Sonntag, 31. Oktober 2010

Der Neurosenkaiser, oder: Finger weg von meinen Wäscheklammern!

Kennen Sie Psychologen? Das sind entweder sehr angenehme oder sehr gestörte Leute - Sie sind wohl mittlerweile mit meinen Hang zu Vereinfachungen vetraut. Wenn Sie mal nichts zu tun haben und sich in einer Universitätsstadt befinden, dann besuchen Sie doch mal ein psychologisches Institut. Die ganzen Frauen die sich in verschränkter Haltung selbst umarmen und langsam vor- und zurückwippen sind keine Patientinnen, sondern Studentinnen. Psychologie ist häufig ein Selbsthilfestudium, etwa so wie Jus für Häftlinge. Nun kenne ich zwar Psychologen, aber gottseidank keine von der besonders gestörten Sorte. Ein solcher ist der gute Dave, dem man zwar immer am Gesicht ansieht, wenn er einen wieder mal durchanalysiert, der es aber nicht ständig sagen muss, wenn man gerade ein Musterbeispiel für einen, in der analen Phase steckengebliebenen, Charakter abgibt. Das muss für ihn mitunter schwer sein, weil er Leute wie mich kennt. Da der brave Dave ein mehr oder weniger loyaler Leser dieses Blogs ist - ganz im Gegensatz zu seiner Freundin, der allseits beliebten Emanzipationskanone und Gutmenschenbombe Eli - und er sich - natürlich aus rein beruflichem Interesse - eine Aufstellung meiner größten Neurosen und sonstigen Störungen wünscht, soll ihm hiermit gedient werden. Obwohl er vermutlich die geeignetere Person wäre, sich an eine solche Aufstellung zu machen, will ich mein bestes tun um seinen und Ihren Hunger nach Nachrichten aus meinem traurigen Privatleben zu befriedigen. Keine Angst, ich min kein "Moemonk", aber in mancherlei Belangen doch recht absonderlich. Also mache ich mich an das, was man netterweise als Neurosen und Vorlieben, böserweise als Psychosen und Süchte bezeichnen könnte und schüttle dabei den Kopf über mich selbst...

Finger weg von meinem Glas...
Ich werde mir mit Ihnen kein Glas, keine Flasche und kein Besteck teilen. Der Grund ist simpel: Sie sind ekelerregend und ich verspüre kein Verlangen nach irgendeiner Form von Flüssigkeitsaustausch mit Ihnen. So eine Eigenart verschafft einem allerorts Sympathien. Das fing schon beim Kindergeburtstag in der Volkschulzeit an, als es um ein Spiel ging, bei dem man Schokolade mit Messer und Gabel essen musste und ich als einziges Kind nicht nur eine eigene Gabel, sondern auch ein eigenes Messer verlangte. Ich teile nicht nur das zugehörige Werkzeug, sondern auch mein Essen selbst nur auch äußerst ungern. Kostenlassen gibt's nicht. Nicht, dass ich geizig wäre, aber meistens schenke ich mein Essen lieber her, als jemandem auch nur ein Stück abzubrechen. Von "mal abbeißen" brauchen Sie mir gar nicht erst anzufangen. Das führt zur sofortigen Ungenießbarkeit sämtlicher Speisen, was vor allem der liebe Paul durch ständige Beiß- und Schleckattacken für sich zu nutzen versucht. Er war es auch, der mir ein bereits benutztes Weinglas brachte, als ich einmal recht illuminiert war und die Lippenspuren nicht sofort entdeckte. Bevor ich auf die Toilette gehe, merke ich mir daher Lage und Aussehen meines Glases, weil er nach meiner Rückkehr mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit behaupten wird, er hätte daraus getrunken. Irgendwann wird er das noch büßen...

Finger weg von mir...
Da ich mittelbaren Körperkontakt und Flüssigkeitsaustausch nicht unbedingt zu meinen Lieblingstätigkeiten zähle, können Sie sich vorstellen, dass ich auch im persönlichen Umgang sehr offenherzig bin. Die allerbeste von Pauls Ehefrauen ist freundlicherweise mittlerweile dazu übergegangen Begrüßungsküsschen mit mir so auszutauschen wie ich sie mag: Dreifach, wie es sich für einen Vorarlberger gehört, und mit zwanzig Centimeter Abstand, wie es meine Zwangsneurose verlangt. Dererlei Rücksichtnahme kann ich aber leider nicht von allen Mitmenschen erwarten, weshalb ich der einen oder anderen Umarmung nicht entgehen kann. Ganz grausam sind Küsschen auf die Backen, Gänsehaut inklusive. Reinste Folter war es, als der gute Dave in Wien übernachtete und krankheitsbedingt nicht am Boden schlafen wollte. Neben einem a.) kranken b.) Mann in c.) einem d.) Einzelbett zu e.) liegen, hat mir mindestens so viel Contenance abverlangt wie spätere Grabschattacken eines schwulen Libanesen. Bitte sparen Sie sich und mir alle weiteren Fragen, die aus dieser Sachverhaltsdarstellung resultieren mögen. Nur so viel sei noch gesagt: Mit zunehmendem Alkoholkonsum nimmt meine Hemmschwelle ab, weshalb ich ab einem Promille kurz umarmt werden darf und mich ab drei Promille wie ein fast normaler Mensch benehme.

Beim Fernsehen bleibt die Tür offen...
Wenn ich einen Durchschnittsfilm ganz gesehen haben will, muss ihn mir entweder im Kino anschauen oder fünfmal im Fernsehen. Da ich Aversionen gegen Beicht-, Kuss- und Sozialkonfliktszenen habe, ist es meine Familie mittlerweile gewohnt, dass ich den Raum auch bei den Seitenblicken und bei Universum alle fünf Minuten verlasse und den Großteil der Restzeit stehend vor dem Ofen verbringe. Interessanterweise mache ich das mehr unterbewusst, als absichtlich. Bei entsprechenden Bildreizen scheint mein vegetatives Nervensystem zu entscheiden, dass mein Kleinhirn überfordert ist und schickt mich Mineralwasser trinken oder aufs Klo. Im Kino wird diese Neurose durch den sozialen Umgebungsdruck ruhend gestellt, der die anderen Gäste dazu tendieren lässt, Leute mit Popcorn zu bewerfen, die während der Vorführung zehnmal den Saal verlassen.

Pfoten weg von meinen Süchten...
Jeder Mensch ist irgendwie süchtig und da bin ich natürlich keine Ausnahme. Ich mag den Geruch von neuen Gummistiefeln und frisch geschnittenem Holz, könnte für Coca Cola töten und stopfe gerne Unmengen an Torten in mich hinein. Sollten Sie mich nicht persönlich kennen und sich das Bild des nerdigen Blogschreibers mit Hornbrille und 80 Kilo Übergewicht in Ihrem Kopf langsam verfestigen, so seien Sie an dieser Stelle versichert, dass ich nur 0,5 Dioptrien weitsichtig bin und mein Gewicht zwischen 62 und 64 Kilo pendelt, bei 1,81 m Körpergröße. Ich ernähre mich zwar wie eine frisch freigelassene Kellergeisel, sehe aber nicht aus wie ein Germprodukt. Dafür rauche ich auch nicht/kaum und trinke nur in Maßen - weshalb sich die oben erwähnten ethanolbedingten Normalphasen in überschaubaren Grenzen halten. Da ich mein Lebtag lang auch die Finger von illegalen Rauschmitteln gelassen habe, stellt sich meine Cola-Sucht im Verhältnis zu meinen anderen Absonderlichkeiten glaube ich als relativ kleines Übel dar.

Es war alles schon schlimmer...
Wenn Sie mich jetzt für völlig durchgeknallt halten, haben Sie in der Vergangenheit was verpasst. So manche Zwangsstörung habe ich erfolgreich bekämpft und überwunden. So zum Beispiel jene, auf der Straße und auf dem Trottoir niemals auf Risse oder Linien zu treten. Keine von den Kinderspaßneurosen, sondern so eine, die man sogar dann noch ausführt, wenn man es eilig hat und rennt (eins, zwei drei... Sprung, großer Schritt, kleiner Schritt Sprung...). Dass ich jahrelang äußerst ungern auswärts WC-Besuche eingelegt habe, hat sich gottseidank schon seit dem Gymnasium erledigt, aber in Frühzeiten auch schon zum vorzeitigen Verlassen von Kindergeburtstagen geführt. Meine Angst vor Ratten und Mäusen hat ebenfalls abgenommen. Wer mich einmal kreischen gehört hat, weiß nicht ob er lachen oder sich fürchten soll. Auch die Vorstellung, dass alle Klammern auf meinem Wäscheständer nach Größe und Spektralfarben geordnet sein müssen, hat sich nunmehr zum Hobby reduziert. So gesehen bin ich mittlerweile fast normal.

Manche Dinge lasse ich mir aber nicht als Störung einreden. Auch wenn mir eine von den vielen hoffnungslosen Verkupplungsaktionen des guten Wolfi einmal konstatierte, dass regelmäßiges Händewaschen beim Nachhausekommen neurotisch sei, halte ich es weiterhin einfach nur für hygienisch. Schande über mich! Sollten Sie nach diesem Neurosenstripteas dennoch den Eindruck haben, ich sei ein schrecklich gestörtes Wesen, seien Sie gewarnt: Das wirklich Schlimme ist immer noch mein Charakter ;-)

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