Sonntag, 21. Februar 2010

Ein Funken Volkskultur

Die Stimme des Ortsvorstehers leiert ins Mikrofon:
„Wir bitten Sie keine Raketen oder Knallkörper oder sonstige feuerwerksähnliche Sachen im Publikumsring abzulassen.“
Er klingt wie das was er ist: Ein Vorarlberger, der versucht anspruchsvolles Hochdeutsch zu sprechen. Mitunter holpern die Formulierungen, oft wiederholt er sich. „Ganz besonders herzlich“ wird der anwesende Bürgermeister von Feldkirch nebst Gattin begrüßt, der zwischen den einzelnen Funkenveranstaltungen in den sieben Ortsteilen seiner Stadt pendeln muss. In Wahlkampfzeiten eine Herausforderung, da er auch noch Beerdigungen, goldene und silberne Hochzeiter sowie 90jährige Uromas zum Geburtstag aufsuchen muss. Zweimal wird der Ortsvorsteher an diesem Abend die Liste der Sponsoren verlesen: Herberts Dorfmetzg, Bernies Brotlädele, Elektro Böhler („Vielen herzlichen Dank für die besonders großzügige Spende“), Sparmarkt Coni Wurzenberger (Die Lebensgefährtin des Ortsvorstehers), Bickl Transporte („Wer kennt es nicht, das größte Transportunternehmen in Tosters?“), die Baufirma Hilti & Jehle und viele andere die das Pech haben eine Firma zu besitzen und gleichzeitig gesellschaftlich aktiv sein zu wollen. Um die regelmäßige Society-Steuer für Funken und Musik kommt keiner herum.

Es ist Funkensonntag und der Dorfadel feiert sich selbst. Wer in Tosters etwas gelten will muss alteingesessen sein – bei einem Dorf das 995 erstmals urkundlich erwähnt wurde und damit ein Jahr älter ist als Österreich soll das etwas heißen – oder sich vereinsmeierisch organisieren. Am besten ist man ein musikalischer Feuerwehrmann und Funkenzunft- sowie ÖVP-Mitglied.
Der Funken ist altes alemannisches Brauchtum und markiert den Übergang vom Winter in den Frühling. Zum Ärger alle GenderanhängerInnen wird dort Jahr für Jahr symbolisch eine Hexenpuppe auf einem Scheiterhaufen oder Turm verbrannt. Nur Brederis hat heuer erstmals aus politischer Korrektheit auf die Hexe verzichtet – ein Skandal.

Es gibt in etwa so viele Funkenbauweisen wie Dörfer: Während man im Bodenseegebiet häufig Schilffunken vorfindet, sind es im oberen Rheintal eher turmförmige Gebilde aus Holz. Tisis – das Nachbardorf – baut viereckige Funken mit jeweils einer Fichte als Stabilisator in jedem Eck. Tosters baut nach Montafoner Brauch – obwohl das Montafon nicht gerade um die Ecke liegt – einen Sechskantfunken mit einer Fichte in der Mitte. Der Funken ist der zentrale Treffpunkt für das Dorfvereinswesen, allen voran die Funkenzunft, die Ortsfeuerwehr, die Dorfmusik und die Fasnachtzunft, wobei unter allen Vereinen etliche Personalunionen bestehen. Da ist dann der Bürgermeister oft auch Feuerwehrkommandant, Funken- und Kapellmeister. In Tosters sind die Funktionen getrennt und daher bittet Ortsvorsteher Fredi den Kapellmeister Seppel darum mit dem musikalischen Rahmenprogramm zu beginnen. Die Harmoniemusik Tito – benannt nach den beiden Dörfern Tisis und Tosters, die sich eine Kapelle teilen und nicht nach einem jugoslawischen Langzeitdiktator – gibt daraufhin mit nicht nur temperaturbedingt wenig harmonisch klingenden Instrumenten den einen oder anderen Marsch zum besten.

Danach kommt der Auftritt der Funkenhexe, dem dörflichen Moralgericht. Ein weibliches Mitglied der Lokalschickeria wirft dabei in dialektalen Stolperreimen einer Familie vor, sie habe heuer die Weihnachtsbeleuchtung zu lange hängen lassen, der Chef der örtlichen Raiffeisenfiliale wird als Technikdepp entlarvt – er habe mehrfach mit seinem neuen Handy seine eigene Festnetznummer gewählt und sich dann über anonyme Anrufe beschwert – und ein Montessorikindergarten wird als nächtlicher Swingerclub enttarnt (mit der gleichzeitigen Offenbarung, dass eine Muslimin sich geweigert habe sich dort zu entblößen, die habe sicher nicht gewusst um was es gehe). Ausgesparte Pausen für erhoffte Lacher werden vom Publikum mehrheitlich ignoriert und nachdem der poetische Volksgerichtshof mit einem mehr als verhaltenen dreifachen „Funka, Funka hooo“ verabschiedet wurde, kommt der Höhepunkt des Abends.

Ein angesehenes Mitglied der Dorfgesellschaft – heuer der Geschäftsführer der örtlichen Rasenmäherreparaturfirma – darf den Funken mit einer langen Lanze entzünden. Zuvor wurde er von „Funkenmeister Bayer Franz“ (Zit. Himmer Fredy, Ortsvorsteher) eingehend mit Benzin behandelt. Während die Funkenhexe darüber ätzt, dass der Funken im benachbarten Gisingen auch heuer wieder umgefallen sei, ist der Tostner Funken der einzige der innerhalb von zwei Minuten voll in Flammen steht. Bei 18 m Höhe (mit Fichte 25 m) eine stattliche Leistung, die ohne Unterstützung der OPEC so wohl nicht möglich gewesen wäre. Die Hexenpuppe an der Spitze explodiert dementsprechend auch kurze Zeit nach der Funkenentzündung mit einem kriminell lauten Knall und lässt die Trommelfelle der Umstehenden erzittern. Der Turm ist gefüllt mit alten Christbäumen und Sperrholz. Früher, als die blöde Bezirkshauptmannschaft noch nicht so penibel war, stellte der Funken auch die alljährliche Möglichkeit zur Sperrmüllvernichtung dar. Vom alten Kleiderkasten bis zum Autoreifen wurde alles kostengünstig beseitigt. Heutzutage muss umweltfreundlicher gebaut werden, an der Schiefe des Bauwerks kann aber immer noch der Alkoholkonsum der Baumannschaft abgelesen werden. Heuer halten die sich die Kurven in Grenzen, möglicherweise eine Folge der Wirtschaftskrise. Daher fällt der Funken leider auch nicht um, sondern in sich zusammen.

Während der Scheiterhaufen noch brennt laufen überall Kinder mit Gratisfackeln herum und brennen ungefragt Löcher in Jacken und Hosen. Die Handschuhe voll Wachs versuchen einige Nachwuchszündler trockenes Gras, vermischt mit Papptellern und Plastikbechern, zu verheizen. Die gelangweilte Elternschaft steht mit einem „Hexentee“ in der Nähe und lässt Chiara-Jaqueline und Sandro-René gewähren.
Diejenigen, die sich bereits zu Beginn des Spektakels entgegen der Windrichtung positioniert haben – die Deppenkurve – machen sich gleich nach der Entzündung des gigantischen Phallussymbols schleunigst aus dem Staub um sich nicht die Jacken vom Funkenregen perforieren zu lassen. Die Harmoniemusik spielt noch ein Stück und begibt sich dann halb verdurstet zum Wirtschaftsstand. Das musikalische Programm übernimmt eine CD mit Volkstümlicher Schlagermusik. „Er ist ein alter Casanova“ löst „Sie ist die schönste Frau“ ab, die Hintertupfinger Vollspastiker folgen auf die Deppentaler Schürzenjäger.

Das zahlreich anwesende Bildungsprekariat betäubt sich mit reichlich Alkohol und die imbezile Landjugend lässt trotz Warnung des Ortsvorstehers Schweizerkracher im Publikum hochgehen. Da wird’s dann sogar dem Himmer Fredy zu viel und er vergisst sein schönes Hochdeutsch: „Ich bitte noch einmal keine Feuerwerkskörper abzubrennen… und vor allem dia Kindr do hinta ufm Hügl doba, lond des si und konnd sofort aba do!“ Die altersgraue Dorfgestapo berät währenddessen bereits über mögliche Züchtigungsmaßnahmen.
Doch die traditionelle Funkenformation – Wichtige unten, weniger Wichtige in der Mitte und Jugendliche oben am Funkenhügel – löst sich erst auf, als der Wind dreht und das Funkenkarussell beginnt: Jeder flüchtet vor den niederfallenden glimmenden Fetzen und so setzt sich eine kleine Völkerwanderung in Gang.

Nachdem der petroleumbetankte „Biofunken“ (Zit. Himmer Fredy) in Rekordzeit abgebrannt ist wie ein magyarisches Romadorf nach einer Stippvisite der ungarischen Garden, wird das Feuerwerk entzündet. Da der offizielle „Chefpyromane“ (Zit. Himmer Fredy) leider nach einem Unfall in Mexiko im Spital liegt, musste ein anderer übernehmen, der zwar geplant aber nicht angezündet hat, da er nach Spanien musste. Die Positionierung des Feuerwerks kann durchaus als bürgernah bezeichnet werden. Nicht einmal 50 m vom Publikum entfernt starten die Raketen in den Nachthimmel, was für steifen Nacken und taube Ohren sorgt. In der Ferne kann man die Funken im nahen Liechtenstein und den Ketzerfunken in der Hub erkennen. Dieser Dorfweiler hat sich vor Jahren entschieden einen eigenen Funken aufzumachen und verbrennt daher jährlich einen mickrigen Bretterstapel. Verglichen mit dem Tostner Funken darf sich das Hubner Seperatistenfeuer aber fühlen wie ein Japaner der das Pissoire neben einem afroamerikanischen Pornodarsteller benutzt.

Nachdem Verzehr der obligatorischen Funkenwurst oder alternativ von Schüblingen (nein, das sind keine Schubhäftlinge sondern Knackwürste) oder Zizile (auch als Wienerle oder im Osten als Frankfurter bekannt) und eventuell eines Funkaküachles (in Fett herausgebackene mit Staubzucker bepuderte Diätspeise) macht sich der Großteil der Gesellschaft durch Schneematsch und Gatsch auf den Rückweg hinunter ins Dorf. Der harte Kern der Eingeborenen bleibt aber noch wesentlich länger und „verhockt“ dann im Gasthof zum Löwen. Lang lebe die Volkskultur…

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