Donnerstag, 3. Dezember 2009

(Un)heil dir Helvetia! Oder: Ein Land sehnt sich nach Liebe.

Nach allerlei Ausfällen nun wieder zurück zur scheinbaren (Halb)seriosität:


Ungeheuerlichkeiten gehen vor in der Welt und sie betreffen ausgerechnet die Schweiz. Für das Auenland Europas und seine demokratiefanatischen Hobbits kommt allein die Nachricht, dass es irgendetwas von „draußen“ betrifft einer Hiobsbotschaft gleich. Neben Käse, Schokolade, Uhren, hauseigenen Bunkern, Sturmgewehren im Schrank und dem Bankgeheimnis hat die Schweiz vor allem eines kultiviert:
Das nationale Wachkoma.


Die Schweiz und der Krieg, der niemals kam.
Seit dem Ende der Sonderbundkriege und der Errichtung des Bundesstaates 1848 war es ruhig in den helvetischen Bergen und Tälern und fertig lustig mit Krieg und sonstigen Sachen die nur kosten und sowieso keinem einen Zins bringen. Fürsten und Völker erklärten sich den Krieg, die Schweiz erklärte sich neutral. Österreich-Ungarn zog gegen Serbien zu Felde, die Schweizer erfanden die Toblerone. Und während sich die Soldaten in ganz Europa kollektiv in Schützengräben verscharrten, machte die Schweiz Löcher in den Käse. Vorarlberg wollte den Anschluss, die Schweiz wollte nicht belästigt werden. Es ist ein Land, in dem gute Beziehungen zum Ausland bedeuten, keine Beziehungen zu haben; zumindest keine die nicht über einen Kontoauszug zu handhaben wären. Als das jüdische Europa vor den Nazis floh und zu Asche verbrannt wurde, machte die Schweiz was sie konnte: Geschäfte. Immerhin, man hat dem jüdischen Vermögen das Überleben gesichert. Dass auch die Nazis ihre Barschaft krisen- und kriegssicher bei den Eidgenossen verstauten, war nebensächlich. Das Bankgeheimnis ist egalitär, es kennt nur Gleiche.
„Trittst im Morgenrot daher, Seh ich dich im Frankenmeer, Dich, Du hochverzinslicher, Herrlicher!“

Wäre das seit Asterix und Obelix nicht abgeschafft worden, die Schweizer hätten vermögenden Flüchtlingen vielleicht Wohnschließfächer mit Raclette angeboten. Doch leider war das Boot schon voll und nur für Geld hatte man noch etwas Stauraum. Während in Europa wieder einmal die Lichter ausgingen, achtete die Schweiz auf Ordnung und Sauberkeit – im eigenen Land. Um ganz auf Nummer sicher zu gehen, grub man sich aber ein und plante die großartigste Defensive aller Zeiten, das „Reduit“ – Schweizer sind fantastisch-fanatische Defensivspieler. Die schönen Berge wurden unterkellert, dass selbst Josef F. die Brauen gehoben hätte. Stollen, länger als jede Toblerone, Gebirgsmassive, durchlöcherter als jeder Käse, und Bunker, sicherer als das Bankgeheimnis. Das Volk musste Notrationen anlegen, die vereinigte Bundesversammlung wählte – was nur in Kriegszeiten geschieht – einen General, sicher ist sicher. Die eidgenössische Außenpolitik kannte von da ab nur noch zwei Varianten: Schweigen oder Schießen. Wer ihren Luftraum verletzte wurde abgeschossen, wer als Zöllner Verfolgten half wurde entlassen. Gegen Rechtsbrecher wird die Schweiz hässig. Alles braucht seine Richtigkeit. Nur als Göring das mit dem Abschießen zu bunt wurde und der Konföderation mit Bombardierung drohte, verzichtete der sicherheitshalber gewählte General vorsichtshalber auf den Beschuss, zumindest für deutsche Flugzeuge. Man bricht die Ordnung in der Schweiz nur, um die Ordnung zu retten.
Die Schweiz wartete auf den Krieg, er kam nicht. Weder der Erste, noch der Zweite und der Dritte, für den alle bauwilligen Schweizer heute noch die Bunkerabgabe hinlegen oder ihren eigenen Luftschutzkeller einrichten müssen, hat sich auch noch nicht sehen lassen. Die Schweiz war sicher, für Geld, Gold, Käse, Uhren, Schokolade und Schweizer, die anderen sollten sehen wo sie blieben. Verminte Autobahnen und sprengbereite Tunnel, geheime Luftwaffenstützpunkte in den Bergen, Notfallbanknotenserien – falls der Franken mit Fälschungen angegriffen würde, fünf Geheimdienste, ein stehendes Heer mit Miliz von etwa 625.000 Mann, 840 Kampfpanzer – mehr als Frankreich, 1300 Schützenpanzer, 504 Flugzeuge und ein streng geheimes – und dann doch fallen gelassenes – helvetisches Atomwaffenprogramm (das Bundesbömbli) finanzierten sich schließlich nicht von selbst. Die Schweiz war eine Festung. Militärisch, moralisch, politisch. Ein Professor der Politikwissenschaft nannte als oberste Handlungsmaxime für Feldherren und ihre Eroberungspläne:
„Greifen Sie nie ein Bergvolk an, Sie werden es nicht bezwingen.“
Die Schweiz dürfte zu diesem Mythos wesentlich beigetragen haben. Die militärische Einbunkerung wurde nach dem kalten Krieg beendet, die politische blieb. Zurzeit wird die Schweizer Armee (XXI.) gerade auf die Größe der deutschen Bundeswehr geschrumpft.


Die Schweiz und die Demokratie, die zum Problem wurde.
Obwohl im Land von Käse und Kapital selbst über Dinge abgestimmt wird, die bei uns ein Bezirkshauptmann im Verordnungsweg regelt, verwaltet es sich als sei seit nunmehr 161 Jahren Margaret Thatcher Alleinherrscherin. Traditionell ist das einzige was sich in der Schweiz bewegt der Zeiger der Uhr und die Summen auf den Banken. Die Schweiz verhält sich politisch wie eine Amish-Ordnung. Das Frauenwahlrecht musste den Männern erst durch Volksabstimmung abgerungen werden, das war 1971. Der Kanton Appenzell-Innerrhoden – die Schweiz der Schweiz – musste gar 1990 durch Bundesgerichtsurteil dazu gezwungen werden. In einer Gegend, in der die Männer seit Jahrhunderten als Landsgemeinde mit dem gezogenen Säbel jedes Gesetzesvorhaben abstimmten, ein Skandal. Die Frauen kamen, die Säbel gingen (teilweise), die Landsgemeinde blieb. Dass sich die Schweizerische Volkspartei jetzt gegen Ganzkörperverschleierungen ausspricht erscheint im Lichte helvetischer Frauenpolitik zumindest merkwürdig.
Veränderungen und Steuern sind für wahre Schweizer des Teufels. Der Staat hat nur zwei Hauptaufgaben: Schutz des Volkes und Schutz des Bankgeheimnisses. Kein Wunder also, dass die Schweiz mehr rechts-liberal-bürgerliche Parteien hat als ein Hund Flöhe. Dank dieser politischen Einstellungen ist sie auch einer der letzten Nicht-Sozialstaaten Europas. Für Familien ist die Krankenversicherung mit Kopfprämie oft kaum finanzierbar.



Die Schweiz und die Welt, die sie nicht will.
Nun fällt den Eidgenossen plötzlich die Welt auf den Kopf und kein Reduit, keine Armee kann helfen. Das Land hat es verabsäumt sich das wichtigste Kapital zu sichern: Beziehungen.

Der wildgewordene (mittlerweile Ex-)Finanzminister der Deutschen – Peer Steinbrück – vergreift sich am Bankgeheimnis der Schweiz wie einst der Vogt Hermann Gessler an deren Würde. Ein Angriff auf das Allerheiligste des Helvetentums.
Die Amerikaner wollen der UBS die Lizenz entziehen, wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Seit wann ist Kundenberatung strafbar?
Ein verrückter lybischer Staatschef mit Uniformen im Stil von Gerry Kessler nimmt zwei Schweizer Geschäftsleute (eigentlich eine müßige Anmerkung, weil ja alle Schweizer ex officio Geschäftsleute sind) als Geiseln, weil die Genfer Kantonspolizei die Chuzpe hatte seinen missratenen prügelnden Spross in Gewahrsam zu nehmen und zu verzeigen. Wer wollte das nicht? Schweizer sind die perfekten Geiseln: Sie sind ruhig, brauchen nur etwas Wasser und Käse und zahlen pünktlich.
Dann wollen die Amis einen Kinderschänder der Filme macht festgenommen sehen. Überraschenderweise sind seine Filme nicht das, was dererlei Leute sonst so fabrizieren und halb Europa findet, dass für Genies das Strafgesetzbuch nicht gelten sollte.
Und als sich schließlich das Schweizervolk für die Aufnahme einer Bauordnungsbestimmung in die Bundesverfassung ausspricht, droht die islamische Welt mit Boykott der heimischen Banken und gar noch schlimmerem.
Eine Welt, von der die Schweiz gar nichts wissen wollte, wird plötzlich unausweichlich zum Problem, weil sie sich ökonomisch, aber nicht politisch globalisiert hat. Die Schweiz hat es verabsäumt sich Verbündete zu suchen und die Zeichen der Zeit ignoriert. Jetzt steht sie da, wie ein reicher Einzelgänger ohne Freunde der zu ertrinken droht.

Die Schweiz und ihre Probleme, die sie ignoriert.
Hans Rudolf Merz ist verzweifelt. Der schweizerische Bundespräsident und Finanzminister, der ansonsten nur zweimal monatlich die Tatsache, dass er noch lebt ärztlich bestätigen lässt und einmal pro Woche zusammen mit seinem Büro abgestaubt wird, muss sich mit etwas beschäftigen, was Schweizern überhaupt nicht liegt: Di…iii….pppp…llllooo…maa…tiiee. Sprich: Fremdkontakt.
Um die Dinge wieder ins Reine zu bringen bereist Hans Ruedi also mit einer Bundesrätin aus Genf, die sich ihren Vornamen seltsamer weise mit einer französischen Reifenfirma teilt, die – pfui, schon das Wort lässt den Schweizer erschauern – „Welt“ wie ein Außerirdischer auf Antrittsbesuch, entschuldigt sich beim debilen Diktator und räumt – was für eine Verbalinjurie – „Änderungen“ beim Schweizer Bankgeheimnis ein. Änderungen, das waren in der Schweiz bisher die Abschaffung der Velostaffel der Armee oder Anpassungen beim Goldkurs. Schon der UNO-Beitritt 2001 galt als nationaler Kraftakt, kennt die UNO doch keine Volksabstimmung und kein Ständemehr! Schon fordert die rechtskonservative SVP den Austritt: Wo konnte der verrückte Libyer sich denn produzieren? Vor diesem schuftigen Weltverband der Antidemokraten und Schweizhasser!
Nun wäre da noch das Problem mit den Minaretten und der Volksabstimmung. In einem Land, in dem Pensionäre mehr abstimmen als Tabletten schlucken und die Wahlbeteiligung stellenweise dem absoluten Nullpunkt zu sinkt, sparen es sich Parteien oft für Referenden zu mobilisieren, die sie als gegessen betrachten. Blöderweise kommt es manchmal dann doch vor, dass die Anderen gewinnen und dann hat man den Scherben auf. Wäre man in Irland würde man einfach etwas warten und dann noch einmal abstimmen. Ob die demokratische Würde der Schweiz so etwas zulässt ist aber fraglich. Populus dixit!
Die Schweiz muss sich fragen, wie zeitgemäß es ist zu wirklich jedem Thema einen Volksentscheid herbeizuführen. Man hat doch so ein schönes politisches Milizsystem mit satten Tagungsgeldern, wo sich Berufstätige in ihrer wohlbezahlten Freizeit mit Motionen und Vernehmlassungsverfahren beschäftigen können. Wozu noch Volk und Stände belästigen, vor allem wenn sie auch mächtig Mist bauen können?

Das Demokratische System wurde mittlerweile auch schon ausgehöhlt. Die Schweiz, die sich am liebsten aus allem raushalten würde, muss, will sie nicht enden wie Simbabwe unter Robert Mugabe, gezwungenermaßen das Recht der großen EU adaptieren. Nur wenn es unvermeidbar ist, wird das Volk einbezogen. Um die EU-Anbindung (nicht Einbindung) nicht zu verlieren bewilligten die Stimmbürger gar die sogenannte Kohäsionsmilliarde zum Aufbau von Infrastruktur in Osteuropa. Ein Unterfangen das hierzulande wohl nicht nur am Widerstand der Kronen Zeitung gescheitert wäre. Das Gegenszenario hätte für die Schweiz wohl die wirtschaftliche Isolation bedeutet. Sie ist nun abhängig geworden und hat keine Möglichkeit mehr auf Entzug, kann aber auch nicht mitgestalten, sondern muss fressen was Brüssel ihr vorsetzt.

Das politische System der Schweiz ist derzeit mit jenen der restlichen Welt gänzlich inkompatibel. Man kann im Ausland keine bindenden Zusagen geben, weil man sich auf die Unterstützung zu Hause nicht verlassen kann. Das Volk, der Brutus in der schweizerischen Politik. Wenn die Eidgenossen glauben, dass – sollten sie tatsächlich einmal EU-Mitglied werden – Parlament, Rat und Kommission warten bis Ueli Maurer das Stimmvolk bemüht hat, haben sie sich wohl geschnitten. Die Schweiz wie sie ist passt zu Europa wie eine Kuckucksuhr ans Handgelenk. Sie hat es so gewollt, jetzt muss sie erstmals die bitteren Seiten der Einsamkeit auskosten. Europa hat lange genug auf die Schweiz verzichtet, jetzt ist es plötzlich umgekehrt. Wer die schweizerische Medienlandschaft beobachtet, möchte zum Eindruck gelangen, die Confoederatio Helvetica erlebe zurzeit einen Kulturschock wie ein indigener Stamm aus Papua, der zum ersten Mal auf die Zivilisation trifft. Personenfreizügigkeit, Ostöffnung, EU… Themen mit denen HC Strache in Österreich „gerade mal“ 20% zahnlose Verängstigte ohne Hauptschulabschluss und ein paar universitäre Nazis mobilisiert, schütteln das Schweizervolk wie kollektives Frieselfieber. Das Thema „Weltanbindung“ wird die Eidgenossenschaft noch länger beschäftigen. Bleibt zu hoffen, dass sie die Sache nicht regelt wie andere Probleme auf die sie sich nicht einigen konnte:
Von Kanton zu Kanton unterschiedlich.

2 Kommentare:

  1. Und vom jetztigem Standpunkt aus betrachtet: EU FAILS
    Schwarzseherei.. Deine Texte sind gut und überzeugend nur verbessern sie das Algemeine Wohl nicht. Was haben sie für einen Sinn?!? Ja das mit den Hobbits ist komisch aber der Politischen inhalte find ich nichtsnützige nörgelei.
    Wie wäre es mit aufbauender Kritik? Du weisst schon.. was man verbessern kann.. und vielleicht mal was tun.. Es kommt mir so vor, wie wenn ein Mann versucht einen Grill anzuzünden und dabei die zuschauer sich über ihn lustig machen, weil sie THEORETISCH alles besser könnten. Ich will damit sagen, es ist einfach Andere zu kritisieren ohne sich dabei selbst die Hände schmutzig zu machen.

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  2. Naja, über konstruktive Kritik könnte man ja auch behaupten, dass sie theoretisierend und besserwisserisch ist. Aber ich glaube man kann mir Zynismus vorwerfen, ja das wohl. Vielleicht ist es mir auch zu billig zu sagen: Macht das und das, dann geht alles besser. Vielleicht verfolge ich ja eher - um's klugscheißerisch auszudrücken - den mäeutischen Ansatz. Andererseits: wer würde schon diesen Blog lesen und Schlüsse daraus ziehen? Ich glaub es wär auch eine Überbewertung meiner selbst. Die Schweiz kennt ihre Schwächen sehr wohl und weiß die Rezepte, die helfen würden. Ich meine, dass der Franken nun keine leichtere Zeit hat, als der Euro und wenn Europa den Bach hinunter geht, wird die Schweiz das sicherlich auch zu spüren bekommen. Insofern Fail? Ich befürchte die Schweiz wird für ihren Isolationismus noch eine bittere Zeche zahlen müssen und das wünsch ich mir sicher nicht für sie.
    Ich bin nur der Typ, der etwas Salz in die Wunde streut. Ja, das nützt nicht viel und macht nichts besser. Vielleicht unterhält es den einen oder anderen, vielleicht weiß am Ende jemand mehr über die Schweiz, das wars dann schon. Und ja, es stimmt: die Kritik ist ein einfaches Geschäft. In meinem Fach gibt es aber so viele Weltverbesserer, die anderen Leuten ihr Leben erklären, ich möchte nicht auch noch so einer sein. Wollte ich mir die Hände schmutzig machen, würde ich keinen Blog betreiben, sondern wäre Politiker. Gott bewahre, da schon lieber ein antriebsloser Zyniker.
    Jedenfalls danke für die Kritik, sie war sicher nicht ganz unberechtigt.

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