Montag, 29. August 2011

Die slawische Kleopatra, oder: Das seltsame Verschwinden des Arthur Sing

Zugfahren ist eine schöne Sache, besonders wenn es draußen 34° hat und der Wagen klimatisiert ist. In freundlicher Begleitung des lieben Simon fuhr ich am Samstag zu dentalen Erledigungen nach Vorarlberg. Wie bei Zügen üblich, die aus Wien wegfahren, waren natürlich ein paar Wahnsinnige mit an Bord. Zugegeben sind die Schlimmsten aber erst unter der Strecke zugestiegen.

Von Wien aus begleitete uns ein junges Geschwisterpaar, das sich zu uns auf den Viererplatz setzte, obwohl weiter hinten noch Doppelsitze frei gewesen wären. Nachdem sie sich auf diese Weise unserer Zuneigung versichert hatten, blieben sie wenigstens für den Rest ihrer Reise zum Glück großteils still. Dass sie in Salzburg aussteigen würden, hatte der liebe Simon bereits an ihrem furchtbaren Salzburger-Deutsch festgestellt, das schon so sehr ins Preußische tendiert, dass es nur durch den gelegentliche Gebrauch von „Sackerl“, „Jänner“ oder „Mozartkugeln“ als österreichische Mundart identifizierbar bleibt. Schwesterchen hatte sich soeben auf der Medizinischen Universität inskribiert, eine Mutmaßung die ich anstellte, nachdem ich sie aus dem Augenwinkel ihren neuen Studienausweis streicheln sah. Literarisch war sie während der ganzen Fahrt auf ihr Intouch fixiert, dessen aktuelle Ausgabe der Leserschaft auf der Titelseite versicherte, die Herzogin von Cambridge sei ganz furchtbar eifersüchtig auf das Babyglück der schwedischen Kronprinzessin. Drama pur... Brüderchen interessierte sich währenddessen vornehmlich für sein Handy und wurde von der großen Schwester mit Mannerwaffeln bei Laune gehalten.

Als wir in Salzburg schon hofften, unsere traute Zweisamkeit wiedererlangt zu haben, setzte sich eine Dame Mittedreißig, die nur sehr schlecht Deutsch und noch schlechter Englisch sprach zu uns. Scheinbar sind männliche Mittzwanziger selbst dann noch der absolute Sitzplatzmagnet, wenn beider Erscheinungsbild von zunehmendem Haarausfall beeinträchtigt wird. Von einer steten Unruhe geplagt, schien die frisch Zugestiegene jedenfalls zunehmend genervter, vor allem als wir ihr eröffneten, dass der Zug nicht in Dornbirn halt machen würde und sie daher in Feldkirch umsteigen müsse. Den Großteil der Strecke verbrachte sie wohl im Speisewagen, wohin ich sie vermutlich mit einem gewaltigen Redeschwall vertrieben hatte. Der arme Simon musste sitzenbleiben.
Aus der Gesamtschau heraus lässt sich jedenfalls mutmaßen, dass sie amouröse Angelegenheiten in den Westen führten. Zum einen trug sie etwas hautenges Schwarz-Weißes, das man vor zwanzig Jahren in einem ostslowakischen Bordell vielleicht ein Kleid genannt hätte, zum anderen hatte sie nicht mit Makeup gegeizt, was sich durch die Beschreibung ihrer Augenpartie exemplarisch verdeutlichen lässt: Die großzügige Anwendung ihrer Malsachen in Form eines breiten schwarzen Strichs, der jedes ihrer Augen umrundete und an deren äußeren Rändern in kurzen Ausschwüngen noch seinen grotesken Abschluss fand, hinterließ den historizistischen Eindruck einer Pharaonin aus der Spätzeit der ptolemäischen Ära. Es würde jedenfalls nicht verwundern, wenn die beschriebene Dame in ihrem Heimatland wegen gewerbsmäßigem Kajalmissbrauchs gesucht würde. Insgesamt vermittelte sie jedenfalls den Eindruck eines leicht stupiden Accessoires zum tiefergelegten Golf-GTI eines mittelmäßig begüterten Vollproleten oder zum Kompensationscabrio eines alternden Machos.
Ihr offensichtlicher Reisezweck in die Horizontale hinderte sie jedenfalls nicht daran mit dem gleichfalls osteuropäischen Cateringbediensteten anzubandeln, der in regelmäßigen Abständen sein Verpflegungswagerl durch die Gänge des Railjets zu schupfen pflegte. Als sie ihn kurz vor Feldkirch in Richtung Toilette begleitete, vermuteten wir schon, die slawische Bacchantin sei nun endgültig seinem stumpfen Charm - „Wie viel Stück Zucker?“ - „Zwei.“ - „Drei?“ - „Nein, zwei!“ - „Also drei.“ - erlegen. Letztendlich half er ihr nur beim Umsteigen den Koffer auf den Bahnsteig zu hieven, vielleicht auch, weil sich das nächstgelegene Wagonhäusl in Dysfunktion befand.

Die zweite interessante Begebenheit jener Zugfahrt hatte ebenfalls bereits stillschweigend in Salzburg begonnen, manifestierte sich jedoch erst später nach Innsbruck, als der unfreundliche ÖBB-Schaffner durch einen leicht überschwänglichen Deutschen im Dienste der Schweizerischen Bundesbahnen abgelöst worden war. Als dieser trällernd und tänzelnd - keine Übertreibung - zur Kontrolle der Fahrkarten schritt, eröffnete ihm eine Amerikanerin indischer Abstammung in Begleitung zweier Kinder, dass sich Ihr Gatte im Besitz der Fahrkarten befinde, sie diesen jedoch seit Salzburg nicht mehr gesehen habe. Überraschend unaufgeregt erklärte sie dem Billeteur, dass er wohl den Zug verpasst haben könnte. Da die Garnitur aufgrund ihrer Länge mittig durch Einschub zweier weiterer Taurus-Loks verstärkt worden und ein Passieren dieser Barriere daher nur bei Halten über den Bahnsteig möglich war, zog der Zugbegleiter auch noch die Möglichkeit in Betracht, dass sich ihr Mann im hinteren Teil des Wagenkondukts aufhalten könnte. Umgehend schritt er daher zur Tat und gab in sehr annehmbarem Englisch minutenlang eine Suchmeldung nach Arthur Sing - so der Name des Vermissten - durch, samt Anleitung, wie beim nächsten Zwischenstopp die Wagons zu wechseln wären. Dummerweise meldete sich Arthur nie und es liegt die Vermutung nahe, dass er sich überhaupt nicht im Zug befand. Als wir in St. Anton zwanzig Minuten unfreiwilligen Aufenthalt genossen - auf der Vorarlberger Seite des Arlbergtunnels hatten sich ob der klimatisch bedingten massiven Aufheizung der Geleise ebenselbige bereits zum wiederholten Male über die im österreichischen Eisenbahnwesen vorgesehenen Parameter hinaus verformt - passierte ich in der Absicht mir die Beine zu vertreten den Sitzplatz der Strohwitwe und ihrer vermeintlichen Kinder. Dabei fiel mir auf, dass die familiäre Ähnlichkeit wenn überhaupt, dann nur hintergründig vorhanden, die Frau für die Mutterschaft der zwei Sprösslinge verhältnismäßig jung und ihre Unterhaltung für Erzeugerin und Nachwuchs keineswegs herkömmlicher Natur war. Die Kinder fragten sie nämlich über Dinge aus, die man von der eigenen Mutter für gewöhnlich weiß. Ob sie dieses oder jenes möge, ob sie dies und das schon gesehen hätte. Später versuchte der manisch-freundliche Zugführer mit dem Hotel Kontakt aufzunehmen, in dem genächtigt zu haben die Dame angab. Mehrere Präsenzdiener - von denen ein besonders drall gebauter nicht aufhören konnte sich die Kronjuwelen zu massieren, als er in St. Anton während einer Raucherpause am Bahnsteig vermutlich sehr philosophische Gespräche mit oben beschriebener Schmalspurkleopatra führte - hatten bereits in einem eigentümlichen Assistenzeinsatz ihre Handies zur Verfügung stellen wollen, da die Amerikanerin erklärt hatte, sie reise ohne den Komfort moderner Kommunikationsmittel. Schließlich sollte bis zu unserem Ausstieg kein Kontakt zu Ehemann Arthur zustande kommen. Es stellte sich jedoch während des Telefongesprächs des Schaffners heraus, dass Familie Sing - so sie denn so hieß und überhaupt existierte - in Salzburg ohne auszuchecken das Hotel verlassen hatte. Die Bollywood-Seifenoper muss leider unbeendet bleiben. Hoffen wir, dass sie für alle Beteiligten ein positives Ende genommen hat und nicht Arthur Sings Gebeine in den nächsten Tagen aus der Salzach gefischt werden. Was die Körperteile unserer letzten Sitznachbarin anbelangt, so bin ich sicher, dass sie noch am selben Abend in höchst effizienter Weise eingesetzt wurden. Ob der solcherart Beglückte jedoch Golf- oder Cabriofahrer war, steht gleichfalls in den Sternen. Diese letzte Mutmaßung ist aber wohl die wahrscheinlichste: der arme Simon ging mit Kopfschmerzen ins Bett.

Montag, 22. August 2011

Die Entstaatlichung Österreichs, oder: Die Zutodeprivatisierung der Republik

„Eingang zum Amt ums Eck“ stand vor ein paar Jahren mal auf einem Schild vor meiner Postfiliale im achten Bezirk. Dabei gab es dort schon lange kein Amt mehr. Die Österreichische Post, einst 1722 von Kaiser Karl VI. monopolisiert, war 1999 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und 2006 von Schwarz-Blau teilprivatisiert worden. Seitdem ist die ehemalige Postverwaltung der Republik Österreich zu 49% in Privatbesitz, dünnt ihr Filialnetz stetig aus und steht symptomatisch für die Entstaatlichung des Gemeinwesens.

Was soll der Staat dürfen? Was muss der Staat können? Seit die Menschheit mehrheitlich zu der Einsicht gelangt ist, dass totalitäre Regime nicht gerade der Zuckerguss auf der Torte der Gesellschaft sind, begleiten diese Fragen jede Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen staatlichen Handelns. Was nur der Staat darf, heißt gemeinhin Hoheitsverwaltung. Wenn Verwaltungsorgane aufgrund der Gesetze Bescheide und Verordnungen erlassen oder unmittelbare Befehls und Zwangsgewalt ausüben, handelt Vater Staat in seinem ureigensten Milieu. Dazu muss nicht erst das Bundesheer in Ihren Garten einmarschieren, es reicht schon wenn der Rauchfangkehrer kommt. Denn obwohl er eine Privatfirma betreibt, ist er in seiner Berufsausübung auch Feuerpolizei und dementsprechend Amtsträger. Folgt der Staat aber nur seinen finanziellen Interessen im gewöhnlichen Wirtschaftsleben, bewegt er sich auf dem Terrain der Privatwirtschaftsverwaltung. Als es noch große Monopole gab, waren die Grenzen zwischen diesen Bereichen oft fließend. Die Österreichischen Bundesbahnen waren nicht nur Bahnbetreiber, sondern auch Bahnbehörde. Da Selbstkontrolle nicht immer der beste Weg zur Qualitätssicherung ist, wurden derartige Konstruktionen mittlerweile eingestellt. Ein wesentlicher Hauptgrund für die Entstaatlichung im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung ist aber die Europäische Union. Großteils waren und sind es ihre Verordnungen, die Staatsmonopole beendeten und staatliche Unternehmungen in die Privatisierung führten. Für Letzteres setzte sich auch gerne die OECD ein. Nach der Devise „Mehr Privat, weniger Staat!“ wurden Tabak-, Glückspiel- und Verkehrsmonopole aufgehoben, wurden Post-, Eisenbahn und Telekombetriebe, aber auch ganze Kanalisationssysteme und öffentliche Wasserversorgungen an private Dritte verscherbelt.

Vielleicht ist das der Grund, warum wir heute Konkurrenz auf dem Mobilfunkmarkt haben und der Staat sich keine Pleitefluglinie mehr halten muss. Es ist aber sicher auch die Ursache für das marode Schienennetz in Großbritannien und explodierende Wasserleitungen weltweit. Wo sich die öffentliche Hand zurückzieht, hält das wirtschaftliche Interesse Einzug, mit all seinen Vor- und Nachteilen. Gleise werden nur notdürftig instand gehalten und Rohre erst saniert, wenn sie bersten. Natürlich, private Konkurrenz belebt das Geschäft und bricht eingestaubte Strukturen auf. Es muss aber niemand erwarten, dass man den ehemaligen staatlichen Monopolisten zuerst Mitbewerber ins Boot setzen und dann erwarten kann, dass sie ihre Aufgaben wie eh und je erfüllen. Eine Österreichische Post AG betreibt keine unwirtschaftlichen Postämter auf dem Land mehr und eine ÖBB Personenverkehrs-AG fährt keine Kleinstbahnhöfe auf Nebenstrecken mehr an. Vorbei sind die Zeiten, als der Postbus noch mit Bundesadler durch die Land tourte und Telefonanschlüsse durch das Post- und Telegraphenamt verlegt wurden. Heute steht nicht einmal mehr Republik Österreich auf den Briefmarken, die allermeisten Bundesgebäude werden durch die Bundesimmobiliengesellschaft (vormals Bundesimmobilienverwaltung) betreut, die Bundesbahn wurde in drei Aktiengesellschaften und ein Dutzend GmbHs samt gut verdienenden Aufsichtsräten zersplittert, die Staatsdruckerei gehört dem Staat nicht mehr, und sogar die Polizeiautos sind nur noch geleast. Die Folgen könnten zum Teil abstruser nicht sein: Der Staat zahlt bei sich selber Miete (z.B. das Unterrichtsministerium für die Bundesschulen an die BIG), Manager in öffentlichen Unternehmen verdienen um ein Vielfaches mehr als der Bundespräsident (ÖIAG-Chef Michaelis erhält etwa 700.000 € pro Jahr), die Post bringt aus Profitgier für jeden Anlass und Halbpromi eine Briefmarke heraus (z.B. Michael Schumacher [wtf?!]), Ausrüstungsgegenstände dürfen in Polizeifahrzeugen nur noch angeklebt, aber nicht mehr verschraubt werden und ebendiese dürfen nicht mehr in Betrieb genommen werden, wenn sie die im Leasingvertrag festgesetzte Kilometerzahl erreicht haben.

Natürlich ist die Frage berechtigt, warum die öffentliche Hand sich eine Fluggesellschaft halten oder Wohnungen besitzen soll. Aber ist es wirklich klug, wenn eine Stadt ihr Kanalsystem verkauft? Ist es verantwortungsvoll, wenn Weltbank und OECD von Entwicklungsstaaten verlangen ihre Infrastruktur rigoros zu privatisieren? Wer garantiert, dass ein privater Wasserversorger sich nicht weigert neue Leitungen zu verlegen, weil sie einfach unprofitabel sind? Klar, alles kann der Staat nicht betreiben oder aufrechterhalten und zugegeben: Staatliche Betriebe haben oft ein Problem wirtschaftliche Grundsätze einzuhalten. Aber wer kann uns versprechen, dass eine private Bahngesellschaft die Zugverbindung zwischen Graz und Linz wieder aufnimmt, die von den ÖBB kürzlich eingestellt wurde? Wer gewährleistet es, dass die Post in Zukunft überhaupt noch Sendungen in ländlichen Gegenden zustellt und nicht einfach Abholpostämter einrichtet? Spätestens seit der Finanzkrise haben wohl die meisten begriffen, dass die Privatwirtschaft kein goldenes Kalb ist, das man anbeten muss. Die staatliche Verwaltung hat auch kein Monopol auf Dilettantismus und Unwirtschaftlichkeit mehr.

Der Vorteil so mancher Privatisierung oder Ausgliederung bleibt nach wie vor im Dunkeln. Warum muss der Bund 5000 Gebäude durch eine GmbH verwalten lassen? Warum betreut die hoheitlich organisierte Burghauptmannschaft zwar das Bundesbad an der alten Donau, aber nicht das historische Gebäude der Universität Wien?
An manchen Stellen tut die Entwicklung einfach nur aus nostalgischen Gründen weh: Dass man irgendwann keine BB, BD und PT-Kennzeichen mehr sehen wird zum Beispiel, oder dass es kein Hauptmünzamt mehr gibt, sondern eine Münze Österreich AG. Dass die profitable Staatsdruckerei, die alle hochsensiblen Ausweisdokumente der Republik herstellt, verschachert wurde, nur damit Leute wie Ernst Strasser dort einen Beiratsposten beziehen können, ist hingegen aus mehrerlei Gründen ärgerlich. Grundsätzlich wurden viele Ausgliederungen einfach nur benutzt, um politischen Günstlingen profitable Posten in der Pseudoprivatwirtschaft zu verschaffen. Die positiven Effekte hielten sich oft in sehr engen Grenzen. Bei den ÖBB werden immer noch massenweise Frühpensionierungen bei gleichzeitigen Neueinstellungswellen vorgenommen. Der Verkauf der Bundeswohnungen hat bekanntlich nur dazu gedient, Freunden des Finanzministers die Möglichkeit zur Darbietung ihrer exzellenten Beraterfähigkeiten zu geben. Von Entpolitisierung kann man in den meisten Fällen ohnehin nicht sprechen. In der Flughafen Wien AG und den anderen staatsnahen Betrieben sitzen nach wie vor die Funktionäre von Schwarz, Rot und Blau, nur verdienen sie jetzt halt mehr.

Donnerstag, 11. August 2011

Ein kleiner Dank.

Vor ein, zwei Tagen durfte ich laut „flag counter“ den 10.000 Einzelbesucher auf meinen Blog begrüßen. Laut Blogspot-Statistik wurde bisher 18.534 mal auf die Seite zugergiffen, wobei die Hälfte davon wahrscheinlich auf mich selbst entfällt, nachdem ich den Blog nicht nur schreibe, sondern durchschnittlich zehn mal pro Beitrag auch Rechtschreibfehler ausmerzen ...märzen?, nein doch -merzen muss. 
Der bestbesuchte Monat bisher war der November 2010 mit 3.409 Zugriffen, was wohl auch damit zusammenhängt, dass der bisher beliebteste Beitrag („Die Vorarlberger, oder: Das unbekannte Volk.“) am 15. dieses Monats online ging. Dem Menschen sei nichts so interessant als er selbst, hat Michael Köhlmeier einmal gesagt. Auf Vorarlberger trifft das scheinbar im besonderen Maße zu. Von insgesamt 3.174 IP-Adressen wurde der Artikel zumindest einmal angeklickt. Ihm folgen in der Beliebtheitsskala der Adventkalender (1.569), „Die Vorarlberger II., oder: Die Geschichte eines unbekannten Volkes.“(710) - im Stil von Hollywood muss schließlich jeder halbwegs vorzeigbare Erfolg mit mindestens einer Fortsetzung ausgeschlachtet werden -, „Die ÖH-Qual, oder: Eine Nachbesprechung.“(186) sowie „Die ÖH-Wahl, oder: politischer Wahnsinn auf höchster Stufe.“ (168). Als Verweis wurde der Blog am häufigsten von den Seiten des guten Alex und des lieben Paul aus angeklickt. Und auch dem lieben Wolfi und dem guten Johnny gebührt natürlich mein Dank für die huldvolle Erwähnung meiner linkischen Wenigkeit auf ihren Blogs.

Eine gewisse Heiterkeit ruft schließlich die Gruppe von Suchbegriffen hervor, über die laut Blogspot diese Seite am häufigsten gegoogelt wurde. Dass der Name selbst noch an erster Stelle steht verwundert zwar wenig, dass aber die Wortfolge „heinz zuber schwul“ gleich als zweites kommt, lässt sich nur darauf zurückführen, dass er durch seinen Brotberuf Clown in meinem ORF-Blogbeitrag kurze Erwähnung fand und der Blogtitel in dieser Hinsicht wohl etwas unglücklich gewählt wurde. Damit lässt sich auch erklären, warum nach „moesanthrop“ auf Platz drei, die Wortfolge „homo geschichten“ den vierten Rang belegt. An all die einsamen schwulen Herzen da draußen: Hört gefälligst auf mich zu googeln! Obwohl ich ja bekanntermaßen keine homophoben Tendenzen habe, ist das Hauptthema dieses Blogs doch ein anderes (Was war es noch gleich?). Weiters scheinen Begriffe wie „Panalemannismus“ - Gott schütze uns vor allem, was mit „Pan-“ anfängt, von der -flöte bis zum -ismus - und „zitate kim il sung“ gleichfalls hierher zu verweisen. Müsste ich heute nochmals einen Namen wählen, würde ich wohl aufgrund der Verfänglichkeit des jetzigen sowas wie "Sex Sex Sex! Gratis, gratis, Gratis! Lottogewinn! Mit angeschlossenem Blog" wählen.

Zusätzlich verrät mir meine Statistik - das Ministerium für Staatssicherheit der DDR hatte wohl keine bessere -, dass 75% meine Leser auf Windows vertrauen, während 19% Macintosh-Anhänger sind. Insgesamt 41% verwenden Firefox, 26% den Internet Explorer und jene 19% die mit Safari surfen dürften sich wohl mit den Macintoshianern decken. Was die Nationalitäten anbelangt, so kamen 10.095 der Aufrufe aus Österreich, 4.416 aus D wie Dingsbums, 1.161 aus der Schweiz, 648 aus den USA und 567 aus dem Vereinigten Königreich. Bei „falg counter“ sind die Zahlen entsprechend andere, weil später installiert und nur Erstzugriffe zählend. Trotzdem möchte ich allen Vertretern jener 68 Staaten und abhängigen Territorien - von Hongkong bis zu den Färöer - von denen die Mehrheit wohl nur mehr oder weniger zufällig und sicher nicht öfter als ein Mal hier vorbeigeschaut haben, herzlich für ihr, wenn auch nur sekündliches, Dasein danken. Ihre Stimme wurde gezählt! Vielen Dank auch an jene verschwindende Zahl an Gesellen (wenn's sein muss auch -innen), die meinen Pamphletismus und die mangelhafte Orthographie regelmäßig ertragen! Bleiben Sie mir treu, empfehlen Sie mich vielleicht mal weiter *mitleidigschau* und vergessen Sie facebook und Twitter nicht. Sie alle haben jedenfalls dafür gesorgt, dass diese Seite in fast drei Jahren öfter angeklickt wurde, als ein Justin-Bieber-Video auf Youtube in zwei Minuten! 
„Schreiben ist eine besondere Form des Schwätzens.“ Robert Musil

Montag, 8. August 2011

Österreich und seine Beamten, oder: Die Beamten und ihr Österreich.

Österreich ist ein Beamtenstaat. Zwischen zwölf und 13% der Beschäftigten sind öffentlich Bedienstete, wie es nunmehr richtig heißt. Denn ein richtiger Beamter zu werden ist heutzutage sehr schwierig. Richter zum Beispiel haben noch diese Ehre, Polizisten schon nicht mehr. Im Nationalrat sitzen bis zu 50% öffentlich Bedienstete, sie sind damit - vielleicht neben der Raiffeisenbank - die am besten repräsentierte Interessensgruppe der Republik. Etwa 500 Amtstitel hat der österreichische Staat geschaffen, einen Gutteil davon für seine Beamten. Sie stehen symbolisch für die Verstaubtheit des Verwaltungsregimes, vermitteln vielen das Bild eines wurstsemmelessenden Technokraten mit Ärmelschoner, der von jedem Dokument notorisch drei Durchschläge anfertigt. Aber wie verkrustet sind die Strukturen wirklich und welchen Einfluss haben die Verwaltungsbediensteten auf die Politik?
Im Reich der Beamten - von Dieter Zehentmayr

Bundesbeamte, einschließlich der Offiziere des Bundesheeres, werden in Österreich vom Bundespräsidenten ernannt. In der Regel delegiert dieser jedoch seine Ernennungsbefugnis an die einzelnen Bundesminister. Traditionell ernennen die dann ihre Spezis - also Parteifreunde - was zur Folge hat, dass es schwarze, rote und gemischte Ministerien gibt. Man braucht 20 bis 30 Jahre um ein Ressort gänzlich umzufärben, weshalb vor allem jene Ministerien monochrom sind, die traditionell unter den Fittichen einer der Großparteien stehen. So sind etwa das Landwirtschafts- und das Wirtschaftsministerium schwarz und das Sozialministerium rot bis ins Mark. Wenn es zu Regierungswechseln und damit zu groß angelegten Umfärbungsaktionen kommt, kann das natürlich ganz schön Staub aufwirbeln. Man erinnere sich etwa an das berufspolitische Exekutionskommando, das unter Charaktermensch Ernst Strasser im Innenministerium Einzug hielt. Unliebsame Führungsbeamte wurden dann einfach auf Schnarchposten, zum Beispiel bei der Flugpolizei, versetzt. Das - und nicht etwa der überbordende Eifer der Politik in Sachen Verwaltungsreform - ist auch ein Hauptgrund für die flächendeckende Abschaffung des Beamtenstatus. Konnte man früher einem unliebsamen Sektionschef,  nur mit einer Sekretärin bewaffnet und bei Fortzahlung des vollen Gehalts versteht sich, die Exekutivzuständigkeit für die ministeriellen Besenkammern übertragen, um ihn kalt zu stellen, ist es heute problemlos möglich ihn nach Auslaufen seines Fünf-Jahres-Vertrags wieder in den unteren Beamtentartarus zu verstoßen. Bei manchen Ministerien ist daher vom Generalsekretär bis zum Hausmeister nach wie vor alles nach Parteibuchwirtschaft organisiert. 

Natürlich hat die Postenbesetzung nach politischer Ausrichtung nicht nur den Zweck, die eigene Parteiklientel mit Dienststellen zu bedienen, sondern verfolgt auch konkrete machtpolitische Ziele in der Vollziehung. Ein Minister kann sein Ressort nur schwer gegen seine Beamten regieren. Diese können, wenn sie wollen, seine Ideen auf Schritt und Tritt sabotieren. Als in den 70er Jahren ein roter Minister den Bau neuer Schulen durchsetzte, veranlassten seine schwarzen Beamten, dass die Gebäude so geplant wurden, dass ein Ganztagsschulbetrieb in Ihnen nicht möglich sein würde, denn die ÖVP war ja dagegen. Man darf die politische Macht der Beamten nicht unterschätzen. Eine Vielzahl von Entscheidungen erreicht die Ministerebene gar nicht erst. Nur die ganz schweren Brocken werden vom Ressortchef selbst angepackt, den Rest erledigt die Hierarchie. Das ist vor allem demokratiepolitisch bedenklich, denn Beamte haben keine Legitimation. Sie sind nicht gewählt und keinem Vertretungskörper verantwortlich, aber sie treffen täglich hochpolitische Entscheidungen. Ob sie das nach dem Willen des Ministers tun, hängt von ihrer Loyalität ab. Die Verwaltungspyramide eines Ministeriums beginnt bei den einfachen Kanzleikräften und Praktikanten geht über die Verwaltungsbediensteten zu den Abteilungsleitern, den Bereichs- oder Gruppenleitern bis hin zu den Sektionschefs. Der höchste Beamte ist traditionell der Generalsekretär, ein Amt, das erstmals im Außenministerium geschaffen wurde und später in der gesamten Ministerialbürokratie des Bundes Einzug hielt. Je nach Ressort kann er verschiedene Bezeichnungen tragen, wie etwa „Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit“ (BMI) oder „Generaldirektor für die öffentliche Gesundheit“ (BMG - derzeit unbesetzt wegen Korruption). Im Verteidigungsministerium deckt sich der Posten mit jenem des Generalstabschefs (derzeit unbesetzt wegen Anfall von freiem Denken). Wie mächtig ein Generalsekretär ist, hängt von der Stärke des jeweiligen Kabinetts ab, dessen Stärke wiederum von jener des Ministers. Das Kabinett ist ein politisches Gremium von meist jungen Apparatschiks, die in ihrem Leben noch etwas vorhaben. Sie beraten den Minister und führen seine Anweisungen aus, dürfen rein formalrechtlich aber selbst keine Weisungen - beamtenösterreichisch für Befehle - erteilen. Sie gelten zu Recht als Brutstätte für die zukünftige Spitzenpolitik. Franz Vranitzky war Kabinettschef von Hannes Androsch, Claudia Schmied saß im Kabinett von Ex-Finanzminister Rudolf Edlinger. Ist der Minister eine Flasche, liegt die Macht beim Kabinett. Zuweilen kann es dann demütigende Züge annehmen, wenn 50-jährige Spitzenbeamte vor nicht einmal 30 Jahre alten Politgünstlingen kuschen müssen, aber so ist das Leben.

Je schwächer die jeweils vorgesetzten Instanzen sind, sei es aus politischen oder aus intellektuellen Gründen, desto stärker sind die nachfolgenden. In einem roten Ministerium kann ein roter Bereichsleiter gegen einen schwarzen Sektionschef sicherlich mehr durchsetzen, als unter anderen Vorzeichen. Die unterschiedlichen, meist karrieristisch motivierten, Interessenlagen innerhalb eines Ressorts, aber auch zwischen den Ministerien können dann mitunter ganz abstruse Formen annehmen. Keine Abteilung traut der nächsten, die verschiedenen Ämter einander sowieso nicht. Dann kommt da noch die Prestigesucht dazu. Das kann zur Folge haben, dass zum Beispiel bei einem EU-Treffen auf Beamtenebene Deutschland und Frankreich durch jeweils vier, Österreich aber durch 29 Beamte vertreten wurde. Davon kamen 15 von der Ständigen Vertretung (EU-Botschaft) und 14 flogen extra aus Wien ein.

Natürlich, die EU-Ebene gilt als besonders vielversprechend für Profilierungen, weshalb manche gerne auf Staatskosten nach Brüssel fliegen, einfach nur um dabei zu sein. Das ist zum Teil dem Diletanttismus mancher Ressorts geschuldet, zu Teil der Unfähigkeit, aber auch Machtlosigkeit des Außenministeriums. Dort sitzen traditionell sehr kompetente und polyglotte Karrieristen, oft von altem Adel. Das Haus am Minoritenplatz begreift sich als humanistisches Bollwerk des gebildeten Österreichertums und lässt das alle anderen auch gerne spüren. Besonders unangenehm ist dabei die Außenamtstradition des Duzens. Es gibt wohl im gesamten deutschsprachigen Raum keine Gruppe, die es so perfekt beherrscht mit jemandem per Sie zu sein und ihn gleichzeitig mit du anzusprechen, wie das österreichische diplomatische Corps. In internationalen und EU-Angelegenheiten bleibt es trotz Blasiertheit und perfekten Französischkenntnissen dennoch mehrheitlich machtlos. Es koordiniert, aber jedes Ministerium macht seine eigene Außenpolitik. Deren Qualität hängt dann wiederum vom jeweils Zuständigen ab. Mancherorts gibt es daher straff geführte Abteilungen, die ihre Arbeit zielorientiert erledigen, anderswo gibt es Stellen, die „Fact Finding Missons“ nach Rio de Janeiro in die Zeit des Karnevals verlegen. Die Qualität der öffentlichen Verwaltung in Österreich ist grundsätzlich sehr heterogen. Es gibt Beamte, die erst um fünf ins Büro kommen und dann auch gleich wieder gehen und solche die bis ein Uhr nachts Überstunden machen. Die Abschaffung der Pragmatisierung hat daran kaum etwas geändert.

Das System hingegen, mit dem alle arbeiten, Faule wie Fleißige, ist fast überall gleich. Jeder Jurist lernt das Sprüchen „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht.“ und genauso ist es auch. Nun gut, ein paar Neuerungen hin und wieder müssen natürlich schon sein, aber unterm Strich bleibt alles beim Alten. Die Sprache zum Beispiel: Beamtenbriefe sind eine wahre Zierde des österreichischen Deutsch, so verfasst, dass sie auch niemand anderer als ein österreichischer Beamter verstehen kann: 
„Nach fernmündlicher Vorbesprechung darf nunmehr mitgeteilt werden, dass - nach Rücksprache mit Al MR Dr. XY - ho. zu gegenständlichem Verfahren kein Stellungnahmebedarf mehr besteht und der betreffende Akt hiemit zur Skartierung freigegeben werden kann.“
Natürlich würde kein Beamter jemals das Wort „telefonisch“ in den Mund nehmen, wenn er fernmündlich schreiben kann. Ebenso würde man nie die Titel des werten Vorgesetzten, in diesem Beispiel ein Abteilungsleiter und Ministerialrat, vergessen. Worte wie „ich“ oder „wir“ sind sowieso gänzlich tabu, weil man ja darauf festgenagelt werden könnte, dass man etwas Konkretes versprochen hat. Deshalb schreibt der Beamte von Welt „ho.“, was „hieorts“ bedeutet und genauso wie „hiemit“, „hiebei“ oder „hieauf“ im österreichischen Deutsch traditionell ohne „r“ geschrieben wird. Weitere schöne Beispiele wären Stampiglie (Stempel), Kopie (wie Folie auszusprechen) oder Kanzleiordnung. Einen Akt - sagen Sie niemals Akte - zu skartieren, bedeutet schließlich ihn in den Papierhimmel zu schicken und damit ist nicht das Österreichische Staatsarchiv gemeint, sondern der Reißwolf.

Dieser wiederum ist heutzutage meist elektronischer Natur, weil Österreich in Sachen E-Government gerne eine Vorreiterrolle übernimmt. Daher heißt das goldene Kalb des österreichischen Beamtentums „ELAK“ - gepriesen sei sein Name in alle Ewigkeit - was „Elektronischer Akt“ bedeutet und selbst erfahrene Hofräte noch ehrfurchtsvoll erschaudern lässt. Der ELAK vereint in sich Tradition und Moderne, was seine Einführung für das für sein Beharrungsvermögen berühmt-berichtigte österreichische Verwaltungspersonal einigermaßen erträglich machte. Im ELAK wird nicht gesucht, im ELAK macht man „Recherche“. Wie sein papierenes Vorgängermodell hat auch er eine Geschäftszahl, wird einzelnen Beamten vorgeschrieben, bekommt ein Votum und eine Abfertigungsfrist, wird genehmigt, abgezeichnet und frühestens nach zehn Jahren skartiert. Die Frist kann aber auf bis zu 120 Jahre ausgedehnt werden, der österreichische Staat wünscht sich ein langes Gedächtnis.
Der ELAK ist für alles da, sei es das tägliche Verwaltungsgeschäft oder die Anforderung einer neuen Computertastatur. Wer krank wird, muss - was meist freundliche Kollegen in Stellvertretung erledigen - einen Krankmeldungs-ELAK abfertigen. Ist man wieder genesen, kommt der Gesundmeldungs-ELAK hinterher. Mancherorts muss man sogar Bleistifte, Radiergummi und Kugelschreiber per Anforderungs-ELAK bestellen, während Druckerpatronen - die ja bekanntlich ein Vielfaches kosten - frei Hand ausgegeben werden. Wahrscheinlich wurden diese so häufig bestellt, dass die Verwaltung der Anfragen überhandnahm und schließlich eingestellt wurde. In Österreich wird so lange verwaltet, bis es nicht mehr geht. Für manchen langfingrigen Beamten mag die Sache mit den Patronen vielleicht auch ein Grund sein, sich für zu Hause denselben Druckertyp zu besorgen. Und glauben Sie bloß nicht, dass in Ministerien nicht gestohlen wird. Vom Weltempfänger bis zur Handtasche kann dort alles verschwinden.

Für die Aufrechterhaltung eines geordneten Staatsgefüges sind außerdem Titel unerlässlich. Der Titelwahn kennt in Österreich keine Grenzen aber Regeln. Wer ein E-Mail schreibt, gibt unten seinen Namen ohne Titel an, darunter kommt im Idealfall eine Signatur mit Titel. Ist diese nicht vorhanden, liegt es am Gegenüber die Titel des anderen zu ergoogeln, denn im Antwortschreiben werden sie alle geflissentlich in der Anrede aufgelistet.  Sie halten das für einen Scherz? Mitnichten. Die Zeiten, als ich die Abkürzung Bmstr. noch im Amtskalender - ewiger Ruhm seinem heiligen Umfang - nachschlagen musste, um herauszufinden, dass sich mein briefliches Gegenüber als Baumeister zu erkennen geben wollte, sind vorbei. Mittlerweile habe ich eine gewisse Vorkenntnis im Bereich Titelkunde aufzuweisen, weshalb mir kein Technischer Rat, kein Ökonomie- und kein Veterinärrat mehr unerkannt bleibt. Nur, als ich per Zufall vor einem Türschild zu stehen kam, auf dem „Kapitän ADir.“ stand, kam ich doch ins Grübeln. Den Amtsdirektor hätte ich ja noch verstanden, aber muss man wirklich ein Kapitänspatent anführen? Nun, denjenigen von Ihnen, die hier mit nein antworten würden, sei gesagt, dass ich von einer langgedienten Staatsdienerin erfahren habe, man hätte ihr zu Beginn ihrer Karriere mit einem Disziplinarverfahren gedroht, weil sie auf ihrem Türschild nicht alle ihre Titel angeführt hatte. Als kleiner Mag. fühlt man sich im Türschilder-Dschungel sowieso etwas nackt. Aber Türschilder sind wichtig. Ich hatte meines schon vor dem Computer-Passwort.
Aber schon Kaiser Josef II. kannte die Laster seiner Beamten und ermahnte sie in seinem Hirtenbrief, dass Gehalt und Titel keine Selbstläufer sein sollen:
„Der nicht liebe zum dienst des vaterlandes und seiner mitbürger hat, der für erhaltung des guten nicht von einem besondern eifer sich entflammt findet, der ist für geschäfte nicht gemacht und nicht werth, ehrentiteln zu besitzen und besoldungen zu ziehen.“
Auf Beamte wird in Österreich gerne geschimpft. Teilweise geschieht das mit Recht. Es gibt etliche faule und inkompetente Sesselpicker, aber noch mehr ehrlich arbeitende und fleißige Leute. Oft ist man überrascht von der Effizienz mancher Abteilungen, manchmal schockiert vom brutalen Versagertum anderer. Es gibt E-Mailadressen, von denen man inert fünf Minuten eine Antwort erhält, von anderen kommen nur Fehlermeldungen, weil das Postfach überfüllt ist, oder gleich gar nichts. Wer keinen Antrieb hat etwas zu verändern, weil er seine Machtlosigkeit erkennt und diese Ohnmacht hinzunehmen gelernt hat, kann als öffentlich Bediensteter gut leben. Man ist nur für das verantwortlich, was unter einem geschieht. Da sich unter mir niemand befindet, habe ich das Privileg nur meine eigene Suppe auslöffeln zu müssen und den anderen bei ihren Hahnenkämpfen und Intrigen zuschauen zu können. Beamte sind ja bekanntlich auch nur Menschen, zumindest außerhalb der Dienstzeiten.
„Eigennuz von aller gattung ist das verderben aller geschäften und das unverzeihlichste laster eines staatsbeamtens.“
Joseph II.

Montag, 1. August 2011

Die Schweizer, oder: Ein Volk, den Felsen gleich.

Es gibt ein Land in Europa, das mit und von seinen Klischees lebt. Ein kleines Land: gebirgig, konservativ, neutral, zuweilen fremdengfeindlich. Die Schweiz.
Man kann viele Worte verlieren über dieses Land, dem die Volksdemokratie so wichtig ist, in dem aber erst seit 1990 in allen Kantonen Frauen wählen dürfen, diesen Vielvölkerkochtopf, in dem vier Sprachen gesprochen werden - darunter angeblich auch Deutsch. 720 Jahre ist die Eidgenossenschaft heute geworden, 6,67mal älter als Jopie Hesters. Die Schweizer sind ein Volk den Felsen gleich heißt es, das mag auch auf ihre Geisteshaltung zutreffen. Aber wofür stehen die Schweizer Werte heute noch und wie ähnlich ist die EU-Verweigerin eigentlich ihren Nachbarn?

Als gelernter Vorarlberger weiß man, dass die Schweiz dort anfängt, wo die Autobahnschilder grün, die Zebrastreifen gelb und die Kreisverkehrkunstwerke hässlich sind. Das sind Zeichen, die der Schweiz auch nach dem Beitritt zum Schengen-Raum noch bleiben werden, genauso wie ihre komischen Sackgassenschilder mit dem roten Balken, die Bahnhofsuhren, bei denen der Sekundenzeiger beim 12er immer stehen bleibt und die Tatsache, dass man bei Migros keinen Alkohol kaufen kann. Und so etwas ist den Schweizern wichtig. Behauptete man, dass der Satz „Gut Ding braucht Weile.“ auf die Schweiz zuträfe, wäre das eine glatte Untertreibung. Wenn ein Land nach der Gründung der UNO geschlagene 57 Jahre brauchte, um ihr beizutreten, kann man seine Politik wohl getrost als „vorsichtig“ bezeichnen.

Nun, die Schweiz unterscheidet sich nicht dadurch von anderen Ländern, dass sich mit Angst leicht Politik machen lässt, sondern dadurch, dass die Ängstlichen die Politik machen. Glaubt man wirklich, dass sich die Franzosen, Deutschen oder Österreicher weniger vor „den Fremden“ fürchten, als die Schweizer? Wohl kaum, aber sie stimmen nicht über Minarettverbote und Ausschaffungsinitiativen ab. Man kann das undemokratisch nennen, wahrscheinlich ist es das auch. Wenn man aber in Rechnung stellt, dass wohl ein Gutteil der Menschen auf diesem Planeten - meine Leser sind natürlich nicht gemeint - ziemlich dumm ist, möchte man sich schon fragen, ob man diesen Leuten politische Entscheidungen überlassen sollte. Repräsentative Demokratie hat den Vorteil, dass das Volk die Reiserichtung bestimmt, aber nicht das Transportmittel und die genaue Route. Das hat natürlich auch Nachteile. In der Schweiz können Parteien zwar auch mit populistischen Methoden auf Wählerfang gehen, dass sich ein Politiker á la Haider oder Strache aber zum Volkstribun erklärt, ist nur schwer möglich. Die vox populi spricht an der Urne und nicht im Berner Bundeshaus.

Demokratiefanatische Hobbits“ seien die Schweizer, habe ich an dieser Stelle einmal behauptet. Nun, einerseits sind sie zwar stolz auf ihre Demokratie, andererseits lag die Wahlbeteiligung bei den Nationalratswahlen von 2007 jedoch bei nur 48,9%. Im Vergleich dazu gingen im repräsentativ-demokratischen Nachbarland Österreich bei den Parlamentswahlen im Jahr 2008 über 78,8% der Wahlberechtigten an die Urnen. Ist das ein positives Zeichen für das Demokratieverständnis eines Volkes, wenn weniger als die Hälfte der Stimmbürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen? Nun man kann den effektiven Erfolg eines politischen Systems nicht an der Wahlbeteiligung messen. Während so manche US-Amerikaner beinahe verbale Orgasmen bekommen, wenn sie von Freiheit und Demokratie sprechen, gaben bei den letzten Kongresswahlen 2010 lediglich 40,9% ihre Stimme ab. Rechte sind außerdem noch nicht alles, man muss sie auch wahrnehmen. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die Schweiz in einer Studie der Universität Züchich von 2011 mit dem 14. Rang zwar noch sechs Plätze vor Österreich, aber immerhin hinter Belgien, den USA und Slowenien zu liegen kommt. Im „Democracy Index“ aus dem Jahr 2010 kam die Eidgenossenschaft zwar auf Platz acht, erhielt aber in den Bewertungskategorien „Wahlvorgang und Pluralismus“ sowie „politische Teilhabe“ die exakt gleiche Bewertung wie Österreich, das vor Deutschland auf Platz 13 zu liegen kam.

Aber Demokratie ist ja nicht alles. Die Schweizer leben davon sich einzigartig zu fühlen. Ob Rütlischwur, Freiheit, liberales Waffenrecht oder Rivella, man ist bemüht die Unterschiede aufrecht zu erhalten und zu leben. Der damalige Direktor des Zürcher Schauspielhauses, der Deutsche Mathias Hartmann, fragte etwa 2009 entnervt: „Warum müsst ihr euch ständig definieren?“ Es ist vermutlich ein nationaler Überlebensmechanismus, wenn ein Staat einerseits eine kulturell so heterogene Bevölkerung aufweist und andererseits dem übermächtigen medialen Mainstream gleich dreier gleichsprachiger Nachbarländer ausgesetzt ist. Ein Atom, um das so viele Elektronen kreisen, braucht einen starken Kern. Sollte es der Hang zur patriotischen Selbstfindung sein, der Hartmann zum Weggehen aus der Schweiz bewogen hat, dürfte er an seiner neuen Wirkungsstätte wohl kaum glücklicher werden: Mittlerweile ist er Direktor am Wiener Burgtheater.
Österreicher und Schweizer sind sich ohnehin viel ähnlicher, als das wechselseitig wahrgenommen wird. Die beiden Einleitungssätze zu diesem Beitrag hätten jedenfalls für beide Länder gelten können. Trotzdem befinden sie sich kaum im gegenseitigen Fokus. Die Blicke beider Völker schweifen eher nach Norden. Während man früher den Österreichern gerne Piefkehass unterstellte, hat das Verhältnis der Schweiz zu Deutschland zwischenzeitlich Abwehrkampfmentalität angenommen. Die Schweizer Boulevardzeitung Blick widmete der Frage „Wie viele Deutsche verträgt die Schweiz?“ sogar eine eigene Serie und bewarb diese mit einem provokanten Werbespott
„Genau unter diesem Motto beleuchtet eine BLICK-Serie eines der brennendsten Schweizer Themen dieser Tage: die Invasion aus dem grossen Kanton im Norden – billige Arbeitskräfte, arrogante Sprüche, unangenehmes Selbstbewusstsein?“
Die Probleme sind die selben wie in Österreich: Zuwanderer, die sich für die Kultur und Geschichte der Gastgeber oft nur mäßig interessieren kommen in ein Land mit veritablen Minderwertigkeitskomplexen. Das Schweizer Fernsehen bringt es auf den Punkt, wenn es meint, dass sich viele Deutsche beim Zuzug erwarteten nur wenige Unterschiede vorzufinden, „abr do hönd sich viele tosche“. Man ist sich als Österreicher und Schweizer zwar nicht unbedingt nah, teilt aber die Distanz zu den Deutschen, auch wenn die Schweizer ihnen offenbar andere Charakteristika - wie „schnelleres Denken“ und „mehr Humor“ (sic!) - zuschreiben, als die Österreicher das tun würden. Andererseits hat die Germanophobie in Helvetien mittlerweile Grenzen überschritten:
„die kugel für dich ist schon bereit [...] du dreckige deutsche“
Man täuscht sich also, wenn man glaubt die Schweiz sei ein Land, wo nur die Höflichkeit regiert. Irgendwie wundert es einen aber doch nicht, dass die Schweizer auf Unbehagliches mit Kugelhagel reagieren wollen. Im einzigen Land der Welt, das für seine Gesamtbevölkerung Bunkeranlagen vorweisen kann, spielt sich militärische Abwehr schon beinahe nicht mehr im Kopf, sondern zwischen der Doppelhelix ab. Den Schweizern ist das Reduit ist in Fleisch und Blut übergegangen. Einst bauten sie Kanonen und Stollen in die Alpen, heute schreiben sie Drohbriefe. Um die Deutschen von der Invasion abzuwehren scheint jedes Mittel recht zu sein. Hier spätestens bricht die Schweizerisch-österreichische Gemeinsamkeitsachse: Die Österreicher haben im Anlassfall doch lieber die Hände gehoben, als verspätetes Opfer lebt sich's eindeutig besser.

Die Schweiz ist eben kein Wunderland, wo der Käse von den Bäumen fällt und die Straßen mit Nazigold gepflastert sind. Nicht Mitglied der EU zu sein hat, trotz der vielen Rosinen, die sich die Eidgenossen gerne aus dem europäischen Kuchen picken, eben nicht nur gute Seiten. Die Schweiz kämpft zurzeit mit einem mörderisch hohen Frankenkurs. Lag das Wechselkursverhältnis der Schweizer Währung zum Euro in den Vergangenen Jahren im Durchschnitt bei etwa 1,5 Fr. :1 €, so ist der Franken zum heutigen Tag auf 1,12 € gestiegen. Für die eidgenössische Exportwirtschaft hat das ebenso schlimme Folgen, wie für den Handel. Dem laufen mittlerweile die Kunden massenhaft ins benachbarte Ausland davon, wo die Schweizer mitunter ihre Freundlichkeiten von den Deutschen retourniert bekommen:
„Samstagabends finde man kaum noch ein Plätzchen, um in Ruhe und ohne Grüezis ein Bier zu trinken, ärgern sich Einheimische.“ Spiegel 
Dennoch ist die Schweizer Wirtschaft bisher noch nicht eingebrochen. Die Arbeitslosigkeit lag im Juni bei 2,8%, niedriger als in jedem EU-Land. Das liegt vielleicht nicht nur am Hochtechnologiesektor, den man nur schwer nach Bangladesch outsourcen kann, sondern möglicherweise auch an den geringen Lohnnebenkosten. Zugegeben: Die Gehälter in der Schweiz sind hoch, aber das sind auch die Lebenshaltungskosten. Daneben fallen aber für die Wirtschaft kaum Sozialabgaben an, zudem unterbieten sich die Kantone gegenseitig im innerschweizerischen Steuerwettbewerb. Der sei, so meinen manche Experten, schärfer als jener zwischen den EU-Staaten. Die Schweiz ist ein Niedrigsteuerparadies und der letzte Nichtsozialstaat Europas. Leistung ist, beinahe wie in den USA, ein übergeordnetes Prinzip und Transferzahlungen nur die Ausnahme. Kein Wunder, dass ein Land wirtschaftskonservativ ist, wenn die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) - die diese Linie am vehementesten Vertritt - seit 1848 ununterbrochen in der Regierung sitzt. Damit unterscheidet sich die Eidgenossenschaft wesentlich von ihren Nachbarstaaten, die mehr oder weniger dem Prinzip der sozialen Marktwirtschaft folgen.

Und eine weitere Eigenheit hebt die Eidgenossen im deutschsprachigen Raum hervor: Patriotismus ist ihnen wichtig. Während die Deutschen sich schon bei der Erwähnung ihres Landes schämen und beim landläufigen Österreicher das Nationalbewusstsein nur durchbricht, wenn er sich auf einen türkischen Reißnagel setzt, wird jedes Jahr am 1. August die halbe Schweiz in die Luft gejagt: Feuerwerke und Beflaggung an Privathäusern sind selbstverständlich. Schon Wochen vorher kann man bei Coop und Migros vom Pappteller bis zum Lampion alles kaufen, auf dem ein Schweizerkreuz Platz findet. Die Schweiz feiert sich als Willensnation und entgegen der Erwartung, die man vielleicht haben könnte, feiern die italo- und frankophonen Schweizer am heftigsten. Für 90% der sogenannten Romands ist der Nationalfeiertag „sehr wichtig“, in der Deutschschweiz liegt der Wert bei „nur“ 79%. In Österreich, wo die größte Feierlichkeit zum Nationalfeiertag immer noch in der Ausstellung von militärischem Gerät am Heldenplatz besteht, kann man sich da nur verwundert die Augen reiben.

Mittlerweile sind 720 Jahre vergangen, seit 1291 der Bundesbrief ausgestellt wurde. 625 Jahre ist es her, dass die Eidgenossen in der Schlacht von Sempach endgültig die Habsburger besiegten. Vor 663 Jahren schied die Schweiz aus dem Reichsverband aus. Seit 163 Jahren besteht der Bundesstaat. Die Schweizer haben in ihrer Geschichte etwas geleistet.

Es ist schwer zwischen Schokolade-, Käse-, Uhren- und Bankenstereotypen eine fassbare Schweiz zu finden, wahrscheinlich weil Staaten immer nur konstruierte Charaktere haben. Dass sich die Confoederatio Helvetica im siebenhundertzwanzigsten Jahr ihres Bestehens immer noch selbst sucht, verwundert bei vier Sprachen und 26 Kantonen wenig. Im dem Land wo die Leute Ueli, Hansheiri, Pirmin, Urs, Ruedi und Hansruedi oder Remo heißen, ist jeder Schweizer eine Schweiz für sich. Was einen eigentlich wundert, ist, dass die Schweiz noch immer funktioniert. Trotz Vielsprachigkeit, trotz religiöser Heterogenität, trotz Föderalismus. Oder gerade deswegen?

„In Deutschland ist alles verboten was nicht ausdrücklich erlaubt ist. In der Schweiz ist es umgekehrt. Und in Österreich ist alles erlaubt, was ausdrücklich verboten ist.“ Andreas Khol