Montag, 25. April 2011

Straches Kanzlerschaft, oder: Das Schweigen des Heifi.

Ja, was für eine Nachricht: Heinz Fischer - seines Zeichens österreichischer Bundepräsident - hat festgestellt, dass die Ernennung Heinz-Christian Straches im Falle einer für diesen erfolgreichen Nationalratswahl kein „muss“ sei. Zwar hat Fischer das schon zuvor geäußert, aber weil sich die Medien nicht ständig mit dem ÖVP-Nachwuchs beschäftigen wollen, wurde die Meldung etwas prominenter platziert, als das wohl sonst geschehen wäre und es geschah zusätzlich etwas, das dem Bundespräsidenten sicher nicht recht war: Man hat etwas hineininterpretiert. 

Da wurde etwa spekuliert, Fischer werde Strache nicht ernennen. Wie das wohl die Koalitionsverhandlungen (anno 2013) beeinflussen könnte und ob der Bundespräsident das überhaupt darf... Fragen über Fragen. Mit der Rolle des Staatsoberhauptes im österreichischen Verfassungsgefüge habe ich mich an dieser Stelle bereits beschäftigt (Der Bundespräsident, oder: Wer braucht den alten Mann in der Hofburg?). Nur soviel: Ja, der ernennt den Bundeskanzler wirklich und nein, er braucht das Parlament nicht dazu. Sollten Sie das nicht gewusst haben, brauchen Sie sich nicht zu schämen. Dieses Wissen ist selbst unter Politikwissenschaftern - zumindest denen aus Wien - nicht allzu verbreitet.
Heinz Fischer könnte also auch jetzt schon sagen: „Ich werde Strache nie zum Bundeskanzler ernennen.“ Niemand könnte ihn dazu zwingen, es sei denn der Verfassungsgeber (das Wort schreibt man eigentlich ohne Binde-s, aber das klingt einfach ...) änderte seine Befugnisse. Doch dann wäre der Bundespräsident, was noch nie ein Amtsinhaber sein wollte: ein politischer Akteur. Das österreichische Staatsoberhaupt hat in der Theorie beinahe soviele Kompetenzen wie der französische Staatspräsident, allein: Österreich hat kein Mehrheitswahlrecht, im Parlament sind daher Koalitionsregierungen vorherrschend und ein Präsidentschaftskandidat einer Partei wird kaum mit deren alleiniger Mehrheit regieren können. Außerdem widerspricht eine präsidiale Verfassungsauslegung der österreichischen Staatstradition. Der Bundespräsident ist in den meisten Fällen gut beraten Hände zu schütteln und den Mund zu halten. Dementsprechend spricht man auch von „Angelobung“, wenn neue Regierungsmitglieder zur Inauguration in die Hofburg trotten. Dabei geht dieser noch die Ernennung voraus. 
„Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt.“ (Art. 69 Abs. 1 B-VG) 
 Trotzdem präsentiert der ÖVP-Chef sein neues Team den Medien, noch bevor er es dem Staatsoberhaupt formell vorgestellt hat. Die Ernennung ist realiter nämlich meist nur ein Formalakt. In der Geschichte der Zweiten Republik sind nur drei Fälle bekannt geworden, in denen ein Bundespräsident Ministrablen die Ernennung versagt hat. Einmal weigerte sich Karl Renner einen unter Korruptionsverdacht stehenden Minister erneut zu ernennen, zwei Kandidaten der FPÖ wurden von Thomas Klestil abgelehnt. In Deutschland darf der Bundespräsident nicht einmal das. Obwohl Art. 64 Abs. 1 des deutschen Grundgesetztes eindeutig feststellt: „Die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen.“ Die Präsidenten Heuss und Lübke verlangten auch prompt die Vorlage einer Kabinettsliste, scheiterten damit aber an der normativen Macht des Faktischen, sprich: Konrad Adenauer. Man sieht: Rechtsanwendung ist Interpretation ist Rechtsausgestaltung.

Nun aber zurück zum eigentlichen Thema: HC Strache als Bundeskanzler. Nun, die FPÖ könnte stärkste Partei werden, aber solange sie nicht die absolute Mehrheit im Nationalrat erringt, hat der Bundespräsident noch politischen Spielraum. Als Thomas Klestil 2000 vor ähnlichen Problemen stand, entschied er sich jedoch den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Warum? 
Klestil hatte erneut eine große Koalition angestrebt, die ÖVP hatte jedoch die SPÖ gezielt auflaufen lassen. Trotz des Versprechens ihres Vorsitzenden Wolfgang Schüssel, als Drittplatzierter in Opposition zu gehen, strebte er nun das Amt des Bundeskanzlers an. Ein Wortbruch, an den sich selbst Natascha Kampusch nach ihrer Flucht im ORF-Interview erinnerte. Die FPÖ war zwar zweitstärkste Kraft, es war aber klar, dass man bei Klestil keinen blauen Bundeskanzler, und schon gar nicht Jörg Haider, durchbringen würde. In Geheimverhandlungen ohne Mandat des Staatsoberhauptes schmiedeten ÖVP und FPÖ daher einen Koalitionspakt, mit dem sie den Bundespräsidenten schließlich vor vollendete Tatsachen stellten.
An und für sich war das ein Affront ungeheuerlichen Ausmaßes. Klestil stand nun vor zwei Möglichkeiten: Er konnte die neue Regierung ernennen und damit resignieren, oder er konnte die Ernennung verweigern. Dass er sich letztendlich für die erste Version entschied, mag mehrere Gründe gehabt haben: Eine Verweigerung der Ernennung hätte die Bildung einer neuen Koalitionsregierung unwahrscheinlich gemacht. Die ÖVP hätte sich mit der SPÖ sicherlich nicht arrangiert, die SPÖ wäre wiederum mit der FPÖ nie eine Regierung eingegangen. Für eine Koalition mit den Grünen fehlte allen die Mehrheit. Klestil hätte also eine Minderheitsregierung ernennen müssen. Dabei wären wieder zwei Varianten offen gestanden: Ernennung einer Regierung aus den Mitgliedern einer Partei, was das Staatsoberhaupt als Vermittler zwischen den politischen Lagern endgültig ramponiert hätte oder die Ernennung einer Bürokratenregierung. Schüssel hatte für diesen Fall bereits Umfragen gestartet und hohe Beamte aus mehreren Parteien gefragt, ob sie im Fall der Fälle bereit wären ihr Ministerium zu führen. Solch eine Regierung hätte jedoch stets die Parlamentsmehrheit gegen sich gehabt, konstruktives Regieren wäre unmöglich gewesen, jede Nationalratssitzung zur Zitterpartie geworden. Schließlich kann das Parlament der Regierung jederzeit das Vertrauen entziehen, was deren Sturz zur Folge hat. Die Konseuenz der zweiten Variante wären also früher oder später Neuwahlen gewesen und aus diesen wäre wohl erneut die FPÖ als Siegerin hervorgegangen, so zumindest die Befürchtung. 
Klestil ernannte also die schwarz-blaue Koalition, mit eisiger Miene, aber doch. Gegenüber dem Altkanzler Franz Vranitzky meinte er, die FPÖ sei gewählt, also auch regierungfähig. Vranitzky widersprach dieser Ansicht, meiner Meinung nach zu Recht. Die präsidiale Komponente ist ein Korrektiv der österreichischen Verfassung, sie anzuwenden ist völlig legal. Wenn man also der Ansicht ist, dass sich die FPÖ außerhalb des Verfassungsbogens bewegt (besten Dank an Andreas Khol für diesen Begriff), muss man auch die Ansicht vertreten, dass sie nicht in eine Regierung gehört. 
„An das steinerne Gesicht des Bundespräsidenten bei der Angelobung werde ich mich lange erinnern.“ Wolfgang Schüssel
Dabei dreht sich die ganze Sache nicht einmal so sehr um Herrn Strache selbst. Traurig aber wahr: Er ist einer der liberaleren Exponenten der FPÖ. Von 34 blauen Nationalratsabgeordneten gehören 12 dem korporierten Burschenschaftswesen an. Das sind keine rechten Träumer, das sind Deutschnationale mit besten Verbindungen zur Neonaziszene. Schon während der letzten Regierungsbeteiligung der FPÖ verbreitete der nunmehrige Dritte Nationalratspräsident Martin Graf mit seinen vernarbten Spezis von der Burschenschaft Olympia Angst und Schrecken im Atom-Forschungslabor Seibersdorf, wohin er seine Compadres ohne Rücksicht auf persönliche Eignung beförderte. Kann man es wirklich verantworten solche Leute erneut in höchste Verwaltungsämter zu lassen?
„Er hat sich wie ein Lump benommen.“ Hilmar Kabas (über Klestils Verhalten bei der Angelobung)
Heinz Fischer ist - wie damals übrigens auch Klestil - in seiner zweiten Amtszeit. Eine anschließende Wiederwahl ist durch die Verfassung ausgeschlossen. Er hat also nichts zu verlieren, außer seine Popularität. Dass er es bisher gescheut hat auf die Frage nach einer Regierungsbeteiligung der FPÖ klare Aussagen zu treffen, hat gute Gründe. Würde er eine Ernennung Straches zum jetzigen Zeitpunkt bereits ausschließen, gäbe er diesem Gelegenheit sich zum Opfer der Staatsmacht zu stilisieren und könnte seiner Karriere als Möchtegernvolkstribun damit weiter Auftrieb verleihen. Würde er die Regierungsfähigkeit der FPÖ jedoch bejahen, hätte diese damit einen Freibrief fürs weitere politische Wüten am untersten Rand in der Hand. Mit seiner Strategie, immer wieder mal zu sagen, dass nicht alles in Stein gemeißelt ist, hält Fischer die FPÖ in Wahrheit an einem - zugegeben sehr dünnen - Gängelband. Mit seiner ausweichenden Haltung mag aber auch die Hoffnung verknüpft sein, und das entspricht Fischers Charakter voll und ganz, diese heikle Entscheidung vielleicht niemals treffen zu müssen.
Strache, der derzeit innerparteilich gegen einen Rechtsruck (sic!) kämpft und versucht die inhaltliche Kontrolle über das neue Parteiprogramm zu gewinnen, hat somit jedoch ein Argument seine Partei weiterhin am rechten Rand zu halten, sie aber nicht davon runterfallen zu lassen. Dass er den Bundespräsidenten ob seiner Äußerung daher noch nicht angegriffen hat, kann auch aus diesem Grund verständlich wirken. Außerdem würde ein Frontalangriff Fischer wohl kaum davon überzeugen, dass Strache zur Kanzlerschaft geeignet wäre.

Was wird Fischer aber tun, wenn die befürchtete Stunde schlägt? Sollte die FPÖ bei der nächsten Wahl stimmenstärkste Partei werden, und momentan deuten die Umfragen darauf hin, wird es für den Präsidenten sehr schwierig diese bei der Regierungsbildung zu übergehen. Vom Staatsoberhaupt ausgelöste Neuwahlen - sei es nun durch Selbst- oder Präsidialauflösung des Parlamentes - würden der FPÖ wohl eher nutzen als schaden. Ernennt Fischer aber eine Regierung unter blauer Beteiligung, kann er zumindest personelle und teilinhaltliche Kontrolle ausüben. Die Nichtzulassung von Rechtsextremen zu Ministerposten und die Bindung an ein vom Bundespräsidenten oktroyiertes Agreement, wie schon 2000, sind dabei die äußersten Mittel, über die er realpolitisch verfügt. Wird die FPÖ zweitstärkste Kraft, so ist ihre Umgehung bei der Regierungsbildung schon einfacher, aber immer noch schwierig. Im Endeffekt kommt aber alles auf die Leidensfähigkeit der ÖVP an. Verliert sie massiv, werden die innerparteilichen Stimmen lauter, die zu einem Verlassen der großen Koalition aufrufen. Auch wenn eine Regierungsbildung mit der FPÖ unter dem neuen Vorsitzenden Spindelegger unwahrscheinlicher geworden ist, so steht doch zu vermuten, dass er einen -aus heutiger Sicht eigentlich kaum vermeidbaren - dritten Platz bei den Wahlen 2013 politisch nicht überleben wird. Ein Rechtsruck der ÖVP und eine erneute Koalition mit den Freiheitlichen mag die Folge sein, vielleicht verbunden mit der leisen Hoffnung der Schwarzen bei der nächsten Wahl wiederum von deren zu erwartenden Selbstzerfleischung profitieren zu können. Immerhin stieg das Ergebnis der ÖVP nach dem Debakel 1999 (26,9%) auf 42,3% bei den Wahlen 2002, denen der freiheitliche Politsuizid in Knittelfeld vorhergegangen war. 

Die Entscheidung, ob die FPÖ in die Regierung kommt oder nicht, liegt also in einem eher geringen Maße beim Bundespräsidenten, außer er schmeißt das bisherige Rollenverständnis seines Amtes völlig um. Eine totale Verweigerung FPÖ-Minister zu ernennen, könnte dann jedoch in einer veritablen Verfassungskrise münden, vor allem dann, wenn der Wähler die FPÖ in erneuten Neuwahlen stärkt. Ein Bundespräsident der keine mehrheitfähige Regierung ernennen will und ein Nationalrat der keine Regierung wählen kann: Auf solche Probleme ist die österreichische Verfassungsordnung nicht ausgelegt. Mögen sie also niemals eintreten!

„Ich hoffe nur, dass die nächste Bundesregierung wieder oberirdisch zu mir zur Angelobung in die Hofburg kommt.“ Thomas Klestil (Die erste schwarz-blaue Kolaition kam unterridisch, weil sie sich vor Eierwerfern fürchtete)

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