Mittwoch, 21. November 2012

Auf dem Weg zur Mitte-Rechts-Regierung? oder: Eine Frage der Wahrscheinlichkeit

Österreich ist ein konservatives Land, war es schon immer. Da musste schon einer wie Kreisky kommen um das zu ändern, aber auch ihm gelang es nicht nachhaltig. Spätestens seit das Team Stronach mit eigenem Klub in den Nationalrat eingezogen ist, befindet sich Österreich auf dem Weg in Richtung Schweizer Zustände. Wo es mehr konservative Parteien gibt, als ein Hund Flöhe hat, fällt es linken und liberalen Gruppierungen schwer Mehrheiten zu erlangen. Eine rot-grüne Regierung ist für Österreich 2013 nach heutigem Stand praktisch ausgeschlossen. Paradoxer Weise könnte die vergrößerte Anzahl von Mitte-Rechts-Parteien aber auch die Wahrscheinlichkeit einer Mitte-Rechts-Regierung verringern.

In manchen Umfragen erhalten SPÖ und ÖVP momentan nicht einmal mehr gemeinsam eine Mehrheit der Stimmen. Auch die neueste Hajek-Statistik (27.09.2012) deutet das an. Nach derzeitiger Arithmetik kämen die beiden Ex-Großparteien dennoch knapp auf eine Mehrheit im Nationalrat. Je mehr Stimmen an Parteien gehen, die letzlich nicht über die 4%-Hürde kommen oder ein Grundmandat erreichen, desto mehr Mandate teilen sich die anderen bei den drei Ermittlungsverfahren auf. Berechnet man die Sitzverteilung anhand der Umfrageergebnisse proportional - allerdings ohne Rücksicht auf Wahlkreise, Haare oder D'Hondt - kämen SPÖ (27%) und ÖVP (22%) gemeinsam gerade noch auf eine hauchdünne Mandatsmehrheit von 93 Sitzen. Zum Regieren wird eine Mehrheit der 183 Abgeordneten, also 92, benötigt. Das für den Fall, dass das BZÖ noch in das Parlament kommt. Fliegt es allerdings heraus, vergrößert sich die potenzielle Regierungsmehrheit nach dieser Umfrage auf 97 Mandate.

Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, dass das BZÖ an der 4%-Hürde scheitern wird, relativ hoch. Sowohl Karmasin (17. November 2012), als auch Gallup (28.10.2012) wie IMAS (27.10.2012) sehen die Orangen nicht mehr im nächsten Nationalrat vertreten. Nach Karmasin läge die Mehrheit von SPÖ (27%) und ÖVP (24%) bei 51% der Stimmen und damit bei 98 Sitzen. Ansonsten wären ausschließlich eine unwahrscheinliche SPÖ-FPÖ-Regierung oder Dreierkoalitionen möglich. Laut Gallup kämen SPÖ (25%) und ÖVP (22%) aber auch nach Sitzen auf keine Mehrheit mehr. Das hieße, dass entweder eine Minderheitsregierung berufen würde, oder drei Parteien eine Koalition bilden müssten. Der Ruf nach einem Mehrheitswahlrecht würde nach einem solchen Ergebnis vermutlich auch nicht leiser werden.

Damit ist dieses Szenario auch der wahrscheinlichste Fall für die Gründung einer Mitte-Rechts-Regierung. Solange die ÖVP mit der SPÖ eine große Koalition bilden kann, wird sie das Experiment einer Dreierkoalition mit so unzuverlässigen Partnern wie Stronach und Strache vermutlich scheuen. Ist die rot-schwarze Mehrheit weg, steht die ÖVP jedoch vor der Wahl eine Minderheitsregierung zu bilden oder zu unterstützen, eine Regierung mit Blauen und Stronach oder mit SPÖ und Grünen zu bilden. In diesem Fall könnte sich die Volkspartei schon aus rein ideologischen Gründen für die Variante Schwarz-Blau-Stronach entscheiden. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass ein solches Dreiergespann keine fünf Jahre halten würde, könnten die Schwarzen mit ihm dennoch mehr konservative Politik durchsetzen, als mit zwei tendenziell eher linken Parteien. Liegen SPÖ und ÖVP gemeinsam unter 50% ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Regierungskonstellation relativ hoch.

Nach Wahlumfragenarithmetik, Stabilität und politischer Weltanschauung steht die große Koalition nach wie vor an erster Stelle der wahrscheinlichen Regierungskonstellationen nach den Nationalratswahlen 2013. Am zweitwahrscheinlichsten ist wohl ein rechts-konservativer Dreibund ÖVP-FPÖ-Stronach, danach erst kommt die, nicht nur für die ÖVP ungünstige, rot-schwarz-grüne Variante. Dass Stronach vor der Wahl eine Regierungsbeteiligung ausgeschlossen hat, wenn er nicht allein herrschen kann, ist jedoch weniger tragisch. Bekanntlich hat weder eine ähnliche Ansage, noch der dritte Platz Wolfgang Schüssel 2000 davon abgehalten Bundeskanzler zu werden.

Montag, 5. November 2012

Personeller Sachaufwand, oder: Wie die Republik freie Dienstnehmer ausbeutet

Jeder U-Ausschuss würde auch ohne Einstellungsbeschluss versanden, Bürger erhielten keine Informationen und so manches Ministerium würde das Ende seiner Kapazitäten erreichen, wenn es sie nicht gäbe, die freien Dienstnehmer der Republik Österreich. Vom Sekretariatsbediensteten über Hilfskräfte bis hin zum Akademiker leisten sie dasselbe wie Beamte und Vertragsbedienstete, werden vom Staat aber in gesetzeswidrigen Arbeitsverhältnissen beschäftigt.

Wenn vom Nationalrat ein Untersuchungsausschuss angesetzt wird, fragen sich die Wenigsten, wer die papierenen Dokumente, die dem Parlament von den Ministerien und Behörden für die Ausschussarbeit angeliefert werden, einscannt, durch ein Texterkennungsprogramm jagt und dann hundertfach auf CDs brennt. Auch wird es kaum jemanden kümmern, wer eigentlich die vielen Bürgeranfragen beantwortet, die täglich per E-Mail, telefonisch oder postalisch beim Bundeskanzleramt einlangen. Sie werden von bürokratischen Geistern erledigt. Meist sind es Studenten, die sich mit der Arbeit beim Bund ein Zubrot verdienen. Die Allermeisten gehen ihrer Tätigkeit regelmäßig nach, manche sogar Vollzeit. Dennoch scheinen sie in keinem Stellenplan auf, denn sie haben keinen Planposten, ja nicht einmal ein aufrechtes Dienstverhältnis zur Republik Österreich, sie sind freie Dienstnehmer.

Freie Dienstverträge sind in vielen Fällen nichts anderes als arbeitsrechtliche Missbrauchsinstrumente. Wer einen solchen abschließt, arbeitet quasi als Ich-AG für eine fremde Firma. Dabei fehlen ihm die meisten Sicherheiten, die ein normales Arbeitsverhältnis mit sich bringt, dafür ist er aber - zumindest in der Theorie - freier in der Einteilung seiner Arbeit. Ein freier Dienstnehmer muss sich nicht an Bürozeiten halten, er kann von zuhause aus arbeiten, ist nicht in die Organisation eingebunden, kann seine eigene Infrastruktur nutzen, sich von anderen vertreten lassen und muss keine Erfolgsgarantie übernehmen. Immer wieder wurde, vor allem von sozialdemokratischen Politikern, kritisiert, dass dieses Rechtkonstrukt oft zur Ausnutzung von Arbeitnehmern missbraucht wird. So wurde es als großer Erfolg gefeiert, als man für diese Arbeitnehmergruppe endlich die Sozialversicherungspflicht durchgesetzt hatte. Was die Öffentlichkeit nicht weiß ist, dass unter den Ausbeuterbetrieben die Republik Österreich, namentlich der Bund, eine führende Rolle einnimmt. Gerade bei freien Dienstverträgen, die mit der öffentlichen Hand geschlossen werden, treffen deren vorhin genannten Eigenschaften meistens nicht zu. Der Verfassungsgerichtshof hat in einem Erkenntnis festgehalten:
Der freie Dienstnehmer kann im Regelfall selbst die Lage seiner Arbeitszeit und seinen Arbeitsort bestimmen, er unterliegt keinen Weisungen seines Dienstgebers wie, wann und in welcher Reihenfolge er seine Arbeiten zu verrichten hat.“
Die freien Dienstnehmer der Republik sitzen aber immer im Büro, erhalten Anweisungen ihrer Chefs und können ihre Arbeit nur persönlich erledigen. Dass die Sache eigentlich illegal ist, weiß der Staat dabei selbst. Die Parlamentsdirektion achtet penibel darauf, dass ihre freien Dienstnehmer kein Türschild und keine Telefonnummer erhalten. Das könnte, so die Befürchtung, bei arbeitsgerichtlichen Prozessen als Indiz für einen Scheinarbeitsvertrag gesehen werden. Das Bundeskanzleramt hat sein Bürgerservice samt Europatelefon gleich in kleine pseudoselbständige Teams ausgelagert, deren Selbständigkeit sogar das zuständige Finanzamt bezweifelte. In anderen Ministerien geht es noch schlimmer zu. Nicht nur seit aufgrund des Sparpakets für fast alle Dienststellen ein Aufnahmestopp verhängt wurde, werden vermehrt freie Dienstnehmer für klassische Beamtenposten eingestellt. Für die Ministerien bringt das mehrere Vorteile: Freie Dienstnehmer werden wie Druckerpatronen und Papier als Sachaufwand abgerechnet und man kann sie jederzeit elegant loswerden. Weil das Bundeskanzleramt als Herr über die Bundesstellenpläne bei jeder Schaffung eines neuen Postens ein Wörtchen mitzureden hat, können auch Unannehmlichkeiten mit dem BKA so umgangen werden.

Die Verwendungszwecke für die Billigkräfte sind dabei praktisch grenzenlos. Freie Dienstnehmer legen Akten an, befördern, verwalten und beschließen Amtsgeschäfte, haben Türschilder, Telefonnummern, E-Mail-Adressen und Visitenkarten, vertreten ihr Haus bei interministeriellen Sitzungen und fahren sogar auf Dienstreise ins Ausland, um dort den Staat international zu vertreten, bei dem sie formal nicht einmal angestellt sind. Manche arbeiten mit klassifizierten Dokumenten, eine Vertretungsmöglichkeit durch Dritte, wie sie der freie Dienstvertrag vorsieht, könnte dann sogar strafrechtlich relevant sein. Selbst der Pressespiegel, den Werner Faymann täglich erhält, wird von freien Dienstnehmern erstellt. Manche Sekretariatskräfte verdienen bei Vollzeitbeschäftigung dabei lediglich um die 1000 € netto. Diese Nicht-Angestellten tragen auch das volle soziale Risiko ihrer Beschäftigung:
  • Sie haben keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub. Manche Vorgesetzte überprüfen die Arbeitszeiten quasi mit der Stoppuhr. Jeder Tag den man auf Urlaub geht, muss man vorher hereinarbeiten, oder er bleibt unbezahlt.
  • Sie sind nur eingeschränkt Sozialversichert. Wer krank wird, bekommt die ersten drei Krankentage nicht bezahlt. Ab dem vierten erhält er Krankengeld von der Sozialversicherung. Wer zweimal in einem Monat drei Tage krank ist, kann so schon fast ein Drittel seines Gehalts verlieren.
  • Sie erhalten keine Zusatzvergütungen. Wenn das Ministerium etwa Essensbons für seine Mitarbeiter ausgibt, schauen die freien Dienstnehmer durch die Finger. Auch Verwendungszulagen oder Ähnliches gibt es nicht.
  • Es gibt keine Dienstkreditkarte und keine Reisekostenvorschüsse. Wer für die Republik dienstlich unterwegs ist, muss die Kosten selber vorstrecken und erhält sie erst später rückvergütet.
  • Sie können sich nicht intern für Bundesjobs bewerben. Neue Stellen im Bundesdienst werden  zunächst meist intern ausgeschrieben und so auch häufig vergeben. Freie Dienstnehmer können für solche Ausschreibungen keine Bewerbungen abgeben, da sie über kein aufrechtes Dienstverhältnis zum Bund verfügen. Soll ein freier Dienstnehmer zB auf eine Karenzstelle übernommen werden, muss diese erst intern ausgeschrieben werden. Bewirbt sich ein anderer, hat der „Freie“ Pech gehabt.
Zusätzlich treten die Betroffenen beruflich auf der Stelle. Sie bekommen grundsätzlich keine Gehaltserhöhungen. Da sie nicht beim Bund beschäftigt sind, können sie auch nicht in die Beamtengrundausbildung eintreten. Die Jahre als freie Dienstnehmer werden nicht als Dienstjahre angerechnet. Einen 13. und 14. Monatsgehalt gibt es nur in seltenen Fällen aliquot pro Monat. Gleichzeitig  erhalten sie ihr Einkommen nach Abzug der Sozialabgaben brutto, das heißt die gesamte Einkommenssteuer muss angespart und am Jahresende an das Finanzamt überwiesen werden.

Da solche freien Dienstverhältnisse, heikel und grundsätzlich einklagbar sind, bedienen sich manche öffentlichen Institutionen einfacherer Methoden um billiges Personal zu requirieren. Zum einen gibt es den, dem freien Dienstvertrag sehr ähnlichen, Werkvertrag, bei dem - wie der Name schon sagt - auf die Schaffung eines Werkes geschuldet wird. Er wird nicht pro Stunde sondern pro Werkseinheit ausbezahlt. Das wird auch dadurch umgangen, dass viele Werkvertragler zufällig jede Stunde die gleiche Anzahl an Seiten bearbeiten und dadurch auf einen - vorher informell ausgemachten - gleichmäßigen Stundenlohn kommen. Aber auch diese Variante bleibt letztendlich in den meisten Fällen Illegal. Auf die Gewerkschaft hofft man indes meist vergeblich. Freie Dienstnehmer sind nur anwesend, gehören aber nicht zum Personal - sind also auch nicht wahlberechtigt bei Personalvertretungswahlen. In Ministerien, in denen die Personalvertreter in der Personalabteilung, die die schwindligen Dienstverträge ausstellt, arbeiten, käme eine Reklamation ohnehin einer Kündigung gleich.

Die rechtlich sicherste Variante um an billige Arbeitskräfte zu kommen ist für den Staat aber das sogenannte Verwaltungspraktikum. Es ist eigens gesetzlich geregelt und daher arbeitsrechtlich bombensicher. Bund, Länder und Gemeinden können so zB junge Akademiker für etwas mehr als 970 Euro netto im Monat 40 Stunden die Woche beschäftigen. An vorderster Spitzer der Praktikantennutzer steht dabei das Außenministerium. Lange Zeit wurden dort auch unbezahlte Praktikanten en Masse beschäftigt, bis die Sache aufflog und abgestellt werden musste. Formal werden die Verwaltungspraktikanten vom Staat „ausgebildet“ und erhalten daher nur das halbe Normalgehalt. In Wirklichkeit geht es oft darum pensionierte und nicht nachbesetzte Stellen billig am Laufen zu halten. Der Praktikant kommt, man zeigt im Schreibtisch, Drucker und gibt ihm eine EDV-Einschulung, damit ist die Ausbildung in den meisten Fällen beendet. Übrig bleibt das vernichtend kleine Salär und die Tatsache, dass Verwaltungspraktikanten nur ein Jahr lang beschäftigt werden dürfen, was in manchen Ministerien zu einer regen Personalfluktuation führt. Wenn der Praktikant „Glück“ hat, wird er nach Ablauf des Jahres als freier Dienstnehmer übernommen. Damit beginnt der Prekariatskreislauf von vorne.