Dienstag, 1. Dezember 2009

Frauke und Kai kaufen "Bongbongs", oder: Wie viel Deutschland verträgt der Mensch?

Wer kennt sie nicht, die peinliche Situation im Ausland: Man Trifft auf Menschen - eh schon schlimm genug - und wird gefragt "Are you German?" Bei mir ziehen sich dann immer die Mundwinkel zusammen als hätte ich gerade auf einen "Center Shock" gebissen und eine meist vehemente Verneinung tropft von meinen gekräuselten Lippen. Auf die Antwort wir seien Österreicher, attestierte einst eine ca. 80-jährige griechische Ladenbesitzerin auf Kreta einmal: "Ahhh, much better! Much better!" (Ob das nur aus Marketinggründen geschah bleibt fraglich, zumal im Landen auch etliche Deutsche gewesen sein dürften.) Man könnte nun natürlich zynischer weise sagen, dass der österreichische Opfermythos uns vor dem Schicksal des wahrscheinlich meistgehassten Volkes in Europa bewahrt hat und dadurch Aktionen wie die blutige Besetzung Kretas durch deutsche Fallschirmjäger nicht auf uns zurückfallen, aber vielleicht steckt doch mehr dahinter...

Man verstehe mich nicht falsch, Österreicher sind auch nicht wirklich überall beliebt: Sie gelten als misanthropische Melancholiker, aufbrausend, cholerisch und seit Schiller den Phäakenmythos in die Welt gesetzt hat, heißt man uns auch faul und verfressen. Trotzdem ist es überall wo man hinkommt so: Niemand mag die Deutschen wirklich. Man mag ihr Geld, aber das ist etwas anderes. Vielleicht mag man auch einzelne Deutsche - frei nach Lueger: "Wer ein Deutscher ist bestimme ich!" - aber mit der Masse weiß man nichts Positives anzufangen. Irgendwie ist es mit ihnen wie mit Alkohol, von zu viel wird einem schlecht. Sie sind laut, wissen alles besser und geben sich unerträglich arrogant. Man begegnet ihnen einfach überall, zuhause und - noch schlimmer - im Urlaub: Jutta erklärt dem türkischen Kellner im "All Inklusive Hotel" wie man in Deutschland richtige Cocktails mischt, während sich ihr Mann Heiko bei der Rezeption über die Anwesenheit zu vieler Russen beschwert und ihre Kinder Jörn, Ingo und Mareike schreiend den ganzen Poolbereich tyrannisieren.
Ja, ich spiele hier mit Klischees, richtig bemerkt. Irendwas muss aber schließlich dran sein: Man kann einer Gruppe von Menschen bestimmt eine Quintessenz von Eigenschaften zuschreiben. Auch wenn sie auf den Einzelnen überhaupt nicht zutreffen, so schimmern sie doch als Gruppencharakter immer wieder durch. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass mich einige jetzt nicht mehr für voll nehmen, aber ich gebe allen den guten Rat das gar nicht erst zu versuchen. Alles was ich sage, tue und schreibe ist gespickt mit gigantischen Subjektivitäten und himmelschreienden Vorurteilen. Ich liebe sie und ich lasse sie mir von keinem wegnehmen! Wenn ich es nun also vorsichtig ausdrücken soll: Ich habe ein Problem mit Deutschen. Ich habe schon etliche getroffen, einige waren wirklich sehr nett - hüstel -, aber wenn sie den Mund aufmachen dann stellen sich mir die Nackenhaare auf und es kommt mir vor als würde ein preußisches Kürassierregiment durch meine Eingeweide defilieren. Sprache und Ausdrucksweise ähneln dabei einem Presslufthammer der meine Zahnfüllungen zum Tanzen bringt. Manchen fällt das gar nicht auf, aber wenn jemand...
... im Supermarkt [lange Betonung auf dem "u"] Quark und Bonbons [ausgesprochen "Bongbongs"] für 5 € kauft, das Ganze dann in ein Tüte gibt, nach Hause fährt, die Einkäufe auf den Tisch stellt, auf dem Stuhl Platz nimmt eine Cola trinkt und im Taschenkalender noch schnell ein paar Termine für Januar einträgt...
... kommt mir einfach das Kotzen. Zugegeben, ich gehöre zu jenen die absichtlich Austriazismen verwenden um Deutsche zum Widerspruch zu reizen und dann mit der "Das-ist-österreichisches-Deutsch-Keule" zuschlagen zu können. Auch wenn ich persönlich nicht Eiskasten sondern Kühlschrank sage und verstehe wenn Vorarlberger keine Paradeiser, Fisolen, Erdäpfel und keinen Karfiol kaufen wollen, so gehören manche Wörter doch zu meiner Mindestanforderung für erträgliches Deutsch. Es kommt auch darauf an, wie man etwas betont: Man kann Kartoffel auch österreichisch aussprechen. Aber um Himmels Willen: Es sage bloß niemand in meiner Gegenwart Káffee [kurze Betonung auf dem "a" und das "e" nur kurz anklingen lassen]! Der Tag an dem ich deutschen Studentinnen in der U-Bahn zuhören musste, als sie davon sprachen, dass ihnen "der Jens noch so n' Káffeehaus zeichn wollte" hat bei mir tiefe sprachpsychologische Wunden hinterlassen. Mir ist es halt immer noch lieber, wenn man ...

... im Geschäft Topfen und Zuckerl um 5 € kauft, das Ganze dann in einen Sack packt, nachhause fährt, die Einkäufe am Tisch stellt, am Sessel Platz nimmt ein Cola trinkt und im Taschenkalender noch schnell ein paar Termine für den Jänner einträgt...


Aber das Maschinengewehrtrommeln deutscher Zungen ist nicht das Einzige (Tod allen die "das Einzichste" sagen) was mich an unseren nördlichen Nachbarn zur Weißglut treibt. Sie sind meist sehr germanozentristisch: Deutsch ist die Sprache der Deutschen, die anderen dürfen sie quasi leasen. Daher sind Wörter wie Jänner, Ordination, Lacke, heuer, Gehsteig und Bankomat für Deutsche auch nur "Dialekt" und nicht "österreichisches Deutsch" - Gott bewahre sie vor plurizentristischen Sprachen!- das korrekt im Österreichischen Wörterbuch und nicht im Duden steht. Die Österreicher sind dann auch ziemlich schnell "etwas andere Deutsche" (Hier sei angemerkt, dass ich nicht der Einzige bin, der dermaßen arroganten Zeitgenossen für solche Aussagen auf Partys Prügel androht.), unterstützt wird diese Ansicht von landesverräterischen deutschnationalen Burschenschaften und sonstigen Spinnern. Die "abgemilderte" Version lautet dann "etwas andere Bayern", worauf ich auch getrost verzichten kann. Außer dass sie manche Vokale wie Hundebellen aussprechen und im Lenz gerne um Maibäume tanzen, ist von einer angeblichen kulturellen Gemeinsamkeit zwischen (Alt-)Bayern und Österreich nicht mehr viel übrig geblieben. Mir persönlich sind Wiener Klassik und österreichische Literatur auch lieber als Florian Silbereisen und Weißblaue Geschichten. Warum in den alpenidyllischen deutsch-österreichischen Koproduktionen noch der letzte Bergbauer wie ein Hannoveraner spricht, kann mir wohl auch keiner erklären. Volkstümliche Musik und alpenländisches Kitschfernsehen sind die letzten Bastionen des Deutschfaschismus. In einer kotzrosafarbenen Dirndlheilewelt wird ein deutsch-österreichisch-schweizerischer Einheitskulturbrei serviert in dem Alltagsprobleme keine Rolle spielen. Da müssen dann beim "Winterfest der Volksmusik" gequält lächelnde Kinder in wechselnden Tuckenkostümen um einen geheimschwulen Moderator im Glitzeranzug herum hüpfen, während eine Brachialvolksmusikkombo aus Braunau mit Winterhauben im Styroporkunstschnee sitzt und irgendeine sinnleere Schmachtmusik via Playback zum Besten gibt. Der einzige Ausländer der sich dorthin verirrt hat, ist der Türke "Erol Sander" der nach einer Namensänderung für befähigt gehalten wird in diversen Alpenromanzen auch den "Anton von der Kofleralm" zu spielen.

Ein weiterer Kritikpunkt, der vor allem - aber nicht nur - den deutschen Studenten in Österreich vorgehalten wird (und das kommt nicht von mir): "Sie sind hier zu Gast, benehmen sich aber nicht so."
Eine gewisse respektlose Verniedlichung und Provinzialisierung gegenüber allem Österreichischen - wie bezüglich des Themas Sprache schon dargelegt - ist bei vielen Exemplaren der Gattung numerus clausus fugitor anzutreffen. Die Verblüffung darüber, dass mancher Einheimischer auf deutsche Verbaldiarrhö mitunter pikiert reagiert, ist dann oft grenzenlos: "Nun hab dich doch ma' nich' so!" Andererseits kommt man mit dem österreichischen Humor "jar nich'" zurecht, der wird als zu brutal und geschmacklos empfunden. Eben! Jedem seinen Geschmack, jedem seine Kultur! Ein Österreicher braucht sich von keinem Deutschen erzählen zu lassen, wie deutsch er denn eigentlich sei. Genauso gut kann man ihm auch sagen er habe keine Familie und sein Vater sei ein preußischer Postbote (nicht Briefträger).
Ich unterstelle den Deutschen hier hauptsächlich mangelndes Einfühlungsvermögen. Der Österreicher mag ein xenophobes Brachialarschloch sein, aber zumindest haben wir ein Gefühl dafür wie wir andere zielsicher beleidigen können. Der Deutsche hingegen tapt fleißig und unabsichtlich von einem Fettnäpfchen ins andere, weil er seine Nase permanent nach oben streckt. Schon Hugo von Hofmannsthal warf den Preußen "Mangel an historischem Sinn" vor, hielt sie aber auch für konsequenter. Nach 1945 wurde nicht Preußen abgeschafft, sondern Deutschland verpreußt. Vom Bodensee bis zum Belt und vom Rhein bis zur Oder trifft man nur noch Preußen. Wenn man nicht das bekommt was einem zusteht macht ein deutscher Student Krawall: "Das geht doch so nicht, na hör'n sie ma'!", während der österreichische zunächst lieber auslotet, schmeichelt, Umwege sucht "Gibt's denn irgendeine Möglichkeit?" und am Ende auch eher bereit ist zu resignieren. Man denke dabei an das berühmte Zitat von Joseph Roth:
"Da kann man nix machen! fügte er im stillen hinzu. denn er war ein Österreicher..."
Während die preußische Generalität als ein Hort von selbstkasteiender Manneszucht galt, vertrieb Admiral Tegethoff die Italiener bei Lissa im Vollsuff. Das Nievelierende, relativierend Melancholische, die eigene Begrenztheit Erkennende und trotzdem Größenwahnsinnige, das depressiv Volltrunkene, das Zerissene, das war immer schon, oder galt zumindest als, Österreichisch. Mit Ballermann hat das nicht viel zu tun:
"Der Österreicher, wenn er betrunken war, wollte die ganze Welt umarmen; der germanische Bruder, im gleichen Fall, sie kurz und klein schlagen." ALFRED POLGAR
Manchmal wird das Österreichische auch zu nivelierend und wer daran denkt wozu sie 1938 nüchter fähig waren, der wünscht sie sich oft nur noch betrunken. Da mag es ein Vorteil der Deutschen sein, dass sie wirklich entnazifiziert wurden, während das Jahr '68 in Österreich erst '86 stattfand. Vergangenheitsbewältigung auf Österreichisch heißt schweigen: "Das war ja sicher furchtbar damals, aber man kann ja eh nix mehr machen. Es is ja eh schon so lang her." Auch die österreichische Seele hat ihre Schattenseiten, trotzdem bleibt sie österreichisch. Bei aller österreichischer Beteiligung an deutschen Verbrechen, die Verfeindungsquote der Deutschen erfüllen wir nicht: Die Schweiz ist das einzige Nachbarland, gegen das Deutschland seit der Reichsgründung 1871 keinen Krieg geführt und das es nicht gewaltsam besetzt hat.

Was es bedeutet ein Deutscher zu sein erleben viele trotzdem erst im Ausland. Von manch einem Deutschen habe ich schon gehört, er sei noch nie so deutsch gewesen wie in Österreich. Sogar eine Studentin die aus Freilassing in Bayern über die Grenze in Salzburg zur Schule ging sagte mir einmal sie sei nur "die Deutsche" gewesen. So gesehen möchte man manchem Deutschen einen verpflichtenden Ku(ltu)raufenthalt in Österreich auferlegen, damit er sich seine Meinung nicht via Tourismuswerbung und Kitsch-TV bildet.

Ich gestehe: Ich bin kein Freund der Deutschen im Allgemeinen, dafür aber im Speziellen. Für jemanden der sich als Jugendlicher auf Wintersportwochen noch extra gefreut hat, wenn diejenigen die aufgrund seiner mangelhaften Schifahrkenntnisse zu Sturz kamen Deutsche waren und der Anno Domini 1994 oder '95 auf einem vielbelebten Strandabschnitt in Malia (Kreta) einen deutschen Jugendlichen - der ihn in der Strandduschordnung übergehen wollte - verprügelt und dabei permanent "Scheiß Piefke" gekreischt hat, während dutzende bestürzte Deutsche zusahen und seine Familie beim Abendessen viele böse Blicke erntete, ist das ein großer Schritt. Wie gesagt: Ich liebe meine Vorurteile, aber ich nehme sie nicht immer ernst. Was wäre die Welt ohne Geothe, Bach und Kant? Heutzutage muss sie sich aber mit Jutta, Wiebke, Hans-Christian und Karl-Otto begnügen. Da kann man halt nix machen...

Der Österreicher unterhält sich am liebsten über ANDERE, und das ÄTZEND. Stundenlang können Österreicher zusammensitzen und sich beschweren, sich auslassen, bekritteln, schimpfen. Es ist ein Volk der Nörgler, der Stänkerer, der Schimpfer, solange es „unter sich ist", d.h. unter Freunden.
GERHARD ROTH

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