Mittwoch, 23. März 2011

Ernst Strasser, ein Sittenbild.

Es war der 4. Feber 2000, als Bundespräsident Thomas Klestil mit der finstersten Miene, die ein österreichisches Staatsoberhaupt auflegen kann, die Bundesregierung Schüssel I. angelobte. Er verlas nicht einmal für jeden einzelnen Minister die Formel, sondern nur einmal und sammelte dann das „Ich gelobe!“ bei allen ein. Es war nicht nur der Tag, an dem sich die Grenzen der semipräsidialen Komponente der österreichischen Bundesverfassung zeigten, sondern auch jener, an dem die erste österreichische Mitte-rechts-Koalition seit 1938 angelobt wurde. Unter den ernannten Ministern war auch Ernst Strasser, ÖVP-Funktionär aus Niederösterreich und Schützling des örtlichen Landeshauptmannes Erwin Pröll.

Der frisch ins Amt eingeführte Innenminister machte sich sogleich ans Werk, das sich trefflich in jenes seiner Amtskollegen jener Tage einfügte und einer Politik diente, die - wenn man Peter Westenthaler glauben schenken mag - „Herz und Verstand“ in sich vereinen sollte. Vor allem Verstand, um nicht Raffinesse zu sagen, hatte zuvor Wolfgang Schüssel bewiesen, der trotz seiner Ankündigung als Dritter nach den Wahlen in Opposition zu gehen, sich zum Bundeskanzler ernennen hatte lassen. Die ÖVP hatte zumindest noch genug Verstand gehabt „heiße Eisen“ wie das Innen- oder Außenressort nicht der FPÖ anzuvertrauen. Dennoch blieben auch diese Ministerien nicht von der neuen schwarz-blauen Politik verschont. Insbesondere das Bundesministerium für Inneres wurde ein Beispiel schwarz-blauer Umfärbeaktionen.
Der Polizeigeneral Franz Schnabl, Generalinspektor der Bundessicherheitswache und damit ranghöchster österreichischer Polizist, wurde als einer der Ersten abserviert. Er hatte - in zivil wohlgemerkt - seine Tochter von einer Antiregierungsdemonstration abgeholt und war darob in Ungnade gefallen. Seine Versetzung zur Polizei im Wiener Gemeindebezirk Margarethen beantwortete er mit der Bitte um Karenzierung. Die Entfernung roter Polizisten hatte unter Strasser System. Wie später aufgetauchte E-Mails beweisen, wurden Parteigänger der ÖVP an jeder erdenklichen Stelle postiert, persönliche Eignung sekundär. Die Besetzung eines Inspektionskommandanten ist zum Beispiel Angelegenheit des Landespolizeidirektion. Besteht die Gefahr, dass der Posten von dieser nicht parteipolitisch gewünscht besetzt wird, veranlasst man die Scheinbewerbung eines ÖVP-nahen Polizisten aus einem anderen Bundesland, der den Posten in Wahrheit gar nicht will. Bewirbt sich nämlich jemand über Ländergrenzen hinweg, kann das Bundesministerium die Entscheidung an sich ziehen und die Führung der Inspektion dem auserkorenen Parteigänger zuschanzen. Die ganze Aktion war so strikt an der Parteibuchwirtschaft orientiert, dass selbst die Intervention Erwin Prölls für einen roten Polizisten nichts fruchtete. Der christlich„soziale“ Personalvertreter schrieb diesbezüglich an Strasser:
„der von pröll angesprochene kandidat ist nicht unsererer!!!!“
Nun kann man natürlich einwenden, dass Postenschacher auch unter roten Ministern stattgefunden habe und das Argument wäre nicht von der Hand zu weisen. Allein es geht um die Qualität und Quantität der Umfärbung. Von 1970 weg bis 2000, also dreißig Jahre lang, waren alle Innenminister der Republik Österreich SPÖ-Mitglieder. Während der gesamten Zeit blieb die Gendarmerie ein Hort von ÖVP-Funktionären. Kein roter Minister hat je mit der Aggressivität und Rücksichtslosigkeit eines Ernst Strasser diese Form von Enthauptungspolitik betrieben, die die Polizei später in Affären á la Horngacher laufen ließ. Kein Wunder, wenn ohne Rücksicht auf persönliche Eignung posten allein nach der Farbe des Parteibuchs vergeben werden. Die Zusammenlegung von Gendarmerie und Polizei ergab dabei das Übrige: Tatsächlich wurde sowohl organisatorisch, als auch personell die rote Polizei der schwarzen Gendarmerie einverleibt. Kontrollmechanismen wurden beseitigt, der Einsparungseffekt war gleich Null, da beide Wachkörper zuvor unterschiedliche Einsatzbereiche (Stadt/Land) bedient hatten und die Synergien daher endenwollend waren. Dafür gab es etliche Gendarmerieoffiziere, die liebend gern auf einen Polizeiposten wollten. Dieser Wunsch wurde ihnen mit der Zusammenlegung unter dem Bauernopfer der Aufgabe des Namens „Gendarmerie“ ermöglicht. Die Qualität der Polizeiarbeit brach dadurch ein. Tausende Polizisten wurden aus dem roten Wien abgezogen, um der SPÖ zu schaden. Ins Kabinett des Ministers hielten Leute wie  Philipp Ita Einzug, der seine Dienstkreditkarte im Puff vergaß und von dem die „Kleine Zeitung“ schrieb, er habe womöglich seine Ex-Frau verprügelt. Später wechselte er aus dem Ministerialkabinett in die, Zitat: „Privatwirtschaft“, soll heißen ins ÖBB-Management.

Als dann später die Postenschacher-Mails von Strasser bekannt wurden, war die Aufregung groß und doch wieder nicht. Schließlich war jedem klar, dass solche E-Mails existiert haben mussten. Wahrscheinlich ist, dass in Telefonaten noch viel heiklere Dinge besprochen wurden. Interventionen von FC-Gewerkschaftern mit Wortlauten wie:
„Es handelt sich um einen Mann, welcher uns gegenüber loyal ist, dies obwohl sein Vater, Kriminalbeamter E.J., ein blauer Gemeinderat in Schwechat war.“
wirken da ja noch recht mild. Die Staatsanwaltschaft hat die im Zuge der Affäre eingegangenen Anzeigen gegen Ernst Strasser betreffend Amtsmissbrauch jedenfalls „vergessen“. Das ist kein Scherz, sondern die tatsächliche Entschuldigung der Behörde, nachdem die Anschuldigungen verjährt waren.

Ernst Strasser selbst trat 2004 zurück, Grund waren innerparteiliche Zerwürfnisse mit Kanzler Schüssel. Unter seiner Nachfolgerin Liese Prokop änderte sich an der Ministeriumspolitik wenig. Es ist anzunehmen, dass die Geschäfte in Wahrheit mehr oder weniger vom Kabinett geleitet wurden. Prokop selbst dürfte für die Führungsfunktion einfach zu wenig... intellektuelle Kompetenz mitgebracht haben.

Ihr Vorgänger verschwand währenddessen wieder im Sumpf der niederösterreichischen ÖVP, wurde Präsident des Hilfswerkes, stellte sein „Know How“, will heißen Einfluss, der Privatwirtschaft zur Verfügung und gründete eine Beteiligungsgesellschaft. So sieht eigentlich das Standardausgedinge für Altpolitiker aus: Versorgungsposten plus Beratervertrag. Aber dann: Dann kam Josef Pröll, der Neffe des einstigen Strasser-Förderers Erwin, auf die Idee, dass der - zugegeben etwas farblose - EU-Politiker Othmar Karas nicht aufregend genug für die anstehenden Europaparlamentswahlen sei und holte Strasser aus dem ÖVP-Horrorkeller. Der geschasste Karas nahm es mit dem was er anstatt des Glamours besaß, Anstand, und bekam prompt die meisten Vorzugsstimmen aller angetretenen Politiker. Wahrscheinlich war das auch ein Mitgrund für den Sieg der ÖVP.
Ironischerweise wurde die Anti-Strasser-Geste des Wahlvolkes so erst zum Sprungbrett des Ernstl an die Spitze der ÖVP-Delegation, soviel zu den Defiziten des repräsentativ-demokratischen Systems. Karas behielt seinen Posten im Bundesparteivorstand, gab den Delegationsleiter aber auf Druck von Pröll an Strasser ab. Von da ab herrschte Eiszeit zwischen Karas und den anderen beiden Politikern. Bis zu jenem denkwürdigen Tag, an dem Strasser in die Falle der britischen Zeitung „Sunday Times“ tappte und mit seinem schlechten Englisch prahlte er habe schon fünf und hoffentlich bald sechs Klienten, die ihm pro Nase 100.000 € pro Jahr ins Säckel stecken würden. Als die Sache ruchbar wurde, versuchte Karas seinen Parteichef Pröll darüber zu informieren. Pröll, seit der EU-Wahl wie gesagt nicht mehr allzugut auf den schlechten Gewinner Karas zu sprechen, soll das Handy einfach nur läuten haben lassen. Dann wurde die Geschichte publik und natürlich setzte automatisch der parteipolitische Herunterspielmechanismus ein. Man müsse die Sache erst einmal begutachten, nun seien die Behörden am Zug etc. Dann kam das Video mit Strasser und die ÖVP kinckte schneller ein als die südvietnamesische Armee nach dem Abzug der US-Truppen. Pröll, der aufgrund einer Lugenembolie im Krankenhaus lag, intervenierte noch vom Bett aus und drängte seinen Parteifreund zum Rücktritt. Im heimlich aufgezeichneten Gespräch mit den als Lobbyisten getarnten Reporter der „Sunday Times“ hatte Strasser nämlich das offenbart, was man hinter der grinsenden Fassade des Ex-Ministers schon immer hatte vermuten können:
„I have only one chance to lie, yes? So I will be very very careful on this, because if you once lie, you are dead. I don't want to be [dead], I want to build up my network and want to use it after my time as an MEP.“ Der Standard - Strasser Zitate
Mittlereile ist Strasser nicht einmal mehr Präsident des niederösterreichischen Hilfswerkes, seine Parteimitgliedschaft ruht, die Sponsoren sind ihm abgesprungen. So endet nun die Karriere eines weiteren führenden Politikers der schwarz-blau/orangen Wendezeit im Sumpf der Korruption und des Amtsmissbrauches. Die Oppositionsparteien und der Regierungspartner zeigen sich hämisch, die ÖVP spielt die Schockierte, als hätte man vor seiner Nominierung nicht wissen können, dass Ernst Strasser gelinde gesagt gewisse charakterliche Defizite aufweist. Verdientermaßen ist nun auch die Stunde des Othmar Karas gekommen, nach dem Motto „Wer zuletzt lacht...“ darf er sich von seinen Parteifeinden Rosen streuen lassen, verknüpft mit der Bitte doch wieder den Posten des Delegationsleiters zu übernehmen.
Die EU-Betrugsbehörde Olaf ermittelt nun gegen Strasser, sein Büro wurde bereits versiegelt. Pikant ist bei der Geschichte vor allem eines: Seine „Lobbyistentätigkeit“ wäre nach österreichischem Recht für Abgeordnete zum Nationalrat gar nicht strafbar.
„Eine Wohltat entgegennehmen heißt die Freiheit verkaufen.“ - Publilius Syrus
(Hier schon im Zusammenhang mit einem anderen -rasser zitiert, aber weiterhin zutreffend)

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