Eine 84-jährige mehrfache Großmutter regiert seit 58 Jahren und 98 Tagen ein Land mit 62 Millionen Einwohnern sowie 15 andere Staaten auf dem ganzen Globus. Nach dem thailändischen König Bhumibol ist sie das dienstälteste Staatsoberhaupt der Welt, keiner ihrer Kollegen regiert ein so großes Territorium.
Sollte sich jemals ein österreichischer Bundespräsident über die tiefe Kluft ereifern, die zwischen seinen formalen Rechten und seinen tatsächlichen politischen Möglichkeiten klafft, möge er sich an diese Dame wenden und er wird seinen Seelenfrieden finden. Formal gehört ihr jeder Grundbesitz im Reich - dort kann eigentlich kein Land, sondern nur Pachtrecht verkauft werden -, sie ernennt nach Belieben ihre Regierung, sämtliche Richter, Beamte und Offiziere, erklärt Krieg, führt den Oberbefehl über ihre Streitkräfte und löst das Parlament nach Lust und Laune auf. Kein Gesetz kann Gültigkeit erlangen, das nicht ihre Zustimmung, den Royal Assent, erhalten hat. Sie ist die Verteidigerin des Glaubens, das Oberhaupt des Commonwealth, sie ist die Königin des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland.
Elizabeth II. D.(EI) G.(RATIA) REG.(INA) F.(IDEI) D.(EFENSOR) wäre also durchaus sehr mächtig. Wenn da nicht das Problem mit der Verfassung wäre. „Wir haben keine“ bemerkt etwas spitzfindig und nicht ganz korrekt die Schauspielerin, die im Film „The Queen“ Tony Blairs ungraziöse Ehefrau Cherie darstellt. Die Briten stecken mit ihrer Verfassungsentwicklung noch im 17. Jahrhundert fest und weil Traditionen im Land des Nebels und des schlechten Essens ja sehr groß geschrieben werden, wäre eine Verfassung, die die Monarchin von Gottes Gnaden binden würde, geradezu ein Sakrileg. Es gibt bedeutende Gesetze, die vor allem das Verhältnis von Krone und Parlament beziehungsweise von Krone und Untertanen (man denke etwa an die Habeas Corpus Akte) regeln, aber keine geschriebene Verfassung an sich. Deshalb gilt für die Konstitution im Vereinigten Königreich, was der österreichische Gesetzgeber zu vermeiden versucht wie der Teufel das Weihwasser und nur im absoluten Ausnahmefall gelten lässt, das Gewohnheitsrecht.
All die Macht, die in der ursprünglichen Verfassungstradition dem Monarchen zukam, liegt nun tatsächlich in den Händen der Regierung. Seit König Charles I. im Bürgerkrieg gegen das Parlamentsheer unterlag und daraufhin sein Haupt einbüßte, halten sich britische Monarchen mehr oder weniger aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik raus. Und das wird von ihnen auch erwartet. Als sich Elizabeth II. für die Einheit ihres Landes – und damit vor allem gegen den schottischen Sezessionismus – aussprach, wurde ihr das schon als Einmischung angekreidet. Dementsprechend schmal sind auch ihre tatsächlichen Funktionen im politischen system des Inselreiches: Die Königin wird informiert, sie berät und warnt. Das wars dann auch schon. Sie ernennt den Wahlsieger zum Premier, hält im Parlament die Rede, die er für sie geschrieben hat, erklärt Krieg und löst das Parlament auf, wenn er es ihr rät, sprich vorschreibt.
Das faszinierende am Verfassungssystem Großbritanniens ist aber, dass es niemals jemand wagen würde der Queen auch formal Vorschriften zu machen. Man verbeugt sich vor ihr, nennt sie „Your Majesty“ und „Mam“, dreht ihr beim Rausgehen niemals den Rücken zu und verhält sich auch sonst so, als stünden ihr die erwähnten formalen Rechte tatsächlich noch zu. Als Michelle Obama die Queen am Arm berührte, ging ein Raunen durch den Blätterwald. Der Palst musste sogar eine Presseerklärung herausgeben, in der verlautbart wurde, dass der Körperkontakt von Ihrer Majestät selbst ausgegangen sei und Mrs. Obama diesen lediglich erwidert habe. Eine Königin darf nicht unaufgefordert angetatscht werden. Dies musste auch der australische Premierminister Paul Keating erfahren. Weil er ungefragt seinen Arm um die Regentin gelegt hatte, erntete er von der britischen Presse den wenig schmeichelhaften Spitznamen „The Lizard of Oz“. Die walisische Regionalabgeordnete Leanne Wood wagte es sogar - wohlgemerkt in Abwesenheit der Queen - diese als „Mrs. Windsor“ zu bezeichnen und wurde - als erste Mandatarin des Parlaments von Wales überhaupt - des Saals verwiesen. Man spricht von Gottes gesalbter Königin nicht wie von der Hausbesorgerin von der Fünferstiege.
Höchstens die Regenbogenpresse wagt es ab und an die Queen zu kritisieren, wenn sie etwa keine Krokodilstränen um ihre Exschwiegertochter vergießt oder man sie wegen der Parlamentsrede etwas wenig schmeichelhaft den Papagei des Premierministers nennt. Doch sogar Schundheftchen wie der Sun ist Monarchie irgendwie heilig. Immerhin - so heißt es - seien etliche Eskapaden Prinz Williams verschwiegen worden, zuungunsten seines jüngeren Bruders, der jetzt als Schnapsnase und Nazifaschingsprinz der Nation verschrien ist. Man wollte eben den Ruf des zukünftigen Königs nicht beschädigen. Das Volk soll Respekt haben vor der Person vor der es das Knie beugt.
Wenn sie jährlich in ihrer Staatskutsche ins Parlament tingelt, um mit der Imperial Crown auf dem Kopf die Gedanken des Prime Ministers vom Blatt zu lesen, schickt dieses traditionell einen Abgeordneten als Geisel in den Buckingham Palace, um mit seinem Kopf für die Sicherheit der Monarchin zu bürgen. In Großbritannien verhält man sich so, als würde Guy Fawkes noch immer im Keller des Palstes von Westminster auf Pulverfässern sitzen, oder als warte Oliver Cromwell nur darauf den Herrscher Köpfen zu lassen um seine stinkende Republik ausrufen zu können.
Bei aller Liebe zum Pomp, das große Britannien schießt schon den Vogel ab: Als letzte Monarchie in Europa werden Könige dort noch gesalbt und gekrönt. Weder im katholischen Spanien, noch im neoabsolutistischen Liechtenstein geschieht Vergleichbares. Und während der schwedische König ohne Aufsicht der Regierung nicht einmal mehr husten darf - die Verfassung nennt ihn mit etwas patzigem Republikanismus meist nur „Staatschef“ - bittet Elizabeth II. immer noch den Sieger der letzten Unterhauswahl zu sich, um ihn mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Wenn wir dem oben erwähnten Film Glauben schenken dürfen, muss sich der Kandidat dabei niederknien. Ob die Queen dann wirklich den bedeutungsschweren Satz
„The duty falls upon me, as your sovereign, to invite you to become Prime Minister and to form a government in my name.“
sagt, bleibt der Öffentlichkeit wohl verborgen. In einem Land, in dem es nicht üblich ist das Staatsoberhaupt anzusprechen, ohne gefragt worden zu sein, bleiben auch Interviews mit der Queen eine schöne Phantasie für alternde Journalisten. Immerhin dürfte „The Queen“ im Palast nicht gänzlich auf Ablehnung gestoßen sein. Man munkelt Regisseur und Hauptdarsteller seien zu einem Abendessen geladen worden.
Wie Traditionsverhaftet die Briten noch immer sind, zeigt auch, dass der Premierminister zwar einen Nuklearkrieg führen kann, sein Posten im Protokoll des Vereinigten Königreiches aber recht weit hinten steht: Nach dem Monarchen, seinen thronfolgeberechtigten Verwandten, dem Erzbischof von Canterbury und den sieben Great Officers of the State.
Andererseits: Was schadet es, wenn die Briten ihre politische Schizophrenie weiterpflegen? Sie singen „God save the Queen“ und machen einen Diener, während das Volk die eigentliche Macht im Staate besitzt. Wahrscheinlich ist die Monarchie so etwas wie eine anachronistische Beruhigungstablette, die einem Glauben macht, dass es Dinge gibt, die sich nicht verändern: Die Queen als würdevolles Antimodernisierungsgroßmütterchen.
Diese Woche hat Oma Lisbeth wieder einmal einen neuen Regierungschef ernannt. Dass dieser zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg – in dem sie als Mechanikerin bei der Army diente - eine Koalitionsregierung anführt, stört formal nicht im Mindesten und an Realitäten stört man sich nicht. Die Regierung Ihrer Majestät wird so lange im Amt bleiben wie es IHR beliebt, nicht dem Volk. Eben at her Majesty's pleasure ...
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