Montag, 20. Juni 2011

Der Pleitehellenismus, oder: Fürchtet die Griechen, vor allem wenn sie Geschenke erzwingen.

Griechenland ist praktisch pleite. Viele haben es gewusst, schon lange, nur haben alle gehofft, dass es doch noch irgendwie gutgehen wird. Irgendwie gut werden die Dinge aber nur in Märchen und die Griechen sind keine Experten in Sachen Märchen, sie sind groß beim Mythenstricken und die enden bekanntermaßen meist weniger rosig.

Nun, die alten griechischen Tragödien sind sicherlich weniger platt als die Geschichten der Gebrüder Grimm und es floss wenigstens reichlich Blut. Heute würden sich die Neohellenen aber wohl lieber eine Goldmarie wünschen, als ein Drama von Aischylos. Das Staatsschiff der Hellenischen Republik befindet sich mitten auf dem Styx und daran sind die Griechen mehrheitlich selbst schuld.

Ein Land, in dem es ein noch unterentwickelteres Unrechtsbewusstsein in Hinblick auf Steuerhinterziehung als in Österreich gibt, kann früher oder später nur den Bach runter gehen. Vor ein paar Monaten haben die Griechen, man höre und Staune, die Registrierkassenpflicht eingeführt, damit auch nachprüfbar wird, wie viele Waren zu welchem Preis den Besitzer wechseln. Dass viele Händler nach wie vor eine „Extralade“ haben und die Registrierkasse nur bei Zeiten einsetzen, ist natürlich eine andere Geschichte. Auch, dass der Staat nun Hubschrauber nutzt, um poolbesitzende und sportwagenfahrende Steuersünder in den Vorortvillen ausfindig zu machen, ist zwar löblich, aber im Endeffekt nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und auch wenn von den 151 Ärzte im noblen Athener Vorort Kolonaki, von denen 29 im Jahr 2008 dem Finanzamt ein Jahreseinkommen von unter 20.000 € und 34 ein Einkommen von unter 10.000 € meldeten, jetzt einige ordentlich nachzahlen müssen, rettet das noch nicht den griechischen Haushalt.

Ein Staat kann nicht funktionieren, wenn seine Bürger der Meinung sind, dass er nur zum bescheißen da ist. Was in Griechenland vorherrscht ist ein tödliches Konglomerat aus Nepotismus, Anspruchsdenken und Verantwortungslosigkeit.

So waren Lizenzen für Benzintankwagenfahrer bis vor kurzem limitiert und verkäuflich. Die Folge: Wer eine besaß war ein gemachter Mann und konnte sie bei Pensionsantritt - was in Griechenland noch früher der Fall ist, als hierzulande bei den Bundesbahnen - für ein Heidengeld weiterverscherbeln. Jeglicher Versuch das Kraftstofflieferantenkartell aufzubrechen endete in der Vergangenheit mit Streiks und der energetischen Lahmlegung des Landes. Dasselbe galt auch für andere Berufsgruppen, die zu den sogenannten „geschlossenen Berufen“ zählten. Apothekern wurde vom Staat etwa eine Gewinnspanne von mindestens 35% garantiert, die gleichfalls limitierten Apothekenlizenzen konnten beim Gang in den Ruhestand für etwa 500.000 € pro Stück weiterverkauft werden. Der Staat ging bei diesen Geschäften leer aus.

Eine weitere Ungeheuerlichkeit ist, dass nach wie vor ledige oder geschiedene Töchter von hohen Staatsbeamten nach deren Tod die Pension ihres Vaters oder ihrer Mutter weiterbeziehen können. Wer als öffentlich Bediensteter einen Computer benutzt, eine Fremdsprache spricht und pünktlich zur Arbeit kommt, erhält einen Monatsbonus von 1.300 €. Immerhin, man bemüht sich: Der griechische Staat will jetzt mittels Erhebung feststellen lassen, wie viele Beamte er eigentlich beschäftigt.

Zudem verfügt das Land über eine stattliche Anzahl von Kommissionen und Ausschüssen, die wohl ebenso stattlich bezahlt werden dürften. Der Kopaiassee etwa wird von einem gesonderten Gremium betreut, obwohl er seit dem späten 19. Jahrhundert ausgetrocknet ist.

Weil man sich in der Ägäis traditionell vor den Türken fürchtet, betrugen die hellenischen Militärausgaben 2009 3,1% des BIP, der NATO-Durchschnitt lag damals bei 1,7%. Im Verhältnis dazu gab Österreich 2010 etwa 0,9% seines Bruttoinlandsproduktes für Landesverteidigung aus, während die Militärkosten in Griechenland im selben Jahr auf 6,1% stiegen. Während andere Staaten sparten, kaufte man am Peloponnes lieber französische Kampfhubschrauber und deutsche U-Boote. Dafür konnte der griechische Staat schon 2009 in anderen Bereichen seine Rechnungen nicht mehr begleichen, war also de facto pleite. Damals warteten etwa Lieferanten von Krankenhausbedarfsmitteln bereits vier Jahre lang auf die Zahlung ihrer Ansprüche.

So ergibt sich ein teuflisches Schuldenkarussell: Der Staat bezahlt seine Lieferanten nicht, diese müssen Kredite bei den Banken aufnehmen. Zahlt der Staat weiterhin nicht, stellen die Kreditinstitute die Schulden fällig, was den Bankrott der Privatfirmen bedeutet. Die Staatsschulden gehen an die Banken über. Der Staat verliert also keinen Gläubiger, aber einen Steuerzahler; vorausgesetzt natürlich, dass die Firma überhaupt Steuern gezahlt hat. In Sachen Staatsbetrug legendär sind mittlerweile fast die Kretischen Bauern, die den EU-Kontrolloren größere Herden vorgaukelten, indem mehrere Bauern ihr Vieh an Zählungstagen einfach zusammenlegten, um mehr an Subventionen zu bekommen. Kamen die Prüfer am nächsten Tag zu einem anderen Bauern, war die Kombinationsherde auch schon da. Eine Zeit lang boomte in Griecheland die Rosenzucht, ganz einfach weil Treibhäuser von Brüssel gefördert wurden.

Das alles hat neben der verschwenderischen Regierungspolitik beigetragen zu jener fiskalen und finanziellen Katastrophe in dem sich das Land von Sokrates und Platon heute wiederfindet:
„Die kleinen, schmutzigen Geheimnisse der Griechen, jetzt sind sie offenbar: frisierte Zahlen, um in die Europäische Währungsunion zu gelangen - Kredite von Goldman Sachs und anderen Investmentbanken, die nicht als Kredite ausgegeben, sondern als Einnahmen deklariert wurden. So tauchten diese Kredite auch nicht in der Schuldenstatistik auf, praktischerweise. Dazu ein Haushaltsdefizit von fast 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts 2009. Rückgang der Exporte um beinahe 18 Prozent. Dazu der Rückgang der Einnahmen aus dem Tourismus um 13 Prozent. Inflation im Februar dieses Jahres [2010] in Höhe von 2,8 Prozent, aufs Jahr gerechnet wären das mehr als 30 Prozent. Dazu Streiks in allen Spielarten, aus allen Gründen, Einstellungsstopps für Beamte, Straßenbarrikaden in Athen, Tränengas, Erhöhung der Steuern, Kürzung der Gehälter.“ Der Spiegel
 In Griechenland ist nicht nur das Staatsgebäude marod, das ganze Fundament wackelt. Kein Wunder bei den vielen Steuerleichen, die dort einbetoniert sein dürften. Ein Land, in dem man nach 35 Beitragsjahren mit 80% Gehaltsfortzahlung in Pension gehen kann, in dem der staatliche Erdölkonzern „Hellenic Petroleum“ 18 Monatsgehälter bezahlt und ein Nachtwächter damit auf 72.000 € im Jahr kommt, kann auf Dauer einfach nicht funktionieren. Dabei gibt es auch innergriechische Ungerechtigkeiten: Während die Angestellten des staatlichen Energiekonzerns DEI im Durchschnitt 41.000 € jährlich verdienen, liegt das Gehalt eines Gymnasiallehrers bei 20.000 €. Die Korruption kennt außerdem keine Grenzen. Nach Angaben des Spiegel flossen seit 1999 insgesamt über 31 Millionen Euro von besagtem Konzern an die Gewerkschaft.

Man sollte es vermeiden das billige Klischee vom arbeitsscheuen Südländer zu bedienen. Das ist ein Fettnäpfchen, in das sich Angela Merkel schon gesetzt hat. „Iphigenie in Faulos“ wäre wohl auch etwas zu kurz gegriffen, um die gegenwärtige Miesere des Hellenentums zu beschreiben. Es geht vielmehr um die Grundsatzfrage, wie viel man leisten muss und was man dafür verlangen darf, um anständig leben zu können und sich und sein Staatswesen nicht zur verschulden. Verantwortungslose Politiker haben über Jahrzehnte hinweg mit Duldung des Auslandes einer kurzsichtigen Bevölkerung budgetär nach dem Mund regiert. Das Ergebnis ist ein Staat mit über 140%iger BIP-Verschuldung, selbst Italien hat „nur“ 119% Schulden, bei Österreich sind es etwa 72%.

Griechenland kann es sich aber nicht leisten so hohe Schulden zu haben. Japan etwa bekommt jetzt auch Probleme, steht aber schon mit fast 200% seines BIP in der Kreide. Japan hat aber eine starke Wirtschaft, seine Schulden sind zum Großteil Binnenschulden. Wenn Nippon also pleitegeht, schadet das hauptsächlich den Inlandsgläubigern, sowas beruhigt das Ausland. Die Griechen aber haben keine solide Wirtschaft. Ihr Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt bei knapp über 21.000 €, zum Vergleich: Österreich hat ein pro Kopf BIP von fast 32.000 €, jenes von Japan liegt bei über 26.000 € (WKO). Von den etwa 330 Milliarden Euro Schulden, die der griechische Staat schätzungsweise zurzeit angehäuft hat, entfallen ca. 28 Milliarden auf deutsche und ungefähr 50 Milliarden auf französische Banken. Warum also gerade Deutschland und Frankreich auf EU-Ebene Druck in Sachen Griechen-Rettung gemacht haben, erklärt sich damit wohl von selbst.

Praktisch soll nun der europäische Steuerzahler nicht nur für die Verschwendungssucht der Athener Politiker, sondern auch wieder einmal für die risikoblinde Spekulationssucht der Bankenbrache aufkommen. Deshalb wollen die EU-Staaten Griechenland auch nicht in den geordneten Staatsbankrott führen: Es würde ihre eigenen Banken und damit ihre Volkswirtschaften schädigen. Außerdem ist da noch der Dominoeffekt. Wenn der internationale Finanzmarkt, denn sehr viele dort spekulieren darauf, Griechenland pleite bekommt, warum dann nicht auch Spanien, Italien, Portugal und Irland?

Die Frage die wir uns auch stellen müssen ist: Wer hat zugelassen, dass Griechenland überhaupt in die Eurozone kommt? Als ob ein informierter Politiker auch nur im Ansatz hätte glauben können, das damals schon hoch verschuldete Land habe die Konvergenzkriterien auch nur ansatzweise erfüllt. Aber wer könnte ein Interesse gehabt haben die Griechen ins Euro-Boot zu holen? Vielleicht dieselben, die es jetzt retten wollen? Denn wäre Griechenland dem Euro nicht beigetreten, wäre wohl damit zu rechnen gewesen, dass die Drachme gegenüber dem Euro an Wert zunehmend eingebüßt hätte. Wenn ich aber als Bank in einem Euroland meinen Firmensitz habe und meine Bücher in Euro führe, dann macht sich das nicht gut, wenn ein Land bei mir in seiner Währung Schulden hat und diese Devise gegenüber meiner Buchwährung ständig an Wert verliert.

Es ist mittlerweile zu spät um zu sagen: Mit Griechenland liegt vieles im Argen, denn Griechenland ist am Ende. Es finanziert sich derzeit nur über Hilfszahlungen der EU-Mitgliedsstaaten, denn niemand sonst leiht ihm mehr Geld, nicht einmal zu den horrend hohen Zinsen, die das CCC Rating so mit sich bringt, das ihm „Standard & Poor‘s“ kürzlich verpasst hat. Die Griechen sind auf Europa angewiesen. Sie fahren als Bettler nach Brüssel. Das ist für sie natürlich erniedrigend, aber man kann sie kaum von ihrer Schuld freisprechen. In Europa geht derweil die Angst um: Die Angst vor einem griechischen Staatsbankrott und der möglichen Kettenreaktion, die er auslösen könnte. Die Angst davor, dass sich das Land zum Fass ohne Boden entwickeln könnte, wenn es nicht schon längst eines ist. „Timete danaos si dona quaerentes“ könnte man sagen. Die Lage ist ernst.
Aber kann man Griechenland pleite gehen lassen? Oder soll man es aus dem Euro hinausschmeißen? Die Griechen sind nicht dumm: In den letzten Monaten hat ein Run auf die Bankinstitute eingesetzt. Die Menschen heben ihre Einlagen ab. Warum? Würde man das Land aus der Eurozone werfen und die Drachme wiedereinführen, hätte das eine augenblickliche Abwertung der neuen alten Währung zur Folge. Eine billige Währung macht Exporte billiger und stärkt die heimische Wirtschaft. Vor allem aber würden sich dadurch die - dann in Drachme verrechneten - Schulden verringern, aber eben auch die Spareinlagen. Ein Euroausstieg Griechenlands müsste als Geheimschlag geführt und vom Einfrieren und Zwangsumtausch sämtlicher Einlagen auf griechischen Banken begleitet werden. Ansonsten stünden diese binnen Stunden ohne Eigenkapital da, was für jede Volkswirtschaft den Tod bedeutet.
Im Jahr 2009 gab Griechenland 53,2 Milliarden Euro aus, bei Einnahmen von 37,8 Milliarden. Gehen wir nun einmal davon aus, was zugegeben utopisch ist, dass Griechenland seine Ausgaben unter sein Einkommen senkt und sogar noch 5% seiner Staatseinnahmen zur Schuldentilgung aufwendet. Das wären auf das Jahr 2009 gerechnet knapp 1,9 Milliarden Euro. Nimmt man den jetzigen Schuldenstand des Landes mit 328,5 Milliarden Euro eher bescheiden an, müsste Griechenland nur etwa 173 Jahre lang seine Verbindlichkeiten abstottern. Und da sind die laufenden Zinsen noch gar nicht eingerechnet. Es sei jedem selbst überlassen, für wie realistisch er diese Entschuldung hält. 
„Nicht das Hinfallen ist schlimm, sondern es ist schlimm, wenn man dort liegenbleibt, wo man hingefallen ist.“ Sokrates

Mittwoch, 15. Juni 2011

Die Goldene Stadt, oder: Prag für Anfänger

Irgendwie ist es, als hätte man ein zweites Wien entdeckt. Ein Wien, das zwischen noch höheren Hügeln liegt und in dem man nicht den Fehler gemacht hat fast alle mittelalterlichen Gebäude abzureißen oder den Fluss aus der Stadt zu verlegen, aber auch ein Wien in dem jahrzehntelang der reale und nicht der liberale Sozialismus geherrscht hat: Prag.

Architektonisch ist die Stadt ja ein Schmelztiegel. Vom Mittelalter über Barock und Biedermeier bis hin zum sozialistischen Realismus und modernen Glaspalästen findet man dort alles. Grundsätzlich sind alle Lokalitäten nach T. G. Masaryk, quasi dem pater patriae, benannt. Kommunistische Bausünden und schwere Restaurierungsfälle sind geschickt mit hauswandgroßen Werbeplakaten verhangen, deren Inhalt man nur erraten kann, so sie nicht in Englisch gehalten sind. Kein Wunder bei einer Sprache, die fünf Buchstaben mit Hatschek kennt. 
Jaja, ich geb’s zu: Prag ist für eine Stadt im Ausland trotzdem sehr sehenswert. Visuell und historisch sehr ansprechend präsentiert sich das ehemalige Kommunistengrätzl an der Moldau als Perle die täglich von abertausenden Touristen heimgesucht wird, deren einzige Beschäftigung es zu sein scheint ständig die Karlsbrücke von einer auf die andere Seite zu überqueren bzw. andere durch sinnloses Herumstehen daran zu hindern. Ja, man könnte sagen, es rentiert sich nach Prag zu fahren, auch preislich. Ein großes Bier ist in Vorstadtbeisln schon um unter einen Euro zu haben. Schade nur, wenn man wie ich kein Biertrinker ist. Aber auch das Essen ist günstig. Am besten ist Prag sowieso, wenn man es von netten Menschen als Sponsionsgeschenk bekommt und nichts bezahlen muss. Da lacht das knickrige Herz des Vorarlbergers...

Trotz all seiner Reize birgt natürlich auch die goldene Stadt allerlei Merkwürdigkeiten. Man sieht frühmorgens Leute - mutmaßlich keine Diabetiker Typ eins - die sich in öffentlichen Parks Spritzen setzen und in der Altstadt mehr Chinesen als in Hongkong. Die staatlichen Museen sind hingegen differenziert zu bewerten. Im tschechischen Nationalmuseum etwa wird im ersten Stock die infantilisierte Frühgeschichte des Tschechentums und im Obergeschoß die heimische Fauna präsentiert. Von außen sieht das Gebäude aus, als habe man es seit den Tagen von König František Joseph I. dahingammeln lassen, was wahrscheinlich auch der Fall ist. Von innen grüßt einen zunächst die Pracht der Prunkstiege und das Kassenhäuschen, in dem für etwa 8€ Audio Guides angeboten werden, die einem die im Raum befindlichen Gegenstände aufzählen. Das Inventar ist insgesamt etwas verstaubt, für Allergiker also kein heißer Tipp. Kindergerecht werden Nationalepen mit Wildschweinen, barbusigen Weibern und kampfeswilden Tschechen erzählt. Kritische Reflexion des eigenen Gründungsmythos: Fehlanzeige. Abgesehen davon, dass der genaue wissenschaftliche Zusammenhang zwischen frühslawischer Anthropologie (1. Stock) und der tschechischen Tierwelt nebst emotional aufrüttelnder Mineraliensammlung (2. Stock) nicht klar ersichtlich ist, lässt auch die sonstige Umsetzung des nicht vorhandenen Konzepts zu wünschen übrig. Auf tscheoslowakischen (für Slowaken: tschecho-slowakischen) Landkarten wurde einfach mittels linearer Nachbearbeitung die 1992 realisierte Staatstrennung vollzogen. Ein Museum, das Modernisierungen mit schwarzen Filzstiften durchführt, sollte dringend über eine Neuausrichtung nachdenken. Insgesamt bietet sich ein Bild, als hätte man das Naturhistorische Museum in Wien um die Hälfte gekürzt, auf das Heeresgeschichtliche draufgesetzt und eine flammend patriotische Kindergartenpädagogin zur Kuratorin ernannt. Kurz: Meiden sie das Tschechische Nationalmuseum und sparen sie sich 150 Kronen Eintritt.
Viel kleiner, dafür aber anständig aufbereitet war das Widerstandsmuseum, das auf der Fläche eines einzigen Raumes das Attentat auf Reinhard Heydrich - seines Zeichens mordender und piepsstimmiger Reichsprotektor in Böhmen und Mähren - nachzeichnet und damit, trotz stellenweiser Nationalfrenetik - mehr Inhalt auf die Beine stellt, als der architektonische Bröckelklotz namens Nationalmuseum. Kurzum, die Tschechen haben den bestialischen Heydrich ausgeknipst, dafür mit vielen Menschenleben bezahlt und sind trotzdem zu Recht stolz drauf etwas für die Befreiung ihres Landes getan zu haben (Schaut auf eure Füße Mehrheit der Österreicher!).

Wenn die Böhmen nicht gerade Attentate planen oder ihre Nationalgeschichte verklären, trinken sie bekanntlich gerne Bier, was sie zu den statistisch größten Bierkonsumenten weltweit macht. Wenn man sich aber so ansieht, was die scharenweise einfallenden Teutonen so an Gerstensaft konsumieren, könnte man den statistischen Prokopfverbrauch auch auf den Tourismus zurückführen. Das Produkt dieses kooperativen Weltrekordes sieht freilich wenig erhaben aus. Halbnackte Deutsche, die sturzbesoffen und grölend durch die Prager Innenstadt torkeln, verleiten einen als Menschen zum Fremdschämen und als Österreicher zur Dankbarkeit für den Staatsvertrag. Aber ja, ich hab auch nette Deutsche getroffen in Prag. Einen zumindest.

Auch wenn Österreicher und Tschechen eine traditionelle Hassliebe verbindet, man wirft sich gegenseitig den Untergang der Monarchie vor, haben sich die Verhältnisse seit dem Fall des Eisernen Vorhanges trotz einiger Trübungen (Temelin) doch merklich gebessert. Von Tschechischer Seite dürfte zumindest ein gewisses Interesse am südlichen Nachbarn bestehen. Man hat sicher nicht vergessen, wer während des Prager Frühlings die Grenzen offenhielt und wessen Botschafter Kirchschläger - trotz anderslautender Weisung des Außenministers Waldheim -  nicht aufhörte Visa an flüchtende Tschechen auszustellen. Zumindest gibt es ein österreichisches Kulturforum in Prag und in den öffentlichen Verkehrsmitteln wurde - mittels eines in Einzelteile filetierten Bundesadlers - ein literarischer Ausflug nach Rakousko von Joseph Roth bis Peter Handke angekündigt. Überhaupt fängt man als Österreicher in Prag an ein gewisses kulturelles und mentalitätsmäßiges Schnittstellenbewusstsein zu entwickeln, nicht erst wenn man draufkommt, dass der Kölner Dom zwei fertige Türme hat, der Wiener Stephansdom einen und der Prager Veitsdom einen halben. Schon ein Prager Türschild könnte 1:1 in Wien hängen. In Sachen Svoboda, Novotny und Brezina stehen die Österreicher den Tschechen ebensowenig nach wie diese ihnen mit Schwarzenberg und Bauer. Man braucht nur daran zu denken, dass eine Zeit lang der tschechische Premier und sein Außenminister Klaus und Dienstbier hießen, während in Österreich ihre Amtskollegen Vranitzky und Busek an der Macht waren. Nicht umsonst hat der tschechische Botschafter in Österreich einmal gemeint man habe es grundsätzlich mit einem Volk zu tun, dass durch verschiedene Sprachen getrennt sei. 

Nun, man muss hier doch eine Lanze für die Tschechen brechen. So grantig wie die Wiener sind sie sicher nicht. Das erste was mir nach Verlassen des Busses an Österreichischem begegnet ist, war eine klingelnde und schimpfende Fahrradfahrerin, die sich um ihr Wegerecht gebracht sah. Tu infelix Austria...

Dienstag, 7. Juni 2011

Die Grenzen dicht, oder: Quo vadis Europa?

Und dann ausgerechnet die Dänen. Welches Land in der EU könnte man als liberaler, freier und demokratischer bezeichnen, mit Ausnahme Schwedens und der Niederlande vielleicht, als Dänemark? Und plötzlich macht es die Grenzen dicht. Kriminalität, so der „Minister for flygtninge, indvandrere og integration“ Søren Pind, sei der Grund für diese Maßnahme und er verstehe die Aufregung darüber nicht, schließlich sei alles Schengen-konform. Nun gut, die Dänen sind politisch sowieso etwas komisch drauf könnte man sich denken. Minderheitsregierungen gehören zum parlamentarischen Einmaleins und die Partei die sich „venstre“, also „Linke“ nennt, gewinnt Wahlen mit Antiausländerparolen. Auch Migrationsminister Pind ist so ein „Linker“, genauso wie der dänische Ministerpräsident Rassmusen. Und weil Schleswig-Holstein ja bekanntlich ein Hort der Kriminalität ist, kann man gut verstehen, dass die Grenzen dorthin wieder dicht gemacht werden, zumindest in Dänemark.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass Königin Margrethes Regierung gerade jetzt auf diese Idee verfällt. Wenn man ein Anhänger des extremen Kausalismus ist, könnte man sagen, dass der tunesische Gemüsehändler Mohamed Bouazizi daran schuld ist. Immerhin hat der sich nach der Beschlagnahmung seines Gemüsestandes selbst verbrannt, woraufhin zuerst seine Entourage, dann die ganze Stadt und dann ganz Tunesien auf die Straße gegangen ist. Das wiederum hatte den Sturz des allseits beliebten Langzeitdiktators Ben Ali zur Folge, was eine revolutionäre Kettenreaktion im nordafrikanisch-arabischen Raum und unter anderem den libyschen Bürgerkrieg auslöste. Seitdem stranden wöchentlich hunderte Flüchtlinge an der Küste der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa oder werden - falls man sie nicht „übersieht“ - von NATO-Schiffen aufgelesen. Italien verfügt bekanntlich über einen äußerst fähigen, integeren und seriösen Ministerpräsidenten, der das Flüchtlingsproblem einfachstmöglich gelöst hat, nämlich durch die Ausstellung von Schengen-Visa. Berlusconi weiß nämlich, dass die meisten Flüchtlinge nach Frankreich, Großbritannien oder Deutschland weiter wollen. Die Franzosen wiederum haben ein gewisses Interesse, dass nicht Hundertschaften von Nordafrikanern den heimischen Arbeitsmarkt bereichern, also stoppen sie die Flüchtlingszüge aus Italien, bevor sie in Nizza ankommen. Das wiederum ist nicht Schengen-konform, weil permanente Grenzkontrollen nicht und begrenzte nur in Ausnahmefällen erlaubt sind:
„Wenn die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit es indessen erfordern, kann eine Vertragspartei nach Konsultation der anderen Vertragsparteien beschließen, dass für einen begrenzten Zeitraum an den Binnengrenzen den Umständen entsprechende nationale Grenzkontrollen durchgeführt werden. [...]“ Art. 2 Abs. 2 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen
Nun mögen Wirtschaftsflüchtlinge vieles sein, aber im derzeitigen Ausmaß kaum eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit. Wenn sie Kriminelle wären, könnten sie ja gleich in Italien bleiben. Außerdem kann man unter Konsultation einiges verstehen, aber schwerlich ad-hoc-Zugstoppungen. Die Franzosen wollen nun wieder unter bestimmten Umständen Grenzkontrollen durchführen dürfen und werden darin seltsamerweise von den Italienern unterstützt, die den ganzen Schlamassel ja erst ausgelöst haben. Nun haben die Dänen natürlich die Gunst der Stunde erkannt und genutzt. Hätten sie ein paar Monate zuvor die Balken runtergelassen, die Kommission hätte sofort mit einem Vertragsverletzungsverfahren gedroht, die restlichen Mitgliedsstaaten hätten sich bestürzt gezeigt. So wird zu einem Zeitpunkt, zu dem die Rechtsnorm „Schengener Abkommen“ zumindest zum Teil infrage gestellt ist, dem europäischen Rechtsstaat - unter gleichzeitiger Duldung der meisten anderen Mitgliedstaaten - das Messer in den Rücken gedrückt.

Die Geschichte ist vor allem aber auch deshalb bemerkenswert, weil sie einen Nationalisierungsschritt darstellt, also einen möglichen Übergang von vereinheitlichten Regelungen zu einzelstaatlichen Maßnahmen. Bisher kannte man im europäischen Integrationsprozess ja nur die andere Richtung.

Da stellen sich natürlich gleich ein paar Fragen: Wird jetzt wieder dezentralisiert? Wird die Union zum Staatenbündchen degradiert? oder etwas umfassender: Wohin geht Europa? Ja, wenn ich Ihnen das jetzt beantworten könnte... König der Politikwissenschafter würde man mich nennen, einer Disziplin die sich nicht einmal darauf einigen kann, ob die EU zurzeit nun ein Bundesstaat oder ein Staatenbund ist und deshalb den supertollen „Staatenverbund“ erfunden hat. Die Politikwissenschaft neigt ja generell sehr gerne zu begrifflichen Verlegenheitslösungen man denke an die Definition Russlands als „Demokratur“. Da kann man sich gern austoben und Österreich als „föderozentristisch“, Schweden als „Republarchie“ und Theodor zu Guttenbergs Doktorarbeit als „fahrlässige Täuschung“ bezeichnen. Geholfen wird damit keinem. Die Juristen sind da etwas prosaischer, bei ihnen ist die Union einfach ein Gebilde „sui generis“. Weniger kreativ, aber genauso aussagekräftig wie „Staatenverbund“. Für das was die EU mal werden soll hat weder die politikwissenschaftliche noch die juristische Wissenschaftsgemeinschaft passende Worte. Wie sollten sie auch? Schließlich wissen die europäischen Politiker selbst nicht, in welche Richtung sie ihren staatsrechtlichen Homunculus weiterlenken wollen. „Die Finalität der EU ist weiterhin offen.“ heißt's dann oft so schön. Blablabla... 

Fragen wir uns einmal was wünschenswert ist: Wollen wir einen europäischen Einheitsstaat mit Zentrale in Brüssel? Das Ansinnen würde wohl wenige Anhänger finden. Nicht nur, dass die Zentralisierung von 27 Staaten mit eigenen Sprachen, Rechtssystemen und nicht zuletzt Machterhaltungstrieben geradezu unmöglich sein dürfte, je größer ein Staat wird, desto undemokratischer ist er, wenn dem nicht mit föderalen Komponenten gegengesteuert wird. Föderalismus bricht Demokratie auf mehrere Ebenen, das ist eigentlich das Sinnvollste was er tut.
Wollen wir einen europäischen Bundesstaat? Die Frage ist schon wesentlich schwerer zu beantworten. Stellen wir daher zunächst eine andere: Was unterscheidet den Bundesstaat vom Staatenbund? Wenn ich das verknappt darstellen darf: Aus einem Bundesstaat können die Teilstaaten nicht ohne Erlaubnis des Bundes austreten, aus einem Staatenbund schon. Der Bundesstaat kann von seinen Gliedern auch nicht mehr aufgelöst werden, der Staatenbund schon. (Bitte betrachten Sie das aber bitte nicht als allgemeingültige Definition von Bundesstaatlichkeit, es gibt hunderte und diese ist meine persönliche.)
Wollen wir also ein Gefüge, aus dem wir nicht mehr rauskönnen oder eines, das wir auch wieder mit Pauken und Trompeten verlassen dürfen? Das ist eigentlich reine Geschmackssache. Beide Varianten haben Vor- und Nachteile. Der Bundesstaat garantiert ein Mindestmaß an Rechtseinheitlichkeit und kann notfalls den sogenannten „Bundeszwang“ einsetzen. Renitente Mitgliedsstaaten könnten sich dann nicht mehr nach Belieben daneben benehmen. Der Staatenbund hingegen gibt uns die Möglichkeit das Handtuch draufzuhauen, sollte sich die EU einmal in eine Richtung wenden, die uns gar nicht mehr zusagt.

Es heißt ja so schön „drum prüfe, wer sich ewig bindet.“ Dahingehend kann ich dem staatenbundlichen Prinzip mehr abgewinnen, auch wenn es nur mit dem good will der Teilnehmer funktioniert. Beispiel: Ein Bundesland hat Schulden beim Bund und zahlt sie nicht. Ein Gericht spricht dem Bund das Geld zu, das Land zahlt immer noch nicht. Der Bund wird sich die Summe holen bzw. beim nächsten Finanzausgleich einfach weniger überweisen. Anderer Fall: Österreich verletzt eine EU-Bestimmung, der EuGH verurteilt uns zu einer Strafzahlung, Österreich zahlt aber nicht. Welche EU-Polizei, welche EU-Armee oder welcher EU-Finanzausgleich könnte einen Nettozahler wie Österreich zum Überweisen zwingen? Die einzig mögliche Konsequenz wäre der endgültige Rausschmiss. Das will natürlich keiner riskieren, denn das käme dem wirtschaftlichen Ruin gleich, also zahlen alle brav. Garantien dafür, dass das immer so sein wird, gibt es aber keine.

Unter dem Gewicht des politischen Alltagsgeschäfts geht oft der Sinn für die absolute Einmaligkeit der europäischen Einigung verloren, deshalb sei darauf hingewiesen: Dass 27 Staaten einen einheitlichen Markt, einen Gerichtshof, ein Parlament, eine gemeinsame Gesetzgebung, zum Teil auch eine einheitliche Währung und offene Grenzen haben, das hätte sich vor hundert Jahren wohl kaum jemand träumen lassen. Nicht nur friedliche Koexistenz, sondern intensive Zusammenarbeit, was für ein historisches Wunder. Die Europäische Union mag von ihren wirtschaftlichen Vorteilen leben, gegründet wurde sie aber im Gedenken an die Kriege, die unseren Kontinent verwüstet haben.
Es mag ja ärgerlich sein, wenn ein Flensburger in Sønderborg ein Fahrrad stiehlt, aber deshalb die EU infrage stellen? Bitte nicht.

„EINGEDENK der historischen Bedeutung der Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents und der Notwendigkeit, feste Grundlagen für die Gestalt des zukünftigen Europas zu schaffen“ aus der Präambel zum Vertrag über die Europäische Union

P.S.: In eigener Sache: Über neue Posts kann man sich jetzt auch via facebook auf dem Laufenden halten.

Mittwoch, 1. Juni 2011

Die Todesgurken, oder: Bitte nicht durchdrehen!

Ich will Ihnen ein Geständnis machen: Ich habe heute Gemüse gegessen. Ich kam, aß und überlebte. Glaube Sie nicht, dass ich eine Rossnatur wäre. Ich leide bis zu vier mal im Jahr an chronischem Husten. Aber trotzdem habe ich bisher nicht nur den EHEC-Erreger, sondern auch SARS, die Vogelgrippe, die Schweinegrippe und die Handystrahlung überlebt. Wie kann das sein?

Nun, man könnte ein Schelm sein und behaupten, dass gewisse Kreise ein Interesse daran haben diverse Erreger zu tödlichen Massenmördern hochzustilisieren. Wenn man in Betracht zieht, dass sich alleine die Republik Österreich bei Ausbruch der Schweinegrippe 2009 acht Millionen Impfdosen reservieren ließ und was das gekostet hat, könnte man schon auf Gedanken kommen. Dem deutschen Steuerzahler erwuchsen für die Impfaktionen Ausgaben in der Höhe von 700 Millionen Euro. Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die für die Beurteilung von weltweiten Krankheitsausbreitungen zuständig ist, setzte die Kriterien für eine Pandemie herunter und erklärte die Schweinegrippe (H1N1) sogleich zu einer solchen. In den USA wurde damit begonnen jeden Grippetoten als Schweinegrippetoten zu zählen (Die Welt). Hysterie breitete sich aus. Und wofür? Im Jahr 2009 starben 22 Menschen in Österreich an der Grippe. Ja, das war eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr um 21 Tote, aber noch im Jahr 2000 waren 145 Personen der Influenza erlegen, ganz ohne ansteckende Schweine. Das liegt daran, dass Grippewellen - wie der Name schon sagt - zyklisch und in unterschiedlicher Intensität auftreten. Außerdem könnten die 21 zusätzlichen Opfer auch einen anderen Grund haben: Als 1976 in den USA nach dem Influenzatod eines Soldaten eine Schweinegrippehysterie ausbrach und sich sogar Präsident Ford öffentlich impfen ließ, starben von 40 Millionen Geimpften 45 Menschen vermutlich an den Folgen der Impfung.  Bis auf ein Opfer, nämlich jenes, das die Impfaktion ausgelöst hatte, konnten aber keine weiteren Schweinegrippetoten nachgewiesen werden (Datum). Mit 18. Juni 2010 stieg die Zahl der mit dem H1N1-Virus infizierten Todesfälle in Österreich auf 41. Davon wurde bei 21 Personen das Virus selbst als Todesursache festgestellt (BMG). Jeder Tote ist ein tragischer Verlust, aber man muss die Zahlen in Relation sehen: Im Vergleichsjahr 2009 starben in Österreich 488 Menschen am Suff, 464 an Blasenkrebs, 47 an Tuberkulose bzw. deren Spätfolgen, 636 starben bei Verkehrsunfällen und 1.273 nahmen sich das Leben. Verglichen mit den 33.223 Österreicherinnen und Österreichern, die anno 2009 auf Grund von Herzerkrankungen das Zeitliche segneten, sind auch diese Zahlen verschwindend klein.

Wo bleibt die große Herzinfarkthysteie? Nirgends. Denn um keinen Herzinfarkt zu bekommen, muss man sich bewegen, aufhören zu rauchen und sich gesund ernähren. Das sind Dinge die anstrengen und die man nicht über Amazon bestellen kann. Gegen SARS, Scheinegrippe und Co. kann man sich aber Schutzmasken kaufen, sich impfen lassen und Chinesen aus dem Weg gehen. Alles Dinge, die nicht viel Aufwand erfordern, von denen wir uns aber einreden lassen, dass sie unseren Lebensalltag ungeheuer beeinflussen und die Welt einen Schritt näher an den Abgrund führen. Leidtragende sind am Ende dann aber nur asiatische Reisende oder die spanischen Gurkenbauern.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich bin keiner von den Spinnern, die gegen Impfungen sind und ihre Kinder bei Reaktorkatastrophen keine Jodtabletten geben würden. Ich glaube auch nicht, dass man Tumore, die kleiner als eine Faust sind, durch Handauflegen heilen kann; und ja: AIDS ist eine Krankheit die es wirklich gibt. Aber ich wende mich gegen die mediale Hysterie, auf der die Verunsicherung der Bevölkerung fußt.
Fünfzehn, sage und schreibe fünfzehn Menschen sind bis dato in Deutschland am EHEC-Bakterium verstorben. Großteils ältere Frauen, was den Verdacht der Ärzte begründete, dass der Erreger sich auf Gemüse befinden könnte, weil Fraun ja mehr kochen und abwaschen. Vielleicht hat aber auch O.B. verseuchte Tampons geliefert?
Nein, 15 Tote Menschen sind kein Spaß, aber es sind 15 von mehr als 81 Millionen. Österreicher hat es noch keinen einzigen erwischt, aber Hauptsache wir ergeben uns dem germanischen Medienüberhang und drehen gleich mit durch.

All das beinhaltet die Gefahr, dass bei späteren Pandemien - bei denen dann eventuell Grund zur Besorgnis gegeben wäre - die Öffentlichkeit dermaßen abgestumpft ist, dass sie den Ernst der Lage zu spät mitbekommt. Andererseits kann man natürlich auch einwenden, dass die Information der Bevölkerung über den Fund von EHEC-Bakterien auf iberischem Gurkengemüse nicht verheimlicht werden hätte können und dürfen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information, sie kann nur nicht damit umgehen. Wie soll auch ein Durchschnittsbürger schwerwiegende gesundheitliche Fragestellungen für sich beantworten, wenn die Ärzte oft untereinander nicht einig sind? Das ist nicht nur bei bei viralen und bakteriellen Erkrankungen der Fall, sondern etwa auch bei Schutzimpfungen wie jener gegen Gebärmutterhalskrebs. Im Endeffekt wird er meist den sichereren Weg gehen, wenn er nicht zu aufwändig ist.

Auf Gurken kann man leicht verzichten, deshalb geht der Kunde lieber auf Nummer sicher, bevor er unbekannte Risken eingeht. Dass die österreichischen Gurkenbauern 75% ihrer Ernte wegwerfen können - heute allein über 200.000 Stück - ist für diese jedoch eine wirtschaftliche Katastrophe. Auch wenn ich sonst kritisch zu Agrarsubventionen stehe, hab ich heute doch eine Solidaritätsgurke gekauft, im Angebot und von einem Riesenstapel. Von der EHEC-Panik profitieren zumindest die Pharmamultis wesentlich weniger wie von Schweine- oder Vogelgrippehysterien, sie ist nur ein gefundenes Fressen für die Presse, die nach arabischem Frühling und Fukushima wohl noch etwas katastrophengeiler sein dürfte als sonst. Wünschenswert wäre es, wenn eine mündige Gesellschaft sich nicht mehr von der Angstmacherei mancher Akteure an der Nase herumführen lassen würde. Aber das bleibt wohl Wunschdenken in einem Land, in dem ein Gutteil der Schulabgänger keine Grundkenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen erworben haben. Zumindest übers Radio und durchs Fernsehn lassen sich diese Leute noch verunsichern.
Aber EHEC ist in Wirklichkeit eh schon von gestern. Heute hat die WHO vor der krebserregenden Wirkung der Handystrahlen gewarnt.