Sonntag, 31. Oktober 2010

Der Neurosenkaiser, oder: Finger weg von meinen Wäscheklammern!

Kennen Sie Psychologen? Das sind entweder sehr angenehme oder sehr gestörte Leute - Sie sind wohl mittlerweile mit meinen Hang zu Vereinfachungen vetraut. Wenn Sie mal nichts zu tun haben und sich in einer Universitätsstadt befinden, dann besuchen Sie doch mal ein psychologisches Institut. Die ganzen Frauen die sich in verschränkter Haltung selbst umarmen und langsam vor- und zurückwippen sind keine Patientinnen, sondern Studentinnen. Psychologie ist häufig ein Selbsthilfestudium, etwa so wie Jus für Häftlinge. Nun kenne ich zwar Psychologen, aber gottseidank keine von der besonders gestörten Sorte. Ein solcher ist der gute Dave, dem man zwar immer am Gesicht ansieht, wenn er einen wieder mal durchanalysiert, der es aber nicht ständig sagen muss, wenn man gerade ein Musterbeispiel für einen, in der analen Phase steckengebliebenen, Charakter abgibt. Das muss für ihn mitunter schwer sein, weil er Leute wie mich kennt. Da der brave Dave ein mehr oder weniger loyaler Leser dieses Blogs ist - ganz im Gegensatz zu seiner Freundin, der allseits beliebten Emanzipationskanone und Gutmenschenbombe Eli - und er sich - natürlich aus rein beruflichem Interesse - eine Aufstellung meiner größten Neurosen und sonstigen Störungen wünscht, soll ihm hiermit gedient werden. Obwohl er vermutlich die geeignetere Person wäre, sich an eine solche Aufstellung zu machen, will ich mein bestes tun um seinen und Ihren Hunger nach Nachrichten aus meinem traurigen Privatleben zu befriedigen. Keine Angst, ich min kein "Moemonk", aber in mancherlei Belangen doch recht absonderlich. Also mache ich mich an das, was man netterweise als Neurosen und Vorlieben, böserweise als Psychosen und Süchte bezeichnen könnte und schüttle dabei den Kopf über mich selbst...

Finger weg von meinem Glas...
Ich werde mir mit Ihnen kein Glas, keine Flasche und kein Besteck teilen. Der Grund ist simpel: Sie sind ekelerregend und ich verspüre kein Verlangen nach irgendeiner Form von Flüssigkeitsaustausch mit Ihnen. So eine Eigenart verschafft einem allerorts Sympathien. Das fing schon beim Kindergeburtstag in der Volkschulzeit an, als es um ein Spiel ging, bei dem man Schokolade mit Messer und Gabel essen musste und ich als einziges Kind nicht nur eine eigene Gabel, sondern auch ein eigenes Messer verlangte. Ich teile nicht nur das zugehörige Werkzeug, sondern auch mein Essen selbst nur auch äußerst ungern. Kostenlassen gibt's nicht. Nicht, dass ich geizig wäre, aber meistens schenke ich mein Essen lieber her, als jemandem auch nur ein Stück abzubrechen. Von "mal abbeißen" brauchen Sie mir gar nicht erst anzufangen. Das führt zur sofortigen Ungenießbarkeit sämtlicher Speisen, was vor allem der liebe Paul durch ständige Beiß- und Schleckattacken für sich zu nutzen versucht. Er war es auch, der mir ein bereits benutztes Weinglas brachte, als ich einmal recht illuminiert war und die Lippenspuren nicht sofort entdeckte. Bevor ich auf die Toilette gehe, merke ich mir daher Lage und Aussehen meines Glases, weil er nach meiner Rückkehr mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit behaupten wird, er hätte daraus getrunken. Irgendwann wird er das noch büßen...

Finger weg von mir...
Da ich mittelbaren Körperkontakt und Flüssigkeitsaustausch nicht unbedingt zu meinen Lieblingstätigkeiten zähle, können Sie sich vorstellen, dass ich auch im persönlichen Umgang sehr offenherzig bin. Die allerbeste von Pauls Ehefrauen ist freundlicherweise mittlerweile dazu übergegangen Begrüßungsküsschen mit mir so auszutauschen wie ich sie mag: Dreifach, wie es sich für einen Vorarlberger gehört, und mit zwanzig Centimeter Abstand, wie es meine Zwangsneurose verlangt. Dererlei Rücksichtnahme kann ich aber leider nicht von allen Mitmenschen erwarten, weshalb ich der einen oder anderen Umarmung nicht entgehen kann. Ganz grausam sind Küsschen auf die Backen, Gänsehaut inklusive. Reinste Folter war es, als der gute Dave in Wien übernachtete und krankheitsbedingt nicht am Boden schlafen wollte. Neben einem a.) kranken b.) Mann in c.) einem d.) Einzelbett zu e.) liegen, hat mir mindestens so viel Contenance abverlangt wie spätere Grabschattacken eines schwulen Libanesen. Bitte sparen Sie sich und mir alle weiteren Fragen, die aus dieser Sachverhaltsdarstellung resultieren mögen. Nur so viel sei noch gesagt: Mit zunehmendem Alkoholkonsum nimmt meine Hemmschwelle ab, weshalb ich ab einem Promille kurz umarmt werden darf und mich ab drei Promille wie ein fast normaler Mensch benehme.

Beim Fernsehen bleibt die Tür offen...
Wenn ich einen Durchschnittsfilm ganz gesehen haben will, muss ihn mir entweder im Kino anschauen oder fünfmal im Fernsehen. Da ich Aversionen gegen Beicht-, Kuss- und Sozialkonfliktszenen habe, ist es meine Familie mittlerweile gewohnt, dass ich den Raum auch bei den Seitenblicken und bei Universum alle fünf Minuten verlasse und den Großteil der Restzeit stehend vor dem Ofen verbringe. Interessanterweise mache ich das mehr unterbewusst, als absichtlich. Bei entsprechenden Bildreizen scheint mein vegetatives Nervensystem zu entscheiden, dass mein Kleinhirn überfordert ist und schickt mich Mineralwasser trinken oder aufs Klo. Im Kino wird diese Neurose durch den sozialen Umgebungsdruck ruhend gestellt, der die anderen Gäste dazu tendieren lässt, Leute mit Popcorn zu bewerfen, die während der Vorführung zehnmal den Saal verlassen.

Pfoten weg von meinen Süchten...
Jeder Mensch ist irgendwie süchtig und da bin ich natürlich keine Ausnahme. Ich mag den Geruch von neuen Gummistiefeln und frisch geschnittenem Holz, könnte für Coca Cola töten und stopfe gerne Unmengen an Torten in mich hinein. Sollten Sie mich nicht persönlich kennen und sich das Bild des nerdigen Blogschreibers mit Hornbrille und 80 Kilo Übergewicht in Ihrem Kopf langsam verfestigen, so seien Sie an dieser Stelle versichert, dass ich nur 0,5 Dioptrien weitsichtig bin und mein Gewicht zwischen 62 und 64 Kilo pendelt, bei 1,81 m Körpergröße. Ich ernähre mich zwar wie eine frisch freigelassene Kellergeisel, sehe aber nicht aus wie ein Germprodukt. Dafür rauche ich auch nicht/kaum und trinke nur in Maßen - weshalb sich die oben erwähnten ethanolbedingten Normalphasen in überschaubaren Grenzen halten. Da ich mein Lebtag lang auch die Finger von illegalen Rauschmitteln gelassen habe, stellt sich meine Cola-Sucht im Verhältnis zu meinen anderen Absonderlichkeiten glaube ich als relativ kleines Übel dar.

Es war alles schon schlimmer...
Wenn Sie mich jetzt für völlig durchgeknallt halten, haben Sie in der Vergangenheit was verpasst. So manche Zwangsstörung habe ich erfolgreich bekämpft und überwunden. So zum Beispiel jene, auf der Straße und auf dem Trottoir niemals auf Risse oder Linien zu treten. Keine von den Kinderspaßneurosen, sondern so eine, die man sogar dann noch ausführt, wenn man es eilig hat und rennt (eins, zwei drei... Sprung, großer Schritt, kleiner Schritt Sprung...). Dass ich jahrelang äußerst ungern auswärts WC-Besuche eingelegt habe, hat sich gottseidank schon seit dem Gymnasium erledigt, aber in Frühzeiten auch schon zum vorzeitigen Verlassen von Kindergeburtstagen geführt. Meine Angst vor Ratten und Mäusen hat ebenfalls abgenommen. Wer mich einmal kreischen gehört hat, weiß nicht ob er lachen oder sich fürchten soll. Auch die Vorstellung, dass alle Klammern auf meinem Wäscheständer nach Größe und Spektralfarben geordnet sein müssen, hat sich nunmehr zum Hobby reduziert. So gesehen bin ich mittlerweile fast normal.

Manche Dinge lasse ich mir aber nicht als Störung einreden. Auch wenn mir eine von den vielen hoffnungslosen Verkupplungsaktionen des guten Wolfi einmal konstatierte, dass regelmäßiges Händewaschen beim Nachhausekommen neurotisch sei, halte ich es weiterhin einfach nur für hygienisch. Schande über mich! Sollten Sie nach diesem Neurosenstripteas dennoch den Eindruck haben, ich sei ein schrecklich gestörtes Wesen, seien Sie gewarnt: Das wirklich Schlimme ist immer noch mein Charakter ;-)

Montag, 25. Oktober 2010

Die junge Linke, eine Abrechnung.

Sozialismus, das hieß einmal in einem Satz zusammengefasst die Verstaatlichung der Produktionsmittel und die Gleichmäßige Verteilung ihrer Erzeugnisse auf alle. Das wurde oft unterschiedlich ausgelegt. Im Westen führte es schließlich zur Versozialstaatung und im Osten zum Staatssozialismus. Daraus ergibt sich im Wesentlichen der Unterschied, dass hier nicht alle gleich reich waren, aber die Armen zumindest nicht völlig vor die Hunde gingen, und dort alle gleich viel von sehr wenig hatten.

Heute ist Sozialismus einer von den Begriffen geworden, die so genau definiert sind wie der Satz "unterstützt ihre Darmflora" in der Werbung. Nun weiß jeder, dass die Darmflora prinzipiell von einem Schnitzel genauso unterstützt wird, wie von einem nicht gesundheitsfördernden Süßgetränk, das ein retardierter Typ namens Herbert im ORF von seiner Domina von Ehefrau immer zu trinken bekommt. Und genauso ist das mit dem Sozialismus. Der Schnitzel-Sozialismus nennt sich seit dem Fall des Eisernen Vorhangs meist Sozialdemokratie, weil man mit den Ex-KPs im Osten, die sich bald Namen wie "Partoi dös demökratischen Sözialismüs" gaben, nichts zu tun haben wollte. Die Sozialdemokratie hat mitunter den Vorteil, dass sie - wie etwa im Falle Österreichs - die einzige im Parlament vertretene politische Gruppierung ist, die sich demokratisch nennt. Und sozial heißt ja so viel wie solidarische Gerechtigkeit. Das macht sich ideologisch gut und klingt etwas nach "Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit", nur dass die meisten Sozialdemokraten heute wohl zu beleibt wären, um die Bastille zu erstürmen. Sei‘s drum. Für revolutionäre Angelegenheiten ist ohnedies der Actimel-Sozialismus zuständig. Der aktiviert Ihre Abwehrkräfte - oder behauptet das zumindest - und wird auch meist von Frauen mit dem warmen Lächeln einer Medusa vertreten. Solchen Leuten auch nur beim Reden zuzuhören, führt oft unmittelbar zu starkem Ohrenbluten. Manche geben sich dermaßen ideologisiert, dass man glauben könnte, sie hätten noch Vorlesungen an der Parteischule-Karl-Marx in Berlin, Hauptstadt der DDR, besucht. Jeder Satz beginnt deklamatorisch, jede Frage ist in Wirklichkeit ein Manifest. Da hört man dann Statements wie: "Ich habe, wie viele andere von der Sozialistischen Linkspartei, letztes Jahr an der Besetzung des Audimax teilgenommen...". Keine Aussage wird gemacht, ohne dass Werbung für die Massenorganisation gemacht wird, der man selber angehört. Sei es eine Antifa-Initiative, eine Anarchoplattform oder eine Prostatakrebsselbsthilfegruppe für Frauen. Die meisten dieser purpurroten Kreuzritter sind heute nicht mehr unbedingt auf RAF-Kurs. Basisdemokratie macht sich viel besser. Man stimmt ab, ob man diskutieren will, diskutiert - abwechselnd eine Frau und ein Mann, wobei man immer mit Frauen beginnt - und richtet eine "Volxküche" ein, worüber man zuvor natürlich abgestimmt hat. Demokratie ist für diese Leute aber nur solange angenehm, wie sie für sie nützlich ist. Eigentlich sind nur diejenigen wahre Demokraten, die es auch noch sind, wenn sie keine Mehrheit mehr haben. Bei den Actimel-Linken ist das nicht der Fall. Demokratie ist für sie kein Selbstzweck, sondern ein Mittel. Wenn bei der Uni-Vollversammlung jemand Argumente für Studiengebühren vorbringt, dann gesteht man ihm keine eigene Meinung zu, weil das sowieso alles Scheiße ist. Wenn der Rektor spricht, kann er noch nicht einmal einen Halbsatz vollenden, ohne dass eine Deutsche von hinten laut "Buhhhhh!" ruft. Demokratie bedeutet hier nicht einen Wettstreit der Argumente und das Akzeptieren anderer Meinungen, es heißt Durchsetzen der eigenen Ideologie unter Gleichgesinnten. Wer anderer Meinung ist, wird aus dem Audimax gebuht. Droht die Überstimmung durch Andersdenkende, ist das ein unverzeihlicher Akt der Feindseligkeit. Genauso unverzeihlich ist es, wenn nur männliche Professoren am Podium sitzen. Dass die Studenten - pardon - Studierenden von drei Frauen vertreten werden, regt nicht im Mindesten auf. Das Geschlecht wird vom Linksfeminismus dadurch manifestiert, dass man es als Auswahlkriterium unter umgekehrten Vorzeichen weiterverwendet. Wie soll eine Frau ernst genommen werden, wenn jeder weiß, dass sich drei besserqualifizierte Männer um ihren Job beworben haben und sie ihn allein aufgrund der Tatsache bekommen hat, dass sie keinen Schniedel hat? Führt der Weg zu einer Gesellschaft, in der niemand diskriminiert wird, wirklich über Quotenregelungen? Ist Frauenförderung nicht besser als Frauenbevorzugung? Solche Fragen hätte man im Audimax wohl nicht stellen können, ohne von Giftpfeilen aus dem männerfreien Lesbitrans-Frauenblock getötet zu werden und das ist wirklich schade. Die Linke hat ihre moralische Überlegenheit, nämlich Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie für alle zu fordern, einer absurden Ideologiegebetsmühle geopfert, der keiner mehr zuhört. Wer einmal von einer Gesellschaft geträumt hat, in der jeder nach seinen Möglichkeiten gefördert und eingesetzt wird, in der Menschen nach ihrem Charakter beurteilt werden und nicht nach ihrem Äußeren, der ist verlassen worden von einer linken Mainstreamstudentenschaft, die unter Politik nur einen ständig wachsenden Forderungskatalog an Unumsetzbarkeiten versteht und Solidarität mit den Arbeitern fordert, obwohl sie deren Bedürfnisse nicht im Ansatz versteht. Wie kann man nur glauben, dass die "Weltrevolution" der richtige Ansatz ist, um das Leben der Menschen morgen besser zu machen, als es heute ist?

Was werfe ich der Linken vor? Sie sind Leute, mit denen man nicht einfach einmal diskutieren kann, ohne Grundfragen zu klären, wie z.B. ob man überhaupt miteinander spricht. Wenn man mit jemandem nicht einfach einmal Klartext reden kann, sondern im Hintergrund immer ein ideologisches Tonband ablaufen hört, baut das Hürden zwischen den Gesprächspartnern auf, die keine ernsthafte Diskussion ermöglichen. Es sind Leute, die alles, auch ihre Sprache, dem unterordnen, was sie als ideologische Wahrheit empfinden. Diese Wahrheit ist absolut. Die Menschen werden dadurch aber nicht gleicher, sondern gleich gemacht. Einfache Dinge werden durch ihre Wahrheiten zu Heilsobjekten oder Teufelswerk. Ein Vater, der seinem Sohn eine Lego-Burg schenkt, ist ein brutales Chauvischwein, weil er sein Kind dadurch in eine vorgepresste gewaltorientierte Männerrolle drängt. Eine Frau, die keinen Quotenjob möchte, arbeitet mit an der Zementierung der androzentristischen Kapitalismuswelt.

Linke Studenten neigen zu einer Radikalisierung des Gegners. Es werden Denkverbote aufgestellt, die mit einer demokratischen Gesellschaft nichts zu tun haben. Der Versuch jeden rechts von der Anatifa unters Verbotsgesetz zu subsummieren, ist in Wahrheit ignorant. Man kann sich nicht mit Menschen solidarisieren, die den Staat als Einrichtung ablehnen. Staatsfeindlichkeit ist Verfassungsfeindlichkeit ist Demokratiefeindlichkeit. Gesellschaftlicher Frieden außerhalb des Staates ist nicht möglich. Man kann ihn kritisieren, aber man kann ihn nicht grundsätzlich infrage stellen. Heute sind es die Neoliberalen, die den Staat angreifen. Die Linken dürfen ihm nicht die Gefolgschaft aufkündigen.
Wer sich beschwert, dass das Universitätsgesetz undemokratisch ist und Studentenanliegen nicht genug Berücksichtigung finden, kann nicht Andersdenkende einfach mundtot buhen. Wer für Gleichheit eintritt, kann Menschen nicht aufgrund ihres Geschlechtes diskriminieren, sei es positiv oder negativ.

Als die Pariser Bevölkerung am 14. Juli 1789 die Bastille erstürmte, tat sie das nicht nach Quoten und hatte zuvor vermutlich keinen Gender-Policy-Plan ausgearbeitet, nachdem abwechselnd männliche und weibliche Gefangene freizulassen wären. Und wahrscheinlich haben sie vorher kein Actimel getrunken.

Montag, 11. Oktober 2010

Maria Theresias verpasste Chance, oder: Ein Diskurs zum Thema Gesamtschule

 Liebe Leserinnen und Leser, 
heute finden Sie hier eine diskursive Einmaligkeit vor. Der liebe Wolfi, seines Zeichens angehender Bildungswissenschaftler und ausgewiesener Experte auf dem gebiet des Gesamtschulwesens hat angeregt hier einmal unsere "Bildungstheorien" gegenüberzustellen. Sie werden bei seinem Text - gleich im Anschluss - mit Sicherheit einen pädagogischen Schwerpunkt finden, so wie meiner natürgemäß politikwissenschaftlich sein wird. Ich wünsche eine angeregte Lektüre und versichere Ihnen scho an dieser Stelle, dass ich in allen Bereichen, in denen keine inhaltliche Übereinstimmung mit meinem Koautor besteht - Recht habe.


Wolfi
Reformbedarf an Österreichs veraltetem Schulsystem

Seit den Studentenprotesten im Herbst des Vorjahrs sind sowohl die österreichischen Universitäten, als auch das seit Maria-Theresia nahezu unveränderte (!!!) österreichische Schulsystem nicht mehr aus der alltäglichen Berichterstattung wegzudenken. Zu Recht! Allerdings hat auch das letzte Jahr bedauerlicherweise nicht den großen Wurf in Puncto Bildungsreform gebracht. Längst wäre diese überfällig. Doch es ist wie eh und je hierzulande, in Österreich regiert der Kompromiss und in Bildungsfragen scheint dieser nahezu unmöglich, zu grundverschieden sind doch die Meinungen der beiden Großparteien SPÖ und ÖVP, auch wenn die schwarze Wissenschaftsministerin Beatrix Karl diesen Sommer mit dem „Gymnasium für alle“, also einer Art Gesamtschule, aufhorchen ließ.

Die Diskussion über die Gesamtschule sollte eigentlich gar nicht erst aufkommen, schon die frühere Bildungsministerin Gehrer erstickte diese Debatte bereits im Keim.  Es gibt keine vernünftigen Gründe, wieso im deutschsprachigen Raum (EU-weit ist die Gesamtschule bereits die Standardschule) es nicht möglich sein sollte ein einheitliches Schulmodell bis 14 anzubieten.

Unterschiedliche soziale Gesellschaftsschichten finden wir nicht nur in Indien in Kastenform, auch in Österreich gibt es leider eine recht deutliche soziale Trennung im Bildungsbereich innerhalb der Bevölkerung: Eine aktuelle Studie der IHS (Institut für höhere Studien) belegt in einem über 400 Seiten umfassenden Bericht, dass ein Kind in einer Arbeiterfamilie statistisch gesehen schlechtere Chancen auf einen höheren Bildungsabschluss hat, als der Sprössling einer Akademikerfamilie. Die so genannten „bildungsfernen Schichten“ konnten 2009 gerade einmal 18% ihrer Kinder an eine österreichische Hochschule entsenden. 1998 waren es immerhin noch 26%. Eine soziale Durchlässigkeit, ein Flüchten aus dem Arbeitermilieu scheint schwierig. Das paradoxe dabei: die Politik hat zwar anscheinend erkannt, dass Österreich eine zu geringe Akademikerdichte aufweist, doch die jämmerlichen Versuche diese anzuheben scheitern zwangsweise.

Anstatt mehr ins Bildungssystem zu investieren und richtige Reformen anzustreben wird versucht den alten (Problem-)Kindern Hauptschule und Pädagogische Akademie neue Namen (Modellversuch „Neue Mittelschule“ und „Pädagogische Hochschule“) zu geben und letzterer sogar einen akademischen Titel (auch wenn es nur ein Bachelor sein mag) als Abschluss zu stiften. Das die Ausbildung an der PH dieselbe bleibt stört dabei wenig. Die Hauptsache ist doch, dass der Titel verliehen wird und Österreich in der OECD-Statistik nicht mehr ganz so akademikerlos aufscheint. Die Lehrerausbildung hakt allerdings nicht nur an den PH‘s, auch der AHS- und Volkschullehrerausbildung wird zu wenig Beachtung und vor allem Geld gewidmet. Eine einheitliche Lehrerausbildung für eine einheitliche Schule bis 14 für alle! Utopie? Wahrscheinlich schon. Trotzdem: Eine gemeinsame Schule muss das Ziel des Landes sein. Kein Kind kann mit 10 schon eine vernünftige Entscheidung über seine zukünftige Schullaufbahn treffen. Eine gute Gesamtschule muss in sich bereits eine Binnendifferenzierung aufweisen können. Innerhalb des Normalunterrichts sollten 1-2 zusätzliche Pädagogen zur Verfügung stehen, die den Kindern jederzeit bei Verständnisproblemen helfen können und auch für andere Anliegen stets ansprechbar sind, ohne dass der Normalunterricht darunter leidet. Da sich die optimale Gesamtschule als Ganztagsschule präsentiert, kann somit nachmittags während der normalen Hausaufgabenbetreuung schwächeren Schüler geholfen werden. So werden obendrein Familien entlastet, die sich das Geld für teure Nachhilfe sonst nicht leisten könnten. Auch Mitschüler werden nachmittags automatisch zu Nachhilfelehrern und erwerben so zusätzliche soziale Fähigkeiten im Umgang untereinander.

Doch bei allen Vorteilen, die eine solche Schule zweifelsfrei mit sich bringen würde, gibt es auch Nachteile: Zum einen ist natürlich eine Kostenexplosion der Lehrergehälter unvermeidbar. Politische Prioritäten müssen gesetzt werden, das Land bzw. die Politiker müssen sich entscheiden in welche Ressorts sie investieren. Eigentlich sollte den meisten Menschen klar sein, dass das Land eine Bildugnsreform dringender benötigt, als neue gebrauchte Panzer oder Eurofighter, die nur bei schönem Wetter unseren Luftraum „sichern“ können. Gegner der Gesamtschule befürchten weiters, dass begabtere Schüler unter der gemeinsamen Schule leiden und ihre Fähigkeiten und Talente nicht voll ausschöpfen könnten. Schüler, die sich mit dem Lernen tendenziell schwerer tun als der Durchschnitt, würden das Niveau der ganzen Klasse drücken. Dem entgegenwirken kann man, indem man während des Unterrichts Zusatzlehrer installiert, sowie gezielte Nachmittagsförderung derer, die vormittags beim Normalunterricht Verständnisprobleme hatten, anbietet. Vielfach verängstigt ist man auch in Regionen, in denen der Migrantenanteil überdurchschnittlich hoch ist. Die zugewanderte Bevölkerung ist ein Faktum, daran ändern kann (und will) kaum jemand etwas. Wovor die Leute konkret Angst haben wissen sie freilich selbst nicht, aber das „Fremde“ wird vorsichtshalber erst einmal abgelehnt. Die heterogenen Klassen als Chancen der Vielfalt sehen leider die wenigsten. Eine funktionierende Gesamtschule würde das Miteinander noch mehr fördern und Integration für alle vereinfachen. Weiters hätten auch die fremdenfeindlich angehauchten Parteien keinen Wind mehr für ihre ohnehin schon geistig schwachen Segel.

Österreich, früher ein Land der Denker driftet auch im Hochschulbereich immer mehr in Richtung intellektuelles Entwicklungsland ab. Die Universitäten sind vollgestopft mit Studenten, deren Betreuung man kaum mehr gewährleisten kann. Das Betreuungsverhältnis an der Universität Wien liegt ungefähr bei einem Lehrenden, der 300 Studierenden gegenübersteht. Im Vergleich dazu: Top-Universitäten wie Harvard, Oxford und Co punkten mit einem Verhältnis von 1:25-30. Sogar die Humboldt-Universität in Berlin schafft es im Schnitt auf 1:80. Freier Hochschulzugang seit 40 Jahren wird von offizieller Seite propagiert, die Wahrheit sieht leider anders aus. In manchen Fächern müssen Aufnahmeprüfungen bestanden werden, damit überhaupt ein Studium begonnen werden darf (Medizin, tlw. auch Psychologie, Publizistik u.a.), wieder andere haben eine derartig nervenaufreibende Studieneingangsphase, dass vielen Studenten die Lust aufs Studium spätestens danach vergangen ist. Ein weiteres Problem in Österreich ist das mangelnde Briefing potenzieller Studierender an den Schulen. Gerade in Gymnasien sollten die Schüler auf die Universitäten und Fachhochschulen (möglichst wahrheitsgetreu) vorbereitet werden. Diese vorab erhaltenen Auskünfte beinhalten Informationen zu den verschiedenen Studienfächern, unpopulärere Studienrichtungen könnten hier bereits genauer vorgestellt werden, um so zu verhindern, dass später alle die gleichen fünf Fächer studieren wollen. Zudem wäre die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, dass ein Studierender auch jenes Studium fertig studiert, welches er begonnen hat und nicht vier mal Studienrichtung wechselt (Halb so schlimm - der Steuerzahler zahlt ja gern!). Momentan wird der studierwillige Maturant ins kalte Wasser geworfen.

Auch in Österreich hat der Bologna-Prozess Spuren hinterlassen. Mit Unterzeichnung der Erklärung 1999 hat sich Österreich bereit erklärt einem gemeinsamen europäischen Hochschulraum beizuwohnen: Innereuropäisch werden vergleichbare Abschlüsse (Bachelor, Master und PhD) produziert, ein Wechsel zu einer anderen Uni sollte kein Problem mehr sein. So die Theorie - die Praxis sieht leider anders aus: Ein Wechsel der Uni Wien an die Uni Salzburg präsentiert sich mehr als Spießrutenlauf, denn je zuvor. Nach Graz ist er in manchen Studienrichtungen nahezu unmöglich geworden, sollte man sich doch die Mühe machen und die Uni zu wechseln, so darf das Erreichen der Mindeststudienzeit nicht das Ziel des Studenten sein, ein Zeitverlust ist vorprogrammiert.  Die Studienanfängerquote in Österreich ist dementsprechend niedrig: nur 42% starten ein Studium, der OECD-Durchschnitt liegt bei 56%, der EU19-Schnitt immerhin bei 55%. Mehr Geld für die Hochschulen, eine Ausfinanzierung der Unis wäre längst überfällig! Die Qualität würde wieder steigen und die Unis wären entsprechend attraktiver für potenzielle Studenten. Die Zahlen der Studienanfänger stiegen zwar in den letzten Jahren, jedoch nicht so stark, wie es dem OECD-Durchschnitt entspräche. Eine restriktive Hochschulpolitik läßt sich nicht leugnen, nirgendwo in Österreich wird offensiv versucht mehr Leute an die Uni zu holen. Es scheint als hätte das Land kein Interesse an einer gut ausgebildeten Jugend. Es wäre falsch dem Bologna-Prozess die alleinige Schuld für die österreichische Bildungsmisere zu geben, das Problem ist hausgemacht und besteht weit länger. Die Lösungsansätze darauf lassen jedoch immer noch auf sich warten, die chronisch unterfinanzierten Hochschulen dümpeln weiter vor sich hin...


Moesanthrop
Uns müsste ein Glöckel leuten...
 
Österreich hat kein besonders gutes Schulsystem. Darüber brauchen wir uns nicht zu streiten. Ich bin kein Bildungswissenschaftler, ich kann Ihnen nicht sagen, warum die Gesamtschule sich insgesamt als die favorablere Variante darstellt, als das differenzierte Schulsystem heutiger Ausprägung. Alle Studien scheinen aber darauf hinzudeuten. Ich kann Ihnen aber sagen, dass das nix wird. Es wird nix mit der Gesamtschule, deshalb lassen wir’s besser gleich. Warum? Nun, stellen Sie sich vor sich machen eine Gemeinsame Schule der 10-14jährigen. Momentan haben wir hierzulande tausende Hauptschulen und Gymnasien. Wohin damit? Wenn man die Schultypen vereinheitlich braucht man Gebäude die dem Lernbedarf für Hochbegabte und Sonderschüler zugleich gerecht werden müssen. Wir brauchen einen erheblich höheren Personalstand bei den Lehrern, insbesondere bei jenen die eine soziale oder sonderpädagogische Zusatzausbildung erhalten haben. Wir bräuchten wohl Klassen mit maximal 15 Schülern und bei Bedarf zwei Lehrpersonen, denn wir unterrichten hier Leistungsschüler und Lernschwache in einem Raum. Da kommt das Akademikerkind mit dem Migrantensprössling in Kontakt, das räumt mit Vorurteilen auf könnte man sagen. Sicher, aber um welchen Preis? Wir können uns so ein Schulsystem nicht leisten, weder in der Umbauphase, noch in der Erhaltung. Im Endeffekt – und das wissen wir alle – würde ein österreichischer Kompromiss herausschauen mit mehreren Leistungsgruppen und 25 Kindern pro Lehrer. Der Unterricht orrientiert sich dann Am Mittelmaß. Die einen langeweilen sich, die anderen sind völlig überfordert. Da brechen soziale Ungleichheiten erst so richtig auf.

Eine umfassende Schulreform ist auch realpolitisch nicht durchsetzbar. Nicht gegen die ÖVP, der Klassenvermischung schon immer ein Graus war, nicht gegen die AHS-Lehrergewerkschaft, die nicht mehr arbeiten will und auch nicht mit den schlechter bezahlten HS-Lehrern auf ein Packel gehaut werden möchte, und auch nicht gegen die Länder, die mit Sicherheit nicht auf ihren Einfluss auf die Schulverwaltung verzichten werden. Die Sache ist also schon gegessen, bevor sie noch fertig gekocht wurde.
Woran wir arbeiten müssen ist das Mögliche: Wir müssen die Durchlässigkeit der Schultypen erhöhen. Matura muss zur Regel werden. Ein Hauptschüler wird nicht automatisch zum Lehrling, ein Migrant wird nicht von vornherein als Zukünftiger Hilfsarbeiter abgestempelt. Wir müssen Gleichberechtigung im differenzierten System durchsetzen. Wenn ein Hauptschüler am Ende dieselbe Chance auf ein Studium hat wie ein Gymnasiast, wozu brauche ich dann noch die Gesamtschule?

Das Schulsystem ist momentan nicht optimal, aber wir hatten‘s schon mal schlimmer:
Otto Glöckel ist ein bei der breiten Masse eher unbekannter Politiker der Zwischenkriegszeit. Dabei ist er so etwas wie eine männlich-sozialdemokratische-republikanische Maria Theresia. Glöckel war der Schöpfer und Motor der sogenannten Wiener Schulreform. Er hat das österreichische Bildungssystem demokratisiert und liberalisiert. Seine Reform stellte das Kind und sein Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung ins Zentrum und versuchte mit dem autoritären Schulsystem der Monarchie aufzuräumen. Inspiration fad das Konzept in Maria Montessoris Reformpädagogik und den neuesten individualpsychologischen Erkenntnissen jener Zeit. Es war dies eine schulsystematische Epoche die heutige Zustände als geradezu paradiesisch wirken lässt: Es gab nicht nur Gymnasien und Hauptschulen (die durch Glöckels Reform aus der sogenannten Bürgerschule entstanden waren) sondern auch die Mittelschulen. Eine optimale Segregation der Gesellschaftsschichten war somit garantiert. Es war die Zeit als man meinen Urgroßvater aus dem Jesuitengymnasium mobbte, weil sein Vater Müller und Sozialdemokrat war. Während Gymnasiasten und Mittelschüler Geographie lernten, erhielten die Arbeiterkinder in den ersten und zweiten Klassenzügen der Hauptschulen Erdkundeunterricht. Nur ein Synonym könnte man sagen, aber es drück sich darin schon die Geringschätzung für das künftige Bildungsprekariat aus, dem man das Verständnis für das Fremdwort Geographie nicht zutraute.

Auch wenn die Demokratie schon bald nicht nur aus den Schulen verschwand, so hatten Glöckels Reformideen nachwirkenden Einfluss auf die Schulpolitik der Zweiten Republik, insbesondere der Regierungen Kreisky. (Otto Glöckel selbst wurde 1934 im Gebäude des Wiener Stadtschulrates – heute als Palais Epstein Teil der Parlamentsverwaltung – von den Austrofaschisten verhaftet und in ein Anhaltelager verbracht. Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes verstarb er kurz nach der Enthaftung. Die Erinnerungstafel die zu seinen Ehren am Palais Epstein angebracht worden war verschwand während der Renovierungsarbeiten unter Nationalratspräsident Andreas Khol von der Außenwand und wurde erst nach Protesten wieder aufgehängt.) 

Die Zweite Republik hat aber nicht nur von Glöckels Ideen profitiert, sondern auch vom gesellschaftlichen Wandel. Auch wenn sich – wie Wolfi anmerkt – seit Maria Theresia strukturell nicht allzu viel gewandelt hat, so ist es heute eine andere Gesellschaft die in unseren Schulen herangezogen wird. Es ist eine Gesellschaft die alte Probleme hinter sich gelassen hat, aber auch vor neuen steht. Es gibt heute wohl kaum noch Direktoren die sich in der ersten Stunde vor die Hauptschulklasse stellen und den Schülern erklären, dass sie es zu nichts bringen werden, dass ihnen deshalb Schulausflüge grundsätzlich gestrichen werden und dass aufgrund des allgemeinen Lehrermangels bei ihnen kein Geografie- und Geschichteunterricht stattfinden wird, wie es meiner Mutter passiert ist. Dafür haben wir immer noch Kinder, die die Pflichtschulen als faktischen Analphabeten verlassen. Wie kann das passieren?

Was dem österreichischen Bildungssystem fehlt ist nicht nur Geld und innere Mobilität, es ist auch die positive Einstellung der Bevölkerung zur Bildung. Wenn Studenten nach dem Motto „Ich finanzier dein Studium!“ schon von vornherein als Schmarotzer angesehen werden, obwohl sie in der Folge um ein Vielfaches mehr an Steuern abführen, als der Staat in sie gesteckt hat, sagt das etwas über die Bildungsferne mancher Schichten aus. Viele Menschen können es sich nicht leisten ihre Kinder studieren zu lassen, viele wollen es aber auch gar nicht. „Der Bua lernt wos Gscheits!“, „I brauch kan Großkopferten Gstudierten zhaus!“ sind wohl Sätze die in österreichischen Haushalten häufiger fallen dürften. Das Interesse am eigenen Kind hat abgenommen. Schuld daran ist nicht der Einstieg der Frauen ins Erwerbsleben, es ist die Tatsache, dass man sich nur noch mit zwei gehältern im Mittelstand halten kann. Welche Eltern lesen ihren Kindern heute noch etwas vor? Das gilt für Akademiker wie für Arbeiter. Ein schlechtes Gewissen ist mit einem Nintendo zu Weihnachten schneller beruhigt als mit einer täglichen Gutenachtgeschichte.

Die ganze Schuld an der Bildungsmisere dem System zuzuschieben halte ich für ungerechtfertigt. Im Endeffekt brauchen wir vor allem zwei Dinge: Eine einheitliche Lehrerausbildung an den Pädagogischen Hochschulen – die aber zuerst auf einen gewissen akademischen Mindeststandard gebracht werden müssen, damit sie diesen Namen überhaupt verdienen – und bessere Hauptschulen. Die dürfen Sie dann auch gern Neue Mittelschule oder sonst wie nennen.

Trotz des üblichen österreichischen Pessimismus sage ich Ihnen zum Schluss: Es geht vorwärts! Es muss vorwärts gehen. Wolfi sieht das naturgemäß pessimistischer und wahrscheinlich auch wahrheitsgetreuer. Aber ich kann mich des Optimismus - ja Sie lesen richtig - in diesem Fall nicht erwehren. Die Bildungsfrage ist für unseren Staat und unsere Gesellschaft existenziell. Mit ihr steht und fällt der Wohlstand dieser Republik. Der Bildungsvorsprung gegenüber anderen Ländern ist die einzige Ressource die Österreich im internationalen Wettbewerb besitzt und sie ist sogar erneuerbar!

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Der Krampf um Wien, oder: an der schönen roten Donau.

Das letzte Kondom mit variablem Slogan wird demnächst ausgeteilt, der letzte Luftballon aufgeblasen, die letzte Hand geschüttelt, die Schlammschlacht des Jahres neigt sich ihrem Ende zu, die Wiener Wahl ist bald geschlagen.

Heinz-Christian Strache steht in der Wiener Stadthalle und fragt seine grölenden Fans, ob er die Diskussion verlassen soll, weil er in der ATV-Sendung seine Meinung zur Schuldebatte nicht äußern durfte. Dass die Schulgestaltung zum Großteil Bundessache ist, interessiert Herrn Strache nicht. Er wird sowieso nur gegen ausländische Jugendbanden, Kopftuch und Drogen wettern. Auch Frau Marek von der ÖVP schert sich wenig um kleine Details wie jenes, das sich hinter Art. 78d Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz verbirgt, das ihr die - von ihrer Partei solange geforderte - Stadtwache eher vermiesen dürfte:
"Im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeidirektion darf von einer anderen Gebietskörperschaft ein Wachkörper nicht errichtet werden."
Zu blöd nur, dass Wien eine Bundespolizeidirektion hat. Das hindert Marek nicht einen eigenen Sicherheitsstadtrat zu fordern, damit Maria Fekter jemanden zum telefonieren hat. Aber wer von den Durchschnittswählern befasst sich schon mit der Frage der bundesverfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Einrichtung von öffentlichen Sicherheitswachen im Wirkungsbereich einer, gemäß Verordnung der Bundesregierung eingerichteten, Bundespolizeidirektion als lokaler Sicherheitsbehörde? Wohl nur die Wenigsten. Daher wird im Saal auch viel mehr gegrölt, als Strache - Marketingname HC - dem Bürgermeister indirekt Alkoholismus unterstellt und dann nicht verstehen kann, warum sich dieser aufregt. Im Gegenteil: Häupls Antwort - er kommentiere auch nicht Straches Konsumgewohnheiten - fasst er als gefinkelten Hinweis auf seinen angeblichen Drogenkonsum auf, ein Gerücht das - so Strache im Standard-Interview - von der SPÖ gezielt gestreut werde um ihn anzupatzen. 
Der Bürgermeister wirkt eher abwesend und genervt. Beinahe hat man den Eindruck, dass er es als Zumutung empfindet hier stehen zu müssen. Die grüne Spitzenkandidatin Maria Vassilakou kann sich bei der Kopftuchdebatte nicht wirklich zwischen Religionsfreiheit und Frauenrechten entscheiden und wählt daher beides. Die Kasperln vom BZÖ, der KPÖ und dem LIF – ja, die gibt’s auch noch – hat man gar nicht erst eingeladen.
Sobald die Kamera einen Schwenker über das Publikum macht, werden die vorsorglich mitgebrachten Taferl hochgehalten, damit auch jeder zuhause vor dem Bildschirm mitbekommt, wer hier die abgedroschensten Slogans hat.

Kindisch, kleinlaut, inhaltsleer - ein Landtagswahlkampf par excellence. Man diskutiert mangels eigener Kompetenzen lieber über Themen die in die grundsätzliche oder ausschließliche Gesetzgebungshoheit des Bundes fallen (Sicherheit, Schulen etc.) oder drescht lieber gleich nur Wohlfühlphrasen vor sich her.

Die ÖVP verfolgt in Wien einen supergeilen, voll coolen, stylischen und hippen Modewahlkampf, der sich nur dezent an die Jugend anbiedert und so schmissige Sprüche wie "Schwarzer Pfeffer für die Roten" oder "Frischer Wind für Wien" mit sich bringt. Michael Häupl wirkt auf den schwarzen Plakaten sympathischer als auf den eigenen die ihn photoshopgerecht mit Familien, Architekten, Arbeitern und Migranten zeigen. Während der ATV-Diskussion ist seine Kontrahentin Frau Marek sichtlich bemüht sehr locker und frisch zu wirken. Immer wieder schmeißt sie kess lächelnd ein paar flotte Sprücherl in die Runde. Das Ganze wirkt eher wie ein Casting für die Löwinger-Bühne oder die Nachfolge des Sepp beim Musikantenstadel ,als wie eine seriöse Politdiskussion. Wen es da nicht schon vor lauter dargestellter Kompetenz aus den Socken haut, muss sich erst einmal den gelben Wahlkampf der Schwarzen aus der Nähe geben. Ihre Kondome sind nur zum Essen da, vielleicht spekuliert man damit auf eine höhere Geburtenrate, und die ganzen Pfosten in ihren gelben Plustergilets und den Holzfällerhemden hängen einem mittlerweile auch schon zum Hals raus. U-Bahnpreise spielen keine Rolle, lang fahren muss sie nur. Da die ÖVP-Wählerschaft die einzige ist, die sich in Wien ein Auto hält, wird natürlich gegen die urblöden Parkgebühren gewettert. Kurzum: Alles was den Schnösel von Welt in seiner Selbstherrlichkeit beeinträchtigen könnte, wird vom ÖVP-Wahlkampf erfasst.

Die FPÖ macht Klamauk und Randale, das Einzige was ihre männliche Unterschichtenwählerschaft anspricht. In seinem neuesten Rap kündigt Strache die Zwangspensionierung Häupls an, singt "Sozis woll'n mich mundtot machen, weil ich sag, was Sache ist" und "mit Chauffeur geht's in die Arbeit, bezahlt wird das von unserm Geld". Mutig für den einzigen österreichischen Oppositionspolitiker mit Bodyguard und Chauffeur. Im Refrain des Jahrhundertwerks singt dann ein Männerchor "ganz Wien sagt ja zu HC, weil er die Zukunft ist". Gott bewahre… Auf den Punkt bringt  der Hobbyvirtuose seine Weltanschauung dann mit dem Satz "Zu viel Rot und zu viel Fremdes, beides tut hier niemand gut, deshalb lautet die Parole 'Mehr Mut für unser Wiener Blut'!" Und im Refrain heißt es dann wieder "Mit Vollgas, aber richtig, die Roten misch ma' auf!" Wer Herrn Strache nach dem Grund für seinen Blut- und Bodenwahlkampf frägt, wird nur wieder die üblichen Empfindlichkeiten von ihm hören: Linkslinke Gutmenschen, die den Islamismus in Wien fördern wollen, versuchen ihn mit Schmutzkübelkampagnen mundtot zu machen, weil er sagt, was sich die Wiener denken. Genauso hirnrissig wie seine Gesangsdarbietung präsentiert sich sein neuester Märchen-Comic, in dem Strache die Apotheose zum Wiener Helden in allen Epochen schafft. An der Entsatzung von Wien im Zweiten Türkenkrieg haben dann wahltaktischer Weise auch die Serben und Bayern teilgenommen. Eine Flussnixe mit großen Möpsen sagt "Glaub mir, eines schönen Tages wird nicht nur unsere Donau blau sein, sondern die ganze Stadt! Bürgermeister ist dann ein fescher, junger Kerl namens HC! Schachmatt!" Prostmahlzeit. Dass die Türken vor Wien nur mit "ü" sprechen und auf Lanzen gespießte Schädel hinterlassen gehört ebenso zur Kulturpropaganda des Herrn Strache, wie Mundwasser mit nazistischen Runennamen und ein Kind, das mit seiner Steinschleuder "dem Mustafa eine aufbrennen" soll.

Die Grünen wiederum, oder was von ihnen übrig geblieben ist, machen ihrerseits einen auf bewährten Öko-, Friedens-, Gleichberechtigungs-, Fahrradfahrer-, Kuschelwahlkampf und haben scheinbar den Versuch aufgegeben ins bürgerliche Wählersegment einzudringen. Ein kärglicher Rest einer grünen Politik der Verlässlichkeit findet sich in der Inneren Stadt zu Wien, wo sich Alexander van der Bellen zur Kandidatur breittreten hat lassen. Die Spitzenkandidatin Maria Vassilakou fordert da lieber Mindestsicherung in der Höhe von 950 Euro und 100 Euro Wienerlinientickets fürs ganze Jahr. Da fällt einem fast der alte Schlager ein "Wer soll das bezahlen?..." Die Junge ÖVP, die offensichtlich den Wien-Wahlkampf für ihre leiwanden, geilen und asozialen Themen gekapert hat, sicher nicht. Sie macht einen auf "überparteilich" und demonstriert mit ihrer Liga der ultraangepassten Hemdsärmeligen und unter dem Vorsitz ihres Oberungustls Sebastian Kurz vor dem Parlament mit einem "jungen Flashmob" gegen das angeblich anstehende rote "Belastungspaket". So bemüht jugendlich wie die JVP ist in Österreich sonst nur noch Jeannine Schiller.

Die angesprochenen Roten wiederum kochen seit Jahren im eigenen Sud. Sie wehren sich gegen die Einrichtung eines eigenen Landesrechnungshofes, der könnte ja was kontrollieren, und veranstalten Volksbefragungen mit Erläuterungstexten, die gelinde gesagt tendenziös sind. Trotzdem lässt sich ihre Bilanz unterm Strich sehen: Wien hat von allen Bundesländern die niedrigste Prokopfverschuldung, ein ausgezeichnetes öffentliches Verkehrsnetz und in den letzten Jahren und Jahrzehnten ein angenehmes internationales Flair entwickelt. Wer die Stadt noch aus den frühen Neunzigerjahren kennt - ja so alt bin ich schon - weiß, was für ein osteuropäischer Moloch sie damals noch gewesen ist.
Trotzdem: Auf der faulen Haut liegen spielt sich nicht. Die Verkehrssituation wird nicht besser, mit dem propagierten Nein zur City-Maut durch Volksbefragung hat man sich alle Möglichkeiten in diese Richtung auf absehbare Zeit verbaut und ein Hauptbahnhof ohne U-Bahnanbindung ist mehr als lächerlich.

Wie auch immer die Wahl ausgehen wird, das Ergebnis erscheint in seinen groben Umrissen absehbar: Die SPÖ wird ihre Absolute vermutlich einbüßen. Da die Grünen den Stadthaushalt schon dreimal verplant haben, werden die Roten wenig Interesse zur Kooperation mit ihnen haben, zumal die ÖVP schon im Wahlkampf sprichwörtlich die Beine breit gemacht hat. Ihr erklärtes Ziel ist es als Beilage zum SPÖ-Hauptgericht serviert zu werden. Wenn am Ende die Stimmen ausgezählt sind, stellt sich nur noch eine Frage: Wer sagt HC Strache, dass er nicht Bürgermeister wird?