Montag, 22. August 2011

Die Entstaatlichung Österreichs, oder: Die Zutodeprivatisierung der Republik

„Eingang zum Amt ums Eck“ stand vor ein paar Jahren mal auf einem Schild vor meiner Postfiliale im achten Bezirk. Dabei gab es dort schon lange kein Amt mehr. Die Österreichische Post, einst 1722 von Kaiser Karl VI. monopolisiert, war 1999 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und 2006 von Schwarz-Blau teilprivatisiert worden. Seitdem ist die ehemalige Postverwaltung der Republik Österreich zu 49% in Privatbesitz, dünnt ihr Filialnetz stetig aus und steht symptomatisch für die Entstaatlichung des Gemeinwesens.

Was soll der Staat dürfen? Was muss der Staat können? Seit die Menschheit mehrheitlich zu der Einsicht gelangt ist, dass totalitäre Regime nicht gerade der Zuckerguss auf der Torte der Gesellschaft sind, begleiten diese Fragen jede Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen staatlichen Handelns. Was nur der Staat darf, heißt gemeinhin Hoheitsverwaltung. Wenn Verwaltungsorgane aufgrund der Gesetze Bescheide und Verordnungen erlassen oder unmittelbare Befehls und Zwangsgewalt ausüben, handelt Vater Staat in seinem ureigensten Milieu. Dazu muss nicht erst das Bundesheer in Ihren Garten einmarschieren, es reicht schon wenn der Rauchfangkehrer kommt. Denn obwohl er eine Privatfirma betreibt, ist er in seiner Berufsausübung auch Feuerpolizei und dementsprechend Amtsträger. Folgt der Staat aber nur seinen finanziellen Interessen im gewöhnlichen Wirtschaftsleben, bewegt er sich auf dem Terrain der Privatwirtschaftsverwaltung. Als es noch große Monopole gab, waren die Grenzen zwischen diesen Bereichen oft fließend. Die Österreichischen Bundesbahnen waren nicht nur Bahnbetreiber, sondern auch Bahnbehörde. Da Selbstkontrolle nicht immer der beste Weg zur Qualitätssicherung ist, wurden derartige Konstruktionen mittlerweile eingestellt. Ein wesentlicher Hauptgrund für die Entstaatlichung im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung ist aber die Europäische Union. Großteils waren und sind es ihre Verordnungen, die Staatsmonopole beendeten und staatliche Unternehmungen in die Privatisierung führten. Für Letzteres setzte sich auch gerne die OECD ein. Nach der Devise „Mehr Privat, weniger Staat!“ wurden Tabak-, Glückspiel- und Verkehrsmonopole aufgehoben, wurden Post-, Eisenbahn und Telekombetriebe, aber auch ganze Kanalisationssysteme und öffentliche Wasserversorgungen an private Dritte verscherbelt.

Vielleicht ist das der Grund, warum wir heute Konkurrenz auf dem Mobilfunkmarkt haben und der Staat sich keine Pleitefluglinie mehr halten muss. Es ist aber sicher auch die Ursache für das marode Schienennetz in Großbritannien und explodierende Wasserleitungen weltweit. Wo sich die öffentliche Hand zurückzieht, hält das wirtschaftliche Interesse Einzug, mit all seinen Vor- und Nachteilen. Gleise werden nur notdürftig instand gehalten und Rohre erst saniert, wenn sie bersten. Natürlich, private Konkurrenz belebt das Geschäft und bricht eingestaubte Strukturen auf. Es muss aber niemand erwarten, dass man den ehemaligen staatlichen Monopolisten zuerst Mitbewerber ins Boot setzen und dann erwarten kann, dass sie ihre Aufgaben wie eh und je erfüllen. Eine Österreichische Post AG betreibt keine unwirtschaftlichen Postämter auf dem Land mehr und eine ÖBB Personenverkehrs-AG fährt keine Kleinstbahnhöfe auf Nebenstrecken mehr an. Vorbei sind die Zeiten, als der Postbus noch mit Bundesadler durch die Land tourte und Telefonanschlüsse durch das Post- und Telegraphenamt verlegt wurden. Heute steht nicht einmal mehr Republik Österreich auf den Briefmarken, die allermeisten Bundesgebäude werden durch die Bundesimmobiliengesellschaft (vormals Bundesimmobilienverwaltung) betreut, die Bundesbahn wurde in drei Aktiengesellschaften und ein Dutzend GmbHs samt gut verdienenden Aufsichtsräten zersplittert, die Staatsdruckerei gehört dem Staat nicht mehr, und sogar die Polizeiautos sind nur noch geleast. Die Folgen könnten zum Teil abstruser nicht sein: Der Staat zahlt bei sich selber Miete (z.B. das Unterrichtsministerium für die Bundesschulen an die BIG), Manager in öffentlichen Unternehmen verdienen um ein Vielfaches mehr als der Bundespräsident (ÖIAG-Chef Michaelis erhält etwa 700.000 € pro Jahr), die Post bringt aus Profitgier für jeden Anlass und Halbpromi eine Briefmarke heraus (z.B. Michael Schumacher [wtf?!]), Ausrüstungsgegenstände dürfen in Polizeifahrzeugen nur noch angeklebt, aber nicht mehr verschraubt werden und ebendiese dürfen nicht mehr in Betrieb genommen werden, wenn sie die im Leasingvertrag festgesetzte Kilometerzahl erreicht haben.

Natürlich ist die Frage berechtigt, warum die öffentliche Hand sich eine Fluggesellschaft halten oder Wohnungen besitzen soll. Aber ist es wirklich klug, wenn eine Stadt ihr Kanalsystem verkauft? Ist es verantwortungsvoll, wenn Weltbank und OECD von Entwicklungsstaaten verlangen ihre Infrastruktur rigoros zu privatisieren? Wer garantiert, dass ein privater Wasserversorger sich nicht weigert neue Leitungen zu verlegen, weil sie einfach unprofitabel sind? Klar, alles kann der Staat nicht betreiben oder aufrechterhalten und zugegeben: Staatliche Betriebe haben oft ein Problem wirtschaftliche Grundsätze einzuhalten. Aber wer kann uns versprechen, dass eine private Bahngesellschaft die Zugverbindung zwischen Graz und Linz wieder aufnimmt, die von den ÖBB kürzlich eingestellt wurde? Wer gewährleistet es, dass die Post in Zukunft überhaupt noch Sendungen in ländlichen Gegenden zustellt und nicht einfach Abholpostämter einrichtet? Spätestens seit der Finanzkrise haben wohl die meisten begriffen, dass die Privatwirtschaft kein goldenes Kalb ist, das man anbeten muss. Die staatliche Verwaltung hat auch kein Monopol auf Dilettantismus und Unwirtschaftlichkeit mehr.

Der Vorteil so mancher Privatisierung oder Ausgliederung bleibt nach wie vor im Dunkeln. Warum muss der Bund 5000 Gebäude durch eine GmbH verwalten lassen? Warum betreut die hoheitlich organisierte Burghauptmannschaft zwar das Bundesbad an der alten Donau, aber nicht das historische Gebäude der Universität Wien?
An manchen Stellen tut die Entwicklung einfach nur aus nostalgischen Gründen weh: Dass man irgendwann keine BB, BD und PT-Kennzeichen mehr sehen wird zum Beispiel, oder dass es kein Hauptmünzamt mehr gibt, sondern eine Münze Österreich AG. Dass die profitable Staatsdruckerei, die alle hochsensiblen Ausweisdokumente der Republik herstellt, verschachert wurde, nur damit Leute wie Ernst Strasser dort einen Beiratsposten beziehen können, ist hingegen aus mehrerlei Gründen ärgerlich. Grundsätzlich wurden viele Ausgliederungen einfach nur benutzt, um politischen Günstlingen profitable Posten in der Pseudoprivatwirtschaft zu verschaffen. Die positiven Effekte hielten sich oft in sehr engen Grenzen. Bei den ÖBB werden immer noch massenweise Frühpensionierungen bei gleichzeitigen Neueinstellungswellen vorgenommen. Der Verkauf der Bundeswohnungen hat bekanntlich nur dazu gedient, Freunden des Finanzministers die Möglichkeit zur Darbietung ihrer exzellenten Beraterfähigkeiten zu geben. Von Entpolitisierung kann man in den meisten Fällen ohnehin nicht sprechen. In der Flughafen Wien AG und den anderen staatsnahen Betrieben sitzen nach wie vor die Funktionäre von Schwarz, Rot und Blau, nur verdienen sie jetzt halt mehr.

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