene zu setzen. Weniger gnädige Beobachter würden sagen, er spielte sie gekonnt an die Wand. Außerdem war die Volkspartei ohnehin damit beschäftigt katholisch zu sein und ihre jeweiligen Vorsitzenden nach kurzen Amtszeiten wieder abzusägen. Dem Strafrechtsreformpaket wurde 1973 und 1974 die Zustimmung verweigert, weil es die Fristenlösung und damit die teilweise Straffreiheit für Schwangerschaftsabbrüche beinhaltete. Die ÖVP blieb konservativ und beschränkte sich  auf die Arbeit in den Bundesländern, wo man das Swingtanzen verbot oder der Prostitution zuleiberückte.

Erst das Ende der Kreisky-Ära und der Haider-bedingte Kollaps der rot-blauen Koalition 1986 brachte die ÖVP nach 16 Jahren wieder zurück an die Regierung. Es folgten große Koalitionen unter wechselnden Vorsitzenden und schließlich das bejubelte schwarz-blaue Experiment, mit dessen korrupten Nachwehen vor allem der schwarze Part zurzeit zu kämpfen hat.

Jetzt finden sich die Christlichsozialen wieder in einer Zwangskonstellation mit der SPÖ, die beide Partner nicht wollen, aber an die die Roten gebunden sind, weil sie mit den Grünen keine Mehrheit haben und mit den Blauen nicht können und in der sich die Schwarzen gebunden fühlen, weil es mit den Grünen auch nicht geht und sie mit den Blauen - derzeit - nicht wollen. Hier liegt auch schon der Hund und mit ihm der größte politische Joker der ÖVP begraben: Die rechtspopulistische FPÖ ist für sie kein Tabu, was sie in der Vergangenheit ja schon bewiesen hat, aber sehr wohl für die SPÖ. Das Erpressungspotential, das sich daraus ergibt ist enorm und führt zum permanenten Einbrechen des eigentlich größeren Koalitionspartners. Wesentliche Reformen sind daher bisher am Widerstand der Volkspartei gescheitert:

- ein schärferes Korruptionsgesetz
- die Offenlegung der Parteispenden
- ein modernes Beamtendienstrecht
- die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten
- die Schulreform
- die Gleichstellung von eingetragenen Partnerschaften und Ehen
- die Schaffung eines Berufsheeres
- die Pflichtkarenz für Väter,
- das Minderheitenrecht auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen
- sogar die Einführung von Fahrradstraßen scheiterte am Unwillen der ÖVP

Jetzt hagelt neben der üblichen Kritik an der sogenannten Beton-Fraktion - bestehend vor allem aus dem Bauernbund und ÖAAB-Chef Neugebauer - auch noch die Häme über die Korruptionsskandale in Brüssel auf die Schwarzen ein. Die geben sich verwundert. Wer hätte auch ahnen können, was Ernst Strasser für ein Charaktertyp ist? Und die Tatsache, dass Erwin Pröll einen Herrn Grasser unbedingt zum Vizekanzler machen wollte, ist schon längst vergessen. Die ÖVP hat ein grundsätzliches Problem und das ist ihre Systemverflechtung auf breiter Ebene. Die Gliederung in diverse Bünde, weniger als Vorfeldorganisationen, sondern vielmehr als konstitutive Elemente, macht sie unter allen Parteien sicherlich zu jener mit dem heterogensten Politikfeld. Sie muss, die Bauern, die Wirtschaft, die Besserverdiener und die Beamten bedienen. In der Realität des politischen Alltagsgeschäfts heißt das, dass der Traktordiesel billig bleiben muss, es weiterhin den gesenkten Mehrwertsteuersatz auf Abhofverkäufe zu geben hat, für Bauern viel niedrigere Beiträge zu den Sozialversicherungen fällig werden, Agrarförderungen weiterhin üppig auszufallen haben, ein freundliches Beamtendienstrecht nicht geändert werden darf, die Stiftungssteuer niedrig sein muss, Erbschafts- und Schenkungssteuer tabu sind und nur umweltpolitische Konzessionen, die die Industrie nicht belasten zustandekommen dürfen.
Manchmal kollidieren diese Interessen auch, zum Beispiel, wenn der ÖAAB (Arbeitnehmerbund) für und der Wirtschaftsbund gegen etwas eintritt. Meist gewinnt dann der Wirtschaftsbund, auch wenn der ÖAAB die meisten Mitglieder hat. Denn der größte Batzen für die Wahlkampfkosten der Partei kommt nicht aus dem Säckel der Arbeitnehmer. Die Verflechtung mit der Wirtschaft ist es natürlich auch, die die ÖVP dann so Anfällig für Lobbyingattacken macht. Wer will schon einen roten Wirtschaftsberater einstellen? Wirtschaftspolitik ist neben der Agrarpolitik in Wahrheit das Kerngeschäft der ÖVP. Dafür wird manch anderes hintangestellt. Schon der Wirtschaftskammer-Slogan „Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut.“ spricht Bände. Wenn das Mittel zum Selbstzweck erhoben wird, endet das meistens nicht gut, aber der Einfluss der Wirtschaft in der ÖVP ist enorm bis überwiegend. Allein vier Nationalratsabgeordnete der ÖVP sind auch für Raiffeisen tätig. Größere Wirtschaftsbetriebe halten schon fast grundsätzlich Kontakt zur Volkspartei, auch über Spenden. Spätestens seit Schwarz-Blau sind auch die meisten staatsnahen Betriebe mit ÖVP-Funktionären und Günstlingen voll besetzt. Es ist daher leichter über einen einigermaßen prominenten schwarzen Funktionär Einfluss auf sehr viele Bereiche zu erhalten, weil er das weitreichende ÖVP-Netzwerk nutzen kann, als über den Vertreter irgend einer anderen Fraktion. Kaum eine Partei ist daher auch so anfällig für Korruption.

Die ÖVP leidet unter diesen Zwängen und das äußert sich nicht gerade positiv. Nach Umfragen liegt sie in der Wählergunst derzeit auf Platz drei hinter FPÖ und SPÖ. Sie ist im Vergleich mit der deutschen CDU oder der Schweizer CVP mit Sicherheit die konservativste Partei unter den christlichsozialen. Manchmal fällt sie sogar hinter die CSU zurück. Wenn etwa gleichgeschlechtliche Verpartnerungen nicht auf den Standesämtern geschlossen werden dürfen, weil das Maria Fekter zu weit ginge oder wenn selbige meint, sie könne sich Barbara Rosenkranz vor allem deshalb nicht als Staatsoberhaupt vorstellen, weil ihre Kinder nicht getauft seien, wirkt das verdammt gestrig. 

Neben ihren dauernden und systemisch bedingten inneren Streitigkeiten wird sich die ÖVP daher wohl früher oder später auch die Richtungsfrage stellen müssen. Ob eine Partei, die bei Wahlen Kandidaten aufstellt, die - wie Dr. Gudrun Kugler-Lang - dazu aufrufen gegen Homosexualität zu beten, weil das „Schwulen-Propaganda“ vorbeugen könne, die die Gesamtschule aus ideologischen Gründen ablehnt (ich tue es aus anderen), die sich hinter dem Amtsgeheimnis verschanzt und Transparenz als Gefahr wahrnimmt, die jede Art von Frauenförderung grundsätzlich kritisch sieht und die sich kein Berufsheer vorstellen kann, noch den Anforderungen einer modernen Gesellschaft entspricht, hat letztlich das Wahlvolk zu entscheiden. Mit ihrem Klientelismus und der Korruptionsanfälligkeit steht die Österreichische Volkspartei sicherlich nicht alleine da, aber ihre derzeitige Krise hat sie nur sich selbst zuzuschreiben.
„Conservatives define themselves in terms of what they oppose.“ George Will