Freitag, 28. Februar 2014

Krieg um die Krim, oder: Ein Konflikt mit recht sicherem Ausgang

Russland steht kurz davor auf der Krim ein stabiles de-facto-Regime einzurichten oder die ukrainische Halbinsel gar seinem eigenen Territorium einzuverleiben. Milizionäre sichern die Verkehrswege, russische Soldaten sind angeblich bereits einmarschiert. Steht Europa nun ein Krieg bevor und wer wird ihn gewinnen?

Russland besetzt unter dem Vorwand der Friedenssicherung ein Gebiet, dessen Mehrheitsbevölkerung ihm positiv gestimmt ist, und schafft so politische Tatsachen. Dieses Schema hat bereits in Abchasien und Südossetien funktioniert. Nach ähnlichem Muster stehen nach wie vor russische Soldaten in der abtrünnigen moldawischen Provinz Transnistrien. Die lokale Bevölkerung wolle das so, man schütze den Frieden vor einem instabilen Regime, Erklärung abgeschlossen. Russland will ein weiteres Näherrücken von NATO und EU in seinen Einflussbereich nicht zulassen. Georgien will in die NATO? Georgien verliert Gebiete. Moldawien will in die EU? Russland schürt die Minderheitenkonflikte im Land. Der Ukraine steht nun Ähnliches bevor. Fraglich ist nur, ob das Land sich gegen die Verletzung seiner territorialen Integrität durch den militärisch zigfach überlegenen Nachbarn auch mit Waffengewalt wehren wird.

Die mittlerweile in Kiew regierende ehemalige Opposition hat Präsident Viktor Janukowitsch abgesetzt und zwar zweifelsohne verfassungswidrig. Wenn führende Politiker der Bewegung nun die Auflösung des Verfassungsgerichtes fordern, ist das kein weltfremdes Verhalten, wie etwa der ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz in Kiew vermutete, sondern zielt darauf ab, die juristische Überprüfung von Janukowitschs Sturz zu verhindert. Das Gericht hatte bereits die oppositionsfreundliche Verfassungsänderung von 2004 gekippt. Eigentlich hätte die Rada, das Parlament, für die Absetzung des Staatspräsidenten ein Untersuchungsgremium einsetzen und dann nach Anhörung des Verfassungsgerichts mit 3/4-Mehrheit die Amtsenthebung beschließen müssen. Nichts davon ist geschehen, sogar auf das erforderliche Quorum fehlten letztendlich zehn Stimmen. Auf Basis der derzeitigen Verfassung war Janukowitschs Absetzung, so brutal und korrupt er auch gewesen sein mag, illegal. Die derzeitige Rechtslage in der Ukraine ist also revolutionär, was Russland die Gelegenheit gibt, sich mit dem abgesetzten aber legalen Regime zu solidarisieren. Ziel ist allerdings nicht die Wiederherstellung verfassungsrechtlich geordneter Verhältnisse im Nachbarland, sondern die Wahrung des russischen Einflusses vor der eigenen Haustür. In Georgien störte sich Moskau jedenfalls nicht daran zwei abtrünnige Provinzen im Alleingang als selbständige Staaten anzuerkennen, ein Vorgehen, das es im Fall des Kosovo bis heute vehement kritisiert. In all diesen Fällen gilt: Recht ist, was Moskau recht ist.

Ob Kiew sich gegen die - mittlerweile offenbar militärische - Offensive des großen Nachbarn zur Wehr setzten kann und will ist allerdings fraglich. Selbst wenn die neue Regierung fest genug im Sattel sitzt, um die Kontrolle über alle Teile der Streitkräfte auszuüben, darf deren Einsatzfähigkeit bezweifelt werden. Während die russische Schwarzmeerflotte von ihrem exterritorialen Stützpunkt auf der Krim aus regelmäßig Ausflüge unternimmt, liegt ihre ukrainische Schwester meist nur vor Anker und wird gewartet. Der Ukraine fehlt das Geld für den Schiffsdiesel, um ihre Schiffe auslaufen zu lassen. Um die anderen Teilstreitkräfte dürfte es kaum besser bestellt sein. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, gegen die russische Militärmaschinerie bliebe der ukrainischen Armee und Luftwaffe letztlich nicht der Hauch einer Chance. Auf europäische Unterstützung kann das Land ebenfalls kaum setzen. Weder die NATO noch die EU kann Truppen in einen militärischen Konflikt mit Russland schicken. Selbst die Lieferung von Material könnte zu Konsequenzen führen, die angesichts des nuklearen Potentials der Streitparteien in West und Ost nicht einmal angedacht werden sollten.

Was auch immer Russland mit der Krim vor hat und wie auch immer die Ukraine darauf reagiert, das Ergebnis dürfte bereits feststehen: Russland gewinnt.

Freitag, 7. Februar 2014

Brauchen die Länder mehr Steuerhoheit? oder: Gibt man ihnen den kleinen Finger?

Erst kürzlich haben mehrere Landeshauptmänner, wie einzelne von ihnen bereits zuvor, doch diesmal in seltener Einigkeit, die Steuerhoheit für die Länder gefordert. Die Vorschläge dazu sind schon lange ausgearbeitet, aber bislang schubladisert. Der Finanzminister scheint mit der Länderposition durchaus zu sympathisieren, zumal er hoffen dürfte, dass er damit seinen Allerwertesten aus dem Fleischwolf der ÖVP-Westachse retten kann. Selbst der Wiener Bürgermeister findet die Idee nicht grundsätzlich schlecht. Aber kann man den Ländern soviel finanzielle Macht einfach in die Hand drücken?

Was die Wenigsten wissen dürften: die Länder besitzen in Österreich bereits eine gewisse Steuerhoheit. Tatsächlich kommt ihnen nach dem geltenden Finanz-Verfassungsgesetz 1948 (F-VG), oder besser nach der Auslegung desselbigen durch den Verfassungsgerichtshof, ein Steuererfindungsrecht zu. Dieses ist theoretisch sogar sehr weitreichend: In seinem Erkenntnis VfSlg 3742/1960 hielt der VfGH fest, dass die Länder grundsätzlich über Steuerhoheit verfügten und diese nur durch entgegenstehende Bundesgesetze beschnitten werden könne. Nur in Österreich ist das mit der Grundsätzlichkeit so eine Sache. Grundsätzlich sind die Länder laut Verfassung ja auch für die gesamte Gesetzgebung zuständig, außer sie ist dem Bund übertragen. Und wie in der Kompetenzverteilung des Bundes-Verfassungsgesetzes, hölen auch in Sachen Steuerhoheit die Ausnahmen die Grundregel aus. Die Länder verfügen in etwa über so viel Steuerfreiheit wie die palästinenstische Autonomiebehörde. Das Ganze gestaltete sich schon früher so armselig aus, dass der VfGH sogar feststellen musste, dass es dem Land Niederösterreich auf Grundlage seines Getränke- und Speiseeissteuergesetzes 1973 gestattet sei Abgaben auf den Verpackungskostenanteil von Getränken einzuheben. Aber selbst die eigentliche Getränkesteuer wurde mittlerweile vom EuGH dahingefegt. Außer der Vergnügungssteuer blieb den Ländern nicht viel über. Ihr Steuererfindungsrecht war seitdem höchstens noch für politischen Druck - etwa als der niederösterreichische Landtag die Besteuerung von Handymasten beschloss und so deren Dezimierung erreichte - oder als humoristisches Element - wie damals als Harald Dobernig in Kärnten legale wie illegale Prostitution besteuern wollte - zu gebrauchen. Entsprechend schmal sind die Einnahmen aus diesen Direktquellen. Das Land Vorarlberg etwa lukrierte 2012 gerade einmal 9,8 Millionen Euro aus eigenen Steuern, bei einem Gesamtertrag von mehr als 1,3 Milliarden Euro.

Die Länder müssen aber trotzdem nicht Not leiden, denn der Bund versorgt sie über den Finanzausgleich wie eine nährende Mutter, die ihre Kinder auch im 94. Lebensjahr noch nicht aus dem Haus geworfen hat. Über den Finanzausgleich erhalten sie, in der Regel alle vier Jahre angepasst, was sie zum Leben brauchen. Auch hier offenbart sich wieder die Vielschichtigkeit des politischen Systems in Österreich: Eigentlich handelt es sich beim Finanzausgleich um ein Bundesgesetz. Gemäß § 3 Abs. 1 F-VG regelt die „Bundesgesetzgebung ... die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge zwischen dem Bund und den Ländern (Gemeinden) und kann außerdem diesen Gebietskörperschaften aus allgemeinen Bundesmitteln Finanzzuweisungen für ihren Verwaltungsaufwand überhaupt und Zuschüsse für bestimmte Zwecke gewähren“. In Wirklichkeit marschieren die Vertreter der Länder, des Städte- und des Gemeindebundes alle Jahre wieder nach Wien um dem Finanzminister ihre Forderungen zu unterbreiten. In den Medien heißt es dann, der Finanzausgleich werde „neu verhandelt“, auch wenn eine solche Verhandlung nirgends vorgesehen ist. Tatsächlich könnte die Regierungsmehrheit im Nationalrat das Gesetz ohne irgend ein föderalistisches Zutun durchbringen, in Wirklich lässt sie sich jedoch mit Regelmäßigkeit von den Parteikollegen in den Ländern erpressen. Der Beschluss eines Finanzausgleichs ohne informellen Sanktus der Landeshäuptlinge käme einem politischen Erdbeben gleich. Längst hat sich das Konstrukt zu einer Art informeller 15a-Vereinbarung, einem Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern, entwickelt.

Das System des umfassenden Finanzausgleiches, bei dem der Bund das absolute Gros des Steueraufkommens einnimmt und an die anderen Gebietskörperschaften verteilt, gebiert in seiner Detailliertheit dabei so manches Kuriosum. So überweist der Bund dem Land Vorarlberg 39,97 Millionen Euro in acht Halbjahresraten, weil er gemäß § 9 Abs. 7 Z 5 lit. a sublit. ae Finanzausgleichsgesetz die Umfahrung Feldkirch-Süd mit Mitteln aus der Umsatzsteuer kofinanzieren muss. Auch sonst kennt die Genauigkeit des Finanzausgleiches kaum Grenzen: Das Burgenland erhält 3,156 % aus der Feuerschutzsteuer (§ 18 Abs. 2 FAG), damit ihr Haushalt im Gleichgewicht bleibt, bekam unter anderem die Steiermark 2010 1.590.523 Euro extra und Innsbruck bekommt zusätzlich 8,7% von dem was nach der Verteilung von 16,5 Millionen Euro Nahverkehrsförderung jährlich (und 0,034 % des Nettoaufkommens an den Abgaben mit einheitlichem Schlüssel) auf die anderen Gemeinden übrigbleibt für den Betrieb seiner Straßenbahn- und Omnibuslinien (§ 20 Abs. 2 Z 2).

Durch die derzeitige Situation sind die Länder kaum benachteiligt. Die Tatsache, dass seit 1945 immer eine Partei in der Regierung vertreten war, die zumindest drei Landeshauptleute stellte, macht den Bund erpressbar. Den Ländern und Gemeinden tat deshalb etwa die Abschaffung der Getränkesteuer nur halb weh. Der Bund ließ sich überzeugen ihnen den Verlust zu ersetzen. Das Wort Getränkesteuerausgleich kommt im Finanzausgleichsgesetz 2008 gleich acht mal vor. Gleichzeitig treten die Länder den Bürgern gegenüber nicht als diejenigen auf, die ihnen das Geld wegnehmen, sondern, als diejenigen, die es verteilen. Ein Landeshauptmann, der persönlich Geld an Bedürftige austeilt, ist auch ungleich sympathischer als einer, der eine Steuererhörung zu verkünden hat. Die Länder schwimmen finanziell wie Öl auf der Suppe. Das Konjunkturrisiko tragen sie nur mit, wo ihnen laut Finanzausgleich fixe Prozentanteile an Bundessteuern zustehen.

Warum wollen die Landeshauptmänner nun die Steuerhoheit? Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zum Einen wird immer wieder die Sinnhaftigkeit der derzeitigen Form des Blutegelföderalismus infrage gestellt, bei dem der Bund als Wirt herhalten muss, zum Anderen stehen die Länder existenziell mit dem Rücken zur Wand. Sie sind gesetzgeberisch gerade noch für Volkstanzwesen, Campingplätze und Jugendschutz zuständig, ihre Hauptaufgabe liegt in der leihweisen Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben, die eigentlich der Bund selbst erledigen könnte (mittelbare Bundesverwaltung). Als Ertrinkender klammert man sich an jedes Stück Holz, das vorübertreibt. Für die Länder ist die Steuerhoheit ein solches. Wer sich selbst versorgen kann, muss sich von anderen nicht anhören, das Geld des Bundes zu verschleudern.

Den Ländern die Steuerhoheit zu geben kann durchaus zweckmäßig sein. Vor allem könnten die Finanzämter in den Aufgabenbereich der Landesverwaltungen übertragen werden. Es ist kaum verständlich, warum der Bund sich hier eine derart umfangreiche Behördenstruktur leistet ohne sie wie sonst üblich an die Länder auszulagern. Wird diesen mit der Steuerhoheit dann nur das Recht gegeben selbst Steuern einzuheben, handelt es sich um eine bloße Übertragung von Verwaltungskompetenzen. Wenn die Länder dann nur tun, was der Bund schon bisher gemacht hat, bleibt der Neuerungsfaktor begrenzt. Je nach dem wie stark die Steuergewichtung auf die Länderebene verlagert wird, könnte sich höchstens der Finanzausgleich umdrehen. Wenn der Bund auf die Finanzierung durch die Länder angewiesen wäre, verschöbe sich entsprechend auch das Machtgewicht weiter. Schon allein deshalb ist anzunehmen, dass der Gesamtstaat den Gliedstaaten nur Steuerkompetenzen geben wird, mit denen sie ihren eigenen Finanzaufwand teilweise bedecken können. Den Rest wird er ihnen wohl nach dem Motto „divide et impera“ nach wie vor über einen wie auch immer gearteten Ausgleichsschlüssel zukommen lassen. Für eine sinnvolle Steuerautonomie müssten die Länder jedoch ein umfassenderes Steuererfindungsrecht erhalten, das auch eine gewisse Steuerkonkurrenz mit sich brächte. In wie weit das gut oder schlecht ist, lässt sich am Beispiel der Schweiz ablesen, wo sich die Kantone einen stärkeren Steuerwettbewerb liefern, als er unter EU-Staaten zulässig wäre. Wenn einige Länder es sich leisten können Steuern zu senken, um Betriebe aus Nachbarländern anzulocken, deren angespannte Budgetsituation dies nicht zulässt, könnte sich der wirtschaftliche Gegensatz in Österreich verschärfen. Andererseits sind Konkurrenzsituationen auch immer Versuchslabore aus denen Best-Practice-Beispiele hervorgehen können.

Realpolitisch hängt nun alles von der Frage ab, ob die SPÖ bei diesem mehrheitlich schwarzen Projekt mit ins Boot kommt und ob die Regierung sich dann eine Zweidrittelmehrheit im Parlament arrangieren kann. Zumindest Michael Spindelegger scheint den innerparteilichen Erfolg ziemlich nötig zu haben. Immerhin muss er schon betonen, dass er auch noch da ist, wenn er meint, die ÖVP-Position zur Steuerhoheit sei „ein gemeinsamer Vorschlag mir mir“.